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'N 470

Vorder-Faqade ein „wahres Schmuckkästchen des reich-,
sten, zierlichsten fpätgothifchen Styles darstellt," und
auch schon deshalb besucht zu werden verdient, weil
hier die Grabstätte Tintoretto's, dieses großen Kolo-
risten der venezianischen Schnle, zu finden ist, von
dein noch eine Anzahl schöner Bilder dieser Kirche
zu sehen sind. Der Bau dieser nicht eben großen,
aber in ihren Verhältnissen edlen und harmonischen
Kirche begann 1473; man kennt den Baumeister nicht,
aber er war unverkennbar ein sehr bedeutender Mann.
Auf dem kleinen, freundlichen, mit bunten Fliesen be-
legten Platze vor der Kirche ist eine Cisterne mit
eherner Einfassung in hoch erhabener Arbeit, welche
unser Bild deutlich erkennen läßt, und die wahrschein-
lich aus derselben Zeit stammt, wie die beiden schö-
nen erzgegosscnen Cisternenbrüstungen ini großen Hofe
des Dogenpalastes. Tintorctto, eigentlich Jacopo
Nvbufti, geb. 1512, war bekanntlich einer der talent-
vollsten Schüler Tizian's und bemühte sich, mit dem
prachtvollen Kolorit Tizian's die großartige und be-
wegte Zeichnung Michelangelo's zu verbinden, welche
Aufgabe er aber bei seiner Schnelligkeit im Arbeiten
oft auS dem Gesichte verlor. Als ein hochbetagter
Greis von 82 Jahren gestorben, ward er auf seinen
Wunsch in dieser Kirche beigcsetzt, worin er auch ge-
tauft worden war. O. M.

Die Fortschritte im Schiffsbauwesen.
(Stehe Las Bild auf S. 469.)
Wenn wir auf die jüngstvergangenen sechszig
Jahre zurückblicken, so sehen wir als die Früchte
der langen friedlichen Eniwicklung, deren wir nns
erfreuen durften, auf allen Gebieten menschlicher
Thätigkeit eine Menge von Fortschritten und ge-
waltigen Verbesserungen, deren Umfang und Be-
deutung eigentlich nnr diejenigen genau bemesseu
und richtig wertsten können, deren Geburtsjahr uoch
in das vorige Jahrhundert fällt. Nach der Be-
endigung der Napoleonischen Kriege waren die
Völker des Schlachten- und Waffenlärms müde,
sehnten sich nach Ruhe und verlegten sich emsig
auf die Künste des Friedens, was uns die Hosf-
nnng gibt, daß es nnn auch für die nächste Zu-
kunft ebenso sein werde. Die drei Jahrzehnte nach
Napoleon's 1. Sturz zeichneten sich durch eine lange
Neiße wunderbarer mechanischer und naturwissen-
schaftlicher Entdeckungen und Erfindungen aus,
welche zumeist friedlicher Natur uud vou ungeheurer
Tragweite waren — wir erinnern nur an die
Dampfkraft, Dampfschiffe und Eisenbahnen. Seit
Anfang der Fünfziger Jahre wandte der rastlose
Erfindungsgeist sich auch der Kriegskunst zu, und
dieselben Entdeckungen, welche dem Gewerbe- und
Verkehrswesen einen solch gewaltigen Umschwung
geliehen hatten, dienten jetzt dazu, auch die Kriegs-
werkzeuge gewaltiger und zerstörender zu macheu.
Das Perkusstonsgewehr, welches das alle Steiu-
fenerschloß verdrängt hatte, mußte der Zündnndel
und anderen Hinterladern weichen, die Kriegsschiffe
wurden durch Dampf bewegt, und die Erfindung
des Dampfhammers erlaubte Schiffspanzerplatten
herzustellen und ebenso die Riesenkanoneu aus Guß-
stahl, deren Geschosse Hinwiederuin im Stande waren,
jene Schiffspanzer zu durchbohre». So war es
denn vorzugsweise die Dampfkraft, welche in Schiff-
fahrt und Schiffsbaukunst eine vollständige Um-
wälzung hervorgebracht und seit dein Krimkriege
zil Veränderungen auf diesem Gebiete geführt hat,
welche tiefgehender und umfassender sind, als die
Umwandlungen des Schisfsbauwesens in den drei
vorangegangenen Jahrhunderten. In: Krimkrieg
bewährte sich die Ueberlegenheit der kleineren Kriegs-
dampfer über die riesigen Linienschiffe nnd Fregatten,
diese ungeschlachten schwimmenden Kasernen und
hölzernen Festungen; im Krimkriege erprobteil sich
die schwereren Kaliber mit konisch-cylindrischen Ge-
schossen; im Krimkrieg erging der erste Anstoß zum
Bai- der Panzerschiffe und zur allgemeinereil Um-
wandlung. der Räderdampfboote der Kriegsschiffe
in Schraubendampfer.
Nichts vermag vielleicht die Ueberlegenheit der
neueren Kriegsschiffe über die älteren deutlicher
Hervorzuheben, als unser Bild auf S. 469, worin
zwei Repräsentanten des alten nnd des neuen
Slyls der Schiffsbaukunst so neben einander gestellt
sind, daß sie gegenseitig verglichen werden können.
Das abgetakelte Schiff znr Linken, das jetzt als
Gefangenen-, Kasernenschiff oder Provinntmagazin

> verwendet wird, ist ein Linienschiff ersten Ranges,
' der „Herzog von Wellington", einer jener riesigen
Dreidecker, wir sie noch vor 25—30 Jahren in Eng-
land als das Nonplusultra der Schisfsbaukunst
hergestellt wurden. Der „Herzog von Wellington"
mit seinen 132 Kanonen würde damals verächtlich
auf das harmlos aussehende Schiff zur Rechten
herabgeschaut haben, das, wenn es keine Kanonen
führte, höchstens einem Kauffahrteischiffe zweiten
Ranges geglichen hätte. Würde aber die gepanzerte
Dampffregatte zur Rechten einmal mit einem jener
schwerfälligen dreideckigen Segel-Linienschiffe in
ernstem Kampf zusammengerathen, so ist Tausend
gegen Eins zu wetten, daß das riesige Linienschiff
trotz seiner 132 Kanonen binnen einer halben Stunde
voll den 24—28 schweren Kanonen der Dampf-
fregatte so furchtbar zugerichtet würde, daß es in
den Grund gebohrt wäre. Allein abgesehen davon,
hat schon die ungemeine Schnelligkeit und Beweg-
lichkeit nnd die hierdurch gesteigerte Manövrirfähig-
keit der Kriegsdampfer, bereu Boote und Schaluppen
sogar mit Dampfkraft bewegt werden, wie auf unse-
ren: Bilde zu sehen, denselben einen solch unge-
heuren Vorsprung vor bei: schweren Segelkriegs-
schisfen gesichert, daß man heutzutage nut 10 Kriegs-
dampfern unendlich mehr ausrichtet, als ehedem
mit 25—30 Linienschisfeil und Fregatten.
_ O. M.
Die Kämpfe der Sadener gegen
Garibaldi.
(Siehe das Bild auf Seite 472.)
Der alte Garibaldi hat schon in den letzten Jahr-
zehnten die Lorbeeren, welche er sich früher als
Kämpfer für die Befreiung und politische Einigung
Italiens erworben hatte, durch unbesonnene und taktlose
Handlungsweise zerpflückt und eine Eitelkeit, Eigen-
liebe, Großmannssucht und Selbstüberschätzung an
den Tag gelegt, welche den: Alten Tausende seiner
früheren Bewunderer und Verehrer abwendig machte.
Gleichwohl konnte man in ihm noch den uneigen-
nützigen, warmfühlenden Patrioten achten. Seit er
aber in einem traurigen Anfall Won Größenwahnsinn
sein Schwert der französischen September-Republik
lieh, der Barbarei seine Dienste anbot gegen die Ge-
sittung, nur in dem Wahne, damit zur Verwirklichung
des Hirngcspinnstes einer „allgemeinen europäischen
Republik" beizutragcn, seit er die von ihm zusammen-
gerafften Schaaren mehr durch Proklamationen voll
Schwulst, Gehässigkeit und welscher Tücke und Grau-
samkeit gegen die „deutschen Despotensklaven und
Barbaren" anhetzte, anstatt sie durch rüchtige Dis-
ciplin und Führung zu guten Soldaten zu machen
und mit ihnen im Felde etwas zu leisten, seit er
einen räuberischen Ucbersall seines Sohnes Menotti
auf deutsche Wehrleute in Chatillon-sur-Seine als
eine Heldenthat anpries, hat der alte Ton Quixote
der Revolution in den Augen jedes braven Deutschen
den Anspruch auf Achtung verloren und sich zu einem
jämmerlichen, kurzsichtigen, kopflosen Komödianten
herabgewürdigt, und seine Söhne, die sich den
rolhen Republikanern in Paris zur Verfügung gestellt
haben, verdienen ganz in gleichem Sinne gewerthet
zu werden.
Garibaldi's militärische Leistungen im jüngsten
Kriege sind selbst unter den bescheidensten Erwartungen
zurückgeblieben, welche die Franzosen von ihm gehegt
haben mögen, und unseren braven badischen Truppen,
welche in dem Feldzüge gegen die Ost- und Bour-
baki'sche Armee so Ausgezeichnetes geleistet, war es
Vorbehalten, der: Alten sammt feinen Freischaaren
tüchtig geklopft heimzuschicken, so daß er beim deut-
schen Soldaten um seinen militärischen Ruhm ge-
kommen ist, und die Franzosen ebenfalls seine Un-
fähigkeit einschen mußten, mit feinen undisziplinirten
Freischaaren gegen die Hebung, Intelligenz, Tapfer-
keit und den trefflichen Geist einer geordneten Armee
etwas auszurichten.
Die erste Leistung im Felde, welche der dünkel-
hafte gespreizte Alte von Caprera versuchte, war ein
Vormarsch von Autun gegen Dijon mit 10,000 Mann
au: 26. November, in der Absicht, den Deutschen Dijon
wieder zu entreißen. Seine Freischaaren stießen am
Abend des 26., einige Stunden von der genannten
Stadt, bei den Dörfern Plcnois und Pasques, auf
eine Ncquisitionskolonne von der badischen Brigade
Degcufeld und griffen diese sogleich an. Aber die
kleine tapfere Schaar zog sich trotz des furchtbaren

feindlichen Geschütz- und Gewehrfeuers in strengster
Ordnung fechtend zurück, schlug verschiedene Angriffe
der Garibaldiner ab und ward von einem frischen
Bataillon des 3. Regiments ausgenommen, welches
zwei Angriffe der anftürmcnden Freischaaren mann-
haft zurückschlug und dieselben mit Kolben und Bayon-
net so kräftig zurückwarf, daß sie in wilder Unord-
nung mit Wegwersung von Gepäck und Waffen
flohen und auch am folgenden Tage den Angriff
nicht erneuerten, sondern nur drohende feste Stellun-
gen an der Straße von Dijon-Chatillon einnahmen.
Daher gingen um 1 Uhr die braven Badener, von
einer preußischen Brigade unterstützt, zum Angriff
über, vertrieben sie aus dem Dorfe Pasques, aus
dem jenseitigen Wald, der von der badischen Artillerie
lebhaft beschossen wurde (vgl. unser Bild S. 472), und
hatten Linnen zwei Stunden das ganze Garibaldi'schc
Corps auf allen Seiten blutig gegen Autun zurück-
geworfen.
Mit den größeren militärischen Unternehmungen
der Garibaldiner war es nun zu Ende, und sie be-
schränkten sich auf die eigentliche Thätigkeit von Frei-
fchaaren, nämlich den neckenden und beunruhigenden
kleinen Krieg durch Ueberfülle und Raubzüge von den
Bergen des Morvan und Cote d'or gegen die deutschen
Posten in den Dörfern an den Etappenstraßen. Ein
Gegenbesuch, welchen die badische Brigade Keller dem
alten Garibaldi in Autun machen wollte, um ihn
dort zu vertreiben, führte die wackeren Badener bis
vor Autun, wo sie aber von einem Gegenbefehl er-
reicht wurden, der sie rasch wieder nach Dijon zurück-
berief. Der Abzug der Badener ermuthigte den
Alten von Caprera, der heimkehrenden Brigade über
Bligny vorauszueilen und einen Hinterhalt bei Van-
denesse und Chateauneuf zu legen, wo ein steiler auf dem
Gipfel bewaldeter Berg und anstoßender Wald die
Straße nach Dijon auf eine ziemliche Strecke beherrscht,
während im Städtchen Vandenesse und vor demselben
gleichsam ein Defilee und der tiefe breite Burgunder
Kanal dein Marsche einer großen Heeresabtheilung
gewichtige Hindernisse und Schwierigkeiten bereiten
können. Kaum rückte die Vorhut der Brigade aus
Vandenesse heraus, so überschütteten die französischen
Geschütze diese und das Städtchen mit Granaten, wäh-
rend die deutsche Artillerie sammt Train noch süd-
lich vom Burgunder Kanal steckte. Allein jetzt ließ
der Major Ehehalt vom 5. Regiment sein Bataillon,
das die Vorhut bildete, die steile Berglehne erstürmen
und schlug in siebenftündigem erbittertem Kamps die
Garibaldiner aus ihrer festen Stellung zurück, daß sie
flohen, und die ganze Brigade unbehelligt die gefähr-
liche Stelle der Straße passiren konnte und noch am
selben Abend in Fleury, am 4. December aber wieder
in Dijon cinrückte, ohne mehr als 6 Offiziere und
153 Mann an Todten und Verwundeten verloren zu
haben. O. M.
Die Franzosen in Lübeck.
Ei» Zeitbild
von
L. Semrichs.
1806! Wer hat nicht gehört und gelesen von
diesem Jahre der tiefsten Erniedrigung für Deutsch-
land, wo es zu den Füßen des korsischen Erobe-
rers lag, geknechtet und zertreten in Ohnmacht und
Verzweiflung! Es war das Jahr, in welchem
Oesterreich gänzlich überwunden, Preußen fast ganz
vernichtet war, und die übrigen deutschen Fürsten
unter der Protektion Napoleon's den berüchtigter:
Rheinbund bildeten, welchen im Jahre 1870 wie-
derherzustellen die Absicht des kaiserlichen Neffen
war.
Es war an: Abend des fünften Noveinbers
jenes Unglücksjahres, als in einem großen, statt-
lichen, an der Breitenstraße der Stadt Lübeck ge-
legenen Hause ein älterer Herr in heftiger Auf-
regung das reich ausgestattete Zimmer durchmaß.
Er hielt einen offenen Brief in der Hand, mit
dem er gesttkulirte; die Furchen in seinem gräm-
lichen Gesicht schienen sich tiefer zu graben als
gewöhnlich und aus seinen Augen zuckten un-
heimliche Blitze.
In einem reichen Lehnsessel am Ofen saß eine
bleiche, ältliche Frau, welche leise vor sich hin-
 
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