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'O< 498

übertüncht gewesen, mit einem Male verschwand.
„Wie, sie verleugnet mich?"
Das arme Mädchen klammerte sich, Schutz
suchend, an Lady Mildred.
„Scharren Sie her," sagte die Herrin von Col-
vyl Hall zu dem Professor; „das Verhalten Ihrer
Tochter ist beredter als Worte."
Der Professor wollte das Mädchen beim Arme
fassen, ehe er aber diesen Entschluß in Ausführung
bringen konnte, trat Lady Mildred dazwischen.
So standen sie einander einen Augenblick lang
gegenüber.
Die rasche Entschlossenheit seiner schönen Wirthin
brachte den Magnetiseur aus der Fassung und er
wußte nicht sogleich, was er sagen sollte.
Seine Züge gewannen einen immer wüthenderen
Ausdruck, aber thun konnte er nichts.
„Vorwärts, Gianetta," sagte er; „wir wollen
gehen."
Sie machte aber keine Miene, sich zu rühren.
„Sie wird mein Haus nicht verlassen," sagte
Lady Mildred kaltblütig, „Sie haben keinen An-
spruch an sie."
„Keinen Anspruch?" wiederholte der Professor
mit einem lauten Fluche. „Was hat die lügenhafte
Dirne Ihnen weiß gemacht?"
„Sie hat mir Alles erzählt," entgegnete Lady
Mildred.
„Was Sie Ihnen gesagt hat, ist Alles erlogen
gewesen, Mylady."
Dem Professor fiel plötzlich ein, daß er in
der Uebereilung des Augenblicks sich der Heftig-
keit schuldig gemacht, ehe er die Wirkung der List
und Schlauheit versucht hatte.
Er brauchte nicht lange nachzudenken, um über-
zeugt zu sein, daß er davon mehr hoffen konnte,
als wenn er dem angeborenen Trieb seines zu
Gewaltthätigkeit geneigten Gemüths folgte.
Er änderte daher mit ziemlicher Gewandtheit
feine Ausdrucksweise vollständig.
Die Zornesröthe schwand aus seinem Gesicht
und ward durch den Ausdruck beleidigter Unschuld
ersetzt.
Er schüttelte mit bekümmerter Miene den Kopf
und sagte:
„Ach, Mylady, Sie haben keine Ahnung von
dem, was ich schon von diesem Mädchen zu leiden
gehabt habe. Sie ist ein undankbares Geschöpf.
Sie, Mylady, sind nicht die Erste, welcher sie ihre
ruchlosen Lügen aufzubinden gesucht hat."
Lady Mildred hob mit dem Ausdruck unaus-
sprechlicher Verachtung abwehrend die Hand empor.
„Verlassen Sie mein Haus!" rief sie.
„Ja, das soll geschehen. Gianetta!"
„Wenn Sie dieses Kind noch ferner zu mole-
stiren versuchen," fuhr.Lady Mildred fort, „so
werde ich Sie bei der Behörde anzeigen."
„Ja, thun Sie das!" sagte der Professor.
„Wie, Sie wollen mir Trotz bieten?"
„Ja."
„Die gewaltsame Entführung dieses Mädchens
aus ihrer Schule würde die Behörde sofort ver-
anlassen, sich Ihrer Person zu versicheru. Ihre
ganze Vergangenheit würde einer genauen Erörte-
rung unterzogen werden und Sie würden sich in
eine sehr kritische Lage versetzt sehen. Wenn Sie
daher klug sein wollen, so befolgen Sie meinen
Rath und geben Sie das Kind heraus."
Lady Mildred wäre es selbst am liebsten ge-
wesen, wenn die Sache so in der Stille hätte
abgemacht werden können, denn sie fürchtete, daß,
wenn es zu einer regelmäßigen Untersuchung vor
der Behörde käme, sich dann auch für sie allerlei
Unannehmlichkeiten Herausstellen würden.
Worin dieselben eigentlich bestehen würden,
dies hätte sie, wenn man sie darnach gefragt hätte,
nicht sagen können; sie empfand blos eine instinkt-
artige Scheu vor jedem gerichtlichen Einschreiten.
Der Professor schien fast ihre Gedanken zu
lesen, denn er antwortete:

„Ich scheue keine Untersuchung, ich habe in
meinem ganzen Leben nichts gethan, was ich zu
leugnen oder dessen ich mich zu schämen brauchte.
Wenn dies alle Menschen von sich sagen könnten,
so wäre es gut mit der Welt bestellt."
Der Nachdruck, womit der Professor dies
sagte, trieb Lady Mildred das Blut in die
Wangen empor. So leicht dieses Erröthen auch
war, so ward es doch von dem scharfen Auge
des Magnetiseurs sofort bemerkt.
„Ha!" rief er; „nicht wahr, ich habe es ge-
troffen?"
„Unverschämter!" rief Lady Mildred und wollte
die Klingel ziehen, als der Professor sagte:
„Warten Sie noch ein wenig, Mylady. Noch
hat dieses Mädchen nicht in meiner Gegenwart
gesagt, daß ich nicht ihr Vater sei."
„Mir hat sie es gesagt."
„Und Sie finden es in der Ordnung, daß
sie auf diese Weise den Ruf ihrer Mutter ver-
dächtigt?" fragte der Professor mit lauerndem
Blick.
„Genug, genug! Ich glaube, was sie sagt."
„Nun dann, so möge sie es doch auch in mei-
ner Gegenwart sagen und —"
„Werden Sie sich dann entfernen?"
„Ja."
„Und in ruhiger Weise?"
„Wie ein Gentleman," sagte der Magnetiseur.
Lady Mildred trat zurück und ließ das Mäd-
chen vortreten.
Das Auge des Professors heftete sich auf das
seiner angeblichen Tochter und schien es sofort zu
fixiren.
Sie begann am ganzen Körper zu zittern und
versuchte wieder hinter Lady Mildred Schutz zu
suchen.
„Komm!" sagte der Magnetiseur.
Gianetta ging mit derselben gezwungenen Be-
wegung, die sie früher gezeigt, auf ihn zu.
„Nun," fuhr der Professor fort, „antworte
mir."
„Ja."
„Bin ich Dein Vater?"
Sie schwieg eine Weile, als ob sie einen inneren
Kampf bestünde, dann antwortete sie:
„Ja."
Der Professor sah Lady Mildred triumphi-
rend an.
„Hören Sie?"
„Ja; aber was ist weiter dabei?"
„Welche Aussicht hätten Sie mit Ihrer Denun-
ciation bei einer Behörde?"
„Ich würde den Fall einfach erzählen und das
Mädchen würde abgesondert von Ihnen verhört
werden."
Signor Delavanti schien dies nicht mit Gleich-
giltigkeit zu hören.
Indessen war er doch nicht gemeint, eine so
vortreffliche Aussicht ohne einen letzten Kampf
aufzugeben.
„Schauen Sie her, Mylady," sagte er, indem
er das Mädchen bei der Hand nahm, „ich werde
Gianetta mit fortnehmen. Sie ist meine Tochter
und ich lasse sie nicht los. Wenn Sie, Mylady,
auf Ihrer Absicht, sie da zu behalten, beharren,
so bin ich vollkommen bereit, die Sache auf ge-
richtliche Entscheidung ankommen zu lassen, und
aus der Art und Weise, wie Sie in jener Sitzung
gegen mich auftraten, als ich mich erbot, Ihnen
etwas aus Ihrer Vergangenheit sagen zu lassen,
geht ziemlich klar hervor, daß Ihnen selbst nichts
daran liegt, Ihr Leben einer genauen Erörterung
unterzogen zu sehen."
Lady Mildred ward aschenbleich.
Wenn Signor jemals eine treffende Bemerkung
gemacht batte, so war dies jetzt der Fall.
Lady Mildred war aber, wie wir wissen, eine
Frau, die vor gewaltthätigen Mitteln yicht zurück-
scheute.

Ehe der Magnetiseur die Thüre gewinnen
konnte, zog sie die Klingel und es trat sofort ein
Diener ein.
„Bringe diesen Mann hinaus, Henry,"
sagte sie.
„Ja, Mylady."
Der Lakai maß seine sechs Fuß und war stark
und muskulös gebaut. Er empfing den Befehl,
den Professor zur Thüre hinauszuwerfen, mit
derselben Gelassenheit, als ob ihm befohlen wor-
den wäre, den Wagen anspannen zu lassen oder
einen Pudel zu waschen.
Der Professor wollte protestiren.
„Henry," sagte Lady Mildred, „habt Ihr ge-
hört, was ich sagte?"
„Ja, Mylady."
Mit diesen Worten legte er eine Hand auf
die Schulter des Professors und zeigte mit der
anderen nach der Thüre.
„Ich werde gehen — aber nur mit meiner
Tochter," sagte Signor Delavanti.
„Diese junge Dame ist nicht die Tochter dieses
Mannes, Henry," entgegnete Lady Mildred. „Sie
bleibt hier. Bringt diesen Menschen hinaus —
rasch!"
Henry machte nun weiter keine Umstände, son-
dern hob Signor Delavanti in seinen Armen em-
por und trug ihn, trotz seines Sträubens und
Strampfens, zum Hause hinaus.
(Fortsetzung folgt.)

Kharade.
(Dr eisilbi g.)
Ist Dein Herz nicht wie das Dritte so kalt,
So fühlst Du der beiden Ersten Gewalt,
Wenn auch einmal nur in Deinem Leben —
Sie werden Dich in den Himmel erheben.
Das Ganze suche im Thüringerland,
Es ist als ein reizendes Bad bekannt. A. P.
Auflösung folgt in Nr. 38.

Auflösungen des Räthsels, der Charade und des
Logogryphs
in Nr. 32: Dohle, Bohle, Kohle, Sohle; in Nr. 33: Mai-
glöckchen; in Nr. 34: Rein, Rhein, Prinz, Provinz —
Rheinprovinz.

Mkder-Mtlssel.


Auflösung folgt in Nr. 38.


Auflösungen der Bilder-Räthsel
in Nr. 32 : Handle überlegt, doch fei immer kurz entschlossen;
in Nr. 33: Sei nicht stolz auf Deine Vorzüge; in Nr. 34:
Weine nicht um Etwas, das Du nicht hast.

Briefkasten.
* Herrn Ang. S. in W.— Die betreffenden franzö-
sische» Werke sind durch jede Buchhandlung zu beziehen,
wenn auch zur Zeit nicht so schnell wie sonst, in Folge der
Unruhen in Frankreich. Wenn Sie um die Adresse einer
Buchhandlung verlegen sind, so empfehlen wir Ihnen Konrad
Wittwer, Stuttgart.
' Einer für Alle. — Wir werden Ihrem Wunsche
gerne entsprechen und schon im nächsten Hefte eine Skizze
über den Hauptfeldhcrrn der Ungarn in den Revolutious-
jahrcn bringen.
' Herrn Fr. D. in Klagenfurt — Schreiben Sic
in kühnen Schriftzügen Ihren Namen auf das Heft und
verthcidigcn Sie dann Ihr Eigcnthumsrccht mit deutschem
Heldcnmnth — so kann Ihnen geholfen werden!
Redaktion von Adolf Palm.
Druck und Verlag von Hermann Schönlcin.
 
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