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die französische Armee auf dem Rückzüge durch
die engen Gaffen.
„Ich gebe gern zwei Napoleonsd'or, wenn
mich Jemand geleitet," sagte der Offizier. „Die
vermaledeite Gegend hinter der Stadt wirdEau-
senden der Unseren zum Grabe werden, denn es
ist ja eine wahre Rattenfalle!" Und wieder auf
die Landkarte blickend fuhr er fort: „Bei Liudeuau
wird die Rückzugslinie frei —- dort hoffe ich mich
wieder mit meinem Regiment zu vereinigen. Nun
—- ist Niemand vorhanden, der die Gegend ge-
nau kennt und sich das Geld verdieuen will?
Könnt Ihr mich nicht aus einem Kahne dorthin
bringen?"
„Wie wär's, Zacharias?" fragte diesen halb-
laut mein Vater. „Sie kennen ja jeden Weg
und Steg durch Wald und Wiesen. Wollen Sie
sich die beiden Goldstücke nicht verdienen?"
Der schwarze Zacharias dachte einige Augen-
blicke nach, dann sagte er: „Ich will den Herrn
Offizier geleiten, aber es ist bei Nachtzeit ein
schlimmer Weg durch Waldung, Busch und Sümpfe
hindurch!"
„Thut nichts!" erwiederte lachend der Pole.
„An Strapazen sind wir Soldaten lange genug
gewöhnt." Bei diesen Worten zog er eine grün-
seidene, mit Gold gefüllte Börse aus der Tasche
und warf in die von ihm geleerte Kaffeetasse
einen Napoleonsd'or, während er zwei andere dem
Jäger reichte.
Die Beiden rüsteten sich zum Aufbruch. Zacha-
rias hatte einen schweren Stock in der Hand.
„Leute," sagte der Offizier, „bevor ich scheide,
will ich euch einen Rath geben, den ihr ja be-
herzigen mögt! Mag das Wetter morgen Vor-
mittag noch so rauh und schlecht sein, versäumt
nicht, vor zehn Uhr Fenster und Thüren zu öffnen.
Genau um diese Stunde wird die stei-
nerne Brücke am Ende dieser Straße mit
Pulver gesprengt, und wenn ihr meinem
Rathe nicht folgt, riskirt ihr, daß der Luftdruck
großen Schaden verursacht."
Der Pole und der Jägerbursche gingen, von
meinem seligen Vater bis an die Thüre des
Gartens begleitet, durch welchen man, am Jakobs-
hospital vorüber, nach dem Rosenthale gelangen
konnte, wie es auch jetzt noch ist.
Nach zwei Stunden kehrte der schwarze Zacha-
rias wieder zurück. Er sah blaß und verstört
aus und trug den Säbel des Polen in der Hand.
An der Stirne hatte er eine Wunde.
„Das war ein Teufelsweg," sagte er; „aber
ich habe den Polen doch glücklich durchgebracht,
obgleich die Elster angeschwollen ist und wir an
der Leutzscher Brücke bis über die Knöchel im
Wasser waten mußten. Zur Erinnerung an meine
Hilfsleistung hat er mir seinen Säbel geschenkt."
„Seinen Säbel geschenkt?" wiederholte mein
Vater. „Und weiter nichts, Zacharias?"
Der Blick meines Vaters haftete starr und
wie entsetzt auf einer Quaste, wie man sie damals
als Verzierung von Geldbörsen hatte, und welche
aus der Seitentasche des Jägers hervorsah.
Der schwarze Zacharias fuhr zusammen —
doch mein Vater griff zu und seine Hand brachte
die grüne, goldstrotzende Börse des Offiziers zuin
Vorschein.
„Was habe ich mit Euch zu rechten wegen
meines Handels mit dem Polen?" fuhr der Jäger-
bursche, meinem Vater die Geldbörse aus der Hand
reißend, trotzig auf. „Genug, er ist fort°und
wieder bei den Seinen."
„Zacharias," entgegnete der Vater — „mein
Haus hat für Sie kein gastliches Dach mehr. Ich
bin Ihr Richter nicht, aber es gibt einen Gott im
Himmel, dem nichts verborgen bleibt! Sie haben
den Offizier ermordet und ihm seine Habe geraubt."
„Dafür sollt Ihr mir Rede stehen, alberner
Tropf!" stammelte mit angstbebenden Lippen der
Jägerbursche.

Er fuhr mit der Hand durch sein schwarzes,
struppiges Haar und wir Alle sahen, daß sie und
der ganze Arm mit Blut benetzt war.
Der elende Mensch konnte seine schreckliche
That nicht mehr leugnen. Er versuchte uns durch
die Lüge zu beruhigen, daß er mit dem Polen
in Streit gerathen und von ihm mit gezogenem
Säbel bedroht und verwundet, zur Nothwehr ge-
zwungen worden sei. Aber sein verstörtes Wesen,
die zitternde Stimme, die vielen Widersprüche
verriethen unverkennbar seine Schuld.
Niemand würdigte die Angaben des schwarzen
Zacharias einer Antwort. Er setzte sich, den Kopf
in beide Hände gestützt, auf die Ofenbank und
blieb dort, stumm und unbeweglich, bis zum ersten
Tagesgrauen. Da stand er aus und ging ohne
Gruß aus der Stube und durch den Garten in's
Rosenthal. — Wir Alle haben ihn niemals wie-
der gesehen.
Die Leiche eines polnischen Offiziers wurde
vierzehn Tage nach der Schlacht völlig ausge-
plündert und mit zerschmettertem Schädel von
Fischern im Rosenthale am Amelungswehre auf-
gefunden. Man hat sie auch dort begraben. Es
mag dies wohl unser Gast aus der Nacht des
18. Oktobers gewesen sein.
Der anbrechende Tag zeigte uns durch die
Luftlöcher der geschloffenen Läden die dahin wogen-
den Massen von Reitern, Wagen, Kanonen und
Fußvolk, welche durch das Ranstädter Thor und
die nebenliegenden Gärten aus der Stadt ström-
ten. Gleichzeitig vernahmen wir aber auch immer
näher kommendes Flinten- und Kanonenfeuer. Als
es etwa um neun Uhr war, hatten sich einige
Bürgersmänner, darunter auch mein seliger Vater,
bis nach dem nahen Fleischerplatze gewagt, um
zu erfahren, was es mit dem Schießen auf sich
habe. Sie kamen aber voller Schrecken zurück,
denn die Kugeln der preußischen Jäger pfiffen be-
reits nach dem Ranstädter Steinwege herüber und
bald donnerten auch die Kanonen in das Gewirr
der fliehenden Franzosen hinein. Alles stürzte jetzt
wie toll vorwärts und es entstand ein entsetzliches
Drängen, wobei zahllose Menschen in die hoch-
angeschwollene Elster hinabgestoßen wurden.
Während die flüchtigen Mafien mit unbe-
schreiblichem Getöse vorwärts drängten, ging mein
Vater in dieser Stube händeringend auf und ab,
denn die Kugeln schlugen draußen ganz vernehm-
lich auf das Steinpflaster und man mußte jeden
Augenblick erwarten, daß sie^ durch Thüren und
Fenster in die Häuser einschlugen. Auf einmal
— gerade als es auf dem Neuthurme zehn schlug
— geschah ein Schlag, Kinder, gerade als wenn
die ganze Erde aus einander geborsten wäre. Ein-
zelne Thüren im Hause sprangen von selbst auf,
die Läden wurden aus ihren Haspen gerissen und
die unbedeckten Fenster klirrten in Scherben. Einen
Augenblick folgte dem Donnerschlage bange Stille,
dann ging der Lärm und das Tosen draußen,
wo möglich noch schrecklicher als vorher, von Neuem
an, denn die Kugeln schlugen jetzt in eine Masse
von Menschen, Pferden und Fahrzeugen, für die
kein Weg zum Fortkommen mehr vorhanden war.
Die Elsterbrücke au der kleinen Funkenburg war
iu die Luft geflogen und Alles was noch diesseit
war, mußte sich gefangen geben. — Gelt, Ober-
meister Friedrich, das war ein gräßlicher Morgen,
der am 19. Oktober?"
„Ja, weiß Gott!" entgegnete der Gefragte.
„Es ist eiu wahres Wunder zu nennen, daß nicht
mehr Unglück geschah und all' die kleinen Häu-
serchen der Nachbarschaft nicht mit in die Luft
flogen."
„Die Leute haben immer erzählt und es auch
in Büchern beschrieben, daß Bonaparte einen
General oder Korporal beauftragt hätte, wenn
die Franzosen zur Stadt hinaus wären, die Brücke
zu sprengen, nm die Verfolgung aufzuhalten,"
fuhr die alte Frau fort. „Das ist aber Alles

nicht wahr! Der polnische Offizier, welchen der
schwarze Zacharias erschlug, hat uns schon in der
Nacht vorher erzählt, daß am nächsten Morgen
um zehn Uhr die Brücke in die Lust fliegen würde.
So, so traf es auch ein! Bonaparte mag wohl
gedacht haben, was kommt es denn auf die paar
Tausend Leute an? Ist die Brücke zerstört, so
bilden sie hinter derselben einen Pfropf, der sich
nicht sobald entfernen läßt, und Du kommst mit
dem anderen Theil noch immer gut davon.
Doch weiter! Als der Pulverschlag geschah,
sank mein Vater betend auf die Kniee, denn was
der Pole uns verkündigte, das hatte er ganz außer
der Acht gelassen. Er dachte, die vielen Hundert
Puloerwagen auf dem Fleischerplatze wären an-
gegangen.
„Das war die Brücke, Vater!" rief ich, obgleich
ebenfalls zum Tode erschrocken. „Habt Ihr nicht
gehört, was gestern Nacht der Offizier sagte?"
Ich wartete seine Antwort nicht ab, sondern
eilte, von Angst und Neugierde getrieben, nach
der Hausflur und öffnete, unbesonnen genug, die
verschlossene Thüre, welche auf die Straße führte.
Doch nur einen schnellen Blick konnte ich thun
auf all' den Jammer und die Schrecken draußen,
denn sowie ich die Thüre öffnete, sank rückwärts
ein schwerverwundeter französischer Soldat, der
vermuthlich an der Thüre gelehnt, in meine er-
schreckt vorgehaltenen Arme und übergoß mich mit
seinem Blute, das aus einer tiefen Kopfwunde
strömte.
Ich weiß nicht wie es kam, daß bei diesem
Anblick ich sogleich all' meinen Muth beisammen
hatte. Ein starkes, resolutes Mädchen, wie ich
war, hielt ich den Verwundeten fest, zog ihn in
den Hausflur und ließ ihn langsam zu Boden
sinken. Einen Augenblick später hatte ich die Haus-
thüre wieder verschlossen und der Franzose be-
fand sich in Sicherheit.
Als ich in die Stube trat, nahm mein seliger
Vater eben die Hauspostille vom Gesims und
sagte: „Negine, mein Kind, setze Dich zu mir
und lies das Gebet gegen Kriegs- und Wassers-
noth und böse Wetter."
„Vater," rief ich, „ich habe einen verwundeten
Soldaten gerettet, er liegt draußen auf dem Haus-
flur."
„Was,Regine? Einen verwundetenSoldaten?"
wiederholte der Vater.
„Und zwar einen Franzosen!" fügte ich hinzu.
Der Vater ging hinaus und ich folgte ihm.
Wir fanden den Verwundeten auf der untersten
Treppenstufe sitzend, wie er sich das wunde Haupt
mit einem Tuche verband. Beim Anblick des jungen
blassen Menschen, der ihn bittend ansah, erwachte
in dem gutmüthigeu Herzen des Vaters das Mit-
leid. W:r führten den Franzosen in's Wohn-
zimmer und auf das Sopha-
„Rasch, Regine, frisches Wasser und Essig!"
befahl mein Vater.
Das Verlangte war sogleich zur Hand und
bald lag der Verwundete in der kleinen „Cavete"
auf des Vaters Bert wohlverbunden iu ruhigen:
Schlummer."
„Und das war der Husar aus Straßburg?"
erkundigte sich die Muhme Vetterlein.
„Das war er, jawohl! Wir behielten den
Husaren einige Tage versteckt und erst als es ein
wenig ruhiger wurde und Alles zu den gewohn-
ten Beschäftigungen zurückkehrte, erfuhr man in
der Nachbarschaft, daß wir einen kranken Fran-
zosen beherbergten."
„Es war gerade vier Tage nach der „Battalje",
wie ich den Husaren auf dem Sopha dort liegen
sah," bemerkte der Obermeister. „Mein Vater,
Gott hab' ihn selig, schickte mich von wegen dem
Fürsten Poniatowski, der draußen am Japanischen
Häuschen ertrunken war und dessen Leiche wir
suchen sollten. Aber Ihr seliger Vater, Frau
Gevatterin, wollte nicht mit. Und da fuhren nur
 
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