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„Du magst wohl Recht haben," erwiederte der
Pfarrer nachdenklich. „Die Schönheit eines Mäd-
chens ist ein Fehdehandschuh, den das Leben dem
Glücke hinwirft. Ein ununterbrochener Kampf,
der alltäglichen Erscheinungen sür immer erspart
bleibt, entwickelt sich daraus. Aber sind darum
Helden zu beklagen, daß sie kämpfen müssen?"
„Hast Du nicht bemerkt," fuhr die Alte, die
dem Jdeengange des Mannes nicht gefolgt war,
fort, „wie Georg und Friedrich heute in dem
Zauber des Mädchens versunken waren?"
Mir draußen schoß das Blut in den Kopf.
„Nun, das sind brave Jungen, wenn von den
beiden einer — —"
Bei diesen mit großer Zuversicht gesprochenen
Worten schloß der Greis das Fenster, die Lampe
verschwand im Hinterstübchen und ich stand im
Dunkel der Nacht.
Dieser Nacht folgten sonnige Tage; es blühte
mir eine holde Zeit auf, die mir setzt in meinem
kühlen, trüben Leben märchenhaft erscheint; eine
Zeit des Glückes, so wonnig und so lebenswarm,
wie dann nie wieder.
Der alte Oberst v. Brockdorf auf Deppenau,
sowie auch mein Vater, willigten mit Freuden
in mein Begehr, wir wurden verlobt. Dann aber
ward beschlossen, mich noch ein Jahr in die Welt
zu schicken, nach Paris besonders. Ein Aufent-
halt dort wird ja leider immer noch sür ein Er-
forderniß zur Ausbildung eines deutschen Edel-
mannes gehalten. —
Am letzten Abend in Plön saßen wir still auf
der Bank vor dem Pfarrhanse, sie hatte ihre Hand
in die meine gelegt und so blickten wir schweigend
auf den ruhigen See. Die Sonne sank tiefer
und tiefer; solange wir auch zögerten, endlich
mußten wir Abschied nehmen. Das Herz bebte
mir, als ich in den Kahn stieg. Sie stand mit
dem greisen P'arrer am Ufer, über ihrem lieben
Gesichte lag der heftigste Schmerz der Trennung,
aus ihren Augen perlten die Thränen unaufhalt-
sam — mir war es, als hätte ich sie nie so schön
gesehen. Ich legte die Ruder ein, immer breiter
und breiter wurde die Wasserfläche, die uns trennte,
nach und nach legte der Abenduebel sich zwischen
uns — — und ich habe sie niemals wiederge-
sehen. —
Schon rüstete ich mich bereits wieder zur Ab-
reise von Paris, als mir von Daheim mitgetheilt
ward, daß sich das'Fräulein v. Brockdorf mit dem
Grafen Adolph Magnus v. Hoym verheirathet
habe. Wegen ihrer Schönheit war sie auf's Schloß
gezogen worden, die Prinzessin Amalie v. Holstein-
Plön hatte sie zu ihrer Hofdame erhoben, bei
Gelegenheit der Vermählung der Prinzessin mit
dem Prinzen August Wilhelm von Braunschweig
hatte sie Hoym kennen gelernt.
Diese böse Nachricht fiel wie Gift auf mein
Herz, ich brachte eine schreckliche Nacht zu, wo ich
alle meine lieben, süßen Hoffnungen begrub. Dann
aber faßte ich mich. Es war eine traurige Oede
in mir. Ich glaubte nicht unglücklicher werden
zu können, aber das bitterste Leid meines Lebens
sollte nun erst noch kommen.
Ich kehrte nicht wieder nach Hanse zurück,
sondern trat in die Armee Karl's XII. Mitten
im strengen Dienste, im Kriegsgewühle in Ruß-
land aber kamen mir die Gedanken an mein ver-
lorenes Glück nicht aus dem Sinne. Da eines
Tages sitze ich mit mehreren Offizieren im Zelte,
als noch ein Kamerad herzutritt und uns lachend
die excellente Geschichte erzählt, daß vor einiger
Zeit in Dresden Fürst Egon v. Fürstenberg eine
Wette von 1000 Dukaten gegen den Grafen
v. Hoym verloren habe, weil er nicht habe glau-
ben wollen, daß die Frau des letzteren schöner-
sei, als alle Frauenzimmer am Hose. Das arg-
wöhnisch auf einem einsamen Gute gehallene
Weibchen sei dann vorgeführt worden, Fürstenberg
habe sich sofort für verloren erklärt — aber dabei

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habe das reizende Geschöpf dem Könige, August
dem Starken, eine solche Leidenschaft eingeflößt,
daß dann Hoym statt der Wette seine Frau ver-
loren habe.
Dieses Weib war zur berüchtigten Gräfin
Kosel avancirt.
Das Aennchen aus dem Pfarrhause von Plön
war zur berüchtigten Gräfin v. Kosel avancirt!
Diese Nachricht brannte mir wie höllisches Feuer
im Herzen. Ich sprang auf und verließ das Zelt.
„Was ist Dir, Osten!" riefen mir einige Ka-
meraden nach.
„Er wird wohl etwas im Dienst vergessen
haben," versetzte ein Anderer, da ich keine Ant-
wort gab.
Ja wohl hatte ich etwas vergessen im Dienst,
aber im Frauendienst, daß die Treue längst im
Reglement gestrichen.
Freilich wie konnte das anders an einem Hofe
sein, wo durch die französische Sünde, die Mai-
tressenwirthschaft, alle Ehre, alle Scham zu Grunde
ging, wo vom giftigen Hauche dieses abscheulichen
Lasters alle Bande zernagt wurden.
Es wühlte mir entsetzlich in meinem Herzen.
Ich sah, das Kriegsleben konnte mich nicht kuriren
— ich kam nach Halle.
Nicht aber Francke's Lehren, sondern die
Wotst'sche Philosophie ließ mich wieder langsam
gesunden.
Schon war ich wieder auf die Höhe freien,
ungetrübten Denkens emporgestiegen — da stürzt
mich das Schicksal abermals hinab in die Nacht
meines Trübsinnes — „die Kosel ist hier in Halle!"
-i- *
Erschrocken fuhr Wolff bei diesem Schlüsse
zusammen, dann erhob er sich und schritt ernst
in seinem Zimmer auf und ab.
Da hörte er Georg von seinem Spaziergange
zurückkehren; er nahm das Heftchen und begab
sich zu ihm.
Er grüßte ihn freundlich, dann fuhr er mit
gewinnender Stimme fort:
„Durch die Mittheiluug Ihrer Jugendgeschichte
haben Sie mich vertrauensvoll einen tiefen Blick
in Ihr bewegtes Leben thun lassen. Ich habe
aus den Schilderungen die Ueberzeugung gewon-
nen, daß Sie, ein so stark herausgebildeter Cha-
rakter, sich nicht so banger Sorge hinzugeben
brauchen. Das Erscheinen der Kosel in Halle ist
zwar ein übles Spiel des Schicksals, dem Sie
aber ruhig die Stirne bieten können."
„Es wird leider wohl kein Spiel des Zu-
falls, sondern eine Absicht der Kosel sein," ver-
setzte Georg. „Sie scheint in Berlin, wo sie sich
zuletzt nach dem Bruche mit August dem Starken
aufhielt, erfahren zu haben, daß ich hier in Halle
lebe, und ich vermuthe, daß sie bereits in der
Absicht gekommen ist, von mir Hülfe zu erbitten.
Gleich nach ihrer Ankunft hier erhielt ich an
jenem Festabende bei Brandis ein Billet, in wel-
chem sie mich ansieht, ihr meinen Beistand in
dieser traurigen Lebenslage angedeihen zu lassen.
Aber mein Inneres sträubt sich, mit diesem Weibe,
das mir das Glück meines Lebens leichtsinnig
zerbrach, das alle Ehre ihres Geschlechtes sünd-
haft vergaß, wieder in Verbindung zu treten —
und doch war sie die Liebe meiner Jugend!"
Wolff blickte den so schmerzlich Erregten mit
seinen großen, klaren Augen voll inniger Theil-
uahme an, dann begann er:
„Seien Sie auch so aufrichtig gegen sich selbst,
wie Sie durch das Auvertrauen dieser Erinne-
rungen gegen mich waren. Gestehen Sie sich zu,
daß Ihnen nicht alle Liebe aus der Jugendzeit
erstorben ist, denn wie könnte Ihnen die Ge-
schichte sonst noch so zu Herzen gehen. Lasten
Sie jetzt aus dem noch glimmenden Fünkchen eine
wärmende Flamme des Mitleids und der Hilfe
emporwachsen — und Ihr Herz wird dann jene
Periode Ihres Lebens versöhnend, abschließen, um

darauf mit neuem Lebensmuthe um so reiner und
friedenreicher, um so vollkommener für das Glück
zu erglühen, welches Ihnen hier ja bereits zu
erblühen begonnen und sür das vielleicht Ihre
allzusehr erregte Besorgniß bereits ungerechtfertigte
Gefahr sieht!"
Georg antwortete nicht, aber es lag schon
wieder eine entschlossene Ruhe in seinem ernsten
Gesichte. Er trat zu Wolff heran, ergriff dessen
Hand und sagte mit fester Stimme: „Haben Sie
herzlichen Dank."
3.
Georg wollte sich nicht gleich bei seiner ersten
Verhandlung mit der Gräfin den lauernden Blicken
klatschsüchtiger Nachbarn preisgeben; er meldete
ihr daher am nächsten Tage, daß er am Abende
ihr die erbetene Aufwartung machen werde.
Der beklommen erwartete Abend kam.
Georg schritt, bevor er eintrat, noch einmal
an dem Hause vorüber. Die Fenster waren mit
schweren Läden verschlossen, aber dennoch blitzte
hie und da durch eine kaum bemerkbare Ritze
ein dünner Lichtstrahl in das Dunkel.
Er hatte seine straffe schwedische Offiziersuni-
form angezogen, die er so oft in bitteren Kämpfen
getragen; hier galt es auch einen schweren Kampf,
und er wollte sich tapfer halten.
Er hatte sich jetzt vollständig gesammelt, mit
festem Schritte trat er in den Hausflur. Eine
alte Frau kam ihm sogleich entgegen und öffnete
ihm ein Zimmer. Es befand sich Niemand darin.
Ein paar hochlehnige Stühle standen an einem
Tische, auf dem ein Licht brannte, sonst sah es
ziemlich leer und unwohnlich in dem Raume aus.
Doch hatte er wenig Zeit, sich weiter umzu-
sehen, denn schon klinkte die gegenüberliegende
Thüre; er blickte gespannt hin; eine Dame in
einem knisternden Brokatkleids trat ein.
Er biß die Zähne fest zusammen, er erkannte sie.
Sie näherte sich ihm, er verneigte sich.
In demselben Augenblicke schien sie aber auch
die angenommene Festigkeit zu verlassen, die Thrä-
r.en stürzten ihr aus den Augen und: „O, Georg,
Georg!" rief sie in tiefster, schmerzvollster Weh-
muih.
Sie wankte zu ihm heran und wollte vor
ihm auf die Kniee sinken, er aber trat einen Schritt
zurück.
„Madame," sagte er mit kalter, schneidender
Stimme, und dabei nahmen seine bleichen Züge
einen überaus herben, straffen Schnitt an, „Sie
haben mich um Hilfe gebeten; als ein echter Edel-
mann ist es meine Pflicht, Ihnen meine Dienste
nicht zu versagen."
Schon bei den ersten Worten hatte sich die
Frauengestalt wieder emporgehoben, einen Augen-
blick, aber auch nur einen Augenblick stand sie
hoch aufgerichtet wie eine stolze Juno, um gleich
daraus mit einem herzdurchdringenden Schre: zu-
sammenzubrechen. Sie fiel auf einen der großen
Lehnstühle, den schönen Kopf mit dem entsetzlich
bleichen Antlitz znrückgelehnt.
Bestürzt fuhr Georg zusammen, er konnte sich
nicht bewegen vor Schreck. Wie gebannt starrte
er auf das wunderbar reizvolle Gesicht, auf den
heftig wogenden Busen, auf die zarte Hand, die
krampfhaft die Armlehne umspannte, die schöne
Hand, die er so ost gedrückt. Und zu ihren Fü-
ßen — sah er recht? — wahrhaftig, da lag
der Band vom Flemuüng's Gedichten aus dem
Pfarrhause von Plön, er mußte ihr beim Hin-
sinken auf den Stuhl entfallen sein; ja, er blickte
noch schärfer hin, irrte er sich nicht, schaute da
nicht ein vertrockneter Stengel eines Vcrgißmeiu-
nichts aus den Seiten hervor. War das noch
jenes Vergißmeinnicht aus dem Walde?
Da war es, als bräche cs gewaltig in seinem
Innern durch, hastig rieß er den Handschuh von
seinen Fingern, griff schnell zu einem Odcurfläschchen
 
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