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„Ich... ich . . . wollte gerne Alma sehen,
meine frühere Spielgefährtin," versetzte Fritz
stockend, während ein Helles Roth sein hübsches,
offenes Gesicht überflog.
Der Vater öffnete seine Augen noch weiter,
nahm die Cigarre aus dem Mund, und sagte
mit sehr festem, bestimmtem Ton, während er die
Asche von derselben streifte: „Höre Junge, fange
mir keine Liebelei mit dem Mädchen an, das sage
ich Dir."
„Warum?" fragte Fritz hastig, „ist Alma
nicht lieb und gut, ein einfaches . . ."
„Fritz," unterbrach ihn Willms mit großem
Ernst, „führe mir eine Schwiegertochter iu's Haus,
ganz nach Deiner Wahl; ist sie unbescholten, so
mag sie arm sein wie eine Kirchenmaus, mag
niederen Standes sein, ich will ihr meinen Segen
geben. Wäre sie selbst," fuhr er fort ans eine
Grupps der Kornschnitterinnen deutend, die am
Waldsaume eben im Schatten rasteten, nm ihr
Frühmahl zu verzehren, „eine von jenen Arbei-
terinnen dort, sie sollte mir willkommen sein —
nur Alma Norden nicht!"
Fritz erbleichte. „Was hast Du gegen Alma,
Vater? Ist sie nicht ein vortreffliches Mädchen,
der bösen, ungerechten Mutter gegenüber stets
eine pflichttreue Tochter, und in der ganzen Ge-
gend geliebt und geachtet, um ihres guten Her-
zens, ihres bescheidenen, sanften Wesens willen?
Ich war ihr schon gut in der Zeit, wo wir als
Kinder auf den Wiesen spielten, die Wolfheim
zwischen unsere Felder hereinstreckt, und die Liebe
ist gewachsen und groß geworden mit mir. Vater,
ich kann nicht von ihr lassen!"
„Weiß das Mädchen darum?" fragte Willms
finster.
„Nein, ich wollte erst mit ihr reden, wenn
ich Deine Einwilligung hätte; aber ich weis; doch,
daß sie mich gern hat, und daß Du zwei Men-
schen unglücklich machst, wenn Du uns trennst."
Die Mienen des alten Willms heitetten sich
auf, er klopfte dem Sohn auf die Schulter und
sagte: „Das ist brav von Dir, Fritz, daß Du der
Alma nichts in den Kopf gesetzt und ihr nicht
Versprechungen gemacht hast, die Du doch nicht halten
könntest. Es thut mir sehr leid, daß Du Dich
in das Mädchen verliebt hast, denn ich möchte,
daß Du uns recht bald eine Tochter iu's Haus
führtest, und nuu wird das freilich gute Wege haben."
„Was hast Du gegen Alma?" fragte der
Sohn dringend.
„Gegen ihre Perfon gar nichts, aber mein
Sohn soll die Tochter aus solchem Haus nicht
heirathcn."
„Was kann Alma für den Leichtsinn ihres
Bruders?" rief Fritz mit Bitterkeit.
Willms legte die Stirn in finstere Falten
und warf die Cigarre weg. „Höre, was ich Dir
jetzt erzählen will, dann wirst Du begreifen, daß
ich die Tochter dieses Weibes nicht als die Gattin
meines Sohnes sehen mag. — Es sind heute ge-
rade 30 Jahre, an einem eben solch heißen August-
tag, da reiste ich durch diese Gegend, um das
von mir eben gekaufte Gut Hollerbronn von dem
früheren Besitzer zu übernehmen. Unterwegs ver-
lor der Wagen ein Rad, und dieser Unfall ver-
ursachte einen so langen Aufenthalt, das; es schon
Abend war und bereits dunkelte, als ich an dem
auf meinem Wege liegenden Schloß Wolfheim
vorüber kam. Die Fenster desselben waren hell
erleuchtet, Leute mit Fackeln liefen im Schloßgarten
hin und her, der Lärm von vielen laut und
ängstlich durcheinander redenden Stimmen schlug
an mein Ohr, und durch das weit offen stehende
Parkthor hindurch sah ich, daß man das Wasser
des Weihers abzulassen im Begriff war. Die
ganze Scene sah so seltsam aus, daß ich mir
dachte, es müsse ein Unglück geschehen sein. Ich
ließ deßhalb den Wagen halten, stieg aus und
ging in den Park. Dort war eine große Gesell-

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schaft reich und festlich gekleideter Personen ver-
sammelt, die alle um den Rand des Weihers
standen und mit angstvollen gespannten Mienen
auf das immer mehr sich verlaufende Wasser
starrten. Ich fragte einen in meiner Nähe stehen-
den Herrn, was hier vorgehe, und erhielt zur
Antwort: man habe heute ans Schloß Wolfheim
die Verlobung der Nichte des Grafen mit dem
jungen Baron Norden gefeiert, und plötzlich werde
die Braut vermißt. Unten im Garten seien
allerlei Spiele gespielt worden, die Braut sei die
Fröhlichste von Allen gewesen, und nun auf rät-
selhafte Weise verschwunden. Bei der herein-
brechenden Dämmerung habe man ihre Abwesen-
heit nicht gleich bemerkt, ihr Bräutigam sei ge-
rade in dem Moment in ein lebhaftes Gespräch
mit dem Grafen Wolfheim verwickelt gewesen,
habe sie deßhalb für eine Weile aus den Augen
verloren; als er dann sie gesucht und nach ihr
gerufen, sei sie nirgends zu finden gewesen. Im
Schloß habe man schon alle Winkel durchstöbert,
im Park jedes Gebüsch durchsucht, und jetzt werde
auf des Grafen Befehl der Weiher abgelassen,
weil es doch möglich, daß sie in der Dunkelheit
durch einen falschen Tritt hineingestürzt sei. Ich
fragte, ob man denn nicht annehmen könne, sie
sei entflohen, um einer vielleicht verhaßtem Ver-
bindung zu entgehen? Der Herr sah mich erstaunt
an. Sie sind wohl fremd hier, sagte er, sonst
wüßten Sie, daß Clara Thalen und Bruno Norden
sich seit Jahren zärtlich lieben^ und längst ein
Paar wären, wenn der Vormund und Onkel der
jungen Dame nicht immer seine Einwilligung
unter dem Vorwand versagt hätte, die beiden
Liebenden seien zu arm, um an eine Heirath denken
zu können. Jetzt aber hat vor Kurzem eine alte
Verwandte Clara Thalen in ihrem Testament be-
dacht, und nun blieb dem Grasen kein vernünf-
tiger Grund mehr, seine Zustimmung zu dieser
Verlobung zu versagen. — Gab er sie denn nicht
gern? fragte ich, betroffen von dem eigenthüm-
lichen Ton, in dem der Andere sprach. Dieser
lächelte. — Warum sollte ich es Ihnen nicht er-
zählen, sagte er, ist es ja doch öffentliches Ge-
heimniß und Sie werden nicht drei Tage in der
Gegend fein, ohne es zu erfahren. Der Graf
Wolfheim hätte längst gern seine Einwilligung
zu dieser Verbindung seiner Nichte gegeben, aber
seine Frau, unter deren Pantoffel er steht, litt
es nicht, weil ihre eigene Tochter Malwine eine
heftige Leidenschaft für den hübschen, gewandten
Lieutenant v. Norden hat. Man erzählt sich, es
sei in Schloß Wolfheim schon zu den furchtbarsten
Auftritten gekommen, als die Comtefse, die von
Natur bös und heftig, vou den Eltern grenzen-
los verwöhnt, dahinter kam, daß der Mann, den
sie mit ihrer Person und ihrem Geld beglücken
wollte, statt ihrer die arme Cousine sich erwählt.
— Dort steht dis Comtefse Wolsheim, fügte er
hinzu, und deutete auf eine, in ein blaues Sei-
dengewand gekleidete, schlanke Gestalt, die uns
gerade gegenüber am Rand des Teiches stand,
aus den Arm eines älteren Mannes gelehnt . . .
Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, sie hielt ein
Spitzentaschentnch auf die Augen gedrückt, als ob
sie weine. Durch einen Lichtreflex getäuscht,
glaubten einen Augenblick die Umstehenden etwas
Weißes, einer menschlichen Gestalt Aehnliches, auf
dem Boden des Weihers zu erkennen. Alle
riefen: „da liegt sie, das ist sie!" und drängten
nach dem Wasser hin. Zufällig fiel mein Auge
in diesem Moment auf die Comtefse Wolfheim,
sie stand allein in gerader, aufrechter Haltung, der
ältere Mann, auf dessen Arm sie bisher wie kraft-
los gelehnt, war mit den Anderen näher an das
Ufer geeilt, und sie schien keiner Stütze mehr zu
bedürfen. Das Tuch bedeckte nicht mehr ihr Ge-
sicht, und das Mondlicht, das gerade an der
Stelle, wo sie stand, durch eine Lücke in den
Baumzweigen voll auf sie fiel, ließ mich jeden

ihrer Züge genau erkennen. . . Fritz, in jenem
einen unbewachten Augenblick habe ich in diesen
geisterbleichen Zügen wie in einem offenen Buch
gelesen. Sie allein wußte, daß ihre Cousine
nicht aus dem Grund des Weihers lag, und sie
wußte auch, was aus jener geworden war —
denn sie war ihre Mörderin!"
„Vater!" rief Fritz außer sich, „wie kannst
Du es wagen, einen solchen Verdacht gegen eine
unbescholtene Frau auszusprechen — welche Be-
weise hast Du dafür?"
„Ich habe keine Beweise dafür," sagte Willms
ruhig; „aber meine Ueberzeugung ist so fest, daß,
wäre ich Geschworener, und diese Frau stände
des Mords angeklagt vor den Schranken, ich spräche
sie schuldig, ohne mich einen Augenblick zu be-
sinnen . Doch las; uns davon abbrechen, ich
will nicht Frau v. Norden's Ankläger werden,
aber das wirst Du jetzt begreifen, daß ich nicht
Enkel auf meinen Knieen wiegen möchte, welche
dieses Weib Großmutter nennen müßten. Den
Kopf in die Höhe, Junge, es gibt noch mehr
Mädchen in der Welt, als Alma Norden, und
Du wirst sie vergessen, wirst diese Liebe überwin-
den, wenn Du nur ernstlich willst... Aber schau,
da sind wir wahrhaftig schon in Wolfheim!"-
2.
Der Wagen bog eben in einen großen Hof
ein und fuhr an einer Freitreppe vor. Es war
ein stolzes, aus grauem Stein massiv erbautes
Herrschaftshaus, das Schloß Wolfheim, aber Alles
trug dort den Stempel des Verfalls und der
Vernachlässigung; die Ränder der Schornsteine
waren zerbröckelt, die Dachrinnen hingen da und
dort lose herunter, die meisten Fenster waren er-
blindet und zeigten zerbrochene Scheiben, auf dem
Hofe, wo zwischen dem schadhaften Pflaster grünes
Gras sich heroordrängte, lagen unordentlich zer-
streut Ackergeräthschaften umher, und die Dächer
der Oekonomiegebäude waren dicht mit Moos nnd
Flechten überwuchert. Willms ließ seine grauen,
klugen Augen prüfend umherschweifen, und sagte
dann leise zu seinem Sohn: „Wenn es auf dem
Hofe eines Gutes so aussieht, ist es kein Wunder,
wenn Alles rückwärts geht, und der Bankerott
vor der Thüre steht."
Ein Diener in verschossener Livree mit mür-
rischem Gesicht kam herbei und wies die beiden
Herrn in den Gartensaal. Es war ein weites,
geräumiges Gemach, aber die Spuren des Ver-
falls waren auch hier sichtbar: die seidenen Ta-
peten hingen an vielen Stellen lose herab, die
grauen Dielen, die früher ein Teppich bedeckt
haben mochte, klafften auseinander, die Ueber-
züge der Möbel waren verblichen und zerrissen
und die breiten Goldrahmen der an den Wänden
hängenden Bilder waren geschwärzt und erblindet.
Bei dem Eintritt der beiden Willms erhob sich
aus einem Sessel ein kleiner, roth und wohlge-
nährt anssehender Mann.
„Ei sieh' da, Herr Notar?" rief der ältere
Willms angenehm überrascht; „Sie sind hier, da
scheints ja, als wäre es der Gnädigen mit dem
Verkauf ernst."
„Es ist ihr ernst damit," nickte der Notar,
„ich habe den Kaufbrief schon aufgesetzt."
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre,
und eine große, hagere, ganz in schwarz gekleidete
Dame trat ein. Ihre Züge waren scharf, aber
von großer Regelmäßigkeit, und konnten schön ge-
wesen sein, ehe Leidenschaften und Schmerzen sie
so zerwühlt hatten. In ihren Augen, die tief in
den Höhlen lagen, lag ein wildes, unstätes Leuch-
ten, und auf den eingefallenen Wangen brannte
die Röthe des Fiebers. Sie grüßte mit einer
stummen Verneigung die Anwesenden, und lud,
während sie sich auf das Sopha niederließ, mit
einer Bewegung ihrer großen knochigen Hand die
' Herren ein, sich zu setzen.
 
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