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507

betroffen der Schlossergesell. „Höre, Bruder Zeug-
arbeiter, für den Mann interesfire ich mich auch.
Es gibt alte Leute in meiner Heimath, die ihn
noch nicht vergessen haben und mir selbst ist ein
wunderliches Stück Lebsnsgeschichte von ihm er-
zählt worden. Doch fahre nur fort, vielleicht hat
uns der Himmel zu Deinem Glück zusammen-
geführt.^
„Der Zacharias — es sind just zehn Jahre
her — hatte Weinlese und schickte nach mir, ich
sollte ihm etwas am laufenden Zeuge bessern,
denn die Mühle besorgte gerade ein Junge und so
konnte ich in der Umgegend die Zeugarbeit be-
treiben. Als ich nun an der Kelter stand und
ein Rad auszahnte, kam ein Dirnchen hereinge-
schwebt, wie ich sie in meinem Leben niAk" schö-
ner gesehen hatte. Sie grüßte freundlich und ich
stand wie ein stummer Oelgötz, als sie schon lange
wieder hinaus war. Es war Bärbels, des Za-
charias Tochter und sein einzig Kind, die vor vier
Jahren, wo ihre Mutter starb, zu einer Muhme
nach Pfullingen gethan worden, und jetzt als
siebenzehnjährigeDirne wieder in des Vaters Wirth-
schast heimkchrte. Daß ich's kurz mache, tagtäg-
lich lief ich nunmehr hinüber zum Zacharias, der
eine offene Weinstube hielt und machte, um dem
Alten und der Tochter zu gefallen, tüchtige Zechen.
Da man nicht immerfort trinken kann, schlug der
Wirth bisweilen ein Spiel vor, bei dem ich
regelmäßig tüchtig Haare lassen mußte. Aber
ob ich gleich zwanzig Mal bei Gelegenheit,
wenn ich mit dem Bärbels allein war, das
Wort auf der Zunge hatte, um ihr meine
Liebe zu gestehen, so vermocht' ich's doch nicht.
Ich war wie von einem unsichtbaren Bande ge-
fesselt, die Gelegenheit entmischte und ich be-
hielt das heilige, schwere Wort auf dem gedrück-
ten Herzen.
Da trat eines Tages, wo wir allein im
Wirthszimmer waren, das Bärbels auf mich zu
und sagte: Jockele, ich mein's gut — Ihr müßt
das Spielen und Trinken lasten, sonst bringt's
Euch in's Elend!
Sie hatte recht, das fühlte ich wohl. Ein
Wort gab's andere und dabei gestand ich auch,
daß nur die Liebe zu ihr mich zum lockeren Zeisig
gemacht. Mit Hand und Mund versprach ich ihr,
mich zu bessern. Nur selten noch kam ich zu
Trunk und Spiel, aber dafür trafen das Bär-
bels und ich uns heimlich und tauschten das
Treuwort. Das geschah wenige Monate, bevor
meine Mühle an's Gerichtsbrett geschlagen und
ich von Haus und Hof getrieben wurde. Der
Zacharias, welcher mir gegen schandbare Zinsen
eine Summe Geld geborgt und auch meine ihm
zustehende hohe Spielschuld mit in den Schein
geschrieben hatte, erwarb meine Liegenschaft für
ein Geringes und ich war ein Bettler. Was hals
es, daß Bärbele ihm unsere Liebe gestand — er
jagte mich von seiner Thüre! Und so zog ich denn
hinaus in die Welt, strich in allen Ländern herum
ohne Rast und Ziel, arbeitete nirgends lange und
wurde ein liederlicher Mensch."
„Hast Du denn dem Bärbele keine Kunde von
Dir gegeben, oder welche erhalten?" fragte von
Mitleid ergriffen der Schlaffer.
„Niemals, und was hätt's auch helfen
können?" antwortete der Zeugarbeiter. „Mir
was Erkleckliches zu sammeln und als Geld-
mann vor den elenden Zacharias hinzutreten,
dazu hatte ich ja nicht die geringste Hoffnung,
darum ging auch bei mir der Verdienst immer
wie er kam. Schreiben und Fragen, wozu hätte
das nützen können? — Mein Schicksal war ent-
schieden und das Bärbele ist wohl schon lange
Zeit die Frau eines Anderen. Aber ich habe
ihr die Treue bewahrt und will sie halten mein
Lebenlang."
„Da thust Du übel dran," rief lustig der
Schl oster:

Soll mir die Blonde nicht werden,
Gibt's Braune noch auf der Erden;
Wird auch die Dicke nicht meine
So nimmt mich die Dürre und Kleine.
Löscht keine mein Herzensfeuer,
So hole sie Alle der Geier!
Doch nichts für ungut, es sollte blos ein Späß-
chen sein. Indessen sehe ich noch gar nicht ein,
aus welchem Grunde Du jetzt wieder nach der
Heimath wanderst, in welcher Du nur trübe Er-
innerungen erwarten kannst?"
Der Zeugarbeiter blieb stehen und in seinen
Augen glänzten Thränen.
„Schlosser," sagte erft „jetzt passe auf, was
ich sage, aber mach' kein dummes Gespaß dar-
über, wenn wir gute Freunde bleiben wollen! —
Seit länger als Mondesfrist bin ich ein umge-
wandelter, ein ganz anderer Mensch geworden und
dazu — hat mich ein Traum gemacht."
„Ein Traum, Landsmann? Mau sagt Träume
sind Schäume!" rief verwundert der Sachse.
„Es war wohl mehr als ein Traum," fuhr
der Schwabe fort. „Eines Abends, als ich mich
auf der Wanderschaft aus ,der Schlesien* ins
Reich befand, warf ich mich am Waldcsrande
neben einem Herrgottsbilde in's Gras, um ein
wenig zu ruhen, und schlief darüber ein. Da er-
blickte ich mich im Traume als blühenden Knaben
auf der Bank vor dem elterlichen Wohnhause,
neben mir der Vater mit dem grauen Haupte
und dem freundlichen Gesicht, gegenüber die Mutter
vor dem schnurrenden Spinnrads sitzend. Drüben
klapperte lustig die Mühle und ans dem Rasen-
platze tummelten sich Hühner und Gänse und die
vier gefleckten Ziegen mit ihren kleinen Lämmern.
Das Leben meiner Kindheit stand wieder mit all'
seinen Erinnerungen vor meiner Seele und ich
vernahm die Stimme des Vaters, wie er mich
mahnte, Gott vor Augen und im Herzen zu ha-
ben und nichts zu thun wider sein Gebot. Da
fühlte ich mein Herz so rein und glücklich wie in
der Kindeszeit."
„Das war ein liebliches Traumgebilde," sagte
Benjamin.
„Der Vater hob wie segnend seine Hand und
wie hinter einem Wolkenschleier verschwand Alles
vor meinem Bucke," fuhr der Schwabe fort. „Das
Gesicht war jedoch noch nicht vorüber. Ich sah
den Hofbauer Zacharias blaß wie eine Leiche, nur
die rothe Narbe an seiner Stirn glühte wie Feuer
und vor ihm lag ein Offizier in blauer Uniform
mit blutübsrgossenem Antlitz. Zacharias wmkte
mir, wie mit fieberhafter Angst. Erschrocken fuhr
ich aus dem Schlummer empor und wahrhaftig
— ich sah die Gestalt meines Verderbers mit dem
Todtengesicht und der brennenden Narbe, wie sie
langsam in Nebel zerfloß."
„Mensch — hast Du das wirklich geträumt?"
rief Benjamin, indem ihn ein kalter Schauer
durchrieselte.
„So wahr ich dereinst selig zu werden hoffe,"
antwortete sein Genosse. „Siehst Du, Bruder
Sachse, was den ersten Traum betrifft, so bilde
ich mir ein, meine Seele sei im Himmel gewesen
bei den seligen Eltern und dieser Gedanke hat
mich meinem Gotte, den ich so lauge verleugnet,
zurückgegeben. — Was das Gesicht des Zacharias
anlangt, meine ich, es bedeutete für ihn nichts Gu-
tes. Und so drängt es mich, noch einmal die
Heimath und die Gräber der Eltern zu besuchen,
noch einmal die Geliebte meines Herzens zu sehen
und hernach auf Nimmerwiederkehr von hinnen
zu scheiden. Ich gehe dann nach Rußland, wo
die Zeugarbeiter schönes Geld verdienen sollen,
und hilft Gott, erringe ich mir wohl durch Fleiß
und Redlichkeit dort noch ein kleines Glück."
„Schwabe," sagte Benjamin, „was die Ge-
schichte mit dem Zacharias und dem blutigen
Offizier betrifft, so habe ich die schon lange ge-
kannt, und ich glaube, daß hier Gottes Finger im

Spiele ist! — Geh' nur immerhin in des Hof-
bauern Haus, und wenn Dir's nicht zuwider ist,
bin ich Dein Begleiter. Ich weiß mehr von dem
Zacharias wie Du, und ich glaube, Gott hat mich
auf Deinen Pfad geführt, dem Bekehrten ein Bei-
stand zu sein, daß es ihm ferner wohlergehe auf
Erden."
„Ich verstehe Dich nicht," rief erregt der
Zeugarbeiter. „Was kannst Du von mir und
dem Zacharias und dem Bärbele wissen, der Du
eben einwanderst in's Land? Soll's ein Gespaß
sein, Sachs, so sag's ehrlich, und es mag dabei
auf ein paar Rippenstöße nicht ankommen. Weißt
Du aber wirklich was Rechtes, so enthalt' mir's
nicht vor, von wegen Gottes und unserer ehr-
baren Bruderschaft der verwandten Zünfte! —
Hui Schwager! Sag' an, nach Ehr' und Hand-
werksrecht, als ehrbarer vor offener Lade geding-
ter und geschworener Gesell — hast Du Wahrheit
gesprochen? Kennst Du den Hofbauer Zacharias
und kannst Du mir rathen in Treu' und Glauben
nach altem Bruderbrauch?"
„Hui Schwager, nach Ehr' und Treuen!" er-
wiederte Benjamin. „Ich kann Dir rathen und
wohl auch bcistehen, wenn der Zacharias noch lebt
und das Bärbele nicht die Frau eines Anderen
geworden oder wohl gar gestorben ist. Damit,
Schwab, beruhige Dich für heut', und wenn wir
auf die Herberge kommen, was ich bei meiner
Müdigkeit baldmöglichst wünsche, wollen wir auf
gut Glück noch ein Schöpplein trinken und dann
im Namen Gottes in's Nest kriechen zu fröhlich m
Wiedererwachen."
(Fortsetzung folgt.)

Der Neichstags-Abgeordnete
v. Blanckenburg.
(Siche das Bild auf S. 505.)
Es ist kein Mann des Volks, welchen wir auf
der Stirnseite dieser Nummer unseren Lesern vor-
führen , sondern vielmehr eines der starrsten Mit-
glieder der konservativen Partei, der Partei des
Gottesgnadenthums, derNittergutsbesitzer und General-
Landschaftsrath v. Blanckenburg in Zimmerhausen
bei Plathe, der in gegenwärtiger Reichstags-Sitzung
bei der Wahl zum Viceprästdenten 78 Stimmen er-
halten und daher die Führerschaft dieser Partei im
Reichstage übernommen hat. Dieser Mann, welcher
für einen der typischen Repräsentanten jener Menschen-
klasse und politischen Partei gilt, die man kurzweg
mit dem Namen „Junkerthum" zu zeichnen gewöhnt
ist, Moriz Karl Henning v. Blanckenburg,
ist 1814 geboren, hat nie des Lebens Noth und
Kampf kennen gelernt und gehört daher, wie alle
Jene, die mit einem goldenen Löffel im Munde zur
Welt gekommen sind, zu denjenigen Menschen, für
welche das Wort „Volk" seinen besonderen Klang
hat und die sich nie entschließen können, diesem Volke
etwas Anderes zuzuerkennen als nur Pflichten. Herr
v. Blanckenburg hat in Berlin die Rechte studirt, ge-
hörte zur sogenannten „goldenen Jugend", und be-
gnügte sich gleich vielen seiner Standcsgenossen da-
mit, es im Staatsdienst bis zum Kammergerichts-
Referendarius zu bringen, worauf er seine Entlassung
nahm und auf dem ererbten väterlichen Gute das
behäbige Leben eines wohlhabenden pommerischen
^Gutsbesitzers von Adel führte. Im Jahr 1852 von
dem Wahlkreise Naugard und Regenwalde in's preu-
ßische Abgeordnetenhaus gewählt, gehörte er diesem
vom 29. November 1852 an ununterbrochen an bis auf
die Gegenwart und trat unerschrocken und schneidig
als ein schlagfertiger witziger Redner überall auf,
wo es die Interessen seiner Partei und das starre
konservative Prinzip zu vertreten galt, persönlich durch
und durch ein Ehrenmann und Patriot, aber keiner
von jenen Männern, welche den Samen einer bessern
Zukunft in die heutige Zeit legen. Stets beharrlich
auf der Seite der Krone, und für die bevorzugten
Klaffen alle nur erdenklichen Vorrechte in Anspruch
nehmend, hat er seit dem Ministerium Manteuffel
jedes beeifevt unterstützt und den Vorkämpfern einer
absolutistischen Weltanschauung und der hierarchisch-
aristokratischen Monopole, einem Stahl, Gerlach, Leo,
 
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