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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

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Heft 5
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Thalhofer, Nic.: Zur Gestaltungsgeschichte des Möbels, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0051

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sich als zweiter unmittelbar der anschließt, die getragenen
Gegenstände in eine ihrer Benützung möglichst günstige
Stellung zu bringen, sie sozusagen handgreiflich zu situiren.
In den Anfangszeiten der Tultur hatte der Tisch absolut
keine andere Bestimmung, als die, welche der Eßtisch
heutzutage hat. So sehr auch die steigende Tivilisation
die Bestimmung des Tisches differenzirt hat, sein Grund-
charakter ist derselbe geblieben. Der Tisch bleibt eine
Fläche, welche, wenn sie mit nichts Anderen: bedeckt ist,
durchaus den Gedanken erweckt, daß etwas Eßbares darauf
gehört. Wenn wir schlechtweg sagen: ich gehe zu Tisch,
dann denken wir gewiß nicht an den Schreibtisch, sondern
an den Eßtisch.

Beim Schrank haben wir es mit einer Möbel-
gattung zu thun, welche wesentlich von der bisher be-
sprochenen verschieden ist. In der That ist der Schrank
ein bloßes palbmöbel, d. h. er nimmt eine mittlere
Stellung ein zwischen dem festen, unbeweglichen architek-
tonischen Gerüste und dem beweglichen Möbel. Nichts
ist in dieser Beziehung bezeichnender, als der Umstand,
daß es bloß einer dem architektonischen Principe im
Möbelbau günstigen Stilrichtung bedurfte, wie die gothische,
mit den Schrank vollends in die Fesseln gänzlicher Un-
beweglichkeit zu legen; es geschah im mittelalterlichen
Wandschrank, der eigentlich bloß eine mit Thüren ver-
sehene Nische in der Wand vorstellt. Und dennoch darf
gerade diesen mit der Wandvertäfelung des Gemaches in
festen architektonischen Zusammenhang gebrachten und mit
ihr auch sonst stilistisch eng verknüpften Wandschrank mit
seiner für alle Zeit giltigen Gebundenheit an seinen ur-
sprünglichen Mrt und Zweck eine gewisse, sehr starke Be-
rechtigung vom Standpunkte der Wohnlichkeit des Ge-
maches nicht abgesprochen werden. Denn eben diese Zu-
sammengehörigkeit, diese innige Wechselbeziehung zwischen
Möbel und Wohnraum, welche als eine Art Familien-
tradition vom Großvater dem Enkel sich vererbt, ist es,
welche der mittelalterlichen Stube die traute Heimlichkeit
verleiht und ihr den Stempel deutscher Empfindungsweise
unverkennbar aufdrückt.

Der Schrank, wie auch der ihn: stilverwandte Aasten
ist zunächst ein Bewahrungsort, d. h. bestimmt, Gegen-
stände unseres Besitzes aufzunehmen, welche sowohl ihres
Werthes als auch ihrer Erhaltung wegen einer sorg-
fältigen Aufbewahrung, eines Schutzes bedürfen. Neben
dem zweckangemessenen Raum ist es deshalb eine gewisse
solide Sicherheit, welche der Schrank dem Inhalte bieten
muß, soll er seine Aufgabe erfüllen. Es liegt auf der
chand, daß weder beschränkte Dimensionen, noch eine zu
große Beweglichkeit diesen Anforderungen entsprechen.
Eine gewisse behäbige Breite und solide Derbheit der
Form werden daher den Schrank in seinen: Zweck nur
zu unterstützen geeignet sein, und wenn nun auch diese
beiden Eigenschaften völlig ausreichen, und es keineswegs

nothwendig erscheint, den Schrank gänzlich in das Gebiet
der unbeweglichen, architektonischen Tonstruction zu ver-
weisen — wie dieß beim Wandschrank zutrifft —, so liegt
dieses Zuviel doch im Geiste der Sache und ist gleichsam
der künstlerische Grenzwerth derselben. Es erübrigt nach
dieser Erklärung des Schrankmöbels kaum noch, einige
gelegentliche Worte über ein dem Schranke nahe ver-
wandtes Möbel, den Aastenschrank, die sogenannte
Tommode, zu sagen. Der Unterschied zwischen beiden
Formen ist ein rein äußerlicher, indem bei sonst gleichem
Zweck und demgemäß analogem Tonstructionsschema bloß
die ornamentale Jauptrichtung der Tommode in die

48. Romanisches Fenster auf Schloß Tirol.

(Nach dem werke: „Runstschätze aus Tirol"; vgl. S. ff.)

Breite geht, anstatt wie beim Schrank in die pöhe: ent-
sprechend dem Umstande, daß in der Toinmode die auf-
bewahrten Gegenstände in horizontal übereinander an-
geordnete, schiebbare Laden gelegt und nicht wie beim
Schranke in der Regel gestellt oder aufgehängt werden.
Biel leichter als das Sitzmöbel ist Tisch und Aasten dem
inenschlichen Aörper anzupassen, denn bei diesen sind ja
die Bedingungen viel weniger widersprechend; auch gibt
es mehr Borbilder, die mit Aufmerksamkeit verwendet
sein wollen. Erfüllt das Geräth seinen Zweck in klarster
Weise, so wird es schon deshalb bester gefallen, als das
weniger praktische Prunkstück.
 
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