Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1896

DOI issue:
Heft 7
DOI article:
Gmelin, L.: Slavische Stickereien auf der Prager Ausstellung (1895)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.7909#0070

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
8Z. Don einer slowakischen Bettdecke, auf weißer Leinwand in rother,
blauer und gelber Baumwolle gestickt. (Um ;800.)

die Grenzen zwischen den verschiedenen Stammeseigen-
thümlichkeiten vielfach verwischt sind; außerdem erfordert
die bestimmte Zuweisung einzelner Stick-Motive an den
oder jenen Theil eines Volksstammes die größte Vorsicht,
weil viele derselben auch bei anderen Stämmen, ja sogar
an weitabliegenden Punkten — z. B. in den Marschen bei
Hamburg — wiederkehrenU) wir wollen deshalb uns
darauf beschränken, an der chand des seiner Zeit in Prag
ausgestellten und einigen weiteren Materials auf einige
lokale Merkmale, nainentlich aber auf deren Schönheiten
und eigenthüntliche Technik hinzuweisen.

Die zur Ausschmückung mittelst Stickerei angewandten
Motive sind sehr verschiedener Art. Aus der Natur des
Gewebes ergibt sich von selbst, daß geometrische Muster
oder, allgemeiner gesprochen, jene Muster, deren Umrisse
parallel oder diagonal zu den Fadenlagen lausen, in
erster Linie in Betracht kommen; gilt dies namentlich von
den Areuzsticharbeiten, so entziehen sich doch auch andere
Sticktechniken nicht immer dem Einfluß der geometrischen
Schema's, wie insbesondere an manchen walachischen und
slowakischen Plattstich-Arbeiten wahrzunehmen ist. (Abb.87.)

Die Unterjochung des Schmuckmotivs durch die Technik
führt mitunter soweit, daß thierische Bildungen sich eine
gewaltsame Bändigung gefallen lassen müssen, die ihnen
nur noch einen Schein ihres ursprünglichen Wesens be-
läßt; solche Gebilde treten bei walachischen und slovaki-
schen Bordüren aus: Pfauen, Tauben, pähne, — bald
hintereinander marschirend, bald paarweise einander gegen-
übergestellt (Abb. 82—85). Menschliche Figuren werden
unter der Anechtschaft der Areuzstichtechnik vollends zu
geisterhaften Spukgestalten, die nur noch als Ornament
wirken (Abb. 86) •— ähnlich wie manche Vierfüßler an
orientalischen Teppichen; hätte man aber zwischen diesen

i) Auf letztere Thatsache hat mich Prof. vr. Al. Riegl-Wien auf-
merksam gemacht. D. Oers.

90. Haube in Gold- und Silberstickerei, slowakisch; Tirnau-Preßburger

Gegend.

ca. */4 der wirkl. Größe.

stilisirten Menschen und naturalistischen Darstellungen in
Areuzstich zu wählen, — die Wahl würde nicht schwer
sein. Zm Allgemeinen entfaltet sich die Stickornamentik
beim Plattstich viel freier; es herrscht hier durchaus die
frei bewegte Pflanzenform vor, stets rhythmisch geordnet
und von der natürlichen Form so weit entfernt, daß es
in den meisten Fällen unmöglich ist, einzelne Pflanzen zu
bestimmen. Blätter und Blumen sind meist Gebilde der
Phantasie, entstanden unter dem Einfluß der Nadelarbeit
und nur im allgemeinen pabitus an Naturformen an-
klingend — Nelke, Tulpe, "Kleeblatt, Rosenknospe, Glocken-
blume, "Kornblume, Distel—; bald finden sie sich zu Gruppen
geordnet (Abb. 77, Tas. 25 u. 26), bald in kleinen Sträuß-
chen nebeneinandergestellt (Abb. 88) oder zu Ranken gereiht
(Abb. 8fl), seltener (z. B. bei Schürzen aus der Gegend
von Zaromerfchp) als Streublumen.

wo weder Platt- noch Areuzstich die Blätter und
Blumen füllt, da ist die Fläche innerhalb der in Stilstich

9;. Gesticktes Ende eines slowakischen Gürtels (Länge ;zo, Breite
20 cm); aus schwarzem Aameelhaar gewebt mit gelber, blauer und
rother Seide gestickt. Anfang des \y. Iahrh.

hergestellten Umrisse durch die verschiedensten Mnsterungen
belebt, die sich indessen alle auf geometrische Motive zurück-
führen lassen (Abb. 88); dies erstreckt sich auch auf die
hin und wieder in die Ranken eingestreuten Thierbil-
dungen. wie eine solche Durchbildung an sich schon jede
etwaige plastische oder perspektivische Wirkung ausschließt, so
beweist auch die Durchbildung der pflanzlichen Motive,
daß nie und nirgends die Absicht besteht, eine plastische
oder perspektivische Wirkung zu erstreben.

Manche Ornamente tragen so deutlich den Tharakter
frühgriechischer Palmetten oder anderer ähnlicher Motive
zur Schau, daß man versucht sein könnte, darin einen Zu-
sammenhang der Griechen mit den Slaven der Urzeit zu
wittern; bei slowakischen und hannakischen Arbeiten sind
diese Erscheinungen verhältnißmäßig häufig (Abb. 79,
80, 90, 91), ln manchen Mustern (Abb. 92) könnte
man sogar asiatische Vorbilder (der Lebensbaum) wieder-
erkennen. Die Verbindung der Palmetten durch Ranken,
wobei die Palmetten bald auf-, bald abwärts gerichtet

') Jan Aoula a. a. G. Taf. XVIII. XIX.
 
Annotationen