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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 8.1891

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Beck, Paul A.: Die Vincentsche Kunst-, insbesondere Glasgemälde-Sammlung zu Konstanz
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https://doi.org/10.11588/diglit.20200#0027

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lich die Glasmalerei schon in früherer Zeit blühte. An der Hand
derselben läßt sich fast die ganze Entwicklung der schweizerischen
Glasmalereikunst vom 13. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts
verfolgen: das älteste Werk der Ausstellung bildet einen Teil
des reichen Cyklus, der früher das Chorsenster der Cistercienser-
kirche von Hanterive bei Freiburg im Uechtland schmückte und,
1856 auseinandergerissen, im Chor von St. Nicolas zu Frei-
burg untergebracht worden ist, wovon die Vincentsche Samm-
lung einige in drei gotischen Maßwerkfüllungen bestehende Frag-
mente (s. S. 1, Nr. 4 des Katalogs) aufzuweisen hat. Diese
um das Jahr 1322 verfertigten Glasgemälde, in einem Durch-
messer von 0,21—0,24 m, stellen u. a. den aus Flammen
emporschwebenden Phönix dar, das bekannte Sinnbild der Auf-
erstehung Christi, und den Strauß, der seine Eier durch die
Kraft des Blickes ausbrütet, nach mittelalterlicher Auffassung
ein Symbol Mariä, die durch ihren Blick den Sünder rettet
und zur Wiedergeburt begnadet. Was diesen Ueberresten von
Hanterive einen besonderen Wert verleiht, ist der Umstand, daß
sich in denselben bereits die Verwendung des sog. Kunst- oder
Silbergelbes Nachweisen läßt, eine Schmelz- oder Auftragfarbe,
deren Entdeckung man sonst in das 15. Jahrhundert datiert.
Hiezu kommen noch die schönen Nummern 6—6 b und 7—7 3,
von welchen die ersteren zwei kämpfende Männer vorstellende
Maßwerkfüllungen aus einer Kirche der französischen Schweiz
stammen sollen und in welchen die Spätgotik eine glänzende
Vertretung gefunden -hat. „An Farbenpracht und energischer
Ornamententwicklnng, die sich ebensowohl durch Kraft und Schön-
heit der Zeichnung, wie durch kundige Rücksicht auf die Eigenart
des Materiales und der Technik auszeichnet, kommen wenige
Proben gleichzeitiger Glasmalerei diesen Maßwerkfüllungen
gleich." Die weitere Entwicklung bekunden die beiden herrlichen
Doppelscheiben Nr. 27—27 3 und 28—28 3 (S. 3 unten und
4 oben des Katalogs) aus dem Jahre 1517. Auf der ersteren,
0,93 m hohen, 0,40 m breiten, tragen zwei gewundene
Säulen die aus grünem Blattwerk bestehenden Flachbogen;
oben in dem Zwickel links werden die Heiligen Felix, Regula
und Exuperantius gegeißelt, rechts dieselben Märtyrer in Oel
gesotten. Hauptbild auf rotem und schwarzem Damast: links
empfängt Christus mit segnender Gebärde St. Regula; von
rechts folgen St. Felix und St. Exuperantius. lieber beiden
Gruppen schlingt sich eine weiße Bandrolle mit der MinuSkel-
inschrift: »venitedeneclictiputris meipercipits re^num 1517.«
Am Fuße, vou prächtig stilisiertem Blattwerk umgeben, ist links
der gekrönte Reichsschild, rechts der Standesschild von Zürich
angebracht. In der anderen 0,97 m hohen, 0,40 n: breiten,
im Katalog eingangs in einem gelungenen Doppelfarbendruck
abgebildeten Doppelscheibe: „Die gemein landvogty, zvo Frowen-
feld 1517", bildet ein meergrüner Astbogen die gemeinsame
Umrahmung; über demselben schweben vier Flügelknaben, spielend
und an der von den oberen Ecken flachbogig herunterhängenden
Gnirlande kletternd. Ein um die Gnirlande geschlungenes
Band enthält die Kapitalinschrist: »Oloriu In Lxcelmg Oeo.
7^.ve lVluriu Oruciu ?1en3.« Darauf links Krönung Mariä,
rechts Kruzifixns zwischen Maria und Johannes. Als Basis beider
Kompositionen dient eine Polygone rosenfarbige Konsole. Am
Fuße derselben Reichswappen und die Standesschilde von Zürich,
Luzern und Uri, rechts diejenigen von Schwyz, Unterwalden,
Zug und Glarus. Ein darunter befindliches weißes Band
enthält die oben angeführte Minuskelinschrist; dasselbe Datum
ist an der Front der Konsolen angebracht. Die Scheiben haben
einen purpurnen und schwarzdamastigen Grund. Beide Doppel-
scheiben sind charaktervolle Belege für die damalige Richtung
der Kunst, indem sie zeigen, wie anmutig und naiv die Ver-

schmelzung krauser Spätgotik mit dem heiteren ForinenweP
der Renaissance sich vollzogen hat. Schon das Jahrhund^
zuvor hatte man nicht selten aus eine ganze Befensterung
Glasgemälden verzichtet und begnügte man sich, so wie a"
den beiden vorgeschilderten Mustern, einen Teil der Fehl^
mit bogengroßen, sog. „bögigen" Scheiben auszustatten.
die Mitte des 16. Jahrhunderts etwa hebt die GlanzeM
der schweizerischen Glasmalerei an, welche in der Vincents^
Ausstellung mit zahlreichen Scheiben der Züricher Karl v.Aeg^'
Nikolaus Bluntschli, von welchem namentlich die von dein ey,
maligen Cistercienserinnenkloster Dänikon bei Aadorf im ThEs
aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammenden, durch Pracht^
Farben und vollendete Durchführung ausgezeichneten, zum
nach A. Dürer gearbeiteten Scheiben,*) eine wahre Perle der-Us
centschen Sammlung und von seltener Folge (Katalog s
50—86, S. 7—14), herrühren, Andreas Hör von St. Gam '
Christoph Maurer (Murer) sNr. 147, 169, 170, 220, ^
a. a. O.P Daniel Lindtmayer von Schaffhausen (Nr.
Hans Jak. Nüscheler I von Zürich, Hans Ulrich Jegly .
Winterthur u. a. vertreten ist. Die Technik zeigt sich ^
mit der Zeit bis zur höchsten Routine ausgebildet, unnaäM
lich die Feinheit gebrochener Töne; die Behandlung der
fanggläsex, wie die Verwendung der Schmelzfarben bektM
ein Raffinement, das allen modernen Versuchen zur Nachahm"^
spottet. Ganz hervorragend ist vielfach auch die Schönheü *
Zeichnung und unerschöpflich die Erfindungsgabe in der o
staltnng der umrahmenden Teile, wo sich die ganze sprudeu
Formenfülle der deutschen Renaissance entfaltet — indes
zu verwundern, da die besten der damaligen Künstler'/
Solothurner Urs Graf, Niclas Manuel, Hans Holbein
selbst es nicht unter ihrer Würde fanden, für solche U4
ihre Vorzeichnungen zu liefern. Ueberaus zahlreich sind ^
Werke seit den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhundert,^
der Schweiz geschaffen worden. „Wo immer ein Haus! ^ -
eingerichtet wurde, Familien oder Korporationen ein b*
Heim bezogen, Kirchen, Klöster und Kapellen kntsta'^
pflegten Verwandte und Befreundete, den Behörden
porationen aber die Mitstände, Prälaten, Kaiser und P*
sogar eine Scheibe zu stiften." Die Fenster- und
schenkung war schließlich im 16. Jahrhundert unter den ^
schlechter!: und Standespersonen der Schweiz ziemlich ullg^H
Sitte (s. H. Me per, Die schweizerische Sitte der Feust^ M
Wappenschenkung vom 15.—17. Jahrhundert, Fr^.xH
1884). Selbst in Bauernhäusern fehlten solche Zierden ^ ^
die Zahl der Scheiben, welche den Kapuzinern in Luzern lsi!
wurden, war eine so große, daß solche Widmungen zestweuw
den Küchenfenstern angebracht werden mußten. „Diese P
larität, deren sich die Glasmalerei erfreute, erklärt denn M
Vielseitigkeit der Darstellungskreise. Schon aus der ersten
des 16.Jahrhunderts giebt es Scheiben mit ausführlichen^* ^
biblischen und allegorischen Inhalts. Andere DarsmU ^
traten bald dazu: Scenen aus der SchweizergeschielsiO
dem Berufs- und Tagesleben, Schilderungen festliche*' ^
lässe, wie sie in Trinkstuben und zünftigen Kreisels
Schießstätten gefeiert wurden." Von dieser Vorlieb
Werke der Glasmalerei wurde auch die unmittelbare
barschaft der Schweiz erfaßt, namentlich scheint sie " M
benachbarten Konstanz, wo ja eine ganze Künstlerisch

die der in der Vincentschen Kollektion gleichfalls
0 Zu vgl. hierüber I. Biichi über die Glasmalerei ü
über thurgauische Glasmalerei insbes. in den von dem
Verein heransgcgebenen „thnrganischen Beiträgen znr vaterlan
30. Heft S. 5—41, Franenfeld, 1890.
 
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