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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Utitz, Emil: Vom Wert der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0019

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Vom Wert der Kunst.

ERNST KROPP—MÜNCHEN.

Supraporte »Gesang«

die ich jedoch nur ganz kurz hinweisen will.
Man muß eben die Auswahl von Kunstwerten
völlig der Fassungskraft derjenigen anpassen,
an die sie sich richten. Mit vollem Recht sagt
Max Dessoir: „ Zu Unrecht hält man die Meister-
werke unserer großen Dichter für den geeignet-
sten Stoff. Es ist eine ruchlose Lüge, daß für
Kinder gerade das Beste gut genug sei; vielmehr
wird es an sie verschwendet. Die höchsten
Leistungen eines Genies bilden ein Ziel, zu dem
wir die Jugend vorbereiten dürfen, aber keinen
Tummelplatz ungelernter Versuche." Und Ana-
loges gilt vielfach von Erwachsenen.

Wir dürfen nie voraussetzen, daß Reize, die
den geübten Kunstkenner entzücken oder aus-
gereifte, geschlossene Persönlichkeiten ergrei-
fen, auch allenthalben zu wirken vermögen,
wenn man nur auf sie aufmerksam macht. Weit
und vielgestaltig ist das Zauberreich der Kunst,
aber wohl keiner hat Zutritt zu des ganzen
Reiches Herrlichkeiten; und darum dürfen wir
nicht anderen immer „Genüsse" aufzwingen
wollen, die eben für sie keine „Genüsse" sein
können. Wollen wir wirklich sie einführen in
dieses Reich — um in diesem Bilde zu bleiben
— dann müssen wir uns auch die Mühe nehmen,
die Wege für sie zu finden, die gangbar sind,
und nicht steile Pfade, die zwar das Entzücken
des erfahrenen Bergsteigers bilden, aber sich
dem einfachen Wanderer verschließen. Ein ganz
naheliegendes Beispiel bietet unser Musikunter-

richt: da werden die Kinder mit Beethoven-
Sonaten, Bachschen Fugen usw. gequält, deren
herbe, strenge Schönheit sie nicht fassen können,
und jede Musikfreude wird in ihnen erstickt.
Oder man sehe einen Schulgang durch ein Mu-
seum! Die berühmten Meisterwerke werden
als „Meisterwerke" gekennzeichnet, und man
fordert für sie andächtige Bewunderung. Aber
in vielen Fällen sprechen eben Meisterwerke
eine recht schwer verständliche Sprache; man
muß vielleicht in einem gewissen Sinne selbst
Meister sein, um Meisterleistungen nachfühlen
zu können. Also ich glaube durchaus nicht,
daß alle Kunst Volkseigentum zu werden ver-
mag, daß jedes Kunstwerk Gemeingut aller
werden kann. Aber deswegen dürfen wir doch
in keiner Weise verzweifeln und daraus schlie-
ßen, wenn die Kunst nur an einen kleinen Kreis
sich wendet, für die Allgemeinheit aber ohne
größere Bedeutung ist, steht der Aufwand für
Kunstwerke in keinem Verhältnis zum geleiste-
ten Werte. Nein, es gibt unzählige Werke, die
in weitesten Schichten Anklang finden, die wie
Volkslieder aus dem Volke stammen und zum
Volke sprechen.

Und wenn wir hier nun speziell die Wert-
frage stellen, so drängt sich uns gleich ein be-
deutungsvoller Faktor auf, mögen sie ihm auch
ästhetische Würde und Werte nicht zusprechen.
Wenn wir auf die Beschäftigungen einfacher
Leute achten, mit denen sie ihre Musestunden

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