Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

DOI Artikel:
Roessler, A.: Emanuel Margold Architekt Wien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0066

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Arthur Roeßler— Wien :

E. J. MARGOLD. PANNEAU-ENTWURF.

bloß als Schmuck oder organisch konstruktive
Notwendigkeit bedeutend zu sein, sondern auch
als Ausdruck, als graphisches Zeichen, als Geste
eines Gedankens, eines Gefühles. Denn Ge-
danken wie auch Gefühle lassen sich wirkungs-
voll graphisch ausdrücken ; Gedanken und Ge-
fühle sind nämlich Bewegungen, und in der Na-
tur vollzieht sich jede Bewegung, mag sie geistig
oder körperlich sein, in Schwingungen, ist dem-
nach linear, graphisch darstellbar. Wie sich
seelische Vorgänge in gewissen körperlichen
Gebärden ausdrücken, so können auch künst-
lerische Empfindungen als äußere Bewegung
durch die Linie sinnlich wahrnehmbar gemacht
werden. Aufsteigende und fallende, steife und
biegsame, fließende und gebrochene, weitrunde
und enggeschlossene Linien können gleich leuch-
tenden oder dämmerigen Farben in uns, viel-
leicht etwas abgeschwächt, vielleicht aber auch
mit einer Stärke, die jener gleich ist, aus der
und mit der sie geschaffen wurden, die Grund-
stimmung ihres Urhebers wachrufen. Wie ge-
wisse Lautfolgen, ohne selbst schon Musik zu
sein, eine spezifische Wirkung auf unser Emp-
finden ausüben — die ähnliche Wirkung der
Farben ist bekannt — vermögen auch Linien als
Gefühlsausdruck auf fein Empfindende eine je
nachdem mehr oder weniger starke Wirkung zu
tun. Alle eckigen Formen, beispielsweise, in der
Verbindung mit geraden Linien, ergeben stets
ein Gebilde von herber Wirkung, die durch
spitzwinkelige Formen vielleicht am intensiv-
sten erregt wird, während weiche, rundliche
Formen eine entgegengesetzte Wirkung aus-
üben. Dabei ist es nicht nötig, stilisierte Natur-
formen zu geben, vielmehr sind die Grund-
formen, die hierbei zur Anwendung gelangen,
künstlerische Ausgestaltungen der geometri-
schen Flächenformen, abstrakte Ornamente.

Das abstrakte Ornament, von Emanuel Mar-
gold mit Geschmack und Geschick gehandhabt,
ist nun nicht ein völlig neues Element, wir fin-
den es bereits in den Kunstwerken alter Völker;
denn Gefühlskurven sind schon immer, wenn
auch zumeist unbewußt, zu Ornamenten ver-
arbeitet worden; neu sind jedoch die Form, die
Margold ihnen verleiht, die Kontrastformen,
die er ihnen gegenübersetzt und die Verbin-
dung, in die er sie bringt; neu ist, oder wirkt
wenigstens, die Anordnung im gegebenen oder
gefundenen Räume, die Komposition. Nun
werden neue Formen zwar für den Anfang
hieroglyphisch, das heißt schwer verständlich
wirken, sofern man sie nicht einfach erfühlen,
sondern auch verstehen will; aber sie werden
sich mit einiger Hingabe an die reine Wirkung

52
 
Annotationen