Jrierte Jahres- Versammhing des D WB.
Persönlichkeiten dieses Kulturkreises sich tref-
fen, um miteinander Erfahrungen zu tauschen,
Gefahren und Aussichten zu besprechen. Und
von noch größerer Wichtigkeit ist es, wenn die
Redeturniere solcher Gemeinschaft sich be-
mühen, die Begriffe zu klären, das Programm
zu läutern und die Urteilsfähigkeit jedes Ein-
zelnen zu schärfen, zum mindesten sie aufzu-
reizen. Dieser Art war die Ernte der Dresdner
Tagung. Sie hat uns in der Erkenntnis dessen,
um was es sich bei dem Problem des Kunst-
gewerbes, der Architektur und der Kunst han-
delt, einen Schritt weiter gebracht. Sie wird
einiges dazu helfen, daß die Grenze zwischen
dem, was der Tag fordert und dem, was der
Ewigkeit gehört, schärfer gesehen werde. Sie
wird einiges dazu helfen, die Distanz von der tak-
tischen Vokabel zur spezifischen Wirklichkeit ab-
zustecken. Niemand sollte mißachten, wie wert-
voll solche Reinigung des Begrifflichen sein kann.
Der Vortrag von Muthe sius und die ihm fol-
gende Disputation bedeuten in der Tat eine
reinigende Klärung längst peinlich empfundener
Wirrnis. Es war ein inneres Bedürfnis unserer
modernen Bewegung, daß von weit gesehener
Plattform aus die Unzulänglichkeit bisher ge-
predigter Theorie festgestellt wurde. Zwar
wußten alle Einsichtigen es längst, daß auf die
Dauer mit den nüchternen, von jedermann leicht
zu begreifenden Zauberworten der Zweckmä-
ßigkeit, der Materialechtheit und der techni-
schen Solidität nicht gewirtschaftet werden
könne ; indeß, es fehlte an einem Bekenntnis
aus den Reihen derer, die einst selber, wenig-
stens scheinbar, jener Anschauung pflegten.
Das ist nun anders geworden, nachdem Muthe-
sius ebenso präzis wie energisch dem modernen
Wollen die Form reklamierte. Künftig sind die
rationalistischen Begriffe, mit denen einst Stil-
lüge und Minderwertigkeit vertrieben werden
mußten, nur noch Hilfsmittel im Dienste einer
höheren Wahrheit. Diese Wahrheit heißt: ar-
chitektonische Form. Es genügt also nicht,
daß ein Haus nützlich und richtig gebaut sei;
die Qualität entscheidet sich erst am optischen
Ausdruck. Mit dieser programmatischen Er-
klärung hat Muthesius der modernen Bewegung
unzweifelhaft einen bedeutsamen Dienst ge-
leistet ; der vielleicht noch höhere Einschätzung
forderte, wenn dieses Wertmaß der Form nicht
in einen schroffen Gegensatz zum malerischen
Impressionismus gestellt worden wäre. Dies
Gegeneinander verwirrt; steht es doch außer
Zweifel, daß in einem Bilde von Liebermann
weit mehr an architektonischer Form lebendig
ist, als in vielen, recht vielen Architekturen.
Muthesius hat sich wahrscheinlich durch seine
Abneigung gegen das neueste Ornament ver-
leiten lassen, die Grenzen der Künste zu ver-
schieben ; er hat einer Forderung, die der Bau-
leistung des Alltages aufzuerlegen ist, absolute
Geltung geben wollen. Er hat damit dem Willen
zur Form eine leicht zu mißbrauchende Hem-
mung in den Weg gestellt und entzog so den
nach der Kunst Hungernden wieder die Hälfte
dessen, was er ihnen zuvor gereicht. Daß solche
Einengung Gefahren birgt, bewies Theodor
Fischer, der in der Diskussion mit asketischer
Bescheidenheit die Architektur nur als Hin-
tergrund für den Menschen gelten lassen
wollte. Es dürfte sich indeß kaum verlohnen,
wegen der Neutralität eines Hintergrundes mit
Pathos nach der Form zu verlangen. Wer die
Form will, muß in dem Aufrichten von Grenz-
pfählen vorsichtig sein; andererseits freilich
muß er das Heiligtum durch unüberbrückbare
Gräben schützen. In solchem Sinne wurde
Karl Osthaus zu einer überaus wertvollen Er-
gänzung , ja zu einer Erfüllung dessen, was
Muthesius anstrebte. Er zog einen radikalen
Schnitt zwischen allem, was zur Darstellung
der Wirklichkeit und zur Erfüllung eines
Zweckes gehört, und jener mystischen Welt,
die unabhängig vom Vergänglichen nach inneren
und ewigen Gesetzen ihr Recht in sich selber
trägt. Osthaus umgrenzte unbarmherzig das
Gebiet des spezifisch Künstlerischen in dem
Chaos dessen, was man landläufig Kunst heißt.
Erzeigte, daß längst nicht alles Abgemalte, auch
nicht alles Gebaute mit der optischen Mystik
irgend etwas zu tun habe. Wie das Wort, auch
die Sprache und die Grammatik noch nicht die
Dichtung erschöpfen, vielmehr erst durch Metrik
und Rhythmus entmaterialisiert werden müssen,
so muß die Abbildung, selbst die trefflichste,
muß die Zweckmäßigkeit, selbst die vollkom-
menste, erst eine Verwandlung von Grund auf
durchmachen, um dem Bereiche der Kunst zu
nahen. Ein Landhaus kann ausgezeichnet und
vollkommen sein und braucht deshalb keines-
wegs der Kunst zu gehören; ein unsterbliches
Kunstwerk wird es oft erleiden müssen, von
dem Pionier einer zivilen Kultur als Beunruhigung
und Wildling empfunden zu werden. Darum,
wenn wirklich ein neues Zeitalter der Form
heraufsteigen soll, muß Klarheit werden über
die Grenzen, damit die Form, wenn sie nun
endlichkommt, nicht als eine Gefährdung dessen,
womit sie gar keine Beziehungen hat, bekämpft
werde. Dazu aber ist durchaus notwendig, daß
die gestaltende Produktion sich selber erkennen
lerne: ob sie mehr als Naturalismus und Zweck-
mäßigkeit , mehr als Sprache, Grammatik und
Stil sein kann und sein will. Wenn solche Selbst-
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Persönlichkeiten dieses Kulturkreises sich tref-
fen, um miteinander Erfahrungen zu tauschen,
Gefahren und Aussichten zu besprechen. Und
von noch größerer Wichtigkeit ist es, wenn die
Redeturniere solcher Gemeinschaft sich be-
mühen, die Begriffe zu klären, das Programm
zu läutern und die Urteilsfähigkeit jedes Ein-
zelnen zu schärfen, zum mindesten sie aufzu-
reizen. Dieser Art war die Ernte der Dresdner
Tagung. Sie hat uns in der Erkenntnis dessen,
um was es sich bei dem Problem des Kunst-
gewerbes, der Architektur und der Kunst han-
delt, einen Schritt weiter gebracht. Sie wird
einiges dazu helfen, daß die Grenze zwischen
dem, was der Tag fordert und dem, was der
Ewigkeit gehört, schärfer gesehen werde. Sie
wird einiges dazu helfen, die Distanz von der tak-
tischen Vokabel zur spezifischen Wirklichkeit ab-
zustecken. Niemand sollte mißachten, wie wert-
voll solche Reinigung des Begrifflichen sein kann.
Der Vortrag von Muthe sius und die ihm fol-
gende Disputation bedeuten in der Tat eine
reinigende Klärung längst peinlich empfundener
Wirrnis. Es war ein inneres Bedürfnis unserer
modernen Bewegung, daß von weit gesehener
Plattform aus die Unzulänglichkeit bisher ge-
predigter Theorie festgestellt wurde. Zwar
wußten alle Einsichtigen es längst, daß auf die
Dauer mit den nüchternen, von jedermann leicht
zu begreifenden Zauberworten der Zweckmä-
ßigkeit, der Materialechtheit und der techni-
schen Solidität nicht gewirtschaftet werden
könne ; indeß, es fehlte an einem Bekenntnis
aus den Reihen derer, die einst selber, wenig-
stens scheinbar, jener Anschauung pflegten.
Das ist nun anders geworden, nachdem Muthe-
sius ebenso präzis wie energisch dem modernen
Wollen die Form reklamierte. Künftig sind die
rationalistischen Begriffe, mit denen einst Stil-
lüge und Minderwertigkeit vertrieben werden
mußten, nur noch Hilfsmittel im Dienste einer
höheren Wahrheit. Diese Wahrheit heißt: ar-
chitektonische Form. Es genügt also nicht,
daß ein Haus nützlich und richtig gebaut sei;
die Qualität entscheidet sich erst am optischen
Ausdruck. Mit dieser programmatischen Er-
klärung hat Muthesius der modernen Bewegung
unzweifelhaft einen bedeutsamen Dienst ge-
leistet ; der vielleicht noch höhere Einschätzung
forderte, wenn dieses Wertmaß der Form nicht
in einen schroffen Gegensatz zum malerischen
Impressionismus gestellt worden wäre. Dies
Gegeneinander verwirrt; steht es doch außer
Zweifel, daß in einem Bilde von Liebermann
weit mehr an architektonischer Form lebendig
ist, als in vielen, recht vielen Architekturen.
Muthesius hat sich wahrscheinlich durch seine
Abneigung gegen das neueste Ornament ver-
leiten lassen, die Grenzen der Künste zu ver-
schieben ; er hat einer Forderung, die der Bau-
leistung des Alltages aufzuerlegen ist, absolute
Geltung geben wollen. Er hat damit dem Willen
zur Form eine leicht zu mißbrauchende Hem-
mung in den Weg gestellt und entzog so den
nach der Kunst Hungernden wieder die Hälfte
dessen, was er ihnen zuvor gereicht. Daß solche
Einengung Gefahren birgt, bewies Theodor
Fischer, der in der Diskussion mit asketischer
Bescheidenheit die Architektur nur als Hin-
tergrund für den Menschen gelten lassen
wollte. Es dürfte sich indeß kaum verlohnen,
wegen der Neutralität eines Hintergrundes mit
Pathos nach der Form zu verlangen. Wer die
Form will, muß in dem Aufrichten von Grenz-
pfählen vorsichtig sein; andererseits freilich
muß er das Heiligtum durch unüberbrückbare
Gräben schützen. In solchem Sinne wurde
Karl Osthaus zu einer überaus wertvollen Er-
gänzung , ja zu einer Erfüllung dessen, was
Muthesius anstrebte. Er zog einen radikalen
Schnitt zwischen allem, was zur Darstellung
der Wirklichkeit und zur Erfüllung eines
Zweckes gehört, und jener mystischen Welt,
die unabhängig vom Vergänglichen nach inneren
und ewigen Gesetzen ihr Recht in sich selber
trägt. Osthaus umgrenzte unbarmherzig das
Gebiet des spezifisch Künstlerischen in dem
Chaos dessen, was man landläufig Kunst heißt.
Erzeigte, daß längst nicht alles Abgemalte, auch
nicht alles Gebaute mit der optischen Mystik
irgend etwas zu tun habe. Wie das Wort, auch
die Sprache und die Grammatik noch nicht die
Dichtung erschöpfen, vielmehr erst durch Metrik
und Rhythmus entmaterialisiert werden müssen,
so muß die Abbildung, selbst die trefflichste,
muß die Zweckmäßigkeit, selbst die vollkom-
menste, erst eine Verwandlung von Grund auf
durchmachen, um dem Bereiche der Kunst zu
nahen. Ein Landhaus kann ausgezeichnet und
vollkommen sein und braucht deshalb keines-
wegs der Kunst zu gehören; ein unsterbliches
Kunstwerk wird es oft erleiden müssen, von
dem Pionier einer zivilen Kultur als Beunruhigung
und Wildling empfunden zu werden. Darum,
wenn wirklich ein neues Zeitalter der Form
heraufsteigen soll, muß Klarheit werden über
die Grenzen, damit die Form, wenn sie nun
endlichkommt, nicht als eine Gefährdung dessen,
womit sie gar keine Beziehungen hat, bekämpft
werde. Dazu aber ist durchaus notwendig, daß
die gestaltende Produktion sich selber erkennen
lerne: ob sie mehr als Naturalismus und Zweck-
mäßigkeit , mehr als Sprache, Grammatik und
Stil sein kann und sein will. Wenn solche Selbst-
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