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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 28.1911

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Breuer, Robert: Vierte Jahres-Versammlung des "DWB"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7380#0306

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Vierte Jahres- Versammlung des D WB.

erkenntnis an Osthaus' Methodik zur Reife kam,
wurde das definitiv gewonnen, worauf Muthe-
sius zielte, als er aus der Not des Tages sich
nach der Form reckte.

Neben dieser wetterleuchtenden Diskussion
der Prinzipien brachte die Dresdner Tagung
noch mancherlei Interessantes. Zunächst waren
es zwei weitere Stellen in dem Vortrage von
Muthesius, die einen Meinungsaustausch ver-
anlaßten. Muthesius sprach davon, daß die
technischen Hochschulen den merkwürdigen
Ehrgeiz besäßen, lieber Räte vierter Klasse statt
Künstler erster Klasse auszubilden. Diese
traurige Wahrheit wurde noch im Detail er-
läutert durch den Kunsthistoriker Schmid
aus Aachen, der auf die Überlastung des Lehr-
planes verwies. Er meinte, daß die Erziehung
zum Künstler eigentlich nur eine Nebenerschei-
nung, beinahe eineZufälligkeitdesLehrbetriebes
sei. Des weiteren beklagte er den Zwang, ohne
Prüfung auf künstlerische Begabung jeden Jüng-
ling, der sich berufen glaubt, zum Architekten
drillen zu müssen. Cornelius Gurlitt schlug
vor, bei der Ausbildung einen prinzipiellen Un-
terschied zwischen Baubeamten und Architek-
ten zu machen. Der Baubeamte müsse mit der
Erhaltung dessen, was bereits steht und mit
dem gesamten Verwaltungsapparat, auch mit
der Technik vertraut, der Architekt, der, ja —
der dürfe jedenfalls kein Beamter werden.
Könnte man sich einen Malerreferendar vorstel-
len; an die Komik des Regierungs-Baumeisters
aber scheint man sich gewöhnt zu haben! Ge-
wiß, Theodor Fischer erinnerte mit Recht daran,
daß sehr viele unserer Baubeamten der mo-
dernen Bewegung außerordentliche Dienste ge-
leistet hätten; das kann nicht bestritten werden,
ändert aber wenig an der Erkenntnis von der
Notwendigkeit einer durchgreifenden Änderung
des Lehrplans und der Lehrmethode für Archi-
tekten an den technischen Hochschulen. — Ein
anderes Kapitel, das durch Muthesius aufge-
schlagen wurde, war die Kontroverse, die längst
erwartete, zwischen Heimatschutz und Werk-
bund, oder, um es allgemeingültiger zu sagen:
zwischen jener romantischen Sentimentalität,
die weiten Kreisen zum ersten Mal die Augen
für das Architektonische öffnete, und der kühlen
Logik, die, unbekümmert um populäre Agitation,
der Gegenwart dienen und das Problem der
Form lösen möchte. Es war anzunehmen, und
es ist auch gut so, daß solche Dissonanz sich
in versöhnliche Harmonie wandelte. Die Hei-
matkünstler gaben zu, manchmal zu arg im Völ-
kischen geschwelgt zu haben; die Werkbündler
bestätigten, daß es allerdings besser sei, wenn
die dörflichen Maurermeister statt taube Indivi-

dualitäten zu voltigieren, das gute Alte redlich
nachahmten. — Professor Cizek aus Wien sprach
über die Förderung der jugendlichen Gestal-
tungskraft , er demonstrierte seine Ansichten
an einer großen Reihe von Zeichnungen, Sticke-
reien und Plastiken, die durch Kinder seiner
Klasse ohne Beeinflussung geschaffen sein sollen.
Das aber ist gerade die entscheidende Frage:
ob wirklich bei diesen Arbeiten jede Beein-
flussung durch den Lehrer ausblieb. Wir sind
ja durch die Erfolge des neuen Zeichenunter-
richtes oder durch jene Klebearbeiten, wie sie
z. B. in Hamburg (durch Schüler des Professor
Cizek) gelehrt werden, an mancherlei Über-
raschungen gewöhnt; aber es ist doch kaum
möglich, daß die Kinder dort unten als Ableger
der Wiener Werkstätten geboren werden. —
Das Arons'sche Chromoskop, das durch den
Erfinder vorgeführt wurde, dürfte in der Praxis
wohl Verwendung finden. Der Apparat ermög-
licht es, Farben durch das Verhältnis zweier
Zahlen auszudrücken. Das hat natürlich seinen
großen Vorteil; man braucht dem Fabrikanten
nicht mehr durch viele Worte ein Grün oder
Rot zu beschreiben, man gibt ihm einfach die
Zahlen des Chromoskops. Vorausgesetzt bleibt
freilich, daß die Aufgabestelle die gleiche Lichtart
wie die Empfangsstelle benutzt; unklar erscheint
noch, ob die optischen Farben, die das Chro-
moskop sehen läßt, in ihrer definitiven Wirkung
identich sind mit den Pigmenten, um die es sich in
der Praxis nur handeln kann. Jedenfalls wären
Versuche mit diesem geistreichen Apparat sehr
wünschenswert. — Schließlich verdient noch
Aufmerksamkeit, was Loubier über die Qualität
des Buchbinderleders ausführte. Mit Recht ver-
wies er auf die Mängel eines erheblichen Teiles
der marktüblichen Ware: bis zum niedrigsten
Grad der Haltbarkeit gespaltenes, mit zersetzen-
den Säuren behandeltes, mit unechten Farben
gefärbtes, mit imitierenden Narben gedrucktes
Leder. Es ist allerdings schwer, zu entscheiden,
ob die Produktion solcher künstlich aufgepäp-
pelten Leder für die Verarbeitung zu billigen
Portefeuiller Waren oder dergleichen nicht ge-
stattet sein sollte; das ist in höherem Maße
eine wirtschaftliche und sozial-psychologische
als eine ästhetische Frage. Unbedingt aber
muß Leder, das für dauerhafte Bucheinbände
benutzt werden soll, in jederBeziehung einwand-
frei und schön sein. Es fordert Beachtung, daß
Loubier von entsprechenden Beschlüssen der
Lederfabrikanten berichten konnte. Verwirk-
lichen sich solche Absichten, so wäre auch da-
mit ein Stück jener Werkbundarbeit geleistet,
die im Zeichen des Ideals zahlenmäßige Werte
gewinnt. ■— robert breuer.

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