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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Riezler, Walter: Zum Geleit
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0010

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Mensch kann, verlockt von der Unrast des Geistes, abfallen von der Form. Wenn es in
der übrigen Natur Unform nur da gibt, wo die Mächte der Zerstörung und des Todes
siegen,kann dieMenschheit durch scheinbar lebendige ArbeitUnform schaffen. Sie will
es nicht und weiß es nicht, wenn sie es tut. Sie glaubt vielmehr auch dann, wenn jede
echte Schöpferkraft in ihr verkümmert ist und sie nur elende Surrogate hervorzubrin-
gen vermag, an die Lebendigkeit ihrer Geschöpfe. Es sind die Zeiten der schwersten
Krisen der menschlichenKultur,undschon mancher hat darin dieV orzeichen desnahen
Endes gesehen. Wir sind in den letzten fünfzig Jahren durch eine solche Krisis, viel-
leicht die schwerste, die dieMenschheit bisher zu überstehen hatte, hindurchgeschrit-
ten. Es war die Zeit der Auflösung, der „Entformung44, als die Menschheit alte Bin-
dungen von naturhafter Stärke zerstörte, ohne die Kraft zu haben, ähnlich lebendige
an die Stelle zu setzen, als sie der Versuchung unterlag, die unbegrenzten Möglich-
keiten der Maschine zur Schaffung unechter Formen zu mißbrauchen, nachdem eben
durch die Maschine der Mensch dem Erzeugnis seiner Hand entfremdet worden war.
Es hat den Anschein, als sei die Krisis überwunden, als besinne sich die Menschheit
wieder auf ihre natürlichen Kräfte, als komme sie zur Klarheit über den neuen Weg,
den zu schreiten ihr vom Weltgeist vorgeschrieben ist.
Am Ziele des Weges steht der neue Stil. Noch sind wir weit davon entfernt, und
jeder Versuch, mit Gewalt den Stil zu schaffen, wäre verhängnisvoll. Ja, es ist besser,
garnicht an ihn zu denken, nur hingegeben zu sein jeder einzelnen Aufgabe, für sie
die gemäße Form zu suchen, und die Kräfte des Geistes und der Phantasie nicht herr-
schen, sondern dienen zu lassen: dienen freilich keiner menschlichen Macht, sondern
der göttlichen Macht der Natur. Aus ihr kommt jede F orm, nur im Einklang mit ihr ist
es dem Menschen gegeben, Lebendiges zu schaffen, ja überhaupt wahrhaft zu leben.
Walter Riezler

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