DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARREIT
Und. so trennt auch nicht eine tiefe Kluft die Welt der Kunst von der der Sittlichkeit.
Wo Wahrheit ist, da ist auch Sittlichkeit, und wenn Form und Wesen eins sind, dann
kann der Weg, den der Formtrieb geht, dem Ziele der höchsten Verwirklichung und
Vertiefung zu, kein anderer sein als der der Sittlichkeit, deren letztes Ziel die höchste
Verwirklichung und Vertiefung menschlichenWesens und schließlich — in unerreich-
barer Ferne — die Einswerdung der Menschheit mit der göttlichen Natur ist. Das
Sittengesetz, mit dem die Menschheit die blinden Triebe in lebendige Form zu zwin-
gen sucht, ist der eine Einzelfall der großen Aufgabe, das Wesen der Welt zur höch-
sten Erfüllung zu bringen, die Kunst der andere. Jeder, der tiefer blickt, weiß, daß die
beiden Wege in einer Richtung führen.
Wenn heute wieder die Ehrlichkeit aller Arbeit gefordert wird, so ist damit das
sittliche Wesen der Kunst und aller formenden Arbfei t wohl betont, aber die Frage
nicht in ihrer ganzen Tiefe begriffen, vielmehr allzusehr auf das Gebiet alltäglicher
Moralität hinübergeleitet. Es kann eine Arbeit handwerklich ehrlich sein und doch
nicht teilhaben an der großen Formung der Natur. Nur wo der lebendige Strom, der
von der arbeitenden Hand, von der bildenden Phantasie hinunterführt bis zum Ur-
grund der Welt, an keiner Stelle unterbrochen ist, nur da ist die Arbeit im tiefsten
Sinne ehrlich, wahrhaftig und lebendig, nur da ist die Einheit zwischen Kunst und
Sittlichkeit erreicht. In dem stolzesten Werke freier schöpferischer Phantasie kann
dieser Strom, durch Willkür des Subjekts oder durch Schwächung der formenden In-
stinkte, unterbrochen sein, in dem schlichtesten Stücke rein handwerklicher Arbeit,
ja vielleicht sogar maschineller Entstehung — wenn sie nur zu lebendiger Form ge-
führt hat — kann etwas von jener formenden Urkraft wirksam sein. Und in jedem
solchen Stücke ist die Welt vollkommen.
Nur in einem ist der Zusammenhang zwischen Weit und Men schheit gelöst: nur der
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Und. so trennt auch nicht eine tiefe Kluft die Welt der Kunst von der der Sittlichkeit.
Wo Wahrheit ist, da ist auch Sittlichkeit, und wenn Form und Wesen eins sind, dann
kann der Weg, den der Formtrieb geht, dem Ziele der höchsten Verwirklichung und
Vertiefung zu, kein anderer sein als der der Sittlichkeit, deren letztes Ziel die höchste
Verwirklichung und Vertiefung menschlichenWesens und schließlich — in unerreich-
barer Ferne — die Einswerdung der Menschheit mit der göttlichen Natur ist. Das
Sittengesetz, mit dem die Menschheit die blinden Triebe in lebendige Form zu zwin-
gen sucht, ist der eine Einzelfall der großen Aufgabe, das Wesen der Welt zur höch-
sten Erfüllung zu bringen, die Kunst der andere. Jeder, der tiefer blickt, weiß, daß die
beiden Wege in einer Richtung führen.
Wenn heute wieder die Ehrlichkeit aller Arbeit gefordert wird, so ist damit das
sittliche Wesen der Kunst und aller formenden Arbfei t wohl betont, aber die Frage
nicht in ihrer ganzen Tiefe begriffen, vielmehr allzusehr auf das Gebiet alltäglicher
Moralität hinübergeleitet. Es kann eine Arbeit handwerklich ehrlich sein und doch
nicht teilhaben an der großen Formung der Natur. Nur wo der lebendige Strom, der
von der arbeitenden Hand, von der bildenden Phantasie hinunterführt bis zum Ur-
grund der Welt, an keiner Stelle unterbrochen ist, nur da ist die Arbeit im tiefsten
Sinne ehrlich, wahrhaftig und lebendig, nur da ist die Einheit zwischen Kunst und
Sittlichkeit erreicht. In dem stolzesten Werke freier schöpferischer Phantasie kann
dieser Strom, durch Willkür des Subjekts oder durch Schwächung der formenden In-
stinkte, unterbrochen sein, in dem schlichtesten Stücke rein handwerklicher Arbeit,
ja vielleicht sogar maschineller Entstehung — wenn sie nur zu lebendiger Form ge-
führt hat — kann etwas von jener formenden Urkraft wirksam sein. Und in jedem
solchen Stücke ist die Welt vollkommen.
Nur in einem ist der Zusammenhang zwischen Weit und Men schheit gelöst: nur der
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