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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Behrens, Peter: Stil?
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0012

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
den, auf ein widersprach volles Durcheinander. Wirerkennen die bedeutenden Leistungendes Bauingenieurs,
sehen daneben aber die moderne Großstadtarchitektur in ihrer ganzen epigonenhaften Unbedeutendheit.
Die schnittige Linie unserer Verkehrsmittel überrascht uns immer wieder von neuem, aber der Inhalt
der Läden mit allgemeiner Gebrauchsware, den Erzeugnissen der Industrie, zeigt uns einen Tiefstand,
wie er niedriger nicht gedacht werden kann.
So mag es kommen, daß gerade die Geistigen unserer Zeit die Technik als das Mittel und den Aus-
druck eines rechnerischen, analytischen, kapitalistisch-imperialistischenZeitalters ansehen und sich zurück-
flüchten möchten in ferne Länder und Zeiten mit einer Kunst der Verinnerlichung und seelischer Ein-
falt. Ihnen hat die Maschine das Seelische des Werkes und des Werkschaffens ganz zerstört. Ihnen sagt
ein Ahnen, unsere technische und materielle Zivilisation sei ihrem Höhepunkt nahe, und ein Umwenden
zu seelischen und kulturellen Werten läge im Schicksal der Zukunft.
Hier liegt der Ausschlag nach der anderen Seite. In beiden Fällen, beim Ingenieur wie beim Empfind-
samen, ein Verzicht auf Teilnahme am Gesamtinhalt unseres Welterlebens.
Ernsthaft wird niemand auf die Ergebnisse der modernen Technik verzichten wollen. Wir benötigen
sie heute mehr denn je und zwar in den besten und billigsten Formen. Gerade weil wir wirtschaftlich
darniederliegen, müssen wir unser Leben einfacher, praktischer, übersichtlicher, umfassender gestalten.
Alles dieses kann nur von der Industrie erhofft werden. Sie allein kann uns aus unserer wirtschaftlichen
Misere retten. Aber auch jene haben recht, die sich ihr Leben nicht zerteilen lassen wollen in Geistig-
keit und Mechanisierung. Darum ist es eine Frage von historischer Bedeutung, ob es der Technik ge-
lingt, sich von ihrem Selbstzweck zu befreien, um dagegen zum Mittel und Ausdruck einer Kultur zu werden.
Wie aber wird dies geschehen? Sicher nicht durch ästhetische Beeinflußung der industriellen Auf-
gaben, nicht durch Addition von zwei wesensfremden Gebieten. Die Erkenntnis von der erhofften höheren
Bedeutung der Technik ist allein Sache der Gesinnung. Wenn jene nicht recht haben, die glauben, daß
unsere Zeit das Ende der technischen Entwicklung zeige, sondern Vorbote sei für eine kommende
Periode nur seelischer Verinnerlichung, dann wird es sich ja zeigen, ob die Technik weiß, daß Macht
verpflichtet, und den hinlänglichen Wert auf ihre Erscheinung legen will, wie es jede Macht, sei es
Kirche öder König, stets getan hat. Denn auf die Dauer kann nichts Zusammenhangloses sein Dasein
behaupten. Darum ist auch die Frage überflüssig, wer bei Eisenbauten und Dingen industrieller Erzeu-
gung der Urheber sein soll, ob der Ingenieur oder der Architekt den Vorrang habe. Hier wie überall,
wo es sich um organisatorische Kunst handelt, ist es Sache der Arbeitsgemeinschaft. Wie bewährt diese
Arbeitsart ist, zeigt doch eine Anzahl bereits entstandener guter Bauten dieser Art, die zugleich die Hoff-
nung geben, daß unsere Sehnsucht nach Synthese von künstlerischem Können und technischer Tüch-
tigkeit sich wohl erfüllen könnte.
Wenn wir darum nicht an einen Niedergang, sondern gerade an die Evolution der Technik glauben,
so könnten wir doch fürchten, daß sich unsere freie Kunst ganz im Atelier- und Mäzenateninteresse ver-
löre. Unsere Zeit ist zwar reich an Begabungen, ein neues Kunstwollen kündigt sich vernehmlich an,
aber auch ihre Ergebnisse treten noch nicht aus den Fachkreisen heraus, werden nicht zu Teilen einer
höheren Universalität.
Die junge Kunst erscheint uns Abbau, absichtliches Formzertrümmern. Es gilt nicht mehr, was bis-
her Harmonie hieß und Proportion, weder des Aufbaus, noch der Form, noch der Farbe. So scheint es,
als ob für das Schöne das Häßliche aufträte. Wer aber will sagen, was Schönheit sei? Wenn etwas relativ
ist, so ist es dieser Begriff, der sich ändert und geändert hat mit jeder Generation. Wir können nur
zu verstehen suchen, in welchem größeren Zusammenhang die einzelnen Erscheinungen stehen. Und

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