DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
gel, Kugeln, Ellipsen in hellerem und dunklerem Blau, Rot und Grün. Sie zucken auf, wachsen, bewe-
gen sich rhythmisch kämpfend gegeneinander und verschwinden. Man kann es gemalte Musik nennen,
ähnlich wie man von der Architektur sagt, daß sie gefrorene Musik sei. Ruttmann hat mit diesem
Werk eine Tat getan, wenn es auch nur erst eine einfache Hirtenmelodie ist, die er auf der Pansflöte
spielt. Doch nichts steht im Wege, daß nach dieser einfachen Hirten weise bei wachsender Beherrschung
der Technik nach und nach sich eine vielklängige Symphonie formt.
Diebold beschäftigt sich in einem Aufsatz: „Über die künstlerischen Möglichkeiten im Lichtspiel“
eingehend mit dem Ruttmann’schen Werk. Er glaubt, das Criterium für die Ungeistigkeit und Un-
kunst des Films darin gefunden zu haben, daß der Aufnahmetechniker die Natur aufnimmt, ohne sie
künstlerisch bändigen zu können. Das Rauschen des Windes in den Bäumen könne er nicht meistern
und aus dem Bild herausschaffen, selbst wenn es nicht organisch zum Ganzen sich fügen wolle. Ganze
Bändigung, vollständige Gestaltung der Natur sei aber das Wesen der Kunst. So kommt Diebold zu
dem Schlüsse, daß nur der gemalte Film eine künstlerische Zukunft habe.
Der Kern seines Gedankens ist richtig. Die Anwendung hat Lücken.
Zweifellos ist die „photographische Natur“, wie sie grobschlächtig von einigen selbstbewußten Tech-
nikern als die einzig mögliche Art des Lichtspiels ausgegeben wird, kein Weg zur Kunst. Doch selbst
der grobschlächtigste Techniker, Regisseur und Operateur, sucht die Natur, die er als Hintergrund zu
seiner Handlung braucht, in einen Zusammenklang mit dieser Handlung zu bringen. Er wird die Auf-
nahme verschieben, wenn das Wehen des Windes nicht in die Stimmung paßt und wird den Augen-
blick abwarten, der für seine Zwecke am günstigsten ist.
Das ist allerdings ein höchst unvollkommener Notbehelf. Und deshalb hat zuerst Amerika, das zwar
nicht in der Filmkunst, jedoch in der Filmtechnik an der Spitze marschiert, sich unabhängig gemacht
von Regen, Sturm und Sonne. Seine guten Filme werden bei künstlichem Licht im Atelier aufgenom-
men. Und wir tun dasselbe, obzwar noch unter teilweise unzulänglicheren technischen Voraussetzungen.
Damit ist der Regisseur genau so gut Meister dieses wichtigsten Mittels zu seinem Zweck wie der Re-
gisseur auf dem Theater.
Bändigung und Meisterung der Mittel und der Technik erfordert das Kunstwerk. Das erreichen wir
aber im Lichtspiel nicht nur durch Malen, sondern auch durch Bauen. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ist
in dieser Art der Beschränkung auf Mittel, die einer vollkommenen Meisterung durch den Künstler
unterliegen, ebenso eine Pioniertat und ein Musterbeispiel, wie der gemalte Film Ruttmanns es für
seine Gattung ist. Und es ist schade, daß dieser Film, dessen Entstehung schon mehr als 2 Jahre zurück-
liegt, noch keinen würdigen Nachfolger, der ihn überträfe, gefunden hat.
Wegener, der Altmeister und verdienstvolle Pionier des Lichtspiels, der in seinem „Studenten von
Prag“ die Möglichkeiten der Camera wirksam nutzte und der in seinen Spielen von „Rübezahl“ und
dem „Rattenfänger von Hameln“ die naive Heiterkeit und Tragik des Volksmärchens — wenn auch
nicht ganz ohne fremden Beigeschmack — wieder gab, versuchte, in etwas anderer Richtung, das „Ca-
binet des Dr. Caligari“ zu übertreffen. Mit Poelzig als Architekten schuf er seinen zweiten „Golem“.
Aber sei es, daß der zweite Aufguß auch des besten Tees niemals dem ersten gleichkommt, oder seien
es andere Gründe, genug, es wurde zwar ein tüchtiger und beachtenswerter Film geschaffen, aber seine
Wirkung übertraf keinesfalls die des „Cabinet des Dr. Caligari“; ja, die Glücklichen, die noch den ersten
„Golem“ gesehen hatten, versicherten mir, er wäre stärker gewesen als dieser zweite. Ich selbst kann
diese Behauptung auf ihre Beweiskraft nicht nachprüfen. Denn der erste „Golem“ ist leider unauffind-
bar verschollen.
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gel, Kugeln, Ellipsen in hellerem und dunklerem Blau, Rot und Grün. Sie zucken auf, wachsen, bewe-
gen sich rhythmisch kämpfend gegeneinander und verschwinden. Man kann es gemalte Musik nennen,
ähnlich wie man von der Architektur sagt, daß sie gefrorene Musik sei. Ruttmann hat mit diesem
Werk eine Tat getan, wenn es auch nur erst eine einfache Hirtenmelodie ist, die er auf der Pansflöte
spielt. Doch nichts steht im Wege, daß nach dieser einfachen Hirten weise bei wachsender Beherrschung
der Technik nach und nach sich eine vielklängige Symphonie formt.
Diebold beschäftigt sich in einem Aufsatz: „Über die künstlerischen Möglichkeiten im Lichtspiel“
eingehend mit dem Ruttmann’schen Werk. Er glaubt, das Criterium für die Ungeistigkeit und Un-
kunst des Films darin gefunden zu haben, daß der Aufnahmetechniker die Natur aufnimmt, ohne sie
künstlerisch bändigen zu können. Das Rauschen des Windes in den Bäumen könne er nicht meistern
und aus dem Bild herausschaffen, selbst wenn es nicht organisch zum Ganzen sich fügen wolle. Ganze
Bändigung, vollständige Gestaltung der Natur sei aber das Wesen der Kunst. So kommt Diebold zu
dem Schlüsse, daß nur der gemalte Film eine künstlerische Zukunft habe.
Der Kern seines Gedankens ist richtig. Die Anwendung hat Lücken.
Zweifellos ist die „photographische Natur“, wie sie grobschlächtig von einigen selbstbewußten Tech-
nikern als die einzig mögliche Art des Lichtspiels ausgegeben wird, kein Weg zur Kunst. Doch selbst
der grobschlächtigste Techniker, Regisseur und Operateur, sucht die Natur, die er als Hintergrund zu
seiner Handlung braucht, in einen Zusammenklang mit dieser Handlung zu bringen. Er wird die Auf-
nahme verschieben, wenn das Wehen des Windes nicht in die Stimmung paßt und wird den Augen-
blick abwarten, der für seine Zwecke am günstigsten ist.
Das ist allerdings ein höchst unvollkommener Notbehelf. Und deshalb hat zuerst Amerika, das zwar
nicht in der Filmkunst, jedoch in der Filmtechnik an der Spitze marschiert, sich unabhängig gemacht
von Regen, Sturm und Sonne. Seine guten Filme werden bei künstlichem Licht im Atelier aufgenom-
men. Und wir tun dasselbe, obzwar noch unter teilweise unzulänglicheren technischen Voraussetzungen.
Damit ist der Regisseur genau so gut Meister dieses wichtigsten Mittels zu seinem Zweck wie der Re-
gisseur auf dem Theater.
Bändigung und Meisterung der Mittel und der Technik erfordert das Kunstwerk. Das erreichen wir
aber im Lichtspiel nicht nur durch Malen, sondern auch durch Bauen. „Das Cabinet des Dr. Caligari“ ist
in dieser Art der Beschränkung auf Mittel, die einer vollkommenen Meisterung durch den Künstler
unterliegen, ebenso eine Pioniertat und ein Musterbeispiel, wie der gemalte Film Ruttmanns es für
seine Gattung ist. Und es ist schade, daß dieser Film, dessen Entstehung schon mehr als 2 Jahre zurück-
liegt, noch keinen würdigen Nachfolger, der ihn überträfe, gefunden hat.
Wegener, der Altmeister und verdienstvolle Pionier des Lichtspiels, der in seinem „Studenten von
Prag“ die Möglichkeiten der Camera wirksam nutzte und der in seinen Spielen von „Rübezahl“ und
dem „Rattenfänger von Hameln“ die naive Heiterkeit und Tragik des Volksmärchens — wenn auch
nicht ganz ohne fremden Beigeschmack — wieder gab, versuchte, in etwas anderer Richtung, das „Ca-
binet des Dr. Caligari“ zu übertreffen. Mit Poelzig als Architekten schuf er seinen zweiten „Golem“.
Aber sei es, daß der zweite Aufguß auch des besten Tees niemals dem ersten gleichkommt, oder seien
es andere Gründe, genug, es wurde zwar ein tüchtiger und beachtenswerter Film geschaffen, aber seine
Wirkung übertraf keinesfalls die des „Cabinet des Dr. Caligari“; ja, die Glücklichen, die noch den ersten
„Golem“ gesehen hatten, versicherten mir, er wäre stärker gewesen als dieser zweite. Ich selbst kann
diese Behauptung auf ihre Beweiskraft nicht nachprüfen. Denn der erste „Golem“ ist leider unauffind-
bar verschollen.
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