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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Pauli, Franz: Zum Formproblem des Lichtspiels
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0156

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DIE FORM/MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
Im „Müden Tod“, der an Ausmaß den „Golem“ und das „Cabinet des Dr. Caligari“ nicht ganz er-
reicht, ist, allerdings in beschränkterem Rahmen, hier und dort eine größere Einheitlichkeit zwischen
Dekoration und Schauspielern erreicht. Das beruht nicht zuletzt darauf, daß der Regisseur Fritz Lang
ursprünglich Maler war.
Ein anderer Maler, Paul Leni, hat sich gleichfalls als Regisseur versucht. Bei ihm war das Ergebnis,
daß zwar die Bildwirkung vorzüglich war, daß aber der dramatische Schwung der Handlung nicht in
einer großen sorgfältig abgemessenen Linie, die den Zuschauer unwiderstehlich zwingt, verlief.
Das ist aber die wesentliche Aufgabe für den Regisseur. Wie bei einer Symphonie, einer Architektur,
muß er aus den Formeinzelheiten das Ganze zusammenkomponieren. Er ist Komponist und Dirigent,
der Takt und Rhythmus anzugeben hat. Bringt er nur schöne Einzelheiten, fehlt ihm jedoch die Ga-
be, das Ganze zusammenzuzwingen, so geht man mit dem Gefühl nach Hause, daß wieder einmal, wie
es meist der Fall ist, viel Mühe unnütz vertan wurde.
Außer dem Regisseur und dem Architekten kommt für das Gelingen eines Films, wenn man von
der mehr technischen Aufgabe des Operateurs absieht, die Arbeit des Manuskriptschreibers in Frage.
Über diesen Punkt ist von literarischer Seite ein heftiger Kampf gegen die Regisseure entbrannt.
Die Literaten sagen, das Manuskript sei der Anfang aller Dinge im Lichtspiel. Womit sie ohne Zweifel
Recht haben. Aber es ist nicht das Ende aller Dinge. Und darauf kommt es an.
Es steht fest, daß dem Filmmanuskript ein literarischer Eigenwert, wie er dem Drama oder der No-
velle etwa wesentlich ist, nicht zukommt. Das Drama behält die Kraft des Logos, ob es auf einer guten
Bühne oder in Kyritz an der Knatter aufgeführt wird. Vom Filmmanuskript bleiben nur die sogenann-
ten Titel oder Zwischentexte, die doch nur einen problematischen Wert beanspruchen dürfen. Das Bild
muß alles, was durch das Wort als Grundriß aufgezeichnet war, transformiert haben.
Eine Vergleichung wäre mit dem Grundriß und Entwurf des Architekten anzustellen. Das eigent-
liche Werk ist das Gebäude, hinter dem die Vorlage bescheiden zurücktreten muß. Und ebenso ist das
Verhältnis zwischen Manuskript und Lichtspiel. Selbstverständlich kann eine Vorlage und ein Ma-
nuskript besser oder schlechter sein. Ein guter Kern muß schon darin stecken, soll endlich und schließ-
lich aus dem Ganzen etwas werden. Aber mit dieser Anerkennung ist auch dem geistigen Rechtsan-
spruch des Manuskriptschreibers, der seinen Bereich kennt, vollkommen Genüge getan.
Diese Einschränkung nimmt ihm nämlich nichts von dem Wert seiner Aufgabe. Er muß sorgfältig
messend und prüfend im Entwurf schon die große Linie abstecken, die der Regisseur nachher bildlich zu
gestalten hat. Er muß Blut und Leben den Personen einhauchen, die vom Schauspieler interpretiert werden.
Der Regisseur aber hat, kongenial dem Bearbeiter seines guten Manuskripts, die letzte entscheidende
Arbeit zu tun. Er ist der eigentliche Schöpfer des Werks. In seiner Hand laufen alle einzelnen Fäden
zusammen. Mit seinem Manuskriptschreiber, mit seinem Architekten, mit seinen Schauspielern und
mit seinem Operateur als Elementen muß er es verstehen, die Form zu schaffen, die das Werk ent-
weder trotz mancher Einzelvorzüge als Eintagsfliege schnell in dem Orkus versinken läßt oder aber die
ihr als vollendete Einheit einen Anspruch auf Wirkung als ernsthaftes Kunstwerk verschafft.
Das ist eine Aufgabe, die weit über den geistigen Rechtsanspruch des Regisseurs auf dem Theater
hinausragt. Nur der geniale Regisseur wird uns, in der nahen oder fernen Zukunft, den Film als Kunst-
werk, voll Blut und Leben, gestaltet in der überzeugenden Einheit der Form, schenken.
Er allein ist der Befreier aus Chaos und Barbarei im Lichtspiel.
Heft 4 wird das Thema „Religiöse Kunst“, Heft 5 die „Mode“, Heft 6 den „Verkehr“ behandeln.

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