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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 1.1922

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Hoff, August: Aufgaben heutiger kirchlicher Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.17995#0214

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DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT

Aufgaben heutiger kirchlicher Kunst
von Dr. August Hoff
TA em materiellen Leben allein, dem Verkehr, dem Handel, der Industrie, sowie dem bürgerlichen Leben
Form und Ausdruck zu geben; gute Fabriken, Warenhäuser, Brücken, Automobile, Klubzimmer zu
fertigen; aber schlechte Kirchen, Altäre, Meßgewänder herzustellen,das widerspricht eigentlicher Kultur
An ihre höchste Aufgabe, an die Sinndeutung des Daseins, des Lebens in Zusammenhang mit überzeit-
lichen und übernatürlichen Ideen und deren formale Herausstellung muß jede Zeit ihre besten Kräfte
setzen: an die Herausarbeitung des menschlichen Verhältnisses zum göttlichen Sein. Dieses Verhältnis
wird durch die Kunst überaus anschaulich begriffen, in seinem eigentlichen Wesen erfaßt; nicht die ratio-
nale Einstellung, sondern die Verwurzelung des ganzen Lebensgefühles, des ganzen seelischen Seins wird
sichtbare Form. Die Form, nicht der stoffliche Inhalt wTird so das Entscheidende; in der Form steckt der
Gehalt. Das literarische Bildmotiv, die Zweckbestimmung des Baues dienen nur als Kristallisationspunkte
der inneren Schwingungen. Religiöse Kunst ist das Sichtbarwerden der tatsächlichen Beziehung von
Künstlern, Menschen, Völkern, Zeiten zur göttlichen Idee. Die Vielfältigkeit dieser Beziehungen ist eine
unerhörte, unfaßbare Bereicherung des Gottesbegriffes.
Religiöse Kunst wird christlich, wenn der Inhalt der christlichen Glaubenslehre, der christlichen Glaubens-
geschichte, des christlichen Gottesdienstes künstlerisch geformt wird. Die auf den allgemeinen Ausdruck
übernatürlicher und überzeitlicher Wirklichkeit eingestellte religiöse Kunst bekommt also eine bestimmte
Bindung, einen bestimmten Gehalt mit ganzen Komplexen von Gedanken, Gefühlen, mit einer ganzen
geistigen Atmosphäre. Die Inhalte werden zunächst in der Einzelseele lebendig, erhalten eine einmalige
Ansicht. Ein christliches Kunstwerk ist wie ein jedes ein Bekenntnis eines Einzelnen über sein persön-
liches Erlebnis. Nach Zeit und Veranlagung begreift das Individuum diese Inhalte in Andacht, Versunken-
heit, Hingebung, leidenschaftlicher Hinwendung zu Gott bis zur Ekstase; es begreift endlich das Un-
begreifliche, schaut das Unschaubare plastisch: Mystik.
Christliche Kunst wird kirchlich, wenn das einzelpersönliche Erlebnis innerhalb der von der realisier-
ten Kirche vertretenen Anschauung liegt, wenn es von dem Gefühl der Allgemeingültigkeit getragen
ist, wenn es die Anschauung der Gemeinde erfaßt, vertieft, bildet. Es braucht nicht von allen und sogleich
verstanden zu werden; es muß aber in sich den inneren Weg der Gemeinde fortsetzen. Der Künstler
fühlt sich als Glied, als Dienender der Gemeinschaft, er ist getragen von dem Erlebnis aller, atmet die
gemeinsame geistige Atmosphäre. Seine Persönlichkeit steckt nicht minder in dem kirchlichen Werk wie
in der einzelpersönlichen Konfession, aber verallgemeinert, objektiviert. Als Verfasser tritt er hinter dem
Geschaffenen weiter zurück.
Jene großen Anonymen der ersten christlichen Jahrhunderte bis tief in das Mittelalter hinein ver-
körpern die kirchliche Kunstidee, damit die Idee der Kirche, am tiefsten, reinsten. Die Individualisierung,
die dann einsetzt, die die Persönlichkeit aus der Gemeinschaft aussondert, absondert, zerstört die Einheit
der Kirchen wie die kirchliche Monumentalkunst, verlegt den Schwerpunkt von der kirchlichen Lehr-
autorität in das Gewissen des Einzelnen, nimmt dem christlichen Inhalte die Weltweite, die Allgemein-

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