DIE FORM / MONATSSCHRIFT FÜR GESTALTENDE ARBEIT
gültigkeit, dem Kunstwerk die Größe. Was der Kirche verloren geht, kommt zunächst dem Einzelnen
zugute. Was an Monumentalität des Kunstwerkes eingebüßt wird, wird an Intimität, an Intensität der
Auseinandersetzung, an innerer Spannung wieder hereingeholt. Der auf sich angewiesene Mensch suchte
im Menschlichen die göttliche Idee zu begreifen. Er kommt sich selbst und der Natur näher; aber er
sieht schließlich nur noch sich selbst und nur noch Natur bis zu jenem kritischen Augenblick, der nicht
weit hinter uns liegt, wo der vereinzelte und vereinsamte Mensch sein Alleinsein nicht mehr erträgt
und nach Gemeinschaft dürstet. Die Individualisierung hebt sich selbst auf, und der Mensch strebt aus
innerer Not zurück in die Gemeinschaft.
Auf diesem Wege gibt es Schwankungen, Aufenthalte; zuletzt war die Romantik eine Episode, in der
man schwärmerisch eine Gemeinschaft, eine weltanschauliche Verbundenheit, eine Monumentalkunst
gegen die Zeittendenz suchte. Aber zu dieser Erfüllung war die Stunde noch nicht gekommen. Erst
mußte die Persönlichkeitsidee zu Ende gedacht werden, mußte in Nietzsche ihre letzte furchtbare Größe
erkennen. Gerade er wies leidenschaftlich über die Persönlichkeit hinaus, nur lag der Fortgang in einer
anderen Richtung, als er sie aufzeigte. Erst mußte das impressionistische, realistische Kunstschaffen das
Lebensgefühl der Naturnähe, der Diesseitsbefangenheit, der bürgerlichen Kleinheit bis zur äußersten
Verfeinerung führen. Dann erst konnte die Verpflichtung zu innerer Bindung, weltanschaulicher Ab-
straktion, zur höheren Sinndeutung der Dinge und des inneren und äußeren Lebens begriffen werden.
Dann erst äußerte sich das neue Lebensgefühl in der neuen Kunstform. Die Verfestigung der impressio-
nistisch aufgelösten künstlerischen Ausdrucksmittel, eine neue bewußte lineare und flächige Komposition,
ein neues Raumerleben, das Wiedererwachen tektonischen und architektonischen Strebens, das sind die
Äußerungsformen eines auf Synthese gerichteten Kunst- und Kultur willens. Dieser Geist sehnt sich nach
neuer Gemeinschaft in Gesellschaft, Staat, Welt. Die Industriebauten, Fabriken, Warenhäuser sind Denk-
mäler des neuen Gemeinschaftsbewußtseins. In seinem Dienste steht die Bildkunst, die Räumen und
Menschen Charakter geben, nicht mehr genießerisches Schmuckstück sein will.
War im impressionistischen Kunstschaffen kein Raum für ein religiöses Kunstwerk gewesen; war
Daumier’s Ecce Homo im Folkwang ein einsamer, erschütternder, gewaltiger aber ungehörter Hin-
weis auf Christus in seiner Zeit gewesen; so wird an der Schwelle schon der neuen Kunst, die die ganze
innere Erfahrung, die innere Wirklichkeit wieder in ihre Rechte einsetzt, das religiöse Kunstwerk mög-
lich, notwendig. Die leidenschaftlichen Gottsucher von van Gogh bis zu Nolde geben zwar noch einzel-
persönliche Konfessionen; aber es ist ein Ernst und eine selbstlose Hingabe an die Inhalte, daß das Ahnen
von ewiger Gesetzlichkeit, des Absoluten und Gültigen hineindringt. Es sind noch keine Gemeindebilder;
aber sie sind aus der genießerischen, gesellschaftlichen, kleinbürgerlichen Unfreiheit erlöst und in den
Dienst einer höheren, einer eigenen Notwendigkeit gestellt. Es geht nicht um bloße religiöse Gestimmt-
heit, es geht um Deutung, um Symbolisierung der Inhalte.
Die Sehnsucht nach dem Symbol, nach einer Kurzschrift für von allen Verstandenes, nach Vergeisti-
gung durch Abstraktion ist mit dem Symbolismus der neunziger Jahre noch stetig gewachsen, nur
die Mittel und Wege wurden andere. Damals erwachte unser neues architektonisches Streben, und
wieviel für die religiöse Kunst gewonnen wurde, beweisen schon die Namen der Toorop, Minne,
Thorn-Prikker. Es ging der Ruf nach dem Monument durch die Ateliers und Rodins Ruf nach der
Kathedrale. Überall derselbe Keim, dasselbe Ahnen, dieselbe Sehnsucht, derselbe Aufbruch nach dem
gleichen Ziel einer großen religiösen Gemeinschaftskunst, nach dem Sakralkunstwerk.
Auch der Beuroner Versuch ist für uns hier ein solches Symptom. Pater Desiderius Lenz und seine
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gültigkeit, dem Kunstwerk die Größe. Was der Kirche verloren geht, kommt zunächst dem Einzelnen
zugute. Was an Monumentalität des Kunstwerkes eingebüßt wird, wird an Intimität, an Intensität der
Auseinandersetzung, an innerer Spannung wieder hereingeholt. Der auf sich angewiesene Mensch suchte
im Menschlichen die göttliche Idee zu begreifen. Er kommt sich selbst und der Natur näher; aber er
sieht schließlich nur noch sich selbst und nur noch Natur bis zu jenem kritischen Augenblick, der nicht
weit hinter uns liegt, wo der vereinzelte und vereinsamte Mensch sein Alleinsein nicht mehr erträgt
und nach Gemeinschaft dürstet. Die Individualisierung hebt sich selbst auf, und der Mensch strebt aus
innerer Not zurück in die Gemeinschaft.
Auf diesem Wege gibt es Schwankungen, Aufenthalte; zuletzt war die Romantik eine Episode, in der
man schwärmerisch eine Gemeinschaft, eine weltanschauliche Verbundenheit, eine Monumentalkunst
gegen die Zeittendenz suchte. Aber zu dieser Erfüllung war die Stunde noch nicht gekommen. Erst
mußte die Persönlichkeitsidee zu Ende gedacht werden, mußte in Nietzsche ihre letzte furchtbare Größe
erkennen. Gerade er wies leidenschaftlich über die Persönlichkeit hinaus, nur lag der Fortgang in einer
anderen Richtung, als er sie aufzeigte. Erst mußte das impressionistische, realistische Kunstschaffen das
Lebensgefühl der Naturnähe, der Diesseitsbefangenheit, der bürgerlichen Kleinheit bis zur äußersten
Verfeinerung führen. Dann erst konnte die Verpflichtung zu innerer Bindung, weltanschaulicher Ab-
straktion, zur höheren Sinndeutung der Dinge und des inneren und äußeren Lebens begriffen werden.
Dann erst äußerte sich das neue Lebensgefühl in der neuen Kunstform. Die Verfestigung der impressio-
nistisch aufgelösten künstlerischen Ausdrucksmittel, eine neue bewußte lineare und flächige Komposition,
ein neues Raumerleben, das Wiedererwachen tektonischen und architektonischen Strebens, das sind die
Äußerungsformen eines auf Synthese gerichteten Kunst- und Kultur willens. Dieser Geist sehnt sich nach
neuer Gemeinschaft in Gesellschaft, Staat, Welt. Die Industriebauten, Fabriken, Warenhäuser sind Denk-
mäler des neuen Gemeinschaftsbewußtseins. In seinem Dienste steht die Bildkunst, die Räumen und
Menschen Charakter geben, nicht mehr genießerisches Schmuckstück sein will.
War im impressionistischen Kunstschaffen kein Raum für ein religiöses Kunstwerk gewesen; war
Daumier’s Ecce Homo im Folkwang ein einsamer, erschütternder, gewaltiger aber ungehörter Hin-
weis auf Christus in seiner Zeit gewesen; so wird an der Schwelle schon der neuen Kunst, die die ganze
innere Erfahrung, die innere Wirklichkeit wieder in ihre Rechte einsetzt, das religiöse Kunstwerk mög-
lich, notwendig. Die leidenschaftlichen Gottsucher von van Gogh bis zu Nolde geben zwar noch einzel-
persönliche Konfessionen; aber es ist ein Ernst und eine selbstlose Hingabe an die Inhalte, daß das Ahnen
von ewiger Gesetzlichkeit, des Absoluten und Gültigen hineindringt. Es sind noch keine Gemeindebilder;
aber sie sind aus der genießerischen, gesellschaftlichen, kleinbürgerlichen Unfreiheit erlöst und in den
Dienst einer höheren, einer eigenen Notwendigkeit gestellt. Es geht nicht um bloße religiöse Gestimmt-
heit, es geht um Deutung, um Symbolisierung der Inhalte.
Die Sehnsucht nach dem Symbol, nach einer Kurzschrift für von allen Verstandenes, nach Vergeisti-
gung durch Abstraktion ist mit dem Symbolismus der neunziger Jahre noch stetig gewachsen, nur
die Mittel und Wege wurden andere. Damals erwachte unser neues architektonisches Streben, und
wieviel für die religiöse Kunst gewonnen wurde, beweisen schon die Namen der Toorop, Minne,
Thorn-Prikker. Es ging der Ruf nach dem Monument durch die Ateliers und Rodins Ruf nach der
Kathedrale. Überall derselbe Keim, dasselbe Ahnen, dieselbe Sehnsucht, derselbe Aufbruch nach dem
gleichen Ziel einer großen religiösen Gemeinschaftskunst, nach dem Sakralkunstwerk.
Auch der Beuroner Versuch ist für uns hier ein solches Symptom. Pater Desiderius Lenz und seine
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