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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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Gonniag, ^2» Januar.

Rr. 2

Herausgeber:
Curt Kieshauer
Fernruf 18 SS

MWäMmstz-MMtW Zeitung
Zeitung für gesunde WinschaftSinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zuni
..... r»ekuend,n stupst und Handarbeiter—
Jahrgang ii9A0
—------'-

Mittelstands-Zeitung
IlnMiiWgks K»usdliii sik Ne Zuieiessei des deitsHen Nittelftttdes
SWOeiiW WM-ZeiW
Bezugspreis monatlich 0,50 Reichsmark. Bei P „
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Jnscrtionsprcis ist 10 Reichs¬
pfennig für die aebtgespaltene Millimeterzeilc oder deren
NtttzttMU V.Ä NM "i,g Zesss, -

Oie Erhöhung
-er Vermögenssteuer M29.
Von Rechtsanwalt Dr. Lüsebrink, Hagen (Wests.)

Das Reichssteuerblatt vom 31. Dezember
G29 bringt für die Vermögenssteuerpflichti-
eine kleine Neujahrsfreude, nämlich die
Verordnung über die Vermögsnssteuerveran-
'vgung für das Kalenderjahr 1929. .
Bemerkenswert find hieraus zwei Punkte:
1., Eine Hauptfeststellung der Einheits-
werte nach dem Stande vom Beginn
des 1. Januar 1929 findet nicht statt,
es bleibt also bei den Einheitswerten,
die auf den 1. Januar 1928 festgestellt
worden sind.
2. Der für das Kalenderjahr 1929 an sich
maßgebende Vermögenssteuerbetrag er-
höht sich um einen außerordentlichen
Zuschlag von 8 vom Hundert.
1. Festhalten am Eiuheitsrvert 1328.
Das Festhalten am Einheitswert 1928 be-
deutet für viele Steuerpflichtige mit Grund-
besitz eine unangenehme Ileberraschung. Be-
kanntlich wurden für die Einheitsbewertung
1928 die Einheitswerte erhöht für Grund-
stiicke. Diese Erhöhung führte zu zahlreichen
Klagen der betroffenen Steuerpflichtigen, die
H'M großen Teil berechtigt waren. Die
Landwirtschaft sowie der Haus- und Grund-
besitz machte geltend, daß die für 1928 festge-
itellten Einheitswerte der landwirtschaftlichen,
forstwirtschaftlichen und Weinbau-Betriebe
könne der zwangsbewirtschafteten Grundstücke
)Um Teil erheblich über dem wirklichen Werte
lägen.
Durch diese Erhöhung der Einheitswerte
für 1928 brachte es das Reichsfinanzministe-
Num fertig, einen Mehrbetrag von mehr als
10 Millionen Mark aus der Vermögenssteuer
herauszuziehen. Diese Summo gibt das
^eichsfinanzministerium selbst zu, während die
HauÄ und Grundbesitzerorganisationen den
Diehrsteuerbetrag schätzen auf 70 Millionen
Mark.
Obgleich also 1928 die Werte des in Frage
kommenden Grundbesitzes nicht entsprechend
gestiegen waren, schraubte das Reichsfinanz-
drinisterium die Einheitswerte höher, um eine
Dkehrsteuer herauspressen zu können. Die Er-
höhung der Einheitswerte führte zu einem
solch' heftigen Widerspruch und das hierdurch
zahlreichen Steuerpflichtigen geschehene Un-
recht war so kraß, daß selbst das Rsichsfinanz-
kninisterium einlenkte. In einem Erlaß vom
22. Akai 1929 (S. 3340—2244) mitgeteilt im
Reichssieuerblatt 1929 Seite 291 ordnete des-
halb der Reichsfinanzminister einige Billig-
keitsmaßnaymen an für den betroffenen
Grundbesitz, d. h. Landwirtschaft, Forstwirt-
schaft und den Weinbau sowie für den Haus-
Und Grundbesitz.
li. Erhöhung der Vermögenssteuer
um 8 vom Hundert.
Nicht genug damit, daß man an den
künstlich erhöhten Einheitswerten festhält,
Man geht auch noch dazu über, die Vermö-
genssteuer um einen außerordentlichen Zu-
schlag von 8 Prozent zu erhöhen. Diese Er-
höhung hat man bereingeschmuggelt in den
89 des Gesetzes über die Feststellung des
Reichshaushaltsplanes für das Rechnungsjahr
1929 (Reichsgesetzblatt II, Seite 443). Das
ist doch eine recht sonderbare Gesetzgebung.
Mer sucht denn in einem derartigen Gesetz
eine Bestimmung über die Erhöhung der Ver-
mögenssteuer! Viele Steuerpflichtige werden
deshalb bis jetzt noch nicht darüber unter-
richtet sein, daß man die Vermögenssteuer er-
höht hat.
Statt Ausgabeusenkuug — Erhöhung der
Lasten. Bekanntlich sind die Beiträge zur

Erwerbslosenoersicherung um 14 Prozent er-
höht. Man hat weiter die Tabaksteuer er-
höht. Man hört von Plänen, die Angestell-
tenversicherung weiter auszubauen. Die
Kommunen des Ennepe-Ruhr-Kreises planen
eine Vesitzwechselabgabe von 5 Prozent des
Wertes, wenn mit Grundstücken zugleich be-
wegliche Habe verkauft wird. Die Stadt
Dortmund hat den Kommunalen Zuschlag zur
staatlichen Grundvermögenssteuer ab 1. Jan.
1930 auf 300 Prozent erhöht. So geht das
lustig weiter: Totentanz?!
Es wird toller und immer toller! Der
prächtige Faustschlag des Reichsbankprästden-
ten Schacht ist schon wieder vergessen. Alles
ist bereits wieder in Lethargie versunken.
Soll etwa der greise Kämpe Kirdorfs, der Ne-
stor les deutschen Steinkohlenbergbaus, Reckt
behalten mit seiner Neujahrsvoraussage 1930
in der Bergisch-Märkischen Zeitung Elberfeld
mit den Worten: „Das deutsche Volk hat nach
dem Zusammenbruch gänzlich versagt und ist
nun rettungslos dem Untergang verfallen.«
Es wird allerhöchste Zeit, mit dem Partei-
wahnsinn und der Klüngelwirtschaft radikal
Schluß zu machen, ebenso mit der sozialistisch-
bolschewikischen Mißwirtschaft. Die sämtlichen
Ausgaben von Reich, Länder und Gemeinden
müssen sofort und durchgreifend gesenkt wer-
den, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um soge-
nannte „zwangsläufige" Ausgaben handelt
oder ob auch einmal „wohlerworhene Rechte"
angetastet werden. In erster Linie kommt
immer das Recht des Einzelnen und das Recht
des Gemeinwesens auf nackte Existenz. Diese
nackte Existenz — des Einzelnen wie der Ge-
meinwesen — ist heute aufs stärkste bedroht.
Wir müssen uns nur darüber klar sein,
daß eine Aenderung von unseren heutigen
Regenten nicht zu erhoffen ist. Wer erfolg-
reich handeln will, muß über Energie, über
Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Heute
regieren die Alten, denen es an der nötigen
Energie fehlt. Auf der andern Seite stehen
die ganz Jungen. Ihnen fehlen Kenntnisse
und insbesondere Erfahrung. Die Kriegs-
generation ist bis jetzt im politischen Leben
ausgeschaltet. Die Kriegsgeneration muß an
die Front? Tyll versteht unter Kriegsgenera-
tion die Menschen, die zwischen 1883 und
1900 geboren sind. Tyll sagt in seinem Auf-
satz: „Die Kriegsqeneration von der Entschei-
dung" (Rheinisch-Westfälische Zeitung Nr. 1
vom 1. Januar 1930) mit Recht: „So scheint
die Stunde nahe, da die Kriegsgeneration
mit der ganze« Wucht ihres kampferprobten
Willens, mit der Nüchternheit ihrer harten
Erfahrung, mit der Tiefe ihrer weltanschau-
lichen Problematik zur führenden Gestaltung
der deutschen Gesellschaft und des deutschen
Staates berufen ist.«
Die Kriegsgencratiori an die Front!
-tc
Wer lebt von der öffentlichen
Sand?
Zahle« — die zu denken gebe«.
Nach den neuesten Veröffentlichungen von
amtlicher Seite befassen sich in Deutschland
mit Verwaltungsausgaben in Reich, Ländern
und Gemeinden 1,3 Millionen Beamte. Davon
entfallen auf das Reich rund 235 000, auf die
Länder rund 320 000 und auf die Gemeinden
rund 125 000. Der Lehrerstand verfügt über
340 000 Beamte, die Sozialversicherung über
75 000, wozu noch die rund 700 000 Verwal-

tungsbeamten der Post und der Reichsbahn
kommen. Dis Zahl der Beamten wird dann
noch wesentlich erhöht durch diejenigen Ange-
stellten, die in den Regiebetrieben der Ver-
waltung tätig sind sowie durch die Warte-
standsbeamten, die Beamtenwitwen und die
Pensionäre. Wie groß deren Zahl ist, steht
nicht ganz genau fest, es dürsten jedoch minde-
stens 1,5 Millionen sein. Vom Staats wer-
den weiter unterhalten: rund 2,5 Millionen
Invaliden, Knappschafts- und Angestellten-
versicherungsrentner, ferner im Durchschnitt
des Jahres 800 000 Arbeitslose und 4 Mill.
Personen im ganzen Reichsgebiet, die durch
die Fürsorge unterstützt werden.
Im ganzen gibt es also im Deutschen Reich
zurzeit ungefähr 11 Millionen Nutznießer der

öffentlichen Hand. Wenn man die Gesamt^
zahl der Erwerbstätigen mit der Zahl der
Wahlberechtigten, also rund 12 Millionen,
gleichgesetzt, was ungefähr stimmen dürfte, so
ersehen wir daraus, daß 25 Prozent der deut-
schen Eesamtbevölkerung Gehalts-, Pensions-,
Bersicherungs oder Unterstützungsempfänger
sind. An dieser ungeheuren Entwicklung des
sozialen Apparates tragen zweifellos Krieg,
Revolution und Inflation in sehr erheblichem
Maße die Schuld. Aber trotzdem dürfte auf
diesem Gebiet in vielen Fällen gesündigt wer-
den, so daß eine Einschränkung durchaus mög-
lich erscheint. Jedenfalls ist es auf die Dauer
unmöglich, einen so riesengroßen Bestandteil
des Volkes durch die öffentliche Verwaltung
zu unterhalten.

Wie lange noch ElaiMerfchreilungen?
Die zuständigen Ressort-Leiter müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Daß der Geschäftsbetrieb der Firma Deut-
sches Reich zu teuer ist, wird von niemandem
mehr bestritten und ist auch schon mehr als
genug betont worden. Aber wenn es dem
Aufsichtsrat der Firma, Reichstag genannt,
noch immer 'nicht gelungen ist, den Voran-
schlag der Jahresausgaben niederzudrücken, so
müßte er doch mit einiger Strenge darauf ach-
ten, daß die bewilligten Ausgaben wenigstens
nicht noch überschritten werden. Aber auch
von dieser Art von Sparsamkeit ist leider
nichts zu bemerken. Im Gegenteil: es ist
schon zur Regel geworden, daß die Effektiv-
Ausgaben jedes einzelnen Amtes schließlich
höher sind als die ohnehin schon überhohen
Bewilligungen; und während man höchst sel-
ten hört, daß eine Behörde am Ende eines
Jahres einmal erklärt: „Wir sind mit sound-
soviel Hundörttausenden weniger ausgekom-
men", ist es schon zur ständigen Gewohnheit
geworden, daß am, Endes jedes Jahres eins
„Haushaltsrechnung" vorgelegt wird, die den
Anschlag um einige hundert Millionen Mark
übertrifft. Auch für das Jahr 1928/99, das
rm April ablief, ist dem Reichstag jetzt die
Effektivrechnung zugegangen — zum ersten-
mal wieder in angemessener Frist —, und wie-
derum bittet der Reichsfinanzminister um
nachträgliche Indemnität für nicht weniger
als 82 Millionen Mark Etatsllberschreitun-
gen!
Das ist bei einem Gesamtetat von rund
10 Milliarden nun wirklich keine Bagatelle,
und die Frage, ob man die Indemnität
eigentlich gewähren soll, ist durchaus keine
formalistische Spielerei. Einige der. llsber-
schreitungen waren gewiß unvermeidbar.
Wenn das Reich infolge des Arbeitslosigkeits-
sturmes plötzlich gezwungen war, der Arbeits-
losenversicherung 260 Millionen Mark Beihil-
fen zu gewähren, so ist das eine Ausgabe, die
gesetzlich vorgeschrieben, wenn gleich im Etat
nicht vorgesehen war. Auch Millionen zur
Linderung von Unwetternot oder einige Hun-
derttausende für Eisbrecherarbeiten lassen sich
weder voraussehen, noch ersparen, noch im
Augenblick des Bedarfs erst feierlich beantra-
gen. Aber andere dieser nichtbewilligten
Ausgaben waren ganz anderer Art. Selbst
wenn man so großzügig ist, Posten wie
533 000 Mark für den Empfang weil. Sr.
Majestät Aman Ullahs von Afghanistan nicht
zu beanstanden — das sind nur die Reichs-
kosten, zieht man auch die Berliner und die
Privataufwendungen in Betracht, so wird die
Absurdität dieses Humbugs noch deutlicher! —
selbst wenn man bei Titeln wie einigen
180 000 Reichsmark für die Berliner Ta-
gung der Interparlamentarischen Union durch
die Finger sieht, so bleiben doch andere Über-
schreitungen übrig, deren Eigenmächtigkeit
kein Parlament sich gefallen lassen dürste.

Schon eine Subvention von 500 000 Mark
für die Probefahrten des .Graf Zeppelin" ge-
hört zu den Bedürfnissen, die weder plötzlich
eintreten noch besonders taktvolle Behandlung
erfordern, für die also ordnungsgemäße par-
lamentarische Bewilligung zu fordern ist.
Aber wie kann es zugeyen, daß das Reichs-
finanzministerium sich zwar den Jahrzins für
ein ermietetes Gebäude im Etat bewilligen
läßt, aber verschweigt, daß es dem Vormieter
auch noch die Umzugskosten mit 100 000 Mark
zu ersetzen hat und diesen Betrag erst mal
eigenmächtig ausgibt? Warum kann man mit
der Anschaffung neuer Automobile in fast
sämtlichen Ministerien nicht bis zur ordnungs-
mäßigen Bewilligung in neuen Etats war-
ten? Warum werden aus eigenem Ministe-
rialermessen 264 000 Mark für „Vorbereitung
von Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevöl-
kerung gegen Angriffe aus der Luft" ausge-
geben, obwohl man damit noch auch ein paar
Monate hätte warten können, und obwohl die
Fragwürdigkeit jeder Aufwendung auf diesem
Gebiet eine Beschlußfassung des Parlaments
um so notwendiger gemacht Hütte? Warum
muß das Reichswehrministerium, das sich schon
in der Hardenbergstraße ein neues Hochhaus
für viele Millionen Mark errichten ließ, auch
noch in der Bendlerstraße für 245 000 Mark
Gelände zukaufen, und mit welchem Recht tut
es das auf eigene Faust, zwischen zwei Etats?
Wer, ferner, wird ernstlich glauben, daß die
vielen Millionen, um die sich die Kosten an-
gefangrner Bauten gegenüber den Etatsbe-
willigungen erhöhten, wirklich nur auf die
stereotyp als Begründung angeführten „Stei-
gerungen der Baupreise" zurückzuführen sind
und nicht auch auf luxuriöse Abwandlungen
der Baupläne? Die Liste kann endlos ver-
längert werden, und wenn es sich im einzel-
nen Falle oft auch nur um einige tausend
Mark handelt, so ergeben sich in der Addition
doch Dutzende von Millionen; und noch un-
leidlicher als die materiellen Folgen dieser
Praxis sind wahrscheinlich die moralischen
oder besser, unmoralischen
Wann wird endlich ernst gemacht werden
mit dem Eesetzesgrundsatz, daß keine Behörde
mehr ausgeben darf, als ihr vom Reichstag
bewilligt ist, es sei denn, daß ein ausgespro-
chener Notstand sie zwingt?
Wann wird zum erstenmal eine Indem-
nität verweigert und die theoretische Haftbar-
keit dessen, der ohne Bewilligung Reichsgelder
verausgabt, auch einmal praktisch geltend ge-
macht werden? Nichts wäre erzieherischer für
die Bürokratie, deren Ressortpatriotismus
und Ressort-Größenwahn so viel unnötiges
Geld verschlingt — Geld, das wir,, die selbst
vor Wirtschaftlichem Druck kaum mehr atmen
können, prompt au die Finanzämter abzu-
führen haben.

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