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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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Sonntag, 10. August

Nr. S2

-.
Jahrgang ^930
^-7 . .

Mittelstands-Zeitung
Littliilstes KisustlM str Sie zpereste« des Seiisltei LiiieißnSes
MWWMeW-MWWe Wmz „ öSWOeii» BiiM-Kilm«
Zeitung für gesunde Wirtschaftsintcressen des gewerblichen tNesüiastssteile: Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund- .. vierteljährlich 2 10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
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Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter. Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile.



, Von einem großen Hamburger behördlichen
Mftragegeber war eine Lieferung ausgeschrie-
ben worden, an der sich- 8 deutsche Firmen, dar-
idter solche von Weltruf, beteiligten. Von 7
"iefer Firmen wurde ein Angebot abgegeben,
E«s sich im Durchschnitt auf 355 000 bis
"60 000 Mark bewegte: die Unterschiede erklär-
en sich! neben den eigentlichen Kalkulations-
"erschiedenheiten vor allem dadurch, daß bei
einigen Firmen Ntzbenjlieferungen eingerech!-
^,et waren, bei anderen dagegen nicht. Als
einzige Firma fiel aus dem Durchschnittsrah-
^en die staatlich subventionierte Firma Schi-
Mu in Elbing. Ihr Angebot hielt sich! mit
M000 Mark um rund 90 MO Mark unter
'em mittleren Durchschnitt: unter dem niedrig-
ien der übrigen Angebote blieb es noch um
^bex 70 000 Mark zurück. Dieses Angebot der
virma Schichau muß weit unter Selbstkosten
Erfolgt sein, denn in dem Auftrag waren für
^nd 140 000 Mark Lieferungsteils enthalten,
M sämtliche Firmen einschl. der Firma Schi-
Mu überhaupt nicht in eigenen Werken her-
Mlen: abgesehen von einem Zuschlag von 10
Prozent für Generalien waren für diese Lie-
^rungsteile überall nur die Selbstkosten ein-
gesetzt, so daß Ersparnisse bei diesen Positio-
nen bei der Firma Schichau unmöglich waren,
^er für die Montage bei den einzelnen Fir-
men eingesetzte Gesamtbetrag enthielt nur die
seinen Selbstkosten zuzüglich! der Werkzeug-
Mten, der Generalien und eines Zuschlages von
0 Prozent: auch hier waren also Einsparun-
gen unmöglich, klebrig blieben also nur noch
.w Lieferteile, die von den beteiligten Firmen
'd eigenen Werkstätten zur Bearbeitung ge-
^Ngen: hier handelt es sich um einen Betrag
^n rund 185 MO Mark. Der Unterschied von
90 000 Mark zwischen dem Angebot der
jrirma Schichau und dem Durchschnittsangebot
M anderen Firmen entfällt also nur auf diese
Mmme: dabei ist noch zu beachten, daß in
Msem Betrag noch enthalten sind die Aus-
eben für vorgearbeitetes Material, dessen
Kosten ebenfalls im wesentlichen Ausmaß nicht
gedrückt werden können. Aus alle dem läßt
M schließen, daß das Angebot von Schichau
Mg vornherein unter Berücksichtigung des von
M anderen Firmen eingesetzten Eewinnan-
Iils mit einem Verlust von 70 000 bis 80 000
^ark gerechnet hat. Dieser Verlust ist in
Fkluf genommen worden, obwohl für die Wei-
erverarbeitung des von fremden Werken be-
Vllenen Materials in Len Werkstätten der
Arma Schichau nur ein produktiver Lohn von
.j'OOO Mark notwendig gewesen wäre: die
Mstene produktive Werkstattarbeit hätte alsd
Mr 4—5 Prozent des ganzen Lieferungsob-
^ktes betragen: für den Auftrag hätten im
Menen Werkstattbetrieb nur rund 100 Ar-
Mtex für 15 Tage Beschäftigung gehabt: uni
Mie Beschäftigung zu subventionieren, sollte
Betrag von 70 000 bis 80 000 Mark öffent-
'cher Gelder verwandt werden.
Kein Wort der Kritik an einem solchen
^^ispiel unwirtschaftlicher Verwendung öffent-
Mer^ Mittel kann scharf genug sein. Wenn
Firma Schichau das Recht hat, die ihr ge-
ehrten staatlichen Subventionen so zu ver-
. enden, wie es hier beabsichtigt worden ist, so
1 ^den die ihr überwiesenen öffentlichen Mit-
sehr bald aufgebraucht sein: die Firma
v in ganz kurzer Zeit wieder vor einem
Mchts stehen. Inzwischen ist aber den Jndu-
Mezweigen, denen die Firma Schichau Echleu-
M^kvnkürrenz bereitet, absichtliche ein Schade zu-
j^ Mgt worden, der nicht wieder gutgemacht
zMden kann und der mit Naturnotwendigkeit
Stillegung neuer Betriebe führen muß.
in Steile hat von einem solchen Verhalten also
Ödland, abgesehen von einigen Teilen des

Auslandes, das infolge der Schleuderangebote
der Firma Schichau deutsches Material zu
Preisen bekommt, zu denen es sonst (wie be-
reits nachgewiesen worden ist) niemals hätte
beziehen können..
Es ist aus politischen Gründen durchaus zu
verstehen, wenn dem bedrohten Osten! Hilfe
aus öffentlichen Mitteln gewährt wird. Diese

Wie schon gemeldet, ist kürzlich der nach dem
schweren Arbeitskampf an der Ruhr im Jahre
1928 zustande gekommene Arbeitsvertrag um
1 Jahr verlängert worden, und zwar grund-
sätzlich. Lediglich hinsichtlich! der Arbeitszeit
wurden von Arbeitgeberseite für einige Grup-
pen von Arbeitern Verbesserungen vereinbart,
so daß die Hauptsache, die Lohnfrage unbe-
rührt bleiben konnte. Christliche und demo-
kratische Gewerkschaften gaben sich hiermit zu-
frieden, nicht aber der rote Metallarbeiterver-
band, der den Arbeitszeitvertrag gekündigt
hat, weil er eine systematische Einführung der
48-Stundenwoche durchdrücken will, und zwar
bei vollem Lohnausgleich. Das bedeutet eine
Heraufsetzung der Löhne, also eine Aenderung
des Lohnabkommens. Es entstehen nun zwei
Fragen: bedeutet die Lohnausgleichforderung
gleichzeitig die Kündigung des Lohntarifs und
kann für eine einzelne Gewerkschaft ein be-
sonderer Schiedsspruch verkündet werden. Ar-
beitsrechtlich muß sie aber verneint werden, so
daß lediglich die Möglichkeit eines besonderen
Schiedsspruches für den Metallarbeiterverband
übrig bleibt. Würde er zulässig sein, so könnte
zwar die 48-Stundenwoche eingeführt werden,
aber nur unter entsprechender Lohnreduzie-
rung. Das bedeutete eine Schmälerung des
augenblicklichen Lohnes um 18 Prozent.
Die Wandlung in der Auffassung über
wahre gewerkschaftliche Verantwortung bei den
Christlichen ist in den letzten Monaten immer
augenfälliger geworden. Schon der Fall Becker-
stahl im April mit dem freiwilligen Verzicht
auf tarifliche Entgelte zeigte, daß die Abkehr
von reiner Demagogie Wirklichkeit werden
sollte, nachdem schon einige Führer vorher in
Wort und Schrift sich dazu bekannt hatten,
daß endlich auch einmal Produktionspolitik in
den Gewerkschaften getrieben werden müßte,
d. h. also mit der Wirtschaftsführung sich in
Reihe und Glied zu stellen. Die zum Oeyn-
hauser Schiedsspruch führenden Bestrebungen
ließen eine gleiche Tendenz erkennen, und fetzt
kommt, sozusagen als vorläufige Krönung
christlich-gewerkschaftlichen Verantwo'ctungsbe-
wußtseins die Verlängerung des alten Schieds-
spruches.
Aber die Verbesserungen in der Arbeits-
zeit, so wenig auffällig sie für das Laienpu-
blikum sein mögen, bleiben immer ein wirt-
schaftliches Entgegenkommen der Werke, weil
das sozialdemokratische Argument für die Kün-
digung, durch Herabsetzung der Stundenzahl
für Arbeitslose Arbeit zu verschaffen, praktisch
kaum begründet werden kann. Man muß sich
nämlich vergegenwärtigen, selbst für den Fall,
daß der jetzt cingeführten Arbeitszeitverkür-
zung für einige Gruppen technische Schwierig-
keiten nicht im Wege stehen, was noch gar-
nicht erwiesen ist, ist nicht mit Bestimmtheit
anzunehmen, daß nun auch gleich eine entspre-

Mittel dürfen aber unter keinen Umständen so
benutzt werden, daß ihre Verwendung einer
Verschleuderung und einer wissenlichen Schädi-
gung anderer Wirtschaftszweige gleich kommt,
die ebenfalls schwer um ihre Existenz zu ringen
haben Liire LeseitixunA «Lieser tirb
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unter aiien tlmstünÄen notukeiuUA

chend erforderliche Anzahl von Arbeitslosen
Beschäftigung bekommen kann.', Das erklärt
sich daraus, daß die Veränderung der Arbeits-
zeiteinteilung eine wesentliche Verteuerung
des Produktionsapparates zur Folge haben
muß, die für viele heute nicht mehr tragbar
ist. Der gleiche Lohnaufwand bei geringerer
Arbeitsleistung infolge verminderter Arbeits-
kräfte führt vielmehr noch zu weiterer Ein-
schränkung und damit 'neuen Entlassungen.
Höchstens wäre eine Verkürzung der Arbeits-
zeit da möglich, wo der Gesamtlohn des Unter-
nehmers entsprechend sinkt. Und selbst für die-
sen garnicht in Betracht kommenden Fall (denn
der Lohnausgleich ist ja die Hauptsaches ist es
sehr zweifelhaft, ob die Neueinstellungen von
Dauer sein werden. Hier spielt vor allem
mit, daß nach den bisherigen Erfahrungen der
Neuangeworbene fürs erste mit seiner Arbeits-
quote gegenüber den länger Beschäftigten in
Rückstand bleibt. So bleibt unter allen Um-
ständen die jetzige Neuregelung hinsichtlich der
Arbeitszeitvereinbarung ein finanziellesOpfer.
Wenn man schließlich auch nicht erwartet,
daß die rote Gewerkschaftsführung das ein-
sieht, oder besser, ihren Leuten beibringt, er-
wartet hätte man wenigstens, daß sie die un-
mittelbaren Folgen der Kündigung, d. i. der
18prozentige Lohnabbau, ihnen vor Augen ge-
führt hätte. Das wäre gewerkschaftlich ehrlich
gehandelt, hätte aber bestimmt den Erfolg ge-
habt, daß die roten Arbeiter ihren nominellen
Führern, Personen, die lediglich das Wort
führen, ganz gehörig den ihnen zukommenden
Marsch geblasen hätten. Selbstverständlich
wollten ja auch die freien Gewerkschaftsführer
garnicht den Lohnabbau, sie wollten die voll-
ständige Aufhebung des alten Arbeitsvertra-
ges, um neue Unruhe in das wirtschaftlich
schwer geprüfte Ruhrgebiet zu bringen. So
was kann man vor den Wahlen aut gebrau-
chen und es ist ein Glück, daß das Unterneh-
mertum ihnen den Gefallen nicht getan hat,
von sich aus auf Kündigung zu bestehen.
Wenn auch die jetzt bereits abseits stehen-
den Gewerkschaften sich schließlich doch noch der
neuen Regelung unterwerfen werden, weil
ihnen nach dem Verrennen in die Sackgasse
garnichts anderes übrig bleibt, so gilt es doch,
immer wieder festzuhalten, daß ihnen jedes
Gefühl für gewerkschaftliches Vrantwortungs-
bewußtsein abgeht, soweit sie darunter nicht
eine, parteipolitische Anziehung verstehen. Der

mend sind und dadurch das Arbeitslosenheer
nur vergrößern oder gewisse Reduzierungen
der Löhne durchzuführen, oder für den heutigen
Fall zugeschnitten!, Verbesserungen nstcht in
Bausch und Bogen zu beschließen. Es war
oben von der Notwendigkeit einer Produkti-
onspolitik in den Gewerkschaften die Rede.
Das ist ein Gebiet, auf dem sich gewerkschaft-
liches Führertum zunehmend betätigen kann.
Denn heute, zu einer Zeit, in der lohnpolitische
Erörterungen, d. h. wie sie sie verstehen, also
Lohnerhöhungen garnicht diskutabel sein kön-
nen, muß das gewerkschaftliche Führertum so
etwas wie Ausbildungsunterricht geben: Ver-
ständnis zu erwecken für die Verflechtungen
innerhalb der Wirtschaft, und dabei in erster
Linie für die zwangsläufige Arbeitsgemein-
schaft, was soviel heißt, als daß der Arbeiter
nicht mit dem Kopf durch die Wand kann,
ohne selbst Schaden an seinem weiteren Wohl-
ergehen zu leiden.
Wenn es wirklich wahr ist, daß die Sozial-
demokratie und damit die freien Gewerkschaf-
ten allein für das „werktätige Volk" sorgen,
dann muß es ihr Prinzip sein, ständig zu ver-
künden, daß cs nicht darauf ankommt, daß nur
einige Leute hohen Lohn und damit Existenz-
möglichkeit haben, sondern alle. Das geht
aber nur dann, wenn die anderen etwas ab-
geben. Kommt es aber soweit, daß die ge-
werkschaftliche Führung dieses Ziel sich steckt,
dann wird cs vorbei sein mit der augenblick-
lichen Blüte krassesten Berufsegoismus, und
das zum Heile der Wirtschaft, somit auch des
Arbeiters. Aber dazu ist ein sehr wichtiger
Schritt nötig: Trennung der Wirtschaft von
Parteipolitik, Behandlung rein ökonomischer
Fragen allein nach der Möglichkeit auch ökono-
mischer Beantwortung.
10000 tschechische Kachelöfen
für Berlin.
Im Preußischen Landtag hat die deutsch-
nationale Fraktion folgende Kleine Anfrage
gestellt:
„Die Wohnungsfürsorgegesellschaft Berlin
hat, wie verlautet, genehmigt, daß für die
Wohnungsneubauten in Berlin ca. 10 000
tschechische Kachelöfen beschafft und verwendet
werden. — Trotz der katastrophalen Finanz-
und Steuernot unseres Vaterlandes bringt
nach der Mitteilung die Wohnungsfürsorgege-
sellschaft es fertig. Steuergelder der deutschen
Steuerzahler (es handelt sich fast ausschließlich
um Hauszinssteuer-Neubauten) an das Ausland
Weiterzuleiten. — Und trotz der schweren Not-
lage der deutschen Wirtschaft übergibt die
Wohnungsfürsorgegesellschaft Berlin dem Aus-
land einen Auftrag, durch den 150 deutsche
Töpfer und Ofenarbeiter ein ganzes Jahr
volle Beschäftigung hätten haben können. —
Wie sollen die Bemühungen, das Arbeits-
losenproblem zu lösen, zum Ziele führen, wenn
amtliche oder halbamtliche Stellen, wie die
Wohnungsfürsorgegesellschaft Berlin, jedes
Verständnis für die Not der Wirtschaft ver-
missen lassen und deutsche Arbeiter brotlos
machen? — Die fast unglaubliche Mitteilung
über die Handlungsweise der Wohnungsfür-
sorgegesellschaft Berlin veranlaßt uns, zu fra-
gen: Ist das Staatsministerium bereit, 1. die
Angelegenheit eingehend zu prüfen und festzu-
stellen, ob und inwieweit die Wohnungsfllr-
sorgegesellschast Berlin die Möglichkeit hatte,
zu verhindern, daß der Auftrag zur Lieferung
der 10 000 Kachelöfen ins Ausland ging und
dadurch deutschen Arbeitern die Arbeit ent-
zogen wurde, und 2. Vorsorge zu treffen, daß
derartige unverantwortliche Maßnahmen sich

Metallarbelterverband ist eine Interessenver¬
tretung der Sozialdemokratie und nicht der Ar¬
beiterschaft: wäre sie das nämlich, dann hätte
sie längst einschwenken müssen in die große
Front der Wirtschaft, deren einzigstes Bestre¬
ben es ist, die Depression im Lande zu besei¬
tigen. Sie legt sich heute mit Recht die Frage
vor, ob es vertretbarer ist, der Arbeiterschaft
Forderungen zu bewilligen, die wirtschaftsläh- nicht wiederholen?

Parteikram ist wichtiger
als Verantwortungsbewußtsein.
Zu den Vorgängen an der Ruhr.
Von Hans Stefsien, Heidelberg.
 
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