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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0347
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Herausgeber:
Curt Kieshauer

SMOeWr Mger-Mm b'
Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug <
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein .Ersatz geleistet. Der Jnsertionsprcis ist 10 Reichs-
Pfennig für die achtgespaltene Millimeterzetle oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile.

Mittelstands-Zeitung
Unhhilntses Kampshlalt für die Jüteresse« des deutsihen MittelstMes
MelWlM-»WW-e M»g , SMOMr
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund¬
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter,

Jahrgang 1930

Mittwoch/ S1. Dezember

Nr. SL


Vo liezt üer Lern Ues vsdelst
Von Dr. Paul Ruprecht, Dresden.

Die Weltwirtschaftskrise, in der wir uns be-
finden, besteht in einem Mißverhältnis zwischen
Warenangebot und Nachfrage, das in jedem Lande
andere Ursachen hat. Im allgemeinen ist die
jetzige Storung der Wirtschaft fast aller Länder
auf die Vernichtung von Werten durch den Welt-
krieg und den Ausfall so großer Märkte, wie es
Rußland und China sind, zurückzuführen. Für
Deutschland kommen noch dazu die Verarmung
durch den verlorenen Krieg und die Kriegstriöuie
und Gebietsverluste.
Diese weltwirtschaftliche Krise hat in den mei-
sten Kulturstaaten, und zwar sowohl in den Sie-
gerstaaten als auch in den besiegten Ländern zu
einer Arbeitslosigkeit geführt, die schwer auf den
davon betroffenen Völkern lastet. Ganz besonders
gilt dies von Deutschland.
Durch eine Senkung der Löhne und Preise
soll der Binnenmarkt belebt und der An-
schluß an den Weltmarkt verbessert werden.
Daß dies eilt geeigneter Weg zu einer Einschrän-
kung der Arbeitslosigkeit ist, wird durch die ge-
machten Erfahrungen bestätigt. Aus diesem
Grunde kommen wir nicht um die Durchführung
lener Forderung herum, die für alle Beteiligten,
also Staat und Gemeinden, sowie Unternehmer
Mid Arbeitnehmer einschließlich der öffentlichen Be-

Markt beschäftigt gewesenen Arbeiter treten, so ist
auch nach einer Sanierung unserer wirtschaftlichen
und finanziellen Verhältnisse mit einer erheb-
lichen Erwerbslosigkeit zu rechnen.
Dies ist darauf zurückzuführeu, daß heute, wie
der Franzose Clomenceau sich ausgedrückt hat, 20
Millionen Menschen zu viel in Deutschland leben,
die vor dem Kriege aus den Ueberschüssen unserer
Zahlungsbilanz ernährt worden sind. Dieses haben
wir damals durch einen blühenden Außenhandel,
Kolonialbesitz und Gewinne aus deutschen Unter-
nehmungen im Auslände ernährt. Daraus, daß
diese Einahmemöglichkeiten uns durch den Frieden
von Versailles, unsere Kapitalarmut und durch Ab-
sperrung vieler Länder gegen unsere Warenein-
suhr verlorengegangen sind, ergibt sich, daß wir
eine nicht unerhebliche Arbeitslosigkeit behalten
müssen.
Ihre Folgen aber sind nicht dnrch Lohn-
nnd Preisabbau, sondern dnrch Aufhebung
der unsere Wirtschaft fesselnden Friedcns-
uud Tribntverträge zu beseitigen. Hier sitzt
der Kern des Nebels, denn während der
dnrch die jetzige Wirtschaftskrise bedingte
Teil der Arbeitslosigkeit nur eine vor-
übergehende Erscheinung ist, ist der andere

Teil vorläufig als ein Dauerzustand anzu-
sehen
Selbst wenn es der Regierung Brüning ge-
lingt, durch Durchführung ihres Programms die
Arbeitslosigkeit auf 1,6 Millionen Köpfe, also die
Zahl, aus der die Arbeitslosenversicherung ausge-
baut ist, zu beschränken, dann genügt dies für
eine so belastete und verschuldete Wirtschaft, w»e
es die unserige ist, nicht. Der Schaden liegt da-
rin, daß diese Kräfte nicht schaffend tätig sind,
sondern entweder aufgespcicherte oder laufende'
öffentliche Einnahmen verbrauchen, die sonst zu?
Befruchtung der Wirtschaft hätten benutzt werden
können. Der ihr durch Arbeitslosigkeit erwachsende
Verlust besteh! nicht allein in den vielen aufzu-
bringenden Summen, sondern dazu tritt noch der
Nussall an Werten, die sonst von den zur Untä-
tigkeit verurteilten Arbeitskräften geschaffen wer-
den können.
Daraus ergibt sich, daß sich die Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit nicht mit einer Senkung der
Löhne, Preise, öffentlichen Ausgaben erschöpfen
darf, sondern daß dazu eine Revision der Frie-
deusverträge gehört. Daß dies Ziel schwer und
nur in mühseliger Arbeit zu erreichen ist, ist nicht
zweifelhaft. Eine andere Sache aber ist es, ob es
richtig ist, aaß so »venia geschieht.

In einer Unterhaltung eines aus eigener An-
schauung mit den unerträglichen Verhältnissen im
Polnischen Korridor vertranten Amerikaners hat
letzterer gesagt, daß er es nicht verstehen würde,
daß von uns so wenig geschähe, um die amerika-
nische Oeffentlichkeit über die Unhaltbarkeit des
Korridors nufzuklären.
Es bestehe daher in Amerika wenig Ver-
ständnis für diese Frage, während man den
politischen Wünschen Polens und Frank-
reichs viel mehr Interesse entgegenbringe,
weil darüber dauernd in den Zeitungen be
richtet würde.
Aus diesen Angaben geht deutlich hervor, daß
unsere Gegner es besser verstehen als wir, die Be-
arbeitung de, össenilicheu Meinung des Auslands
der Erreichung ihrer politischen Ziele dienstbar zu
machen. Es ihnen hierin gleichzutun, oder sie da-
bei zu überlrefsen, muß auch unser Bestreben sein,
denn letzten Endes ist die Behebung unserer Wirt-
schastsnot und die Arbeitslosigkeit nicht nur ein
innen, sondern auch ein außenpolitisches Problem,
desseii Kern vielleicht zum größeren Teil auch dort
im Augenblick noch nicht viel zu tun ist, so kann
und muß doch schon jetzt der Boden für den auch
hier zu erwartenden Kampf vorbereitet werden.

Wenn es

je


und Warenpreisen gegenüber anderen


einen

früheren, erträglicheren Stand führen kann.
Knbl ober immer noch die Kmnkr

- zu dieser Zahl aber immer noch die Hundert-
wende, um die das Reichsheer vermindert wor-
ist, und die für den russischen und chinesischen

trage, mit dem Fritz Thyssen seinerzeit in vielbe-
achteten Ausführungen in der Deutschen Berg-
werks-Zeitung unserii jährlichen Devisenbedarf fin-
den Fall einschätzte, daß der Joungplan angenom-
men würde. Schon damals erklärte Thyssen, daß
dieser Betrag unmöglich von "Deutschland ausge-
bracht werden könne. Er hat Recht behalten. In
der Tat, ein Kind kann einsehen, daß das nicht
mehr so weitergehen kann. Was wollen demge-
genüber kleine Mittclchen besagen, wie die an sich
ganz nützliche Preissenkung, die noch dazu durch
Vergrößerung der Steuerbürde namentlich in den
Gemeinden bei gleichzeitig wachsendem inneren
Wert der Stenerbctröge zum Teil wieder ausge-
glichen wird? „Es kann uns", um mit Dr. Schacht
zu sprechen, „nicht besser gehen, bevor' wir nicht
unser Schicksal selbst in die Hand nehmen. Das
einzige, was auf die Dauer, auch »venu »vir
unsere inneren Verhältnisse in Ordnung brin-
gen, immer wieder den deutschen Kredit
ruinieren wird, ist, wenn wir die Politischen Zah-
lungen fortsctzen, ohne die Voraussetzung des
Joungplanes, daß wir sie aus einem Ueberschuß
unserer Wirtschaft und insbesondere unseres Ex-
ports zahlen. Wir können nicht selbständig unsere
Iknterbilanz erhöhen, unseren Verlustsaldo anstei-
gen lassen, um dann noch zu behaupten, daß unser
Kredit der alte sei."
Das ist eine deutliche Mahnung au die Reichs-
regierung. Die Sanierung der Reichsfinanzen
kann »richt gelingen, wenn nicht in Verbindung da-
mit die Revision des Joungplanes eingeleitct
wird.
Es bedeutet doch ungeheuer viel, daß der Vater
des Joungplanes, Owen Joung selbst, das Ver-
langen des Schuldners, in ZZten entwerteter
Waren- und Effcktenbestände eine Aenderung sei-
ner Verpflichtungen zu verlangen, als wirtschaft-
lich wie moralisch berechtigt bezeichnet hat. Die
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners müsse, so
meinte er, allerdings seststehen. Nun, wer im Jn-
nnd Ausland, der von politischer Leidenschaft frei
ist und wirtschaftliche Urteilskraft besitzt, sieht nicht
schon heute, daß auch Herr Brüning in ein Faß
ohne Boden schöpft, solange der Tribut nicht ent-
weder wesentlich herabgesetzt wird oder doch we-
nigstens, statt aus der Substanz genommen zu
werden, erzeugt werden kann, dadurch, daß man
deutscher Arbeit die Welt weit öffnet.

OSS' VOTHNgpISUH
Für Brüning gilt das Wort Salons: Nie-
mand Preise sich glücklich, er habe dem» glücklich
vollendet! Der Kanzler hat selbst im Reichstag
die Notverordnung als einen Anfang bezeichnet,
der erst die Voraussetzungen für die eigentliche
Sanierung schaffen solle. Wie oft aber hat das
deutsche Volk diese Weise schon gehört und von
wieviel Regierungen! ES ist gegenüber Rcgie-
rungsversprechnngen mißtrauisch geworden. Herr
Brüning ist gewiß nut seinen Maßnahmen weiwe-
gegaugen als seine Vorgänger; die Not stand hin-
ter ibm und »riet ihn. Und doch ging er
nicht im geringen weit genug.
Und die Frage ist wohl erlaubt: Wenn es bei Kr
Notverordnung nich» bleiben kam» und darf, wenn
sie nur ein Anfang ist,
weshalb dann nicht gleich ganze Arbeit?
Wie lange und »voraus sollen wir denn noch war-
ten? Und wird es »richt immer schlimmer,
mehr Zeit verloren geht?
Vielleichi re.guct der Kanzler mit einem
Kon jn nktu rum schw u ng,
der ihn» zu Hilfe kommt? Wir denken da an

muten eine Minderung der Einnahmen bedeutet.
Alle haben dagegen cinzuwcnden, daß derartige
sjumntungeu untragbar wären, weil ihre Ein-
künfte bei der heutigen Lage schon jetzt kaum aus-
t'eichten. Daß dies zutrifft, Zeigen die Betriebs-
Ogebuisse in Landwirtschaft, Industrie und Handel,
towic ein Vergleich der heutigen und der Vor-
riegsgchältcr. Hinweisen darauf glaubt man mit
'er Forderung entgegentreteu zu können, daß es
in vie» Fabriken gäbe, daß der Handel übersetzt
Md die Verwaltung aufgebläht sei und daß man
üe unrentablen Betriebe zwecks Rationalisierung
'er Warenerzeugung und -Verteilung ausschalten
Md die entbehrlichen Beamten der öffentlichen
Verwaltung abbauen müsse.
Die Folge davon würde sein, daß sich zwar die
fahl derjenigen verringerte, die an dem Erträgnis
'es Sozialproduktes beteiligt sind, und daß dieses
herabgesetzt werden kann, ohne den Anteil des ein-
einen zu senken. Dafür aber hätte dieser wieder
'nen größeren Teil als bisher von dem auf ihn
ütfallendcn Betrage für die Versorgung der durch
'ie erwähnten Abbaumaßnahmen erwerbslos ge-
wordenen Personen abzugcben. Daraus geht her-
br, daß wir eine Beseitigung einer etwaigen
-. Übersetzung von Industrie und Handel, oder eme
Senkung der öffentlichen Abgaben durch Beamten-
,bbau mit vermehrten Lasten für Ruhegehälter
der die Erwerbslosenfürsorge bezahicn. Von die-
R Gesichtspunkte aus betrachtet kann man sagen,
^ß wir mit den bestehenden Ueberhöhungen von
steuern und Warenpreisen gegenüber anderen
Mideru Beiträge zur Arbcitslosenversorgung auf-
gingen, ohne uns dessen bewußt zu werden.
Eine Einschränkung der öffentlichen Ausgaben
wd eine Beseitigung einer etwaigen Uebcrsegung
wh Industrie und Handel bedeuten also keine
^Ne Ersparnis, sondern
stellen mehr oder minder nur eine Aus-
qabeiiverschiebiinq dar, die zeigt, daß die
von dem im Gange befindlichen Prcis-
»nd Lohnabbau erwartete Belebung des
Arbeitsmarktes nicht zu einer vollen Besei-
l tigmig der Arbeitslosigkeit, sondern Höch-
I stens zu einer Hcrabdrückung auf

. „ . Die
höchst interessanten und bemerkenswerten Darle¬
gungen von Peter Klöckner. Er genießt einen ge¬
wissen Ruf hinsichtlich der wirtschaftlichen Wetter¬
voraussage. Die Belebung, die iin Jahre 1926
eintrat, hat er angekündigt, noch bevor sonst ir¬
gend jemand daran dachte. Diesmal äußert er sich
eher Pessimistisch in bezug auf den Jnlandsmarkt
und die Tragweite der Prcissenkungsaktion. Er
setzt aber Hoffnungen aus den Export und glaubt,
daß sich eine allmähliche Besserung im nächsten
Jahre, ausgehend von den Vereinigten Staaten
von Amerika, von Argentinien, China und Indien
anbahnen werde. Das sind Lichtblicke in
trüben Tagen.
Den Finanzen des Reiches käme ein solcher
neuer Wirtschaftsimpuls vvn außen her gewiß zu¬
gute; aber ob das Reich sich solange gedulden
kann? Selbst wenn die Konjunktur sich in» näch¬
sten Jahre hebt, werden die höheren Steuerein¬
nahmen erst 1932 fließen. Wenn sich aber 1931
ein Fehlbetrag herausstellt, wird das zarte Pflanz- RM. Das entspricht also ziemlich genau dein Be-

chcii Vertrauen »nieder gefährdet sein.
nicht gelingt, Kredit in dein vorgesehenen Maß
aufznnehmen, kann das den ganze»» Haushalt 1931
über den Haufen werfen. Der Fehlbetrag des
laufenden Jahres wird etwa 900 Millionei» be-
tragen. Für 400 Millionen muß dnrch Kredite
Deckung geschafft werden!" Der Hinweis auf den
Kredit sowohl des Reiches als auch der Privat-
wirtschaft, die nicht dnrch ein Scheitern der Not-
verordnung erschüttert werden dürften, spielte eine
große Rolle bei den Neichstagsdebatten.
Nun hat sich noch ein anderer in diese»» Ta-
gen über Deutschlands Kreditwirtschaft geäußert,
der frühere Neichsbankpräsident Dr. Schacht. Er-
hol mit Recht erklärt: „Es ist ein beliebtes Spiel,
mir vorzuwerfen, daß, »venu ich eine wahrheitsge-
mäße Schilderung der deutschen Verhältnisse gebe,
ich damit den deutschen Kredit in» Auslande schä-
dige. Ich habe nicht diese»» Eindruck. Den Kredit
schädigt man nur, wenn man über die wahren
Tatsachen einen Schleier breitet, der den anderen
nicht erlaubt, in die »vahren Dinge hineinzirseheu."
Und er hat darauf hingewiesen, daß Deutschland
im Laufe von sieben Jahre»» eine Verschuldung an
das Ausland eingegangen ist, die bereits annä-
hernd so groß ist, »vie die Verschuldung, welche die
Vereinigten Staaten von Amerika im Laufe von
zwei Generationen aufgebaut haben. Solche Zah-
len sollte»» jeden Gedanken an etwaige neue
„Ueberbrücku'ngskredite", überhaupt an Schulden
irgendwelcher Art von Reich, Ländern und Ge-
meinden als unsinnig erscheinen lassen.
Es hilft jetzt kein Mundspitzen mehr, es muß
endlich gepfiffen werden! Das gilt vor allen» auch
für das Reparationsproblem. Noch ein paar Zah-
len aus der Bremer Rede Dr. Schachts: Das
Budget von Reich, Staat und Gemeinden ist von
acht Milliarden Mark im Jahre 1913 aus mehr
als dreißig Milliarde»» NM. 1930 angewachien.
Damit ist fast die Hälfte des auf etwa 65 Mil-
liarden NM. geschätzte»» Nationaleinkommens für
öffentliche Abgabe»» in Anspruch genommen. An
Zinsen und Reparationen zahlt Deutschland an
das Ausland jährlich vier bis fünf Milliarde»»
 
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