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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0013
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Herausgeber:
Curt Kieshauer
Fernruf 18 SL

MeWdlM-ArWWe ZettW
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter.

SMelverger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
UMWWtt K»?sbl«U jir dik ZMregtt Ns ikUslhe« MiMlßMes
ötd«WW Mger-WlMji
Bezugspreis monatlich 0,50 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,l0 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionsprcis ist 10 Reichs-
pfennig für die achtgespaltene Millimcterzcile oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM- pro mm-Zeile.

Jahrgang i19M

Gonniag, -19. Zarwar.

Rr. S

Deutschlands sinavMirlschastliche Lage an der Jahreswende.
Statt der wirtschaftlich notwendigen Stenerfenkang - Stenererhöhnngen!
Bon Professor Dr. Max I. Wolff (Berlin).

Der Finanzminister des Reiches und der
Lander sowie die Kämmerer der Gemeinden
Kirsten aufgeatmet haben, als das schwere
1029 vorüber und sein letzter u. bedenk-
lichster Ultimo überwunden war. Es waren
ilwölf Monate ernstester Sorge, und die Her-
werden manchmal an den Zahlungster-
minen einen verzweifelten Blick in die Ebbe
Arer erschöpften Kasse getan haben. Diese
^öte werden freilich, selbst wenn jene Herren
^nehmen: dass die in zwölfter Stunde von
Mr Reichsregierung inaugurierte Finanzre-
ivrin einen Wendepunkt und einen Versuch
lbr Besserung bedeuten sollte, mit dem An-
^uch des neuen Jahres nicht behoben sein.
EM traten es mit geringeren wirtschaftlichen
Hoffnungen an als das abgelaufene. Damals
uand die Revision des Dawes-Plans bevor,
^od man durfte erwarten: das; sie eine we-
ltliche Erleichterung für Deutschland und die
^Nische Wirtschaft bringen würde.
Die Verhandlungen in Paris schlossen mit
wer schweren Enttäuschung, und ihr dürfti-
l Ergebnis wurde nachträglich durch die Zu-
Mständnisse, die man Belgiern, Polen und
lonzosen als Zugabe gewähren musste, noch
dsehr verschlechtert. Der Young-Plan ist un-
einstiger ausgefallen, als die ärgsten
Schwarzseher befürchtet haben, und der unzer-
dorbare Glaube der Linksparteien an das
luropäertum" unserer ehemaligen Kriegs-
ddgner ist erneut auf eine sehr harte Probe
Utellt. Unsere Sachverständigen mögen in
^ris nicht sehr geschickt operiert haben, aber
^Nn man ihnen diesen Vorwurf macht, darf
Inn zu ihrer Entschuldigung auch nicht ver-
Awoigen: dass sie sich dank der finanziellen
Misswirtschaft in der Heimat von Anfang an
E einer sehr schwierigen Lage befanden — in
,'Uer Lage, die durch den überraschsndenFront-
^chsel, den die Regierung hinter ihrem Rük-
l vollzog, völlig unhaltbar wurde. Obwohl
in Berlin zunächst Jahresleistungen auf-
stellt hatte, über die unter keinen Umstän-
hinausgegangen werden sollte, gab man
JOin diesen Standpunkt plötzlich auf und
bereit: eine Verständigung um jeden
^eis anzunehmen. Unter diesen Umständen
Jleb den deutschen Unterhändlern nichts
j?Ug: als alles zu unterschreiben, was man
Men in Paris vorlegte, d. h. Bedingungen,
o sie selbst für unerfüllbar hielten. Freilich:
o es Deutschland auf einen Konflikt mit sei-
Neparationsgläubigern ankommen lassen
Mnte, ist eine andere Frage. Die schwere
stMhütterung, die die Reichsmark in den kri-
echen Frühlingstagen erfuhr, als ein ergeb-
Mloser Abbruch der Pariser Verhandlungen
st0hte. war in dieser Beziehung nicht ermu-
^llend. Aber wenn diese wirtschaftliche
schwäche zur Nachgiebigkeit zwang, so war sie
r Ustverschuldet, herbeigeführt durch die ufer-
o Ausgabenpolitik der regierendenParteien,
^ourw Deutschland die Kraft zum Wider-
Mlde genommen war. Unter diesen Umstän-
musste der Young-Plan wohl oder übel
in Uphiert werdend Dieser neue Zahlungs-
sp leidet an dem gleichen inneren Wider-
i^uch wie sein Vorgänger, der Dawes-Plan,
legt Deutschland Verpflichtungen auf.
Men Erfüllung ein Erstarken der deutschen
h Ulschast in einem Masse zur Voraussetzung
x - wie es die Gegner unter keinen Umstän-
lmk ^Een und gerade durch die Höhe der ge-
tz-U'rten Tribute zu verhindern suchen. Nur
M Land von höchster wirtschaftlicher Blüte
Mach auf zwei Menschenalter hinaus im
3 ">^Y!chuitt Jahreszahlungen von mehr lals
Milliarden RM. an das Ausland abführen,

von dieser Blüte sind wir aber denkbar weit
entfernt, und unsere Gläubiger werden dafür
sorgen: dass wir sie so bald nicht erreichen,
mögen sie auch zunächst in eine Herabsetzung
unserer Verpflichtungen um 700 Millionen
RM. eingewilligt haben. Dies ist gewiss eine
ganz stattliche Summe: wenn nur der Hände,
die davon etwas abhaben wollen, nicht zu
viele wären! Die Reichsbahn, die Industrie,
die Landwirtschaft, der Hausbefitz, die Steuer-
pflichtigen mit den ganz grossen und den ganz
kleinen Einkommen, die Gewerbetreibenden,
die zu den übertriebenen Realsteuern veran-
lagt sind, usw. — jeder will seinen Anteil an
den Erleichterungen des Young-Planes haben,
und jeder mit Recht, denn alle sind.-steuerlich
in einer Weise überbürdet, dass ihre Ent-
lastung nicht nur in ihrem persönlichen Inter-
esse liegt, sondern auch in dem der Allgemein-
heit. Dabei steht noch nicht einmal fest: ob
die zahlreichen Reflektanten überhaupt etwas
bekommen oder ob nicht die 700 Millionen
RM. restlos in dem lecken Fluss des öffentli-
chen Finanzbedarfs verschwinden werden. ..
Der Young-Plan ist undurchführbar, aber
gleichwohl müssen wir mir seiner Annahme
rechnen und unsere Wirtschaft einstweilen nach
ihm einstellen. Die auswärtige Politik kann
in absehbarer Zeit keine Erleichterung brin-
gen: um so mehr gilt es: im Innern alle
Kräfte zusammenzufassen, um den Verfall der
deutschen Wirtschaft, wie er sich in den letzten
Jahren angebahnt hat, aufzuhalten.
Die Lage ist ernst genug: sie wäre sogar
trostlos, wenn man nicht hoffen könnte: dass
Regierung und Parteien, belehrt durch die
Erfahrungen des letzten Jahres, zur Einsicht
kommen und endlich den zehnjährigen Kampf
gegen die Wirtschaft einstellen werden. Die
täglichen Zusammenbrüche in den abgelause-
nen Monaten sind eine eindringliche War-
nung. In der Zeit vom Oktober 1928 bis
September 1929 sind 9295 Konkurse eröffnet
worden, abgesehen von den mangels einer
Masse abgelehnten und den Vergleichsverfah-
ren ohne offizielle Vankerotterklärung. Inner-
halb der gleichen Frist gingen über 100 000
Wechsel zu Protest, und es wurden in den
ersten neun Monaten 1929 18 552 Unterneh-
mungen aufgelöst, denen nur 11436 Neugrüu-
dungen gegenüberstanden, so dass sich inner-
halb ej,nes Dreioierteljahres ein Ausfall von
mehr als 7000 Arbeitsstätten ergab. Die Ver-
schuldung Deutschlands hat weitere Fort-
schritte gemacht. Wenn sie vor einem Jahre
14,7 Milliarden RM. betrug, so dürfte sie
jetzt auf 17 Milliarden an gewachsen sein und
sich bei Fortdauer der bisherigen Finanz- und
Ausgabenwirtschaft jährlich um etwa ll—1
Milliarden RM. progressiv weiter erhöhen,
so dass sie sich 1934 selbst bei Annahme des
Young-Planes auf 37 Milliarden RM. be-
laufen würde. Dies bedeutet: dass Deutsch-
land dann 4,5 Milliarden RM. jährlich an
Reparationen und Schuldzinsen aufzubrrnqen
hätte, während wir an den im Jahre 1929
fälligen 3,5 Milliarden schon schwer genug
tragen. Da es ausgeschlossen ist: derartige
Summen aus den laufenden Einnahmen zu
bestreiten, so bleibt als einzigeFinanzierungs-
methode. wenn man es euphemistisch so nennen
darf, die Veräusserung der Substanz an die
ausländischen Gläubiger. D, h., der Ausver-
kauf Deutschlands, der schon in verhängnisvol-
ler Weise eingesetzt hat, wird in beschleunig-
tem Tempo fortgeführt werden.
Vor dem Kriege betrug das Gesamtein-
kommen des deutschen Volkes 40, vielleicht

auch 42—43 Milliarden RM. Davon entfie-
len etwa 20—22 Milliarden RM. auf den
Lebensunterhalt der Bevölkerung und 6—6,5
Milliarden RM. auf Steuern und soziale Ab-
gaben, so dass gute 12 Milliarden RM. teils
für Neuinvestierungen, teils zur Bildung von
zusätzlichem Kapital übrigblieben. Heute sieht
das Bild weniger erfreulich aus: Das Real-
einkommen ist ungefähr das gleiche, wenn es
auch entsprechend der Geldentwertung um 50
v. H. höher — mit 60 Milliarden RM. — zu
veranschlagen ist. Auch der Verbrauch ist
etwa der gleiche und mag sich auf 30 Milliar-
den RM. belaufen. Dagegen hat sich die Be-
lastung durch die öffentliche Hand von 6 auf
25 Milliarden RM., also von 15 o. H. aus
40 v. H. des Nationaleinkommens gehoben.
Nach Abzug dieser beiden Posten verbleiben
heute nur noch 5 Milliarden RM. für die
notwendigen Neuanlagen und die Kapitalbil-
dung, d. h. unter Berücksichtigung des verän-
derten Geldwertes etwas mehr als ein Vier-
tel dessen, was vor dem Kriege für diese
Zwecke zur Verfügung stand. Damit kann die
Wirtschaft nicht auskommen: um so weniger,
als sich ihr Finanzbedarf in der Zwischenzeit
beträchtlich vermehrt hat. Die Folge ist auf
der einen Seite ein wirtschaftlicher Schrump-
fungsprozess, dem ein Unternehmen nach dem
anderen zum Opset fällt, auf der anderen
eine zunehmende Verschuldung an das Aus-
land, die die Vorstufe zu dem früher oder spä-
ter unvermeidlichen Ausverkauf bildet. Aber
auch dieser Entwicklung sind Grenzen gezogen.
Das Interesse des Auslandes an der deutschen
Wirtschaft ist gering, und nur wenige, selbst-
verständlich gerade die besten Unternehmun-
gen bieten dem fremden Kapital einen An-
reiz: sich in ihnen festzulegen, mit der Aus-
sicht, sie gegebenenfalls in eigenen Besitz, und
womöglich gar in eigene Verwaltung zu neh-
men.
Die Richtlinien einer Finanzreform, die
diesen Namen vecdienl, zeichnen sich danach
klar ab. Der Anteil der Wirtschaft an dem
Volkseinkommen in ich vergrössert, der der
öffentlichen Hand verkleinert werden. Von
diesem Gedanken ist angeblich auch das Pro-
gramm getragen, das die Regierung einstwei-
len allerdings nur in groben Umrissen, dem
Reichstag versprochen hat. Aber wenn es in
ihrer Absicht liegt: eine Kapitalbildung im
Inland wieder zu ermöglichen, so ist es mit
einer steuerlichen Umschichtung nicht getan-.
Es genügt nicht: die Lasten, die dem einen
ab.genommen werden, dem anderen aufzubür-
den und ein Loch zuzustopfen, um an der näch-
sten Ecke ein ebenso grosses, vielleicht sogar
noch grösseres aufzureissen. Vielmehr muss
Hand in Hand mit der beabsichtigten Steuer-
senkung die schärfste Beschränkung der öffent-
lichen Ausgaben gehen. Nur unter dieser
Voraussetzung können Erleichterungen, die
der Wirtschaft zügedacht werden, auch die be-
absichtigte Wirkung haben. Es muss aufs
äusserste gespart werden! Wir müssen endlich
aufhören: den reichen Mann zu spielen, wäh-
rend wir tatsächlich dicht vor dem Bankerott
stehen, vor einem Bankerott, den man nach
der Kritik, die der Reichskanzler selbst an der
bisherigen Finanzgebarung geübt hat, im
Privatleben kaum als ehrlich bezeichnen
würde. Die Rede, mit der Hermann Müller
seiner und seines inzwischen abgetretenen Kol-
legen Hilferding Finanzreform begründete,
war ein trauriger Epilog für das herrschende
System, wie es zehn Jahre lang von den So-
zialdemokraten oder als Konzession an die

Sozialdemokraten gehandhabt wurde. Miss-
erfolg auf der ganzen Linie! Immerhin:
wenn die Einsicht in die begangenen Fehler
den ersten Schritt zur Besserung bedeutet, so
könnte diese Erklärung begrüsst werden, und
wenn das katastrophale Jahr 1929 wenigstens
die Erkenntnis vorbereitete: dass es in der
bisherigen Weise nicht weitergeht und dass die
Sparsamkeit endlich als oberster Grundsatz in
unserer Finanzwirtschaft einziehen muss, so
schliesst es trotz allen Ungemachs mit einem
wertvollen Aktivum....
Auch in den Städten schien sich eine Um-
kehr anzubabnen Unter dem Druck der finan-
ziellen Erschöpfung stellte Berlin plötzlich alle
seine Neubauten ein. Der Fehlbetrag des
städtischen Haushaltes beläuft sich auf 40—5Ö
Millionen RM. und hie schwebende Schuld
auf etwa 300 Millionen RM. Es gehört
schon eine seltsame Dialektik dazu: um diese
Finanzlage als gesund zu bezeichnen! Die
gähnende Leere der Stadtkasse kann man nicht
abstrciten, aber man meint: dass diese in kei-
nem Zusammenhang mit der angeblich glück-
lichen Finanzlage der Stadt stände. Immer-
hin, die Finanzen Berlins sind nicht hoff-
nungslos, sie können wieder gesunden — frei-
lich nicht durch eine kurzfristige Anleihe, die
nur eine vorübergehende Hilfe bietet, auch
nicht durch eine Erhöhung der Tarife, die sehr
bald die üblichen höheren Lohnforderungen
nach sich ziehen wird, sondern einzig und
allein durch eine Beschränkung der kommuna-
len Aufgaben. Man braucht nur dem Pri-
vatunternehmen die Gebiete wieder zu über-
lassen, auf denen die Stadtverwaltung bei
höchsten Unkosten nur Misserfolge erntet, und
die finanzielle Gesundung wird sich einstellen.
„Selbstdisziplin" heisst die Parole, die der
Präsident des Deutschen Städtetages neuer-
dings für die Kommunen ausgegeben hat, um
einer schärferen Beaufsichtigung durch den
Staat zu entgehen. Das Wort klingt sehr
schön, aber wo bleibt die Selbstdisziplin, wenn
die Berliner Stadtverordneten den Arbeitslo-
sen aus dem leeren Stadtsäckel ein Weih-
nachtsgeschenk von 6 Millionen RM. verspre-
chen? Wenn die Phrase einen Sinn bekom-
men soll, so nur den: dass sich die Städte künf-
tig nach ihren unbedingt notwendigen wirt-
schaftlich tragbaren Einnahmen einrichten und
von allen wirtschaftlichen Experimenten abse-
hen. Damit wäre auch dem Haüsbesitz ge-
dient. der bisher der Prügelknabe der städti-
schen Finanzpolitik gewesen ist. Alle seine
sehr berechtigten Wünsche auf Senkung der
Realsteuern, auf Milderung bezw. Abschaffung
der Hauszinssteuer müssen Wünsche bleiben,
solange die kommunale Selbstdisziplin nur ge-
predigt, aber nicht praktisch geübt wird. Selbst
die von der Regierung geplanten Ermässi-
gungen dieser Abgaben können nicht von
Dauer sein, solange die Städte wirtschaftliche
Betriebe mit Steckermitteln unterhalten. Die-
ses System muss die schärfste Ausnutzung der
Realsteuern zur Folge haben!
*
Demgegenüber nehmen sich die Finanzen
Preußens geradezu glänzend aus. Zwar
schliesst auch der preussische Etat mit einem un-
gedeckten Defizit von 88 Millionen RM.. aber
dieses ist im Vergleich mit den Ausfällen des
Reiches und denen der grösseren Kommunen
gering. Man wird auch dem preussischen Fi-
nanzminister die Anerkennung nicht versagen:
dass er, soweit er überhaupt eine selbständige
Entscheidung hat, seines Amtes mit Umsicht
 
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