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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0157
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Nr. 27

Eoimtag, S. Luli

äahrgang ^930

Seidelberger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
IIiMiiWtt» KimpftlM str die 3i«ttessc> iee de<is»e> Rittelßiides
MeIMleW°vWiiftW Zeitimg „ »wOeiüIche Mia-Wm
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen lvefcyastsftelle. Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund- .. olerteljährlichL, 10Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
K-Nt-OL na, Heldelverg, Hauptstraße tOO wrrd kem Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichs-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum - Pfennig für die achtgespaltene MMmetLzetle oder deren
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter. Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Z»ile.



Im Nachkriegsdeutschland ist es beliebt ge-
worden, Vorgänge im Reiche unter der Lupe
Ausländers zu betrachten. Dabei ist man
Mschiedentlich so weit gegangen, die ganze
Staats- und Wirtschaftsführung nur unter
^IN Eindruck zu sehen, wie ihn das Ausland
Men sollte. Das hat manchmal nach einer
Beschämung der Deutschen ausgesehen.
. Geht man davon aus, daß es ein Privileg
Mernational denkender Kreise ist, mit dem
Mrt „Wie denkt das Ausland darüber"
Stimmung für Pläne oder Kritik an Vorgän-
M zu machen, so ist es nichts anderes als
Mig, wenn sie auch setzt wieder das Ausland
"Mschweigend zur Hilfe rufen bei einer Ak-
^on, die tatsächlich einmal weltwirtschaftlichen
Interesses wert ist, den bekannten Preissen-
'nngsbestredungen: und das um so mehr, als
NNen im eigenen Lande vorerst jedenfalls
Noch die große Masse, wenn auch nicht direkt
Ablehnend, so doch wenigstens mit der üb-
Men Gleichgültigkeit gegenübersteht. Aber
"»von liest man in den Blätter dieser Rich-
,?Ng nichts: und das ist auch nicht verwunder-
!sch. denn sie müßten befürwortende Stimmen
Nr eine Sache bringen, die sie in Grund und
-boden verdammen.
Die Preissenkungsaktion hat in England
!Nd Holland vornehmlich einen Widerhall ge-
funden, der klangrein ist. Das heißt also, die
Nemden Länder haben gleiche Ansicht und
Mse Ansicht gipfelt in dem unumwundenen
Ausspruch: jetzt wird es uns schlecht gehen.
iMse negative Folgerung ist die Anerkennung
M Richtigkeit des deutschen Vorgehens und
.Uenn man sich überhaupt mit ihm beschäftigt,
fu zeigt das gleichzeitig die eminente Bedeu-
Mg der Bewegung. Daily Mail sagt, der
Lohnabbau sei in Meisterstück der deutschen
Silierung. Das stimmt nur halb. Der Ab-
AN ging nämlich von dec Wirtschaft aus, die
Wallierung gab nur so eine Art Senf dazu,
Mein sie den Schiedsspruch für verbindlich er-
d Urte. Das ändert aber schließlich nichts
.Uran daß die Preissenkung gls das ange-
Men wird, was sie sein wollte und ist: die
Wallung Deutschlands auf dem Weltmarkt
Ueder zu gewinnen, ein Markt, der für uns
Wbensnotwendig ist, aber leider hauptsächlich
M England und Amerika beherrscht wird.
Ugland leidet ebenso wie wir unter der Ar-
Wtslosiqkeit, und es ist sehr richtig, wenn
Mglische Zeitungen sagen, es würde noch im
- llinpfe der Arbeitslosigkeit ersticken, wenn
Nrne Industrie nicht das gleiche wie die
putsche fäte. Hier wird auch erkannt, daß nur
MMrgung mit Arbeit ein Land hoch-
Mllgt. Diese Selbstverständlichkeit sei hier
Nr deswegen noch besonders erwähnt, weil
M uns der Glaube vorherrscht, die Verssor-
H,Ng mit Unterstützungen täte den
MMn Dienst. Manche englische industrielle
j sind auch noch der Ansicht. daßDeutsch-
N auch auf ihren Inseln Fuß fassen würde.
Ms der lleberheblichksit des Engländers, die
Mschnft der Vereinigten Königreiche sei un-
,ltbar, sind solche Aeußerunqen gewiß seht
Nächtlich.
xj .^u Holland versteht man es nicht, wie
llrsNr Arbeiterführer eine beweglichere Tarif-
verurteilen könnten. Sie würden
ihr Dazwischentreten die Steigerung der
^ertb^merbsfähigkeit des Reiches in frivoler
da^!W unterbinden. Der Nieuwe Rotter-
, Utzchx Courant geht sogar soweit, zu be-
upten, daß die freien Gewerkschaften man
Uten geführt würden, die nicht die geringste
MMug von der Natur wirtschaftlicher Vor-
uge hätten. Das unsinnige Festhalten an

der Kaufkrafttheorie sei einer der verhängnis-
vollsten Fehler gewerkschaftlicher Wirtschafts-
lehre. Wenn man so etwas in Deutschland
sagt, gehört man zur Kategorie der Aus-
beuter.
Das deutsche Volk muß immer wieder mit
der Nase darauf gestoßen werden, daß die
einzige Möglichkeit, die Kaufkraft zu heben,
in einer rationellen Produktion liegt. Diese
hat bisher bei derEinseitigkeit derGestehungs-
koftenfestsetzung gefehlt. Daher kann auf dem
bisherigen Wege auch niemals die deutsche
Wirtschaft wieder normal gestaltet werden.
Das Wirtschaftselend, hervorgerufen durch die
Reparationen und die Steuer- und Finanz-
politik, gesteigert durch die Weltwirtschafts-
depression, ist nur zu überwinden, wenn alle
Teile oes Volkes Mitarbeiten, und dazu ge-
hört an erster Stelle der Zusammenhalt zwi-
schen Unternehmer und Arbeiter. Gelingt das
nicht, dann wird Deutschland selbst daran
schuld sein, wenn seine Wirtschaft eine Null
wird. Und diese Null werden auch Zeppeline

und moderne Schiffe nicht zu einem Geltungs-
wert machen können.
Man kann die augenblicklichen Vorgänge
mit einem zur Verhandlung stehenden Pro-
zeß vergleichen. Der Richter ist hier nur kein
Beamter, sondern die höhere Gewalt. Nimmt
das deutsche Volk in seiner Gesamtheit nicht
den ihm gebotenen Vergleich an, nämlich sich
durch allgemeine Preissenkung noch zu retten,
dann kommt bald das Urteil. Und es wird
furchtbar sein. Der wirtschaftliche Zusammen-
bruch schreibt dann wesentlich andere Arbeits-
bedingungen vor: und gegen die Vollstreckung
dieses Urteils werden auch die Gewerkschafts-
führer. die heute noch mit der Wirtschaft spie-
len wollen, machtlos sein. Die von höherer
Gewalt durchgeführte Zwangsvollstreckung im
Volke kann über nicht durch Schiedssprüche
und Reden eingestellt werden: nur durch Ar-
beit, und zwar solche, die an die der Fron-
vogtzeiten erinnert. Das sind dann die Er-
gebnisse gewerkschaftlicher Wirtschaftslehren.
Hans Steffen, Heidelberg.

„Große" oder „kleine" Fmanzreform?

Das Finanzprogramm der Regierung hat
— von allem anderen abgesehen — auch noch
den Fehler, daß es die Finanzlage viel zu
optimistisch ansieht. Zunächst wird die Ar-
beitslosenversicherung viel größere Ansprüche
als die jetzt vorgesehenen an den Etat stellen.
Die Regierung rechnet mit einerDurchschnitts-
arbeitslosigkeit für dieses Jahr von 1,6 Mill.
Hauptunterstlltzungsempfänger: tatsächlich
wird diese Zahl aber viel höher werden: da
je Hunderttausend Arbeitslose die Reichsan-
stalt rund 105 Millionen Mark kosten, wird
allein aus der Arbeitslosigkeit der Etat um
jetzt nicht vorgesehene Betrüge von mindestens
300—400 Millionen belastet. Weiter ist da-
mit zu rechnen, daß die steuerlichen Einnah-
men des laufenden Etatsjahres um einen viel
größeren als den veranschlagten Betrag ge-
ringer werden, sodaß auch hier unvorher-
gesehene Ausfälle wahrscheinlich sind. Ferner
scheint die Regierung in ihrem Programm auf
die schwebende Schuld des Reiches von rund
2 Milliarden Mark gar keine Rücksicht genom-
men zu haben, zu deren Abtragung wahr-
scheinlich über kurz oder lang in irgendeiner
Form die Steuern herangezogen werden sol-
len. In eine Gesamtbetrachtung der öffent-
lichen Finanzwirtschaft müssen auch noch die
Finanzen der Länder und der Gemeinden ein-
bezogen werden: deren Verfassung ist aber
noch viel ungünstiger als beim Reich, da Län-
der und Gemeinden nicht die Besteuerungs-
möglichkeiten des Reiches haben.
Diese Situation zwingt die verschiedensten
Schlußfolgerungen auf. Zunächst die, daß eine
Teillösung wie die jetzt vorgesehene nicht mehr
möglich ist, daß vielmehr eine Gesamtlösung
gefunden werden muß. Wird nur die jetzige
Teillösung, die eine einigermaßen ins Ge-
wicht fallende Ausgabensenkung nicht vor-
sieht, durchgeführt, dann muß sich schon bald
mit automatischer Sicherheit der Zeitpunkt
ergeben, in dem die Fortführung der Aus-
gabenwirtschaft an der Verschlechterung der
Wirtschaftslage scheitert: in diesem Augenblick
wäre aber der finanzielle Zusammenbruch des
Reiches gekommen. Die »zweite Folgerung ist
die, daß mit dem jetzigen System der direkten
Besteuerung der tatsächliche Bedarf nicht mehr
gedeckt werden kann, da die Einnahmen aus

ihr sich immer weiter verschlechtern. Sie muß
ersetzt werden durch eine Massenbesteuerung,
die die Kapitalentblößung verhindert, deren
Erhebung billig ist, der sich niemand entzie-
hen kann, die jedem fühlbar ist und die da-
durch einen stärkeren als den bisherigen
Zwang auf Kontrahierung der öffentlichen
Finanzwirtschaft ausläst. Eine weitere Folge-
rung ist die, .daß der Etat unbedingt von sei-
nem größten llnsicherheitsfaktor zu befreien
ist, nämlich van der Zuschußwirtschaft an die
Sozialversicherung: deshalb ist auch eine
grundlegende Reform der Sozialversicherung
baldigst in Angriff zu nehmen. Die letzte Fol-
gerung ist die endliche Durchführung eines
grundsätzlichen Verwaltungs- undVerfassungs-
umbaues, dec die Loslösung des Staates vor
allen die Aufgaben im Auge haben müßte, die
den Staat nichts angehen, die ihn aber viel
Geld kosten und die Wirtschaft in ihrer Ent-
faltung hemmen. Leider erfahren auch die
notwendigsten und einfachsten-Maßnahmen in
ihrer Durchführung durch die politische Situ-
ation eine außerordentliche Beschränkung: des-
halb wird die Durchführung des notwendigen
Programms nur auf außerparlamentarischem
Wege ähnlich wie 1924 möglich fein.
Die Finanzpolitik der letzten 10 Jahre hat
völlig unter sozialistischem Einfluß gestanden..
Nachdem dem Sozialismus die Sozialisierung
der Wirtschaft auf direktem Wege nicht gelun-
gen war. hat er die Besteuerung als Hilfs-
mittel der Sozialisierung entdeckt: der Staat
hat sich durch die Steuern immer mehr an der
Wirtschaft „beteiligt", wobei allerdings das
ganze Risiko bei den Unternehmen verblieb.
Weil die Steuerpolitik zu einer neuen Me-
thode der Sozialisierung ausgebaut worden
ist, werden auch Mahnungen auf sparsame
Wirtschaft wirkungslos bleiben, weil die
Höhe der Ausgaben ja erst die Höhe der Be-
steuerung rechtfertigt. Da die Steuerpolitik
zu einem politischen Instrument geworden ist,
muß deshalb der Kampf um die öffentliche
Finanzwirtschaft unter politischen Gesichts-
punkten geführt werden: die Finanzpolitik
muß sich zu der grundsätzlichen Frage entwik-
keln, ob im Deutschland der Zukunft der sozia-
listische oder der privatwirtschaftliche Gedanke
die Vorherrschaft haben soll.

Ser Kampf gegen
die Znnungskrankenlaffen.
wird von der Ortskrankenkasse mit schärfstem
Eifer fortgesetzt., So hat nunmehr der Lan-
desverband Thüringen des Hauptverbander
Deutscher Krankenkassen auf seiner 41. Jahres-
versammlung am 30. und 31. Mai d. I. in
Greiz folgende Resolution gefaßt: „Die 41.
Jahresversammlung dies Landesverbandes
Thüringen des Hauptverbandes Deutscher
Krankenkassen in Greiz hat mit Befremden
davon Kenntnis genommen, daß im Gegensatz
zu den anderen deutschen Ländern die Staats-
regierung im zunehmenden Maße Innungs-
krankenkassen genehmigt. Davon sind c— fast
immer im Widerspruch zu den sachkundigen
und rechtlich einwandfreien Beschlüssen des
Oberversicherungsamtes — eine Anzahl lei-
stungsunfähiger kleiner Kassen geschaffen wor-
den. Die Genehmigung kann sachlich nicht ge-
rechtfertigt werden: sie ist Zerstörung der in
Thüringen zur Steigerung der Leistungsfähig-
keit der Krankenversicherung geleisteten Auf-
bauarbeit und muß deshalb aufs schärfste zu-
rückgewiesen werden. Die Versammlung als
berufene Vertretung der Krankenversicherung
in Thüringen, richtet deshalb an die thürin-
gische Staatsregierung das dringende Er-
suchen, ihre für die Krankenversicherung ge-
radezu verhängnisvolle, sachlich ungerechtfer-
tigte Haltung zur Errichtung neuer Jnnuno.s-
krankenkassen aufzugeben."
Wir fragen einmal, warum gibt man nicht
den Innungen, die so oft von verschiedenen
bürgerlichen Parteien geforderte Möglichkeit,
daß sie zusammen mit anderen Innungen von
vornherein eine leistungsfähige Jnnungskran-
kenkasse gründen können? Gegen diese Ge-
setzesänderung wird aber vom Hauptverband
Deutscher Krankenkassen ebenfalls mit aller
Energie gekämpft. Darin zeigt sich eben der
wahre Charakter des Kampfes: Man will
nicht etwa leistungsfähige, sondern überhaupt
keine Jnnungskrankenkasfen haben, da man
jeden vernünftigen berufsständischen Ausbau
unserer Sozialversicherung als Verrat erklärt.
Wie notwendig aber eine Reform der
Reichsversicherungsordnung gerade in der
Frage der Neugründung vonJnnungskran'ken-
kassen ist, das zeigt ein neuer Erlaß des Preu-
ßischen Ministers für Volkswohlfahrt über
Errichtung von Jnnungskrankenkasfen vom 20.
Mai 1930. Hier beanstandet der Minister
wiederum, daß das Versicherungsamt nicht die
dauernde Leistungsfähigkeit der einzelnen
Kassen angenommen habe, sondern gegen die
Leistungsfähigkeit erst „nach einer Verschmel-
zung" mit anderen etwa noch zu errichtenden
und bereits bestehenden Jnnungskrankenkassen
keine Bedenken gehabt habe." Auf die Lei-
stungsfähigkeit einer vereinigten Innungs-
krankenkasse kommt es jedoch für die Entschei-
dung nicht an, weil das Gesetz verlängt, daß
auch die Leistungsfähigkeit der Einzelkässe
vor ihrer etwaigen Vereinigung für die.
Dauer sicher sein muß."
Bei dieser neuen, nunmehr seit etwa Jah-
resfrist geübten Verwaltungspraxis des Preu-
ßischen Ministerium für Volkswahlfahrt —
Geheimrat Hoffmann ist bekanntlich durch
einen orthodoxen Ortskrankenkassen-Anhänger
ersetzt worden —. ist eine Aenderung.des 8 32
Reichsversicherungsordnung tn dem Sinne
dringend erforderlich, daß auch mehrere In-
nungen gemeinsam eine Jnnungskrankenkasse
errichten können.
 
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