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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0151
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Jahrgang -19Z9

Gormiag, 29. Lum

Nr. 26

Geschäftsstelle:
Heidelberg, Hauptstraße 1VV

MWMeM-ÄkWWk Mlg
Zeitung für gesunde Wirtschaftsintercssen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter,

Heidelberger .....
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
IludhNgiges IMsdlM sitt Sie Zileressei Scs SeiüsW MilielftaiSes
-."". SMOeilW Mgll-MW
Bezugspreis monatlich 0,6V Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Inscrtwnspreis ist 10 Reichs--
vfennig für die acktgespaltene Millimeterzeile oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM- pro mm-Zeile.

Vorschläge -er preußischen Landtagssraktton -er MrWasLspartei in Verfolg -er Aeichspolitik -er Partei zur


Sanierung der Finanzen von Reich, Ländern und Gemeinden.

Die Krisis der Finanzen und der Wirt-
ichaft, die, wie wir schon seit Jahren bei
Men Etatsberatungen voraussagten, als
Folgewirkung einer geradezu verschwenderi-
ichen Ausgabenpolitik aller öffentlichen Ver-
waltungen kommen mutzte, tritt gleichzeitig in
^eich, Ländern und Gemeinden auf, die in
einer unlösbaren Wechselwirkung zueinander-
itehen. Sämtliche bisher bekanntgewordenen
Tanierungsvorschläge der Reichsregierung sind
dicht geeignet, die Krisis zu beseitigen, weil
die Reichsregierung nicht die erforderlichen
durchgreifenden Vorschläge zur Ausgaben-
senkung macht, sich mit den gegebenen Tat-
sachen im großen und ganzen abfindet und
lediglich durch neue, fast vom gesamten Volk
abgelehnte Steuervorschläge ein Defizit decken
will, das in Wirklichkeit viel größer ist und
auch nach Annahme der Vorschläge der Reichs-
regierung weiter anwachsen wird.
Von einer Sanierung kann aber nur die
^ede sein, wenn Maßnahmen getroffen wer-
den, welche die Wirkung haben, daß die ge-
wirrte V e r w a l t u n g s r e g i e in Reich,
Ländern und Gemeinden um denjenigen Be-
trag verbilligt wird, um den sie sowohl
sm Verhältnis zu den andern Ländern, mit
denen wir konkurrieren müssen, als auch im
Verhältnis zur Vergangenheit zu groß gewor-
den ist. Das bedeutet, daß von den Gesamt-
ausgaben in Reich, Ländern und Gemeinden
don ungefähr 23 Milliarden Reichsmark min-
destens 4 Milliarden Reichsmark eingespart
werden müssen. Jede Sanierung, die diesen
Effekt nicht im Auge hat. ist nicht radikal ge-
s'-ug und deshalb zum Scheitern verurteilt.
Erst nach Abstrich dieser 4 Milliarden RM.
sst das augenblickliche tatsächliche Defizit von
windestens 2 Milliarden getilgt und darüber
hinaus eine wirkliche Steuersenkung und Ka-
Pitalbelebung der Wirtschaft überhaupt möglich.
Es hat keinen Zweck, Steuern zu beschlie-
ßen, die nur auf dem Papier stehen und nicht
Eingehen, weil die Steuerguellen immer mehr
versiegens Der Lebensstandard der öffent-
achen Verwaltung und der großkapitalistischen
Wirtschaft ist unerträglich groß. Er zeigt sich
Insbesondere in der Höhe der gezahlten Ge-
hälter der gehobenen Kommunalbeamten, der
^irektorengehälter und Tantiemen des Groß-
.apitals. Unerträglich hoch für die Wirtschaft
auch der Zinsfuß, den die Privatwirtschaft
i>>r kurzfristige und auch selbst für langfristige
nestgssicherte Kredite bezahlen muß. Erst nach
Durchführung der erforderlichen, wirklich
Durchgreifenden Sanierungsmaßnahmen der
''.'Nanzwirtschaft wird es möglich fein, auch
wese Mißstände zu beseitigen.

Zur sofortigen Behebung der Finanzkrise
wachen wir folgende Alsbaldvorschläge:
1. Die Arbeitslosenversicherung
wuß aus dem Etat vollständig herausgenom-
b^n werden. Dies geschieht durch Zusammen-
Msung aller sozialen Einrichtungen mit gegen-
jwtiger Ausgleichspflicht. Es geht nicht an,
jwtz eine große Anzahl öffentlich-rechtlicher
Dialer Einrichtungen starke Ueberschüsse auf-
Mst, während andere Not leiden. Ist eine
Sanierung durch die öffentlich-rechtlichen sot-
?uien Einrichtungen in sich nicht ausreichend,
darf die Sanierung der Arbeitslosenver-
icherung durch Heraufsetzung der Beiträge nur
folgen, wenn gleichzeitig damit eine Ver-
lagerung der Leistungen verbunden ist. Das-

selbe gilt auch für die änderns sozialen Ein-
richtungen.
Dis demoralisierenden Folgen der Arbeits-
losigkeit sind durch Einführung einer Arbeits-
dienstpflicht zu beheben.
Durch Herausnahme dec Arbeitslosenunter-
stützung aus dem Etat werden erspart RM.
730 000 000.—.
2. Sämtliche beteiligten Stellen, nämlich
Reich, Länder, Kommunalverbände und Ge-
meinden haben innerhalb einer kurz bemesse-
nen Frist eine Kürzung sämtlicher Etats-
titel dergestalt vorzunehmen, daß bei jedem
Etat 5 Prozent eingespart werden. Derartige
Ersparnisse find möglich. Bei welchen Etats-
titeln die entsprechenden Einsparungen ge-

Jn fast allen Kommunalhaushalten ist seit
1928 ein Gleichgewicht zwischen Ausgaben und
Einnahmen nicht mehr vorhanden: während
noch im Rechnungsjahr 1926/27 ungedeckte
Fehlbeträge in nennenswertem Ausmaß nicht
existierten, sind zum mindesten seit dem Rech-
nungsjahr 1929 fast überall Fehlbeträge ein-
getreten, die man eine Zeitlang künstlich zu
verschleiern versuchte, die aber jetzt offenkun-
dig geworden sind. Allein im rheinisch-west-
fälischen Jndustriebezirk stehen jetzt so große
Städte wie Dortmund. Düsseldorf, Gelsenkir-
ken-Buer (von kleineren Gemeinden gar nicht
zu redens vor der staatlichen Zwangsetatisie-
rung. Andere Städte befinden sich in einer
ähnlichen Situation der fortschreitenden Fi-
nanzverschlechterung. So ist z. B. auch in der
gut geleiteten Essener Stadtverwaltung im
Etatsjahr 1929 das Aufkommen an Kommu-
nalsteuern, Werkstarifen usw. um über 2
Mill. Mark hinter dem Voranschlag zurückge-
blieben, ein Beweis dafür, daß auch in gut-
geleiteten Städten die kommunale Steuerkraft
erschöpft ist. In Duisburg, Hamborn, Bochum,
Köln usw. droht das Anwachsen der Zahl der
Wohlfajhrtserwerbslosen die mit Mühe ins
Gleichgewicht gebrachten Etats völlig umzu-
werfen: fast überall hat diese sich in den letz-
ten Wochen gegenüber den Voranschlägen um
50—100 Prozent vermehrt. Bezeichnend für
die finanziellen Zustände ist auch die Höhe der
im Ruhrrevier erhobenen Realsteuern:
Erundverm.- E.-Ertrags- Lohns.-
Steuer

Wanne-Eickel
350
780
3900
Oberhausen
330
825
3300
HernH
400
8(H
4000
Gelsenkirchen
350
790
3900
Bochum
375
700
2800
Dortmund (Vorschlags
550
950
3800

Fast überall haben die Gewerbesteuerver-
handlungen mit den Gemeinden für das Jahr
1930/31 bedenkliche Steigerungen der Zu-
schlagssätze ergeben, ohne daß dadurch in allen
Fällen auf den Vortrag ungedeckter Fehlbe-
träge hätte verzichtet werden können.
Wenn man nach den Gründen für diese Er-
scheinung fragt, so sind zunächst tatsächliche
Zwangsläufigkeiten anzuführen, die — z. B.
für das Gebiet der Wohlfahrtspflege — be-

macht werden, muß den einzelnen Ressorts
überlassen bleiben.
Diese Ersparnisse ergeben bei etwa 23 Mil-
liarden Ausgaben rund RM. 1150 000 000.
3. Sofortiges Verbot sämtlicher
Neubauten für Reich, Länder und Kom-
munen. Hierunter fallen auch Neubauten für
Luxuszwecke, für soziale und kulturelle Zwecke,
wie Stadien, Rennbahnen, Freibäder, Schu-
len, Messe- und Ausstellunqsqebäude usw.
Ersparnis RM. 250 000 000.
4. Sofortige Einstellung aller
zw a n g s g e b u n d e n e n Wirtschaft u.
damit auch der Neubautätigkeit aus
öffentlichen Mitteln.
Ueberführung der Wohnungszwangswirt-
schaft in die freie Wohnungswirtschaft.

reits angegeben. Aber auch andere, sehr wohl
vermeidbare Aufwendungen haben das finan-
zielle Geschick der Gemeinden sehr stark beein-
flußt. Köln ist z. B. sehr stark in Verlegen-
heit geraten durch seine Geld ausgab en für
Grünanlagen, Sport-Spielplätze, Messen usw.,
jetzt hat die Stadtverwaltung erklären lassen,
daß sie diese sin ihren Notwendigkeiten aller-
dings fast allgemein sehr bestrittenenj Arbei-
ten nur fortführen könne, wenn der Lohn-
und Materialanteil zu 80 Prozent aus den
Mitteln des Reiches und des Staates gedeckt
würde! Besonders anschaulich ist das Bei-
spiel von Dortmund mit seinem Fehlbe-
trag von fast 4 5 Mill. -A. Hier spielt
neben dem Ansteigen des Wohlfahrtsetats
eine sehr erhebliche Ralle die Durchführung
von teilweise sehr kostspieligen Bau-
ten, die allein in 3 Fällen einen jährlichen
Zuschußbedarf von insgesamt über eine Mill.
Mark erfordern: dazu kommen noch die Fol-
gen einer weit überspannten Umgemeindungs-
politik, die den Dortmunder Etat allein mit
4—5 Mill. Mark im Jahre belasten und ande-
res mehr. Neben den immer erwähnten
„Zwangsläufigkeiten" spielen also auch noch
andere Umstände eine sehr erhebliche Rolle.
Eine weitere Steigerung der Realsteuern
und der Werkstarrife ist — wie das Essener
Beispiel zeigt — so gut wie unmöglich: wo
keine Erträgnisse mehr erzielt werden, bleibt
auch eine höhere Besteuerung wirkungslos:
höchstwahrscheinlich werden schon in diesem
Etatsjahr nicht einmal mehr die Steuern des
bisherigen Ausmaßes eingehen. Auch die
Kommunen müssen deshalb stärkste Selbstbe-
scheidung üben. Daneben kommt noch in
Frage die Beseitigung mancher Ungerechtigkei-
ten aus dem jetzigen Finanzausgleich. Die
Hauptsache ist aber, daß in eine Finanzreform
auch die Länder und Gemeinden organisch ein-
bezogen werden. Denn es hat keinen Zweck,
wenn eine Krise der Reichsfinanzen vermieden
wird, diese dafür bei den Kommunen aber
umso schroffer zum Ausdruck kommt. Ferner
hat es keinen Sinn, an der einen Stelle
Steuern zu senken, um sie dafür an anderen
Stellen zu erhöhen. In keinem Fall kommt
es so sehr auf den Gssanrteffekt an wie in
diesem.

Ersparnis aus der Einstellung der Neubau-
tätigkeit aus Steuermitteln rund 1000 000 000
RM.: Ersparnis aus dem Abbau der Woh-
uungszwangsverwaltungsstellen mindestens
500 000 000 RM., Summa: 1500 000 000
RM.
5. Verbot und Auflösung aller Wirtschafts-
betriebe der öffentlichen Hand nach einem vor-
zulegenden Programm, und zwar auch solcher,
die von kommunalen Gesellschaften errichtet
werden bzw. an denen die Kommunen betei-
ligt sind mit Ausnahme der notwendigen
lebenswichtigen Verkehrs- und Versorgungs-
betriebe.
6. Aenderung des Steuersystems durch Zu-
sammenfassung der Erhebungsstellen vonReich,
Ländern und Gemeinden mit Senkung der
Erhebungskosten auf ein normales Maß.
Das Allgemeininteresse der Bürgerschaft
an der Verwaltung muß durch Wiedereinfüh-
rung der ehrenamtlichen Tätigkeit wiederher-
gestellt werden. Ersparnis RM. 350 000 000.

Nach Durchführung dieser Maßnahmen wird
es möglich sein, den unerträglich hohen Zins-
fuß zu senken, insbesondere bei der Beleihung
von Haus- und Grundbesitz, und eine billige
Kreditgewährung an Handwerk, Handel und
Gewerbe durchzuführen. Hierzu wäre die
Aufnahme von öffentlichen Anleihen über
einen von der Regierung festzusetzenden Zins-
fuß hinaus zu verbieten.
Diese Vorschläge enthalten nur Maßnah-
men, die einen sofortigen Effekt haben. Es
sind daher nicht darin enthalten die notwen-
digen Maßnahmen zur Verwaltungsreform
und -Vereinfachung der Behörden, insbeson-
dere auch der vollständig aufgeblähten und
ungesunden Kommunalverwaltung, deren
Durchführung aber zu lange dauert, um die
Krisis damit sofort zu beseitigen.
Berlin, den 19. Juni 1930.
*
Sie Sestenerung
der öffentlichen Settiebe.
Dieses Problem ist dadurch wieder in den
Vordergrund des Interesses gerückt, daß vor
kurzem das im Reichstag gesammelteMaterial
über die möglichen finanziellen Vorteile einer
Besteuerung der öffentlichen Betriebe an den
Reichsrat und den Reichswirtschafiscat auf
Anweisung der Reichsregierung und weiter-
gegeben worden ist. Diese beiden Körperschaf-
ten werden also auf der einen Seite die
Frage zu prüfen haben, ob durch die Besteue-
rung der öffentlichen Betriebe tatsächlich für
die öffentliche Hand wirtschaftlicher Effekt er-
zielt werden kann. Auf der anderen Seite
wird dabei die große Bedeutung der Frage
für die private Wirtschaft nicht übergangen
werden können, daß durch die steuerbegünstig-
ten öffentlichen Betriebe immer, mehr eine
ganz üble Konkurrenz erwächst. —
Gegen die Besteuerung der öffentlichenBe-
triebe ist vielfach vorgebracht worden, daß sie
im Effekt wirkungslos bleiben müsse, weil die
betreffende öffentliche Hand das Geld km
Falle der Besteuerung doch mir auf einem
anderen Wege erhalte, der Besteuerungsakt
also überflüssig und nur verteuernd sei.
Dem ist entgegenzuhalten, daß das in vielen
Fällen gar nicht zutrifft. Zunächst dann nicht,

Oie Bedrohung
der Kommunalfinanzen.
 
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