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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0259
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Mittelstands-Zeitung
llnMiiWttr KaMbIM sür iie liUresje« les deilschei MilttlftsiSes

MelMleW-MWWe Mtmg
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter,

,, .. SMeVexW Mger-KilW
Geschäftsstelle: Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
Heidelberg, Hauptstraße Ivv wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsert!onSpreis ist 10 Reichs-
pfennig für die acbtgespaltene Millimeterzcile oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile,

Zahrgang 4930

Sonntag, 3. Oktober

Nr. 40

Volk ohne Hoffnung.

Es ist kein Zufall, das; in der ausländi-
schen Würdigung des Wahlergebnisses vom
14. September das Versailler Friedensdiktat
und die Reparationslast für die außerordent-
liche Radikalisierung unseres Volkes verant-
wortlich gemacht werden. Ein französisches
Vlatt nennt das deutsche Volk ein „Volk ohne
Hoffnung". Wir kannten bisher den durch
Hans Grimm berühmt gemachten Begriff
>,Volk ohne Raum". In der neuen französi-
schen Prägung aber haben wir den überge-
ordneten Begriff, der alles an zerstörender,
versetzender, zur Verzweiflung treibender
Wirkung umfaßt, was von dem Versailler
Friedensdiktat und der Tributversklavung für
das deutsche Volk ausreht.
Volk ohne Hoffnung!
Zeigt sich aber im Auslande eine solche
richtige Einsicht in die Lage des deutschen
Volkes, dann kann der Weg bis zu einer
Zweiten und noch wichtigeren Einsicht nicht
wehr allzu lang fein, daß auf die Dauer das
deutsche Volk' in diesem dunklen, kalten, feuch-
ten Kellergewölbe der Hoffnungslosigkeit nicht
Zu leben vermag, und daß daher die führen-
den Staatsmänner in absehbarer Zeit in An-
lehnung an den Artikel Ist der Völkerbunds-
oktc das „heiße Eisen" der Weltpolitik anfas-
sen müssen, nämlich
„die Revision der Verträge".

Aber auch auf den Poung-Plan richtet sich
die Hoffnung, daß die bitteren Erfahrungen,
dfe die großen Wirtschaftsvölker im letzten
Jahre gemacht haben, zu seiner möglichst bal-
digen Ileberwindung beitragen mögen. Nun!
Wenn auch wohl keine besondere Propheten-
Sabe dazu gehört, vorauszusehen, daß die
-.vollständige und endgültige Regelung der
Neparationsfrage" im Poung-Plan das Alter
des Dawes-Planes nicht erreichen wird, so
dürfen andererseits doch auch die Schwierig-
sten nicht unterschätzt werden, die vor einer
AeUhsion des Poiung-Planes zu überwinden
^nd. Formell scheint ja die Einleitung eines
lolchen Revisionsverfahrens dadurch wesentlich
^leichtert zu sein, daß es einseitig Cache der
deutschen Regierung ist, ein Moratorium zu
^klären oder eine Untersuchung der deutschen
Wirtschaft durch den „beratenden Sonderaus-
schuß" zu beantragen, ..wenn sie in gutem
glauben zu der Feststellung gelangt, daß die
WähruNft und das Wirtschaftsleben Deutsch-
wnds durch den teilweisen oder vollständigen
"ansfcr des aufschiebbaren Teiles des An-
nuitäten ernstlich gefährdet werden könnte".
Wwr durch diese einseitige Abwälzung der
Verantwortung auf Deutschland ist für dieses
Wi derartiger Schritt außerordentlich er-
'Nwert worden, weil er natürlich ernsthafte
"ückwirkungcn auf den deutschen Kredit haben
?ürde, was wiederum bei dem anormal hohen
Usmaß unserer kurzfristigen Verschuldung zu
,.Weblichen Störungen unserer Wirtschaft füh-
müßte.

. Darüber hinaus aber würde im Falle
ZUes deutschen Revisionsverlangcns die ganze
ugwürdiflkeit, die ganze Zweideutigkeit des
Poung-Plan getroffenen formalen Revi-
Wnsverfahrens irr die Erscheinung treten, die
^Ucrzcit so stark zum Rücktritt Dr. Voglers
M seinem Amt als deutscher Sachverständi-
beigetragen haben. Der beratende Son-
/U'ciusfchuß in dessen Hand die Begutachtung
deutschen Wirtschaft und notabene der
Wirtschaftsführung im Falle des Revisions-
_s"rages liegt, hat völlige Freiheit, sich für
gegen Deutschland zu erklären. Das um

so mehr, als er, wie angedeutct, dazu Stel-
lung nehmen muß, ob die deutsche Regierung
alles in ihrer Macht Stehende getan hat. um
ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Selbst aber
in dein günstigsten Fall, daß der Sonderaus-
schuß sich restlos auf die Seite Deutschlands
stellt, fällt fein Votum doch nur als Empfeh-
lung an die beteiligten Regierungen ins Ge-
wicht, die also ihrerseits die völlige Ent-
schlußfreiheit behalten, ob und wieweit sie
diesen Empfehlungen Beachtung schenken wol-
len oder nicht. Die Durchfechtung eines deut-
schen Reoisionsanspruches im Rahmen des
Noung-Planes ist daher kein Rechtsverfahren
mit zwingenden Normen, sondern eine rein
politische Angelegenheit der beteiligten Re-
gierungen.
Aus. diesen Tatsachen Wird ohne weiteres
ersichtlich, daß Deutschland die Rcvisionsfrage
im Hinblick auf den Poung-Plan nicht leicht-
fertig aufwerfen kann und aufwerfen Mrd.
Dennoch darf und wird dis Revisionsdebatte
auch über den Noung-Plan nicht zur Ruhe
kommen. Für Deutschland ist die baldige
Revision des Planes schlechthin Schicksalsfrage.
Nach der Kölner Wahlrede Stegerwalds rech-
net das Reichsarbeitsministerium für den
Winter mit einer
Arbeitslosigkeit von vier
Mi ll i o n e n.
Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen,
was diese Zahl als Tatsache an sich und gleich-
zeitig als Symptom für dis Lage der Gesamt-
wirtschaft bedeutet, in welchem Maße sie das
nur mit aller Anspannung der Kräfte auf-
rechterhaltene Gleichgewicht unserer öffent-
lichen Finanzen bedrohen und vielleicht end-
gültig erschüttern wird, um den ganzen Wi-
dersinn unserer Tribut'zahlungen zu ermessen.
Seit den Tagen, da in den vierziger Jahren
dem verhungernden Volke in Irland unter
dem Schutze fremder Bajonette die eigene Ge-
treideernte entrissen wurde, damit die frem-
den Machthaber damit Handelsverdienste er-
zielten, hat ein Volk das nicht mehr durchzu-
machen brauchen, was das deutsche Volk gegen-
wärtig erlebt und in naher Zukunft erleben
wird..
Daß es auf die Dauer einen derartigen
Zustand nicht gutwillig hinnehmen
wird, dürfte für jeden Einsichtigen auf
der Hand liegen.
Dennoch ruht gegenwärtig das Hauptge-
wicht aller Argumente aegen die jetzige Re-
parationsrcgelung vielleicht nicht so sehr in
dem notvollen Deutschland als im. Ausland.
Deutschland ist zwar in der Weltwirtschaft das
reparationspolitiische Störungszentrium. Aber
die Störungen, die von ihm ausgehen, pflan-
zen sich weiter fort wie ein Wurf ins Wasser.
Und wenn auch nur in Deutschland Repara-
iionsnot. Volksnot ist, so bedeuten ihre Aus-
wirkungen im Ausland, vor allen Dingen in
Amerika und England, doch immerhin noch —
Krise. Am bedeutungsvollsten ist dabei, daß
die Zahl und Bedeutung derjenigen wächst,
die die ungeheure Störung erkennen, die der
natürliche Zahlungsmittelumlauf der Welt
durch die gewaltsame unorganische Uebertra-
guna der deutschen Zahlungen auf den Haupt-
gläubiger Frankreich und den Endgläubiger
Amerika erleidet. Es wird gefordert, daß
Amerika und Frankreich dieser künstlichen
Verschiebung der weltwirtschaftlichen Liquidi-
tät und Kaufkraft durch einen großherzigen

Kapitalexport entgegemvirken. Daß ein sol-
cher Kapitalexport, besonders nach Deutsch-
land, den organischen Fehler der Repära-
tionsregelung nicht auszugleichen vermag, da-
für sind die vergangenen vier Jahre vollgül-
tiger Beweis. Solange Deutschlands Rcpara-
tionslasten feine Tragfäl-'gkeit in dem Maße
überschreiten, wie sie es nach dem Zeugnis
der Zahlungsbilanz und der innerdeutschen
Wirtschaftslage mit ihrem Kapitalmangel
auch heute noch tun, bedeuten Ausländsan-
leihen für Deutschland nicht mehr als die
Steigerung einer aussichtslosen Verschuldung
und Ueberfremdung.
So erblickt denn auch die Britifh-Electri-
cal and Allied-Manufacturers--Association,
London, die Lösung der Krise in einer Ver-
binduna der Revision des ganzen Repara-
tionssysiems mit einem großzügigen Kapital-
export Amerikas und Frankreichs. Dieser Ver-
band erwartet diese Revision schon für das
Jahr 1931, von dem er annimmt, daß es den
Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise bringen
wird. Er setzt dabei voraus, daß auch an das
Gebäude der amerikanischen Schuldenverträge
Hand gelegt wird. Nun, wir wissen nicht, ob
Amerika einwilligt. In der Vergangenheit
jedenfalls hat es eine Verbindung des Repa-
rationsproblems mit den Kriegsschulden der
alliierten Mächte bei ihm selbst konsequent
bekämpft. Diesen Standpunkt wird es wohl
nur ändern, wenn es sich keinen anderen Aus¬

weg aus seiner eigenen tiefen Wirtschaftskrise
mehr weiß.
Ob Deutschland aber auf diesen Zeitpunkt
warten kann, darüber wird der kommende
Winter schon entscheiden. Wenn die Arbeits-
losigkeit tatsächlich den befürchteten Umfang
von 4 Millionen erreichen wird — wofür alle
Wahrscheinlichkeit spricht — wenn sie tatsäch-
lich eine Stabilisierung der öffentlichen Fi-
nanzen verhindern wird, dann ist unseres Er-
achtens der Augenblick da,
wo Deutschland allen Bedenken zum
Trotz ein Moratorium erklä-
ren muß.
Und daß die Erklärung dieses Moratoriums
die Einleitung der Revision bedeutet, wird
dann hoffentlich nicht allzusehr überraschen.
Denn, daß Deutschland innerhalb von zwei
Jahren die gestundeten Zahlungen nachleisten
und verzinsen und daneben die regulär fälli-
gen Annuitäten aufbringen könnte, das darf
als ausgeschlossen gelten. Kommt es dahin,
dann hat niemand in der Welt das Recht,
Deutschland Vorwürfe zu machen. Denn mit
Ausnahme Frankreichs tragen alle Völker der
Erde die erschütternden Spuren der Repara-
tionskrankheit am eigenen Leibe. Das deut-
sche Volk aber will nicht nur leben, sondern
es macht auch sein Recht geltend, wieder hof-
fen zu dürfen.

Kommunale dodengewmne.
, Zn Aachen bis zu 2300 prozeni.

Ueber die weltwirtschaftlichen Voraus-
setzungen der Heimstättenbildung sprach Stadt-
baurat May, Frankfurt, auf der Tagung der
Vodenreformer in Wützburg. Er meinte,
wenn die Gemeinden ihren Aufgaben in
bodenreformerischer Hinsicht gerecht werden
wollten, so müßten sie planmäßig auf Sen-
kung der hochqetriebenen Bodenpreife hinar-
beiten. Als Mittel dafür schlug er den Boy-
kott allen Baugeländes vor, für das unange-
messene Preise gefordert werden. Herr Stadt-
baurat May sollte nun doch über die Erund-
stückspolitik der Gemeinden Bescheid wissen.
Wir empfehlen ihm, sich die Berichte der Ge-
meinden über die Bodenpolitik trotzdem ein-
mal etwas genauer anzusehen, und dazu tei-
len wir ihm folgende Aachener Zahlen einmal
zum Studium mit.
Die Stadt Aachen hat im Jahre 1928
61,0588 Hektar Grund und Boden angekauft
und dafür 2 054 567 RM. gezahlt. Der Hektar
kostete die Stadtverwaltung also 33 648.99
RM. oder der Quadratmeter 3,65 Mark. Sie
verkaufte im gleichen Jahre 8,3318 Hektar,
wofür sie 1 054 610 RM. erzielte. Sie löste
also für 1 Hektar 126 497,29 RM. oder 12,65
RM. pro Quadratmeter. Das ist ein Gewinn
von 400 Prozent.
Im Jahre 1929 kaufte sie an 153,6441 Hek-
tar zum Preise von 3 342 580 RM. Sie zahlte

also für den Hektar 21 755,36 RM. oder 2,18
RM. pro Quadratmeter. Im selben Jahre
verkaufte sie 3,4946 Hektar und erzielte dafür
1 698 860 RM. Dies macht auf den Hektar
468 138,60 RM, oder 48,61 RM. pro Ouakrat-
metcr. Sic hat also im Jahre 1929 aN jedem
Quadratmeter verkauften Grund und Bodens
46,50 RM. verdient, also einen Gewinn von
2300 Prozent gehabt.
Nun empfiehlt Herr Stadtbaurat May Boy- .
kott der hochgetriebenen Bodenpreife, es dürfte
also von den Gemeinden kein Grund und
Boden mehr gekauft werden. Gleichzeitig aber
fordert Herr May kommunale Vodenvorrats-
politik. Ist so etwa nicht Widersinn in
höchster Potenz? Man sollte wahrlich nicht
glauben, daß ein Bodenpolitiker derartige
Forderungen aufstellen könnte. Aber man
sieht immer wieder, daß es mit der sachlichen
Begründung der Bodenreform sehr schlecht be-
stellt ist. Man will die angeblich bestehende
private Spekulation bekämpfen, wo gar keine
vorhanden ist und züchtet dafür aber die ge-
meindliche Spekulation in einer Art und
Weise, die den Raubbau der Enneindepolitik
am Privatbesitz klar und deutlich zu erkennen
gibt, und dann versucht man auch noch, gegen
den Privatbesitz Sturm zu laufen.
 
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