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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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Nr. -tS

Sonntag, 3V. März.

_1_—
Jahrgang -L9ZO


Herausgeber:
Curt Kieshauer
Fernruf 18SS

Mittelstands-Zeitung
!lud»ttzises KimpstlM siir die Iiikiessei der deUsEe« NMclftMdes
-K MWMkMEWWe Wms
Zeitung für gesunde Winschaftsinteresfen dos gewerblichen.
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, HanS- und Grund¬
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
MittelstandZrechnenden Kopf- und Handarbeiter.

MnHdeuW WM-Mm
Bezugspreis monatlich 0,80 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Fnsertionspreis ist 10 Reichs-
pfennig für die achtgespaltcue Millimclerzcilc oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM- pro mm-Zeile.

Nie Notwendigkeit eines Systemwechsels.
Wirtschaft und Politik.

Das heutige verfehlte „System" konnte die
letzige Bedeutung nur deshalb gewinnen, weil
jich in Deutschland ganz unmerklich die Bil-
dung einer geistigen „Grossen Linken" —
Henn man sie einmal so nennen will — völl-
igen hat, die eindeutig international-marxi-
stisch eingestellt ist. Das Zustandekommen dre-
ier neuen Front ist deshalb so außerordentlich
bedenklich, weil es ausserparteilich vor sich ge-
gangen ist und weil ihre einzelnen Glieder
auch gegen die Richtlinen der Parteien han-
deln, in denen sie früher ihre einzige politische
Vertretung zu sehen gewohnt waren. Neichs-
tagspräsident Löbe, bekanntlich Sozialdemo-
krat, hat schon vor längerer Zeit einmal im
>,Vorwärts" die Situation wie folgt Umris-
sen: „...Forderungen, die bislang als sozia-
listisch galten, stellen fetzt nicht nur Anhänger
bes Zentrums, sondern auch der Demokraten,
<>er Bayerischen Volkspartei, ja der Deutsch-
llationälen auf: im Programm der National-
sozialisten wimmelt es von halb- und unver-
standenen marxistischen Erkenntnissen. Diese
Entwicklung aber ist ein Aktivum für uns,
denn wir bringen dadurch diese Parteien in
eine schwierige Situation gegenüber ihren er-
wachenden proletarischen Schichten und steigern
Unsere Anziehungskraft auf, die Schichten. Der
äfirth-Flügel im Zentrum, die Jungdemokra-
ten und der gärende Most unter den Anhän-
gern der Deutschnationalen müssen zersetzend
vuf die eigenen politischen Gruppen wirken
vnd Rekrntierungsgebiet für den Sozialismus
werden." Wie richtig die Situation gesehen
war, haben die Vorgänge der letzten Zeit er-
wiesen. Die Stärkung der im Sinne des
Marxismus arbeitenden linken Front ist aber
gleichbedeutend mit Schwächung derjenigen
Volksteile und ihrer Vertreter, die für Erwä-
gungen der wirtschaftlichen Vernunft bisher
wenigstens noch einigermaßen zugänglich wa-
ren.
Diese Entwicklung hat ihre Ursache nicht
wletzt in der mehr als merkwürdigen Passi-
vität, mit der das „Bürgertum" die Ereignisse
^ber sich kommen liest: anschaulichen Ausdruck
Mt diese Passivität gefunden in dem Stillhal-
wn, mit dem die Wirtschaft schon feit Jahren
Me Angriffe und alle neuen Belastungen
trägt, ohne dast sie bisher den Mut zu einer
wirklich ernsthaften und konsequenten Gegen-
wirkung aufgebracht hat, eine Tatsache, welche
Ze Gegenseite natürlich zu immer neuen Vor-
posten geradezu anreizen musste. Mit dieser
Massivität erklären sich seit einiger Zeit aber
^wmer breitere Kreise der Wirtschaft nicht
wehr einverstanden. Bezeichnend ist, dass bei
"en letzten Reichstagswahlen die schärfste Ge-
genwirkung sich abzeichnete aus den Kreisen
bes bäuerlichen und gewerblichen Mittelstan-
des, also ans den Schichten, die den Druck
lweil es sich um Eigenbesitz handelt und weil
we der Grossindustrie zur Verfügung stehen-
den Finanzierungsmöglichkeiten hier nicht ge-
geben sind) am unmittelbarsten und intensiv-
en spüren. Kennzeichnend für die Gegenwir-
kung ist, dass bei den letzten Wahlen (sowohl
^Uin Reichstag als auch in den Kommunen!
We Wirtschastspartei und die Ehristlichnatio-
'wle Bauernpartei mit den stärksten Zulauf
^kommen haben, und zwar deswegen, weil
wese beiden Parteien dem bisherigen System
wr deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik
vutschiedenen Kampf angesagt haben. Wäh-
lend früher als Träger der Warnungen vor
Wirtschafts- und sozialpolitischen Uebertreibun-
gen in der Hauptsache die Industrie und der
!jber grösseren Besitz verfügende Teil der
Landwirtschaft bezeichnet wurde, hat sich nun-
wehr diese Bewegung offenkundig in ausser-
ordentlich starkem Maste auch auf die bllrger-
'ichen Klein- und Mittelschichten erstreckt. Im-

mer gröstere Schichten des „Besitzes" werden
eben unter einen derartigen Druck gesetzt, dass
sie sich, zur Wehr setzen müssen, ob sie wollen
oder nicht.
Nun steht die deutsche Wirtschaft an einem
Wendepunkt, denn stets gröster werdende
Kreise können die von der öffentlichen Hand
zwangsweise auferlegten Lasten nicht mehr
tragen. Undurchführbare Dinge können zwar
politisch „beschlossen" werden: ob sie aber
wirtschaft durchführbar sind, ist eine ganz
andere Frage. Für die in Deutschland herr-
schende Auffassung ist bezeichnend der Versuch,
die mit Naturnotwendigkeit kommende Aus-
einandersetzung mit dem Marxismus durch
Kompromisse hinauszuschieben, ohne dast be-
dacht wird, dass proportional mit dem Andau-
ern der Kompromisswirtschaft auch der aus ihr
entstehende Schaden sich vergrößern muss. Diese
Kompromistwirtschaft hat ihren parlamentari-
schen Ausdruck gefunden in der grossen Koa-
lition. Bezeichnenderweise ist bei der Neubil-
dung der Regierung nach den letzten Reichs-
tagswahlen die Bildung dieser grossen Koali-
tion auch von solchen Kreisen betrieben wor-
den, die als wirtschaftlich eingestellt gelten.
Dabei war von Anfang an klar, dass eine
grosse Koalition im Prinzip nichts anderes
bedeutet, als eine Entlastung des Marxis-
mus von allen seinen Sünden und einen von
den sogenannten „bürgerlichen Parteien" aus-
gestellten Freibrief für weitere Experimente
und Vorstösse: sie ist nichts anderes als eine
Legalisierung! shes Marxismus/und Verzicht
auf die Richtigkeit und Jdeenkraft der „bür-
gerlich-nationalen" Idee. Denn: wie will man
dem „bürgerlichen" Wähler klarmachen, dass
der Marxismus, mit dem man doch eine Koa-
lition durchzuführen sich bestrebt, als politi-
scher und wirtschaftlicher Schädling bekämpft
werden muss? Gerade die letzten Vorgänge
haben zur Genüge gezeigt, dass Paktieren mit
dem Marxismus nicht den „bürgerlichen" Par-
teien und der „bürgerlichen" Ideologie zugute
kommt, sondern ausschliesslich dem Marxis-
mus, dass also eine grosse Koalition nur Weg-
bereiterin für eine endgültige marxistische
Majorität bei den nächsten Wahlen sein muss.
Nach dem jetzt erfolgten tatsächlichen Zusam-
menbruch der Grossen Koalition (wenn auch
der formale kommt, ist im Prinzip gleichgül-
tigj wäre nichts notwendiger, als die Bil-
dung einer marxistischen Minderheitsregierung
zu forcieren, um auf solche Weise den offen
oder heimlich marxistischen Parteien Gelegen-
heit zur Wahrmachung bezw. zurVerleugnung
ihrer Versprechungen zu geben. Durch Ver-
schulden der Marxisten sind die Dinge bis zur
jetzigen Situation gediehen: sie müssen des-
halb auch die offizielle Verantwortung über-
nehmen, um entweder zu zeigen, dast sie doch
Politik zu machen verstehen, oder um auf
Nimmerwiedersehen abzudanken. Wird durch
Bildung einer offenkundigen sozialistischen
Minderheitsregierung — Minderheitsregie-
rungen haben wir im Deutschland der Nach-
revolutionszeit gehabt! - Klarheit geschaffen,
dann kann der Marxismus die von ihm bis-
her immer aufgestellte Behauptung, dass mit
seiner Herrschaft das goldene Zeitalter anbre-
chen werde, in Zukunft nicht mehr fortsetzen.
Nur bei klarer Verantwortlichkeit wird es
auch möglich fein, diejenigen „verbürgerlich-
ten" Sozialisten, die eine Aussöhnung mit dem
jetzigen Staat und der Wirtschaft wollen zu
stärken gegenüber den doktrinären Marxisten,
die durch die Angst des Bürgertums vor dem
Marxismus und durch die daraus hervorge-
hende Kompromisssucht stets gestützt worden
sticht
Wenn man sich zu dem Experiment der
marxistischen Minderheitsregierung nicht ent-

schliessen will, dann müsste man zum mindesten
eine ebenso naheliegende Möglichkeit ergrei-
fen, die darin besteht, die im Reichstag tat-
sächlich vorhandene bürgerliche Mehrheit par-
lamentarisch in Erscheinung treten zu lassen.
Für eine Massnahme dieser Art will man sich
aber deshalb nicht entschliessen, weil mit ihr
— wenn sie Erfolg haben sollte — verbunden
sein müsste, eine grundsätzliche Ablehnung
marxistischer und ischeindemokratischer Grund-
sätze, zu der man sich anscheinend jetzt noch
nicht entschliessen kann.
Der Kampf um die republikanische oder die
monarchistische Staatsform ist zuungunsten der
letzteren entschieden. Der nächste Kampf wird
zwischen Kapitalismus und Sozialismus aus-
getragen. Die Vorpostengefechte in diesem
Kampf sind bisher vom „Kapitalismus" ver-
loren worden, weil er sich seiner Haut nicht

Ek dil — so war ein Aufsatz überschrieben,
den ich vor einigen Monaten in einem gro-
ssen indischen Blatte gelesen habe. Der Aus-
druck gehört dem Hindostanischen an: ek ist
„ein" und dil „Herz": zu einem Kompositum
verschmolzen haben die beiden Wörter die Be-
deutung „einmütig" oder wie wir auch im
Deutschen sagen „ein Herz und eine Seele".
In dem Artikel war ausgeführt, dass über
alle Unterschiede der Rasse und der Parteistel-
lung hinweg die Briten „ek dil" seien in ihrer
Haltung Indien gegenüber und überhaupt „in
their policy of exploitation of the weaker
countries."
In den vereinigten Reichstagsausschüssen
hat am 26. Februar der frühere Reichsfinanz-
minister und jetzige Zentrumsabgeordnete Dr.
Köhler hervorgehoben, dass dreies Abkommen
nur unter der direkten Drohung zustande ge-
kommen ist, dass sonst einfach mit den Liqui-
dationen fortgefahren werde. Schatzkauzler
Snowden habe das Abkommen nichr auf der
Grundlage! gegenseitigen Entgegenkommens
abgeschlossen, sondern unter brutaler Macht-
ausnutzung. Dr. Köhler stellte fest, dass es
hier keinen Unterschied zwischen einer konser-
vativen und einer Arbeiterregierung gebe: in
diesem Punkte seien alle gleich. Das ist genau
das, was das indische Blatt sagt: they are „ek
dil" in theier policy of exploitation of the
weaker countries. Die Bemerkungen Köhlers
sind übrigens von dem folgenden Redner, Dr.
Dernburg, durch die Erklärung unterstrichen
worden, man müsse jedes Wort unterschreiben,
das hier über die Unsittlichkeit des Vorgehens
unserer Gegner gesprochen worden sei. Dr.
Reichert nannte das englische Liquidationsab-
kommen neben dem polnischen das schlechteste:
es sei unerhört, dass England sich noch immer
auf das Recht zur Beschlagnahme. Zurückhal-
tung und Liquidation deutschen Privateigen-
tums stütze: das sei ein Standpunkt, den sonst
nur noch die Negerrspublik Liberia einnehme.
Und der Abgeordnete Dauch wies darauf hin,
dast England der schärfste Gegner des bolsche-
wistischen Russland, sich in diesem Abkommen
über die sonst so oft betonte Heiligkeit des
Privateigentums in einer Weiss hinw-egsetzte,
die man nur als schlimmsten Bolschewismus
bezeichnen könne.
Wir haben in der Liquidationsfrage den
seltenen Fall zu verzeichnen, dass ganz Deutsch-
land von der äussersten Rechten Lis zur äusser-
sten Linken wirklich ek dil ist. Mit Recht
durfte Dr. Scheiter im Reichstag am 8. März
diese Tatsache betonen. Er hat nur ausge-
sprochen. was inDeutschland jeder denk:- wenn
er weiter ausführte: „Besonders bitter war

genügend gewehrt hat. Es muss ernsteste
Sorge .aller „bürgerlichen" Parteien sein,
durch klare Zielsetzung und richtige Taktik in
der bevorstehenden Auseinandersetzung den
Sieg der marxistischen Idee zu verhindern.
Endziel der Politik der nächsten Zeit muss
sein, Sicherstellung der Wirtschaft und damit
auch Garantie des Zusammenhaltens desStaa-
tes, dessen Existenz an demselben Tage auf-
hören wird, an dem die deutsche Wirtschaft
zu bestehen aufgehört hat. Erreicht werden,
kann das Ziel nur. wenn das System ge-
stärkt wird, in dem die Verantwortung für
den wirtschaftlichen Erfolg am ausgepräg-
testen ist, nämlich die Idee der privatwirt-
schaftlichen eigenen Verantwortung. Diese
Entwicklung wird — darüber muss man sich
klar sein — unter Umständen vor sich gehen
auch gegen den Willen des Parlaments.

die Enttäuschung über die Haltung der eng-
lischen Arbeiterregierung, die unter Führung
des Echanzkanzlers Snowden ihre Macht da-
hin ausnutzte, dass 10 Prozent des in England
liquidierten deutschen Eigentums für uns ver-
loren ging. Einer Arbsiterregierung steht es
merkwürdig an, mit rücksichtslose- Machtaus-
nutzuna eine Politik zu treiben, die sich voll-
ständig entfernt von dem Gedanken internati-
onaler Völkerverständigung. Die deutsche Nie-
derlage bei den Liqmdafionsverhaadlungen
beweist, dass mindestens in Vieler Frage bei
den Siegerstaaten noch immer die Macht über
das Recht gesetzt wird."
In England wird man gut tun. sich keiner
Täuschung darüber hinzuget.en, dass das
deutsche Volk ohne jede Ausnahme in der
schärfsten Verurteilung seiner Vergewaltwuilg
durch die englische Regierung ek dil ist. Die
Labour-Regierung und Mr. Snowden brau-
chen sich um so weniger o.rüber zu wundern,
als vor einigen Jahren gerade der letztere ein
Urteil gefällt hat, das ganz aus dem Herzen
des deutschen Volkes gesprochen ist. Im Jahre
1926 Hat er in einem Briefe erklärt: „Ich bin
im Besitze Ihres Briefes übe: die Konfis-
kation des Eigentums Deutscher in den alli-
ierten Ländern auf Grund des Friedensver-
trages. Mir ist die Sache durchaus nicht be-
kannt. Ich Habe zur Zeit des Friedensver-
trages und seitdem viele Riale öffentlich gegen
diese skandalöse Verletzung alles Völkerrechts
und aller Gerechtigkeit protestiert. Dieses Vor-
gehen ist, wie Sie mit Recht sagen, ohne Vor-
bild m der Geschichte." An dieser skandalösen
Verletzung alles Völkerrechts und aller Ge-
rechtigkeit, dS ohne Vorbild in der Geschichte
ist, ist Mr. Snowden nun mitschuldig gewor-
den, und zwar in voller Erkenntnis des Un-
rechts, das er dadurch dem deutschen Volke zu-
fügt. Er. der selbst seine Empörung in so
starken Worten ausgedrückt hat, wird wohl
auch so viel Phantasie haben, um sich die Ge-
fühle der Vergewaltigten vorzustellen. In der
Tat ist ja die jetzt am deutschen Volke began-
gene Vergewaltigung noch viel „skandalöser"
als das Unrecht von Versailles. Ihr steht
nicht mehr die Kriegspsychose als Milderungs-
grund zur Seite: sie ist kalt berechnender Hab-
gier entsprungen und unter rücksichtslosem
Missbrauch der Notlage des Gegners durchge-
führt. Ja, sie setzt sich sogar über den Artikel
243 des Versailler Vertrages hinweg, nach
dem die Liquidationserlöse doch wenigstens
von den Reparationsforderungen abaesetzt
werden müssen. So hat England Deutschlands
Ohnmacht dazu missbraucht, um nah rafch 400
Millionen RM. zusätzliche Reparationsleistun-

ciil."
England rauht uns 400 Millionen. - Die Moral des englischen
Liquidationsabkommens.
 
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