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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0251
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Mittelstands-Zeitung

IInMiWStt dir die Aülerrsie« Ses deiisA» Nitteiftaedes

MelMlM-MWiiWe zeilmg
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter,

Geschäftsstelle:
Heidelberg, Hauptstraße

MwWMe PiiM-ZeitW
Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionsprcis ist 10 Reichs-
vfennig für die acbtgespaltene Millimeterzeile oder deren
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Zahrgang il930

Sonntag/ 28. September

Ar. 39

Merkwürdige Beschaffungspolitik von Reichsbahn
und Reichspost.

Nie Verlustliste derMrlschast.
Vom Beginn dieses Jahres bis Mitte Aug.
iind nach den soeben veröffentlichten Feststel-
lungen des Instituts für Konjunkturforschung
^641 Konkurse und 4826 Vergleichsverfahren
Köffnet. Fast 11 000 Namen geschäftlicher
Unternehmungen aller Größenordnungen sind
sn dem kurzen Zeitraum von 714 Monaten neu
ch die Verlustliste der Wirtschaft eingetragen
Morden. Auf 800 Millionen Mark werden die
Eesamtverbindlichkeiten der in Konkurs gera-
tenen oder im Vergleichsverfahren sich befind-
lichen Firmen geschätzt, auf 500 Millionen M.
lüe voraussichtlichen Verluste der Gläubiger.
Hierzu kommen noch die Beträge ausZahlungs-
ltockungen, die außerhalb des gerichtlichen Ver-
fahrens geregelt werden, es kommen hinzu die
Verluste durch diejenigen Zahlungseinstcllun-
ilen, bei denen es mangels hinreichender Masse
^icht zur Eröffnung eines Konkursverfahrens
Gmmen kann — das sind allein jährlich noch-
mals über 3000 Fülle. Alles in allem werden
"ie Gesamtbeträge, die von den Gläubigern
Nachgelassen werden mußten, für die ersten 7
Monate des laufenden Jahves auf mindestens
"00—700 Millionen Mark veranschlagt.
700 Millionen Mark Verluste, eine Ziffer,
deren Größenordnung erst dann recht klar wird,
^enn man sich vergegenwärtigt, daß in dem
Zeichen Zeitraum die Reparationszahlungen
M'r um etwa 200 Millionen Mark höher lie-
fen. 700 Millionen Mark Verluste, ein er-
weckendes Spiegelbild der gegenwärtigen
Wirtschaftskrise, gleichzeitig aber auch ein sicht-
Mres Zeichen dafür, daß unser Wirtschaftsrecht
Miner noch nicht genügenden Schutz dem Eläu-
Mger bietet. Manche Verluste könnten nämlich
W'mieden werden, wenn die Maschen, die die
Vorschriften der Konkursordnung und der Ver-
^eichsordnnng heute noch böswilligen Schuld-
Mrn offen lassen, endlich zusammengezogen
werden.

Eine weitgehende Reform unseres
Wirtschaftsrechts erweist sich gerade in
diesen Zeiten als dringend notwendig.
Schutz den! Aktionär, unter dieser Parole will
soeben veröffentlichte Regierungssntwurf
W Reform des Aktienrechtes den Notwendig-
akten der Stunde gerecht werden. Schutz dem
Laubiger, das ist eine nicht minder wichtige
e-Usgabe, dir ihrer gesetzgeberischen Lösung bal-
^llst entgcgengeführt werden sollte. Praktische
Erschlüge aus allen Kreisen der Wirtschaft
Eitzen genügend vor. Industrie- und Handels-
«Nirnern, die von Amtswegen in das Ver-
sMchsverfahren eingeschaltet sind, haben genau
Emulierte Abänderungsvorschläge zu den gel-
aden gesetzlichen Bestimmungen den zustündi-
stellen schon vor längerer Zeit unterbrci-
d?-. Führende wirtschaftliche Verbände/ die am
Msten einen Einblick in die tieferen Zusam-
s^Mhänge zwischen Eeschäftsmoral und Wirt-
Aaftskrifis haben, weil sie z. B. die Auskunf-
^^n, tagtäglich in der Fülle des ihnen zuströ-
Esiden Einzelmaterials die Wechselwirkungen
Ochen dem mangelhaften Eläubigerschrtz und
sw Geschäftszusammenbrüchen erkennen kön-
haben gleichfalls immer wieder dringliche
t^Mfkellungen auf Reform unseres Wirtschafts-
erhoben. Es sei nur u. a. erinnert an
d vor kurzem veröffentlichte Eingabe des Ver-
udeg der Vereine Lreditreform zur Aende-
des geltenden Konkursrechts, deren viel-
sh.^lle Anregungen für den Gesetzgeber wie den
^Mer der frühere Reichsgerichtspräsident Dr.
^ZAons mit dem Wunsche begleitete, daß „durch
kW ^rveckmäßige Neugestaltung unseres Kon-
brechtes endlich das Vertrauen zwischen den

Das Preisabbauprogramm der Regierung
hat, so Lilligenswert es an sich ist. in der letzten
Zeit zu mancherlei recht bedenklichen Auswüch-
sen geführt.
Vor allem ist hier zu nennen die Schemati-
sierung, mit der der Preisabbau betrieben
wird. So wird z. B. in zentralen Anweisun-
gen der Reichsbahn und dev Reichspost ohne
Rücksicht auf den Sonderfall die Forderung
eines lOprozentigen Preisabbaues erhoben: in
einer dieser Anweisungen heißt es, daß „Preis-
nachlässe verlangt werden müßten, die grund-
sätzlich nicht weniger als 10 Prozent der bis-
her als angemessen erachteten Presse betragen
dürften": weiter wird verlangt, daß „die Ober-
postdirektionen tatkräftig vorgehen sollten, um
einen möglichst hohen Preisnachlaß zu errei-
chen": schließlich wird gesagt, daß „weitere Auf-
träge auf Leistungen und Lieferungen bis auf
weiteres nur dann herauszuheben seien, wenn
eine erhebliche Preisermäßigung gegenüber
dem fetzigen Preisstande erreicht werde." Daß
Reichspost und Reichsbahn ihre Aufträge mög-
lichst billig vergeben, ist ihre Pflicht. Nicht
richtig ist jedoch, einen Preisdruck auszuiiben,
der die jeweils vorliegenden Verhältnisse und
Preissenkungsmöglichkeiten überhaupt nicht
berücksichtigt. Diese Nichtberücksichtigung besteht
z. B. bei einer Anweisung der Reichsbahngrup-
penverwaltungBayern, in der ausgeführt wird,
daß „eine wirkliche Preissenkung nur dann
vorliegt, wenn ein um etwa 10 Proz. niedrige-
rer Preis gefordert werde als bei der letzten,
nicht zuweit zurückliegenden Vergebung: zeitige
eine Ausschreibung dieses Ergebnis nicht, so
müsse dem billigsten Bieter ein Limit, das
unter dem niedrigsten Angebot liege, gestellt
werden: dieses Limit solle um etwa 10 Prozent
niedriger liegen als der letzte Vergebungspreis
oder um etwa 10 Prozent unter dem billigsten
Angebot." Die praktische Durchführung dieser
Anweisung würde bedeuten, daß bei öffent-
lichen Ausschreibungen der Anbieter nicht nur
sein Angebot auf die niedrigste Forderung sen-
ken, sondern auch darüber hinaus noch um wei-
tere 10 Prozent ermäßigen soll. Eine Aus-
schreibung dieser Art hat überhaupt keinen
Sinn mehr: denn der Unternehmer, der an sich
schon mit dem niedrigsten Preis kalkuliert zu
haben glaubt, läuft Gefahr, daß ihm nochmals
16 Prozent abgezogen werden: daß tatsächlich
derartige Abzüge vorkommen, beweisen meh-
rere Vorfälle der letzten Zeit. Im übrigen sind

diese Anweisungen ein Mißtrauensvotum für
die auftragvergebenden Stellen: denn sie unter-
stellen, daß bisher die Beamten dieser Stellen
ihre Pflicht nicht getan haben, weil sie zu hohe
Preise bewilligt hätten.
Besonders unverständlich ist, daß derartige
Preisdrückungsmethoden auch bei laufenden
und längst in der Ausführung begriffenen
Verträgen geübt werden, für die vertraglich
ein fester Preis vereinbart worden ist. Es
handelt sich hier um Fälle ausgesprochener
Vertragsuntreue, die umso weniger zu billigen
sind, als sie vorgenommen werden in Aus-
nutzung der Eigenschaft konkurrenzloser Mono-
polunternehmen und mit Hilfe Don Druckmaß-
nahmen, denen der Unternehmer als der wirt-
schaftlich schwächere Teil nachgeben muß: in
verschiedenen Fällen ist sogar damit gedroht
worden, daß bei laufenden Verträgen derartige
Preisnachlässe bewilligt werden müßten, wenn
„man Wert auf eine gute Geschäftsverbindung
mit der Reichsbahn lege": in einem anderen
Fall wurde gesagt, daß der Unternehmer im
Falle des Widerstrebens „nicht mehr mit Ar-
beiten bedacht werden könne" u-sw. ÄZie sche-
matisch vorgegangen wird, zeigen Fülle, in
denen Preissenkungen auch bei Tagelohnarbei-
ten vorgenommen werden sollen: da die Löhne
feitliegen, können die Preisnachlässe nur aus
die reinen Unkosten bzw. auf den Unternehmer-
gewinn umgelegt werden. Weil diese nur einen
Teil des Gejamtobfektes ausmachen, tritt da-
durch eine Preissenkung um einen viel größe-
ren als den lOprozentigen Betrag ein.
Der Preisabbau muß weitcrgeführt werden:
er ist aber nur möglich unter Beachtung dec
tatsächlichen SelbstkoMnlage: er darf nicht
durchgeführt werden unter Anwendung eines
unzulässigen Druckes und er darf vor allen
Dingen dann nicht vorgsnommen werden, wenn
die behördlichen Stellen, die einen solchenDruck
ausüben, mittels ihrer eigenen Preispolitik
sz. B. Erhöhung der Steuern, Tarife usw.f die
Selbstkosten anderer noch erhöhen. Reichsbahn
und Reichspost sollten sich zum mindesten durch
vorherigen Einblick in die Kalkulation Gewiß-
heit darüber verschaffen, ob Preisnachlässe
überhaupt möglich sind. Verlustwirtschaft sollte
"gerade in der jetzigen Zeit der übermäßigen
öffentlichen Inanspruchnahme nicht noch durch
weitere behördliche Maßnahmen erzwungen
werden dürfen.
s

Geschäftsleuten wieder hergestellt und gesichert
werde."
Das Tempo der Gesetzgcbungsmaschine, des-
sen allzu große Schnelligkeit auf manchem Ge-
biet beklagt werden muß, erweist sich auf dem
Gebiet des Wirtschaftsrechtes als zu langsam.
Wenn nicht die Verlustliste der Wirtschaft in
dem bisherigen Ausmaß weiter anwachsen soll,
tut rasche Reformarbeit auch an dieser Stelle
dringend not.
Solche Ausgaben brechen
nns das Genick.
Das „Eberswalder Offertenblatt", eine Fach-
zeitung, die sich schon seit langem mit anerken-
nenswertem Eifer damit beschäftigt. Mißstände
in der öffentlichen Wirtschaft, Mißstände in der
Ausgabenwirtschaft aufzudecken und Sturm
gegen Luxus- und Verschwenderwirtschaft läuft,
veröffentlicht neuerdings eine Reihe von be-
merkenswerten Beispielen über kommunale
Ausgabenwirtschaft. Es heißt da u. a.:

Es ist bekannt, daß ein großer Teil der
deutschen Kommunen seit Jahren Ausgaben
macht, die mit unserer wirtschaftlichen Lage
nicht in Einklang zu bringen sind. So entstand
— besonders im Westen des Reiches — ein
Wettbewerb im Errichten großartiger öffent-
licher Bauten.
Die Stadt Bochum erbaute ein neues
Rathaus. Voranschlag dafür 8,5 Millionen
Mark, tatsächliche Baukosten nach Fertig-
stellung 10,5 Millionen. In dem großen
Sitzungssaal des Bochumer Rathauses wird
ein Wandgemälde aufgehängt, für das dem
Maler, einem Professor, nicht weniger als
46 000 Mark an Honorar bezahlt wurden.
Für Ornamente der Marmorsäulen auf
Korridoren, in Sälen und Empfangshal-
len ist ein Betrag von 20 000 M. vorge-
sehen. Die im Sitzungssaal angebrachten
Bronzen kosten die Kleinigkeit von 6000
Mark, außerdem erhält der Saal noch zwei

Fesseln, die unerträglich
sind.
Die in den Vereinigten Staaten einfluß-
reiche Hearst-Presse, die über mehr als zwanzig
Zeitungen verfügt, veröffentlicht einen groß
aufgezogenen Leitartikel über den Ausgang der
deutschen Reichstagswahlen. Nach einem kur-
zen Hinweis auf den Wahlgewinn der radika-
len Flügelparteien heißt es wörtlich:
„Eine Gefahr, die jetzt selbst Halbblinde
sehen, hätte Europa schon lange vorher erken-
nen sollen.
Der Versailler Vertrag, der dazu be-
stimmt war, die deutsche Nation ver-
bluten zu lassen, ist ebenso dumm wie
brutal.
Er saugt alljährlich in Hunüerren von Gold-
millionen das Lebensmark aus der deutschen
Industrie. Er bedeutet Entmutigung für Volk
und Einzelmenschcn. Keine Nation wird das
auf die Dauer aushalten, keine kann es aus-
halten. Wenn die Alliierten in Versailles mit
voller lleberlegung dis Bolschewisierung
Deutschlands geplant hätten, hätten sie es nicht
besser und erfolgreicher tun können.
Jetzt ist es an der Zeit, die Torheit
und das Verbrechen des Versailler
Vertrages ungeschehen zu machen
und die schwere, untragbare Last vom Rücken
des deutschen Volkes zu nehmen. Es wird zu
spät sein, wenn sich Deutschland wirklich Ruß-
land und bolschewistischer Politik zuwendet."


weitere Bilder im Werte von 10 000 M.
Im Ratskeller sollen 6 Bilder aufgehängt
werden, für die man 6000 Mark ausgab.
Die Ornamente der Ratskellersäulen kosten
10 000 Mark, für die Vergoldung des
Wappens und Adlers sind 4000 Mark er-
forderlich. Auf dem Rathausoorplatz ist
die Aufstellung von Obelisken erforderlich,
Kostenpunkt 60 000 Mark. Für technische
Einrichtungen im Rathausneubau werden
400 000 Mark ausgcgeben und die Granit-
platten vor dem Rathaus kosten pro Stück
40 Mark.

Solange in Deutschland derartige Unver-
ständlichkeiten vor sich gehen können, und die
öffentliche Hand für unsere Finanzlage keiner-
lei Einsicht haben will, kann allerdings eins
Gesundung unserer Wirtschaft und unserer fi-
nanziellen Verhältnisse niemals erfolgen.
Wann wird hier endlich eine Aenderung erfol-
gen? Es ist allerhöchste Zeit, daß die Wirt-
schaft zur Selbsthilfe greift und von der öffent-
lichen Hand eine rücksichtslose Einschränkung
der Ausgaben fordert . . .!
Soweit das genannte Platt. Die Wirt-
schaft hat sich seit Jahren vergeblich damit be-
schäftigt, eine Einschränkung solcher irrsinnigen
Ausgaben zu verlangen. Genützt hat es nichts,
wie auch die letzten Reichstagswahlen wieder
bewiesen haben. Wiederum sind in der Mehr-
heit Parteien gewählt worden, die die Miß-
und Ausgabenwirtschaft der letzten 10 Jahre
verschuldet haben. Helfen und ändern kann
hier nur eine systematische Aufklärung aller
wirtschaftlichen Kreise über die tatsächlichen.
Gründe unseres wirtschaftlichen Elends.
 
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