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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0299
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Ar. 4S

Sonntag, 9. Aovember

Jahrgang 4930

Heidelberger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
ünMnizes sir Ne Jitti-csieil Stt dttW» NittesiisiSes
Zertung für gesunde tRnlschastscntercsicu des ucwerblcchcn viernljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund- «-id-W-va Sandtttraste 10« wird kein Ersatz geleistet. Der JnsertlanSpreis ist 10 Reichs-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum - ' Pfennig'für die achtgespaltcnc Millimeterzeile oder deren
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter. Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile.

Vie rrvisLvnknnKsvvrsnvkv

R. E. Seit Jahr und Tag ist in der mlr-
telständlerischen Presse immer und immer wie-
der daraus hingewiesen worden, daß das
Preissenkungsniveau der deutschen Industrie-
produkte zu- hoch und, um eine Preissenkung
zu ermöglichen, zunächst die allgemeinen Un-
kosten gesenkt werden müßten. Diese Forde-
rung ist diktiert aus dem folgenden Kreislauf
der Dinge.
6erin§e Vnko8ten ermöglichen
billige Prel8e;
MMge Preise ermöglichen <Zen
Uebrvsrdrsucb;
Mehrverbrauch gibt vermehrte
^rbeit8gelegenbekt;
Vermehrte ^rdeil8gele§s-rbeit
ermöglicht Mehrverbrauch;
Mehrverbrauch i8t gleich mekr Umsatz;
Mebr vmsstx bedeutet geringe
Unkosten;
stinc- geringe Unkosten ermöglichen
ciie billigen Preise.
Nur so gehts und garnicht anders! Aber
erst mußten uns drei. Millionen Arbeitslose
und täglich neunzigtausend Zahlungsbefehle
mit all ihrem Leid, all ihrem Jammer mit der
Nase auf diese uralte Formel stoßen, ehe die
Vernunft wieder einzukehren schein:.
Einzukehren scheint? Tatsächlich sind die
Widerstände noch immer erheblich groß und
Beispiele türmen sich zu Bergen, um der Ver-
nunft den Weg zu verlegen. Dies hat größ-
tenteils in der, leider allzu parteipolitischen
Einstellung aller — auch der wirtschaftlichen
— Dinge seinen Grund.
Ist man in irgend einer Jndustrieorgani-
saiion, geleite: von einem durchaus tüchtigen
und ehrenwerten Syndikus, dabei, die Ver-
kaufspreise sestzulegen, dann wird man tot-
sicher die Kalkulationsunterlagen der aller-
rückständigsten, von den Hauptverkehrswegen
weit abseilsgelegenen Betriebe als Grundlage
der Preisbedingungen benutzen.
Sollen in einer Branche die Löhne gesenkt
werden, um die Neueinstellung von Arbeitern
zu ermöglichen, dann lehnen sich gegen die
Lohnsenkung weniger die Arbeiter als ine Ge-
werkschaftsführer auf. Ist doch mir einer
Lohnsenkung meistens auch eine Einkommens-
verminderung bei den Gewerkschaftsführern
und eine Verringerung der Gewerk,chaftsbei-
träge verbunden.
Sinkt infolge der großen Werzenernten der
Weizenpreis in Amerika auf 12 Mark per
Doppelzentner, dann verteuert uns der deunche
Ernährungsminister das Brot, indem er den
Weizenzoll von 18,30 auf 25 Mark erhöht.
Werden zwecks Einsparung bei den Reichs-
ausgaben die Veamtengehälter um 6 Prozent
.gekürzt, dann stellt sich der Reichstagsabgeord-
Nete Sollmann in einer sozialdemokratischen
Funktionärversammlung in Köln hin und
sagt: „Ich warne ganz energisch, die Gehalts-
abbaubestrebungen des Kabinetts Brüning zu
unterstützen, weil darunter am allerschwersten
— die Parteikasse zu- leiden hätte." Deshalb
Muß also ein sozialdemokratischer Bürger-
meister, der in der Regel zu seinem Amt
kommt, wie die Jungfrau zum Kinde, das
doppelte Gehalt der Vorkriegszeit verdienen,
damit er monatlich 150 bis 200 Mark an die
Parteikasse abführen kann.

Erklärt der Reichskanzler Brüning im
Reichstag: „Das Rheinisch-Westfälische Koh-
lensyndikat will seine Preise um 6 Prozent er-
mäßigen, gibt's: Unruhe links. Und hinter
dieser „Unruhe links" stehen einschließlich der
Kommunisten dreizehn Millionen Wähler.
Warum all diese Widerstände? Ja warum!
Bedeutend leichter wäre es sa, wenn sich ein
jeder sagen wollte, daß auch er nur ein Teil
des Ganzen ist und daß es ihm auf die Dauer
niemals gut gehen kann, wenn das Ganze
notleidend ist. Aber leider sind wir von dieser
Einsicht noch meilenweit entfernt. „Hahnemann
geh Du voran, Du hast die längsten Stiebeln
an", flüstert der eine dem anderen.
Jahrelang hat man den Hahnemann Mit-
telstand vorangehen, hat ihn seine Haut zu

Dis Entwicklung der Reichsfinanzen in den
nächsten Jahren ist mit stärksten Bedenken zu-
betrachten. Alle bisher vorgenommenen Schät-
zungen waren viel zu optimistisch; deshalb be-
ruhten die bisherigen „Finanzreformen", von
denen wir allein seit Dezember 1929 bereits
drei erlebt haben, auf unzutreffender Grund-
lage. Da die Einnahmen stets zu hoch angesetzt
wurden, hielt man eine Ausgabensenkung für
unnötig, sodaß immer mehr neue Einnahme-
quellen erschlossen werden mußten; allein von
Januar bis Ende September dieses Jahres ist
auf diese Weise nach Stegerwald eine Mehr-
belastung von 3,5 Milliarden Mark, eingetre-
ten; rechnet man zu diesem Betrag noch die in-
zwischen abgeschlossenen Anleihen, die Nach-
tragsumlagen der Kommunen usw„ so ergibt
sich insgesamt eine Verschlechterung des Stan-
des der öffentlichen Finanzen in nicht einmal
einem Jahre um mindestens 5 Milliarden
Mark.
Im ersten Halbjahr des laufenden Haus-
haltsjahres sind die Einnahmen um nicht weni-
ger als 552 Millionen Mark hinter dem an-
teiligen Voranschlag zurückgeblieben; zieht
man von dem Eesamtaufkommen die Erträge
aus den neuen Steuern mit rund 229 Millio-
nen Mark ab, so ergibt sich im Vergleich zu
dem Aufkommen im gleichen Vorjahrsabschuitt
ein tatsächliches Mindereinkommen von 193,5
Millionen Mark. Die Verschuldung des Rei-
ches hat sich sanier Einschluß der Poung-An-
leihe's auf 6202 Millionen Mark erhöh: sbei
einer öffentlichen Eesamtschuld von rund 12500
Millionen Mark; dabei ist der Anteil der Aus-
landsverschuldung des Reiches von 22,6 Pro-
zent auf 45,2 Prozent gestiegen. Allein die
Kosten der Reichsfinanzverwaltung belaufen
sich auf 537 Millionen Mark; einschließlich der
Unkosten der Länder und Gemeinden ergibt
sich ein Betrag von mehr als 700 Millionen
Mark; eine ganze Anzahl Steuern kostet mehr
an Veranlagung und Erhebung als sie einbuin-
gen. Ein äußerst kritischer Zeitpunkt wird sich
wahrscheinlich am Ende des fetzt lausenden
Haushaltsjahres sd. h. im März 1931) erge-
ben. Zwischen den Tilgungsnotwend.gleiten
und den tatsächlich bereitgestellten' Mitteln
besteht noch eine erhebliche Spanne; für eure
grundsätzliche Sicherung des Reformwerkes,
das allein Einsparungen bringen könnte, ist
etwas Positives bisher noch nicht geschehen;

Markte tragen und sein Vermögen auf den
Altar des Vaterlandes niederlegen lassen.
Jahrelang hat er sich von den Kommunalpar-
lamenten durch Sondersteuern aller Art zu
Tode regieren lassen müssen und nun er aus-
geblutet ist, sitzen die Regieru-ngskünstler an
den Wassern Baals und weinen. Versuchen dein
deutschen Weh und Ach nunmehr mit Preis-
senkungen beizukommen. An einigen Verspie-
len möchten wir aber nun dartun, wie es nicht
gemacht werden darf.
Erfreulicherweise bemüht sich der Reichs-
wirtschaftsminister durch die Aufhebung der
Verkaufspreise der Tapetenkonvention die um
ca. 180 Prozent verteuerten Neubauten um
80—100 Mark pro Stück zu verbilligen. Der-
weil-en geht sein Kollege, der Herr Ernäh-

die Schwierigkeiten mit den Ländern aus den
lleberweisungssteuern sind noch in keiner Weise
bereinigt; die Frage der Erhebung der Bür-
gersteuer, gegen die sich die Sozialdemokratie
nach wie vor auf das Entschiedenste wehrt 'st
noch völlig in der Schwebe; daraus erwa kom-
mende Ausfälle bei den Kommunaljinanzen
wirren natürlich in irgend einer Weise auf die
Reichsfinanzen zurück. Selbst ras jii anz-elle
Sofortprogramm ist also bedroht, von dem
Fernprogramm des Jahres 1931 ganz abge-
sehen.
' Nun sollen im Haushaltsjahr 1931 die
Ausgaben um 1135 Millionen Mar: gesenkt
werden, weil die Erschöpfung der Steuerkraft
die Erschließung neuer Einnahmen unmöglich
macht. Die Einnahmeschützungen für ine kom-
menden Jahre sind aber lehr unsicher. Sicher
ist nur, daß für die Zukunft mir einer sehr
wesentlichen Verschlechterung der Einnahmen
zu rechnen ist, weil diese sich auf das sehr un-
günstige Wirtschaftsjahr 1930 abstellen, wäh-
rend jetzt die Steuereinkünfte noch auf den
relativ günstigen Jahren 1928/29 fußen.
Außerdem ist noch zu berücksichtigen der starke
llnsicherheitsfaktor der Gestaltung der Sozial-
versicherung. Zwar soll die gesetzliche Dar-
lehnspflicht des Reiches an die Reichsanstalt
aufgehoben werden; im Ernstfall wird aber
doch wohl schon zur Vermeidung von Unruhen
die Reichsregierung mit öffentlichen Mitteln
einspringen zu müssen glauben. Auch die Ge-
meinden mit einem Fehlbetrag von mindestens
500 Millionen Mark, sowie die Reichsbahn
mit Mindereinnahmen von rund 700 Millio-
nen Mark rechnen stillschweigend mit irgend
einer Art von Reichshilfe. Eine der wichtig-
sten Aufgaben wird deshalb in der möglichst
restlosen Ausmerzung aller derjenigen Un-
sicherheitsfaktoren bestehen müssen, dis bisher
alle Voranschläge über den Haufen geworfen
haben. Dazu gehört vor allem eine ebenso
schnelle wie grundlegende Reform der Aus-
gabenwirtschaft aller derjenigen Stellen, die
bisher in irgend einer Weise aus Reichsmit-
teln finanziert wurden, sodaß künftig eine Be-
anspruchung der Reichsfinanzen unmöglich
wird. Im übrigen wird eine wirkliche Finanz-
reform auch auf die Wirtschafts- und Handels-
politik eingehen müssen, da diese die Grund-
lage für die öffentlichen Finanzen bildet
*

rungsminister hin, erhöht den Weizenzoll um
33 Prozent und treibt dadurch ganz logischer-
weije auch den Brotpreis in die Höhe. Gewiß
sind die Preise für eine Reihe landwirtschaft-
licher Produkte, z. B. Roggen, viel zu niedrig.
Gewiß auch geht es nicht an. daß der Land-
wirt für seine Produkte nur den Friedenspreis
bekomm: uno dis Jndustrieprodukte mit dem
eineinhalbfachen Betrag der Vorkriegszeit be-
zahlen soll und ganz gewiß ist die Landwirt-
schaft in diesen Spannen — auch Preisscheren
genannt — bald zu Tode gezwackt worden.
Aber diese Spannen nun mit Hilfe überspitz-
ter Weizenzölle ausqleichen und dabei noch
von Preissenkungen reden zu wollen, heißt der
Vernunft Gewalt antun. So geht's nicht!
Das muß unserer Landwirtschaft, für deren
Nöte wir volles Verständnis besitzen, in aller
Freundschaft auch einmal gesagt werden. Der
Geschmack des Publikums hat sich nun einmal
gewandelt. Achthunderttausend Soldaten, die
früher auf Kommando eineinhalb Pfund Rog-
genbrot täglich verzehrten und sich wohl da-
bei fühlten, fehlen uns heute und deshalb
sollte auch der Landwirt der Zeit Konzessionen
machen und sich dem vermehrten Weizenanbau
zuwenden. Mag sein, daß dem Anbau von
Weizen in manchen Gegenden die Beschaffen-
heit der Böden entgegcnsteht; aber fest steht
Much, daß in vielen Gegenden unseres Vater-
landes der Roggen dem Weizen sehn gut Platz
machen könnte. 31 Prozent unserer Bevölke-
rung ist in der Landwirtschaft und 69 Prozent
in anderen Berufen beschäftigt. Klingt es da
nicht wie kalter Hohn, wenn man dem ameri-
kanischen Weizen, der für 13 RM je Doppel-
zentner nach Hamburg drängt, durch einen
Zoll von 23 Mark den Weg verlegen will?
Weg mit diesen überspitzten Zöllen, die
auch nur dadurch möglich wurden, weil,
ein jeder mit den finanzpolitischen Din-
gen beschäftigt, dem lautlosen Treiben
des Ernährungsministers keinen Einhalt
geboten hat. Herunter mit den Geste-
hungskosten der Jndustrieprodukte, dann
kommt die Preissenkung ganz von selbst
und davon werden unsere Langleute
mehr Nutzen ziehen, als von den über-
spitzten Getreidezöllen.
In Berlin streikten vierzehn Tage lang
120 000 Metallarbeiter. Lohnausfall: ca. 15
Millionen Mark. Die Löhne der erwachsenen
Metallarbeiter betrugen 60 bis 65 Mark je
Woche und damit ungefähr das doppelte der
Vorkriegslöhne. Um die Mehreinstellung von
Arbeitslosen zu ermöglichen und die Preise
senken zu können, verkündet der Schlichter:
„8 Prozent Lohnabzug für die Erwachsenen
und 6 Prozent für die Jugendlichen." Nein,
sagen die Gewerkschaftsführer; obschon man-
chem von ihnen die Notwendigkeit einer Lohn-
senkung durchaus einleuchtet. Sie können sich
aber der kommunistischen Konkurrenz, die
ihnen wie -das Messer an der Kehle sitzt, nicht
erwehren und lassen die Arbeiter in den Streik
gehen. Als dann die Streikenden 14 Tage lang
kein Geld, oder höchstens 12 Mark je Woche an
Streikunterstützung nach Hause bringen, ist der
Mu-t gebrochen, der Kourage das Herz abge-
kauft. So gehen sie wieder in die Betriebe
zurück und warten den Spruch einer „unpar-
teiischen Kommission" ab. Diese wird, wenn
die Preissenkung du-rchgeführt werden soll,
garnichts anderes können, als den Spruch des
ersten Schlichters bestätigen, ihn allenfalls um

Dis Kinanzgefährdunß des Reiches
in den kommenden Jahren.
 
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