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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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Ar. 49

ahrgang 4939

Gonrriag, Dezember

Herausgeber:
Curt Kieshauer

MeWMmB-mWOiA
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter,

Heidelberger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
IInWnIgcs sit die Interesse« des ietNs-eii Usttesstilties
MMfteiiW MM-zeiiNg
Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichs-
pfennig für die acktgcspaltene Millimeterzeile oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile.

Wttelstsnö Zsru?

rLxöaiecker8tääte.

Vs8 knäe Zes Lelbstver^sttunxsi-eckts. — Oer Llsstskommisssr als pinsnrkommisssr.
^Vsrum es so ^eit kommen muüte. — >Vie stellt sick cler xevverbliclie

breissenkung
das neue Schlagwort.
Das Wort „Preissenkung" ist, seitdem die Re-
iterung Brüning der Oesfentlichkeit verkünden ließ,
^atz sie für einen großzügigen Preisabbau auf al-
'rn Gebieten sorgen werde, zu einem politischen
Schlagwort geworden, mit dem allerlei Unfug ge-
rieben wird. So sehr ernsthafte Bestrebungen,
die allgemeine Wirtschaftskrise durch eine ebenso
Allgemeine Senkung der Produktions- und Vertei-
^ingskosten zu senken, zti begrüßen sind, und so
Arn sich alle Wirtschaftskrise an solchen Bestre-
bungen beteiligen werden — so sehr sollte man sich
>>i gewissen Kreisen hüten, die Erwartungen der
deffentlichkeit bezüglich des Preisabbaues allzu
hoch zu spannen. Auch das Problem der allgemei-
nen Preissenkung ist an wirtschaftliche Gesetze ge-
funden, die sich nicht einfach durch ein Diktat vom
grünen Tisch her umstoßen, verändern oder gar
heiligen-stossen.
Durch den Druck der künstlich in ihren Er-
wartungen gesteigerten öffentlichen Mei-
nung zwingt man einzelne Kreise des Mit-
telstandes, also die letzte Hand im Vertei-
lungsprozeß der Wirtschaft, zu Preissenkun-
gen, die nur geringfügig sein können und
die letzten Endes die Existenzdecke dieser
Mittelstandsschichten beschneiden, damit die
Stcuerkraft dieser Kreise weiter schwächen
und somit also der Volkswirtschaft im letzten
Grade nicht nützen, sondern schaden.
Tie Regierung sollte sich hüten, diesen Weg
«beiter zu gehen. Er kann niemals zu dem von al-
len Kreisen des Volkes erwarteten wirklichen
Preisabbau führen, sondern nur zu neuen Krisen-
zustanden. Eine wirkliche Preissenkung kann nur
borr oben her erfolgen und sich allmählich nach un-
ten fächerförmig verbreitern. Der Preisabbau muß
bei den Produktionskosten, bei der Herstellungs-
kosten der Waren beginnen. Nur dann kann der
Kleinhandel in entsprechender Weise folgen. Der
Umgekehrte Weg führt nicht zur wirtschaftlichen
Gesundung, sondern zur Zerschlagung des Mittel-
standes, Ivenn nicht überhaupt der ganzen Wirt-
schaft.
Vor alleni ist eins notwendig und glattweg die
Voraussetzung für einen wirklichen Preisabbau von
oben heiz der alle Zweige der Wirtschaft gleich-
mäßig und wirksam erfaßt, nämlich, baß bie Sten-
ern, Gebühre«, Abgaben »ub Tarife ber äfseut-
lichen Verwaltung gruublegenb gesenkt werben!
Solange das nicht geschieht, wird der Preisabbau
ein Torso bleiben, der niemand nutzt, aber der
ganzen Wirtschaft schadet. Die öffentliche Verwob
stmq will an eine Senkung der Abgaben und ^a-
risc nicht heran, die Kartelle, Syndikate und >ion-
zernc sind bisher von dem gesetzlichen Zwang zur
Senkung der Produktionskosten noch Nicht ersaßt
worden. Wie Mill man also auf diese Weise eine
tatsächliche Preissenkung-herbeiführen?
Solange eine Preissenkung einseitig mit dikta-
torischen und verwerflichen Mitteln 'durchgeführt
wird, solange man sich damit begnügt, nur um den
Massen entgegenzukommen sdie man vorher mit
dem Schlagwort des - Preisabbaues verrückt ge-
wacht hath, den mittelständischen Handel, das
Handwerk und Gewerbe unter Druck zu setzen und
von ihm die Senkung der Verkaufspreise um an
sich minimale, praktisch für die Verbraucher gar
nicht ins Gewicht fallende Prozentsätze zu erzwin-
gen, s» lauge wird der Preisabbau ein Schlagwart
bleib«» — «brr niemals eine volkswirtschaftliche
Maßnahme zur Gesundung der Wirtschaft werben
könne» >

Wir sind in diesen Tagen erschütterte Zu-
schauer eines traurigen Schauspiels: deutsche
Städte, groß und klein, sind nicht mehr in der
Lage, ihren riesigen finanziellen Verpflichtungen
nachzukommen, und die Regierung ist schon eifrig
am Werk, eine Reihe, von Staatskommissaren mit
diktatorischen Vollmachten zu ernennen. Altona,
Berlin, Dortmund, Erfurt, Frankfurt a. M., Glad-
bach, Hagen, Königsberg, Magdeburg, Nürnberg,
Oppeln, Stettin und Wiesbaden haben bereits
ihren staatlichen Aufsichtsherrn, Breslau und Gör-
litz werden in den nächsten Tagen folgen. Hoffent-
lich ist sich alles darüber klar, was das bedeutet
— das Ende des Selbstverwaltnngorechtes der Ge-
meinden ist nahe! Was der geniale Freiherr vom
Stein vor mehr als 100 Jahren geschaffen, was
er nach unendlichen Kämpfen durchgcsetzt hat, die
Unabhängigkeit der Gemeinden, soll jetzt, durch die
katastrophale Entwicklung der letzten Jahre begün-
stigt, mit einer Handbewegung beiseite geschoben
werden. Der »höchste Stolz und der brenncnoc. Ehr-
geiz des Bürgers, die Geschicke seiner Heimatstadt,
ohne ängstliches Aufblicken zur Regierung oder gar
zu dem früher allmächtigen Herrn Minister, nach
eigenem Gutdünken zu gestalten, findet im Novem-
ber 1930 kein geeignetes Objekt mehr.
Mußte es so kommen? Der Etat ba-
lanciert sehr oft auch bei den bedrohten Städten,
aber nur auf dem Papier. In den Stadiparlamen-
ten gibt es keine Mehrheit für neue Steueru, und
die alten reichen eben nicht aus, um die hundert
und tausend Löcher zu stopfen, die von allen mög-
lichen Seiten heute in den Haushaltsplan der Ge-
meinden gestoßen werden. Wenn früher der Etat
vom Magistrat oder ber Stadtverwaltung vorge-
lcgt und nach' gründlicher Prüfung von den Ver-
tretern der Bürgerschaft verabschiedet wurde, dann
wußte man, jetzt ist ein Jahr lang Ruhe. Und
heute? Schon nach vier Wochen sickert es durch
alle Ritzen und Fugen, wispert es in allen Blät-
tern, flüstert man es an allen Stammtischen der
Ratskeller, daß es „wieder einmal nicht reicht."
Dann kommen die Vorlagen zur Deckung des De-
fizits, dann kommt ein Nachtragsetat, daß dem
braven Steuerzahler die Augen übergehen und —
dann wurde trotzdem immer bezahlt. Jetzt kann der
Gewerbetreibende aber nicht wehr. Er streikt. Das
heißt nicht, daß er sich zu zahlen weigert, aber cs
ist nichts mehr da. Der Umsatz , ist zurückgegangen,
der Inhalt einer Ladenkasse ist schön verteilt, be-
vor er eingenommen ist — eine Kuh, der man
jahrelang nur Stroh zu fressen gab, wird >n der
Milchleistung nicht besonders ertragreich sein.
Niemand wird so vermessen sein, zu behaupten,
die verantwortlichen Leiter unserer Städte und
Gemeinden hätten -rw den -letzten 1-0 Jahren das
Wckn „sparen" groß geschrieben. Eine unendliche
Zahl von Beispielen liefert den Beioeis, daß die
Herren Bürgermeister, unterstützt von ehrgeizigen
Stadträten und einer — nicht zahlenden! — Mehr-
heit von Gemeinde- oder Stadtverordneten, vom
dösen Geist der Generosität besessen waren. Was
wurde da nicht alles gebaut, renoviert, gegründet
und angelegt; was wurden für Aemter und Stellen
geschaffen, um ergebenen Parteibuch-Aspiranten
eine fette Pfründe, ivenn möglich auf Lebenszeit,
zu sichern, Mit welcher Verve ging man an den
Ausbau der städtischen Regiebetriebe heran, und
mit welcher Großzügigkeit wurden hier ungeheure
Summen investiert und nicht selten restlos ver-
pulvert.

Bezahlt hat alles der Gewerbetreibende. Nur
er allein war ja bisher steuerpflichtig für die Ge-
meinde. Ihm stand allerdings das Recht zu, bei
der Abstimmung über Steuererhöhungen seine Ver-
treter im Stadtparlament „nein" sagen zu lassen.
Geholfen hat das freilich nichts, denn die Rivalität
der beiden marxistischen Parteien, die in vielen
Fällen über die Mehrheit in den städtischen Kör-
perschaften verfügten, sorgte schon dafür, daß alle
„sozialen" Anträge und Projekte, oder was nian
als solche ansah, angenommen und durchgeführt
wurden. Im Bewilligen war man groß, und nie-
mand hätte in dieser Beziehung etwas davon be-
merkt, daß wir — immerhin — einen Krieg ver-
loren haben.
Gewiß, wir wollen weder vergessen noch über-
sehen, daß die Aufgaben, die den Gemeinden in der
Nachkriegszeit von Reich und Ländern zugewiesen
wurden, viel Geld kosten. Die reichsgesetzliche
Regelung der Erwerbslostüfürsorge und Wohl-
fahrtspflege stellt die Gemeinden mitten in das
Risiko der Wirtschaftskrisen und belastet sie heute,
wo eine solche Krise in unerhörtem Ausmaß herein-
gebrochen ist, auf das schwerste. Die Finanzlage
der deutscher Stadt- und Landgemeinden wäre
jedoch noch lange nicht so verzweifelt, ivenn man
nicht in den verhältnismäßig erträglichen Jahren
nach der Inflation riesige Schulden gemacht und
immer wieder Ueberbrückungskreditc ausgenommen
Härte, die heute natürlich Zinssummen fressen, die
man an anderer Stelle nötiger gebrauchen könnte,
ganz abgesehen davon, daß die Höhe des Zinsfußes
sehr ost in gar keinem Verhältnis mehr steht zu
der gegenwärtigen Lage des Kapitalmarktes.

R7ü. Vorn Reichsverband des deutschen Hand-
iverks wird rms geschrieben:
Der Monat November Pflegt stets zu den ge-
schäftlich stillsten Monaten im Handiverk zu zäh-
len. In diesem Jahr war der Rückgang unter dem
Einfluß der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen
Lage besonders stark fühlbar. Infolge der großen
Kapitalnot und der allgenreinen Unsicherheit über
die roeitere Entwicklung der Wirtschaft kam die
Bautätigkeit beinahe völlig zum Stillstand. Das
Arbeitsbeschasfungsprogramm der Reichsregierung
vermochte nur vereinzelt noch eine geringe Bele-
bung des Baumarktes zu bringen. Auch die Bau-
nebengewerbe hatten, abgesehen von nottvendig
Werdenden Reparaturarbeiteri, fast keine Aufträge
zu verzeichnen. Vor allem in den Anßenberufen
ruhte die Tätigkeit mit Rücksicht auf dre nasse
Witterung , fast/völlig. ; Die Zahl der arbeitslosen
Gehilfen stieg infolgedessen beträchtlich. — Von
den wenigen Handwerksberufen, für die der No-
vember mit zur Hauptgeschäftszeit gehört, wird be-
richtet, daß die in diese Zeit gesetzten Hoffnungen
in keiner Weise erfüllt sind. Die Nahrungsmittel-
hondwerkc weisen trotz gesenkter Preise einen wei-
icren Rückgang ihrer Umsätze auf. Auch im Schnei-
derhandwerk hat die Saison ein vorzeitiges Ende
gefunden. Im Sattler-, Tapezierer-, Uhrmacher-
und Juivelierhandwerk ist die sonst in der zweiten
Hülste des November spätestens einsetzende Nach-
frage nach Aeschenkartikeln für das Weihnachtsfcst
nahezu völlig ausgeblieben. Die Geschäftstätigkeit
dieser Gewerbezweige hielt sich vielmehr in dem
bisherigen Rahmen. Man erwartet infolge der ge-
ringen Kaufkraft des Publikums auch kein leb-

Die Berufung von Staatskommissaren für eine
ganze Reihe, von Städten wirft die Frage auf,
wie sich der gewerbliche Mittelstand zu dieser
Aktion stellen soll. Um es gleich zu sagen: Viel
Gutes haben wir von solchen Diktatoren nicht z«
erwarten, denn Staatskommissare werden vvm
Staar ernannt und haben, natürlich im Rahmen
der Verfassung und Gesetze, die Weisungen der
Staatsregierung auszuführen. Wir wissen alle,
daß man unter den 17 deutschen Ländern diejeni-
gen mit der Laterne suchen muß, die wirklich um
das Wohl des geiverblichen Mittelstandes besorgt
sind und die, ivenn sie eine solche Besorgnis schon
einmal geäußert haben, auch entsprechende Taten
folgen ließen. Das einzig erfreuliche an der gan-
zen Staatsaufsicht wird die jetzt den finanzschwa-
chen Gemeinden diktierte Einführung der Kopf-
steuer jBürgerabgabe) sein. Mit der Erhebung
dieser Steuer wird endlich das Prinzip durchbro-
chen, daß Lohn-, und Gehaltsempfänger ' Nicht zu
den Ausgaben der Komniunen herangezogcn wer-
den können. Selbst wenn man für neue Steuern
wenig Begeisterung aufzubringen vermag, muß in
diesem Falle die Gerechtigkeit der neuen Abgabe
hervorgehoben werden.
Die Bevormundung der Gemeinden durch
Staatskommissare läßt die Hoffnung auskeimcn,
daß eine Welle ber Selbstbesinnung durch dos
deutsche Bürgertum geht und so die Grundlage M
einer soliden und sauberen Führung der Pädtischen
Verwaltüngsgeschäfte geschaffen wird, deren ober-
stes Ziel immer Peinliche Sparsamkeit sein muß.
Tritt eine solche Umwandlung der Geister in un-
seren Gemeindewesen ein, dann wird die „Episode
der StaatSkommissare" reiche Früchte tragen.

Haftes Weihnachtsgeschäft. Eine leichte Belebung
für das bevorstehende Weihnachtsfcst ist bislang
lcoiglich vom Möbeltischlerhandwerk gemeldet. Ge-
hoben hat sich die Beschäftigung auch beim Elek-
irolnstallaleurhandwerk, das durch verstärkte Licht-
reklame und die Anlage von RadivempfangsgcrL-
ten vermehrte Aufträge zu verzeichnen hatte? Abge-
sehen von der allgemeinen Wirtschastsnol und ge-
schwächten Kaufkraft der Kundschaft glaubt das
Handwerk den schlechten Geschäftsgang auf die
Preissenkungsaktion der Regierung zurückführen
zu müssen. Die Bevölkerung erwartet unter dem
Druck der behördlichen Maßnahmen starke Preis-
rückgänge und hält daher mit der Auftragsertei-
lung zunächst zurück.
Auf dem Arbeitsmarkt hat sich di« Lage ent-
sprechend der BeschäftiWNg. der .BeMebe v^°
schlkchtert. Die Zahl der erwerbslosen Hand-
wcrksgehilfen hat weiter Angenommen nnd damit
auch die Klagen über die Schwarzarbeit Erwerbs-
loser. Meldungen über Lohnsenkungen liegen nicht
vor. — Die 'Zahlungsweise der Kundschaft HÄ
mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit eine weiters
Verschlechterung erfahren. Die finanzielle Lage der
Betriebe gestaltete sich dadurch immer schwieriger.
Anträge auf Steuerstundung und -erlaß cte. neh-
men infolgedessen zu. — Die Beschaffung der be-
nötigten Rohstoffe und Materialien bereitete keine
Schwierigkeiten. Für Zement, Glas, Holz, Kupfer,
Lötzinn, Zinkblech, Dekorationsstoffe nnd Buch
binÄrmaterialien werden Preisrückgänge ge-
meldet.
*

Verichl Mer die wirMafMe Lage des Handwerks
tm Maat Raveraver
 
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