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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0187
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Jahrgang -193G

Gonniag, 3. August

Rr. 3il

Geschäftsstelle:
Heidelberg, Hauptstraße I««

UWMIM-ÄMliMe Aeilmg
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich -um
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter,

Seidelberger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
IlMNWer KimMlM für die Aeicresiei SesdcitsW MielftaMs
MmsteiiW MgerHeilm
Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2,l0 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichs-
pfennig für die achtgespaltene Millimeterzeile oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM- pro mm-Z«Ue.


Der Reichstag, der' am Freitag un-
ter dramatischen Begleiterscheinungen und nach
Heftigen, unerfreulichen Kämpfen lange vor
Ablauf seiner normalen Lebensdauer der Auf-
tchuirg verfallen ist, ging aus den Maiwahlen
Hes Jahres 1928 hervor, nachdem auch sein
Borgänger wegen Arbeitsunfähigkeit infolge
Her nicht zu lösenden Parteischwierigkeiten
Hatte aufgelöst werden müssen. Die damaligen
-Bahlen brachten der Sozialdemokratie, die
Hon der Teilnahme an der'ö positiven Politik
tangere Zeit ausgeschaltet war, obwohl sie als
Unterstützung und Hauptklägerin der von
Etresemann über alle wechselnden Kabinette
hinweg durchgesührten auswärtigen Politik
dicht entbehrt werden konnte, einen so starken
-bsiandatszuwachs, daß nach arithmetischer und
politischer Logik die Leitung der Reichsge-
tchäfte an sie übergehen mußte.

Das am 28. Juni .1928 gebildete Kabi-
nett Hermann Müller brachte die wich-
tigsten Ministerien mit Ausnahme des
Auswärtigen Amtes, das in Strese-
manns Händen verblieb, an die Sozial-
demokratie.
Zentrum, Demokraten und Deutschs Volkspar-
^i waren an dem Kabinett nur schwach und
'uit betonter Distanz beteiligt- namentlich im
Zentrum traten schon damals, woran man sich
^arer öfter zu erinnern hatte, deutliche Zei-
ten zutage, daß diese Partei sich nur ungern
Hstd unter Vorbehalten einer sozialdemokra-
.9chen Führung auf längere Sicht zu unter-
dellen bereit war.

Immerhin war das Koalitionskabinett Mill-
er seit langen Jahren wieder das erste, das
wenigstens nominell über eine sichere parla-
mentarische Mehrheit verfügte, und die Hoff-
Hungen, die man aus dieser Tatsache auf eine
wibungslose und fruchtbare Politik setzen zu
l?vnen glaubte, waren anfangs nicht gering.
einem Punkt wenigstens haben sie sich ge-
rechtfertigt.

Die Durchführung und Vollendung des
außenpolitischen Ziels, das sich Strese-
Mann mit dem Abschluß der Locarnover-
träge und dem Eintritt in den Völker-
bund gestellt hatte, und das in der Be-
freiung der besetzten Gebiete vor Ablauf
der Vertragspflichten gipfelte, konnte
mir dieser Regierungs- und Parlaments-
kombination ohne wesentliche Verzöge-
rungen, wenn auch unter schwerem

Opfer erreicht werden.
war eine der ersten und wohl die wichtigste
persönlichen Regierungshandlungen des
^rchskanzlers Hermann Müller, daß er in
Zepg durch eine offenherzige Rede die Ver-
^Udlungen über eine Revision des Londoner
^hlungsplanes in Gang brachte, die dann
die Pariser Sachverständigenkonferenz und
beiden politischen Konferenzen im Haag
'M Abschluß des Poungplanes führten.
c,„ Die Solidarität zwischen Exekutive und
f^siislative, zwischen Regierung und Reichs-
dyn ^llann sich zu lockern, als es nach An-
scb^b des Zloungplanes galt, die innerpoliti-
py'H.H..Konsequenzen der übernommenen außcn-
lK'schen Zahlungsverpflichtungen durch Sa-
rung Reichsetats und durch Ausbrin-
"9 der notwendigen Mittel zu ziehen.
-->ier beginnt das entscheidende Versagen
der Sozialdemokratie als Führung und
als Partei,
käu, Ausgangspunkt der Steuer- und Etat-
dx^le der letzten Monate, für den Rücktritt
lyu '^binetts Müller, die Bildung der Regie-
kl Brüning und schließlich für das Ender-

gebiris der Auflösung des Reichstages gewesen
ist. Wenn es schon ein schwerer Fehler des so-
zialdemokratischen Reichsfinanzministers Dr.
Hilferding war, das Reich mit gänzlich ver-
wirrter Finanz- und Etatslage in die Ver-
handlungen mit den mißtrauischen Gläubiger-
staaten zu schicken, so war es geradezu ein Ver-
hängnis, daß das Kabinett Müller unsäglich
viel Zeit untätig verstreichen ließ, ohne den
entscheidenden Kampf mit dem Reichstag um
Gestaltung der notwendigen Deckungsvorlagen
und Etatsreformen auszunehmen. Die inner-
politischen Gegensätze, die zwischen Sozialdemo-
kratie und Deutscher Volkspartei notwendiger-
weise zum Austrag kommen mußten, hätten
sich vielleicht bei rechtzeitiger Energie und
wenn Stresemann am Leben geblieben wäre,
überbrücken lassen, mußten aber zum Bruch
führen, als im Frühjahr infolge der immer
schlechter werdenden Wirtschaftskonjunktur die
Frage der Reform der Arbeitslosenversicherung
in den Vordergrund trat,
wobei die Sozialdemokratie durch ihre
Gewerkschaftsführer und sozialpolitischen
„Sachverständigen" gezwungen wurde,
ihre verantwortliche Mitwirkung in der
großen Staatspolitik aufzugeben.
Mit dieser Niederlage der staatspolitischcn
Richtung in der Sozialdemokratie war auch die
Frage der Neuorientierung in der inneren Po-
litik aktuell geworden, eine Frage, die sich par-^
lamentarisch gesehen so stellte, ob es möglich
war, eine dauerhafte und sichere Mehrheit bür-
gerlicher, zu positiver Staatsarbeit entschlos-
sener Parteien ohne oder gegen die löl Stim-
men der Sozialdemokratie zu bilden. Dieses
Problem war identisch mit dem der Umgestal-
tung der Deutschnationalen Volkspartei zu
einer positiv mitarbeitendenRegierungstruppe.
Sie mar unter Führung Hugenbergs in ihrem
Widerstand gegen die auswärtige Politik in
enge Nachbarschaft mit der völkischen und na-
tionalsozialistischen Opposition geraten, hatte
aber nach Annahme der Pounggesetze im Flü-
gel Westarp und im Landbund um Schiele eine
starke Opposition gegen diese radikalen Ten-
denzen erfahren, die bei Bildung des Kabinetts
Brüning fast zur Spaltung der Partei geführt
Hütten. Es war die ausgesprochene staatspoli-
tische Idee des neuen, vom Zentrum gestellten
Kanzlers, diese Zersetzungserscheinungen in der
Deutschnationalen Partei begünstigt und sie
zur Bildung einer kompakten parlamentarischen
Mehrheit der Mitte benutzt zu haben. Bis in
die letzten Stunden war es unsicher, ob es dem
Reichskanzler doch noch gelingen werde, die
Fruchi dieser Taktik einzuheimsen und durch
eine Spaltung der Deutschnationalen bei der
Abstimmung die Steuernotverordnungen und
damit' auch den Reichstag zu retten. Die Spal-
tung ist zwar gekommen, aber sie genügte nicht
mehr: an wenigen Stimmen ist das Notverord-
nungswerk gescheitert und der Reichstag einem
frühzeitigen Ende verfallen.
Die wirren Partei- und Fraktions-
kämpfe der letzten Monate und Wochen,
die dem Außenstehenden in ihren Ver-
schlingungen und manchmal geheimen
Beweggründen unverständlich bleiben
müssen, wirken sich stimmungsgemäß in
dem aus, was man Krisis des Parla-
mentarismus nennt.
Es kann nicht bestritten werden, daß der
Kanzler und sein Kabinett sich bis in die letzte
Stunde ehrliche Mühe gegeben haben, die
dringlichen Aufgaben der Rcichspolitik auf dem
normalen parlamentarischen Wege zu lösen.
Man kann auch nicht sagen, daß es im Parla-

ment und in den Parteien an der notwendigen
Einsicht gefehlt habe, daß ein Versagen des
Reichstags von der Öffentlichkeit diesem selbst
und dem System der parlamentarischen Demo-
kratie zur Last gelegt werden würde. Wohl
keine Partei außer der nationalsozialistischen
und kommunistischen hat wohl dieses Ergebnis
absichtlich herbeigeführt und begrüßt. Wenn
dennoch die inneren Widerstände sich wirksamer
erwiesen haben als das Gefühl der Verant-
wortung für den Kredit eines der Hauptprin-
zipien des Staatsaufbaues, so ist dies ein Zei-
chen dafür, daß der Reichstag in seiner bis-
herigen Zusammenstellung einen durch bloße
Regie'rungstechnik und -taktik nicht auszuglei-
chenden Konstruktionsfehler hatte. Mit ande-
ren Worten:
.—

die Fraktionen des Reichstages, die in
ihrer politischen Art und in ihrem
Stärkeverhältnis ans der Willenskund-
gebung des Volkes vom Mai 1928 her-
vorgegangen sind, haben sich als unge-
eignet erwiesen, die Politik des Reiches
parlamentarisch zu fundieren.
Es ist deshalb eine logische Notwendigkeit,
eine neue politische Willensbildung des Volkes
herbeizuführen. Erst wenn diese kein brauch-
bares Ergebnis haben sollte, d. h. wenn der
neu zu wählende Reichstag zeigen sollte, mit
der keine Regierung gebildet oder mit der eine
gebildete Regierung nicht regieren kann, wird
man nicht mehr von einer Krise, sondern von
einer Katastrophe des Parlamentarismus zu
sprechen haben.

Einfiihnmg der Mgersteuer.
Vie Steuernoiverordnungen lirrd verottentlickt. weben dem 5°/» itzen
Antcklstz rur Linicoinrnenttener itt die kLelcksbilte Zer Vesinten, die
8cbsn!rver2:ebrttsner, sowie die viirtzersbgsde (KopMeuer) eintze-
tübrt worden, ^lit der Linlkübrnntz der llropLttener dnrck die äe-
nreinden ilt eine kvrdernntz erfüllt worden, die Lckon teil Jabren
mit wacbdrneir erboden wurde.

Die Notverordnung der Neichsregierung,
welche die Einführung einer Bürgersteuer vor-
sieht, bedeutet in der Geschichte der kommuna-
len Entwicklung einen Markstein. Damit ist
eine llmkehr von dem bisherigen System voll-
zogen, das sich auf die Erzbergersche Finanz-
reform stützt und den Gemeinden die Steuer-
autonomie in weitestem Sinne genommen, sie
ihnen lediglich . auf dem Gebiete der Real-
steuern und einiger nebensächlichen Steuerar-
ten gelassen hat. Durch die Notverordnung der
Reichsregierung werden also die Gemeinden
einen wichtigen Schritt tun. um zu der steuer-
lichen Selbständigkeit zurückzukchren, die sie
vor dein Kriege hatten und durch die sie so
blühend und groß geworden sind. Darüber, daß
das setzt nach dem Kriege übliche System der
Stcuerüberweisung vom Reiche her viel wert-
volles kommunales Leben unterdrückt und letz-
ten Endes zu dem katastrophalen Finanzelend
der Gemeinden und der Allgemeinheit geführt
hat, ist sich isder Einsichtige heute wohl klar
geworden und begrüßt daher, daß mit der
Einführung dieser Vürgcrsteuer der Anfang zu
einer llmkehr von dem bisherigen System ge-
macht werden soll.
Kaum war der Regierungsentwurf über
die Kopf- oder Bürgerstcuer bekanntgeworden,
war schon ein Kampf um ihn entbrannt. Auf
sozialdemokratischer Seite, wo er aus begreif-
lichen Gründen ganz besonders wenig Sympa-
thie ausgelöst hat, hat man für diese Steuer
bereits den schönen Namen „Negersteuer" er-
funden; aber auch sonst find ihr Gegner ent-
standen, und zwar auf einer Seite, wo man
sie nicht erwarten sollte.
Die Gegnerschaft der linksgerichteten Par-
teien gegen die Notverordnung der Regierung
war in erster Linie daraus zu erklären, daß
sie aus der Ueberweisungswirtschaft für ihre
politischen Zwecke Kapital schlagen konnte. Sie
hat in ihrem Sinne mit den überwiesenen
Steuern gewirtschaftet und sie in erster Linie
zur Durchführung sogenannter „wirtschafts-
demokratischer" Ideen verwendet. Da man nicht
wußte, aus welchen Quellen dieses Geld floß
und die Quelle nicht in der Gemeinde selbst zu
suchen brauchte, war es leicht, das so einfach

überwiesene Geld auszugeben. llm die Löcher
zu stopfen, harte man immer noch die Real-
steuern, oie dann in der überspanntesten Weise
ausgepreßt wurden, wodurch man schließlich
mit das augenblickliche Elend der Wirtschaft
verschuioete. Die kalte Sozialisierung durch
Ichärfste Besteuerung war der Weg, den man
von sozialdemokratischer Seite her erstrebte
und mir Erfolg begangen hat.
Durch die llmkehr zu dem neuen System
des direkten und allgemeinen Gemeinde-
besteuerungsrechtes würde dieser Weg größten-
teils verbaut werden; denn die Bürgersteuer
trifft jedes einzelne Eemeindemitglied. Die
Finanzwirtschaft, die über den normalen Be-
darf einer Gemeinde hinausgeht, würde sich
also leicht auf den Geldbeutel jedes einzelnen
Bürgers der Gemeinde auswirken.
Wenn man die Konstruktion der Steuer
verjolgt, so sieht man, daß sie viele Gedanken
ausgenommen hat, die von früher her im Ee-
meindesteuerrecht bestanden. Statt des fingier-
ten Satzes, der damals der Eemeindcbesteue-
rung zugrunde gelegt wurde, ist jetzt ein
Erundbetrag angenommen, der zwischen 3-und
6 Mark schwankt, auf dem dann die weitere
Steuer aufgebaut wird, die, wie damals, aus
Zuschlägen besteht. Besonders wichtig ist hier-
lrei die Relation zwischen der Bürgersteuer und
den Realsteuern, also den den Gemeinden wei-
terhin verbleibenden Grund- und Gewerbe-
steuern. Die Bürgerabgabe, und das ist vor-
nehmster Zweck, soll der Besteuerung der Wirt-
schaft durch die Realsteuern entgegenarbeiten
und es möglichst dahin bringen, daß die Real-
steuern gesenkt werden können. Hier ruht der
Angelpunkt der neuen Besteuerung. Wenn die
Bürgersteuer nach diesen Gesichtspunkten wei-
ter ausgebaut werden würde, so würde damit
ein weit gerechteres Steuersystem in den Ge-
meinden Einzug halten und eine möglichst
weitgehende Verschonung der Wirtschaft mir
der ungerechtesten aller Steuern, der Gewerbe-
steuer, eintreten. Darin beruht der große
wirtschaftliche Effekt dieser Umkehr.
Hoffentlich wird die Absicht des Gesetzes,
wie sic ausdrücklich ausgesprochen ist. daß näm-
lich vonr 1. April 1931 ab das Aufkommen an
 
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