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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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Rr. 12

Sonntag, 23. März.

Herausgeber:
Curt Kieshauer
Fernruf 18SS

- —
Jahrgang 1930
— .—

MkWMWMIsWliA MW
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter.

Heidelberger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
llnMnittt Attnsdlitt stk Sie Ziiteresse« des Seiislde« Miiielsilnides
MMstdeiiW WM-MW
Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
vierteljährlich 2, lO Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichs-
pfennig für die acktgespaltene Millimeterzeile oder deren
Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile.

MhnungszwangMrlschasl unsozial!

Von Dr. Franz Jörissen, M. d. R., Köln.

Reichstagsabgeordneter Dr. Franz
Jörissen hat seinem im Reichstag
eingebrachten Entwurf eines Ueber-
gangsgesetzes zur Regelung der Miet-
verhältnisse eine umfangreiche Be-
gründung in Form einer im Selbst-
verlag erschienenen Broschüre „Die
Wohnungs-Zwangswirtschaft" folgen
lassen, aus der Mr einige Abschnitte
nachstehend wiedergeben.
Die Schriftleitung.

der

. vdens von Staats wegen
^erwacht werden soll,

bung in weitesten Kreisen hervorgerufen
Die hier gekennzeichneten Aus-
-rrungen der Zwangsgesetzgebung zeigen,
«6 in ihnen geradezu ein
Vohi, auf Artikel 153 der Reichsverfassung
wonach die Verteilung und Nutzung des
in einer Weise
u-ucoeu toll, „die Mißbrauch ver-
tet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen

. Die Zwangswirtschaft ist an sich ihrer Ent-
uehung und ihrem Aus- und Ausbau nach in
höchstem Matze unsozial. Sie kennt keinerlei
Rücksichten auf die wirtschaftliche Lage des
Eigentümers und keinen Unterschied zwischen
uem wirklich schutzbedürftigen Mieter und
bein, der des Schutzes nicht bedarf. Der Mil-
wnär, der reiche Mann, der sich jeden nur
slüglichtzn Aufwand leisten kann, wohnt zur
^setzlichen Miete bei der armen, vermögens-
chen Witwe, für die die Mieteinnahme die
lbzige Einnahmeguelle bedeutet. Aus der
Uetzlischen Miete ist mit Bewusstsein jede
Gerste für den Hausbesitzer ausgemerzt. Ist
b noch eine Spur von sozialen Gedanken vor-
Handen. oder obwaltet nicht vielmehr ein sozi-
^ststischer Terror hätzlichster Art! Was für
Witwe zutrisft, gilt gleichzeitig Hundert-
Msenden von Hausbesitzern, da bekannter-
nutzen die Hausbesitzer zu mehr als 90 v. H.
/m Mittelstand angehören. Tausende Klein-
entner, Witwen, Waisen und sonstige Mit-
^lstündler haben auf diese Weise ihr Eigen-
Um verloren und sind der öffentlichen Fur-
age anheimgefallen. Auf den wirtschaftlichen
!?Mnn dieses Tatbestandes sgi nur nebenbei
^gewiesen. Ääüsende -Eetverbetreibende und
Handwerker haben ihre Existenz ejngebützt,
eil sieMhr''-Haus -nicht^tzal^en-'konRten-, ob-
Aon oder vielmehr weil sie immer wieder
. ^ld aus ihrem Arbeitsverdienst hineinge-
haben, um es zu erhalten: aber Steuer-
Instandsetzung-Hypotheken brachten schlietz-
"ch die
Häuser unter den Hammer.
immer mehr wachsenden Zwangsverstsige-
!'dgen und Offenbarungseide bilden fürwahr
. be deutliche Warnung, die aber, wie es
H^nt, ebenso wie alle anderen Gründe von
i Gierung und gesetzgebenden Körperschaften
. ben Wind geschlagen werden. Tausende
, ud aber Tausende von Kleinrentner, denen
> "st keine Renten zur Verfügung stehen, weil
dem Staat nicht zur Last fallen wollten
"d sich durch die Anlage ihrer Ersparnisse in
sj^bi Hause selbst Altersrenten verschafften,
durch die Zwangsgesetzgebung dieser
Horden.

Renten beraubt
?"rden. Die unendliche Bitterkeit, die alle
w betroffenen befallen hat, wird erhöht,
tenn" ällsehen müssen, wie staatlichen Ren-
Im Wiehern, Pensionsempfängern, Arbeits-
zum Teil ein soziales llebermatz an
Fürsorge zugewandt Mrd.
hier die nackten Tatsachen einer
hA^lschreitenden Handlungsweise dargestellt
d ^oen, Üo mag der redlich denkende Leser
ersehen, in wie qrotzen Ausmatzen
' Kummer und Elend geradezu willkürlich
kwk,...iE Bewusstsein durch die Zwangsgesetz-
!" ^v^i,en yervorgerusen
Die hier gekennzeichneten Aus-
-nungen der Zwangsgesetzgebung zeigen,
utz in ihnen geradezu ein

eine gesunde Wohnung und allen deutschen
Familien, besonders Len kinderreichen, eine
ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und
Wirtschaftsheimstätte zu sichern." Die Zwangs-
gesetzgebung tut das Gegenteil, indem sie den-
jenigen, die sich selbst eine Wohnung und
Wirtschaftsheim statte durch Fleitz und Spar-
samkeit gesichert hatten, solche schlankweg ent-
zieht. Fürwahr ein wunderbares soziales
Zeitbild. Dabei haben diese Ungeheuerlich-
keiten auch einen enormen
Verlust an nationalem Vermögen
herbeigeführt durch den zwangsläufig hervor-
gerufenen Verfall und die katastrophale Ent-
wertung der Häuser.
Alles das ist im Schrifttum und in der
Tagespresse so häufig erörtert worden, datz es
hier nur eines Hinweises darauf bedarf. Auf
der anderen Seite hat die Zwangswirtschaft
mit ihren billigen Miefen einen grotzen Woh-
nungsluxus herbeigeführt. Wenn man dem-
gegenüber an die vorgeschützte gute Absicht
glauben soll, vorhandene Mißstände auf dem
Gebiete des Wohnungswesens zu beseitigen, so
kann sie nur Erfolg haben, wenn mit Sach-
kunde, folgerichtig und furchtlos mit allem
Eifer vorgegangen wird, ohne datz man sich
durch reine Gefühlsmomente auf falsche Wege
bringen lässt.
So ist nicht zu leugnen, datz alle die Sei-
ten einschließlich der Ministerien, insbesondere
des Urbeitsministeriums, die die Notwendig-
keit des Weiterbestchens der Zwangswirtschaft
zu begründen suchen, durchweg ganz einseitig
an das Gefühl appellieren und nicht an dis
wirtschaftliche Vernunft. Datz alles aufgebo-
ten werden mutz, um einem tatsächlichen
Wohnungsslend immer mehr, abzuhelfen, ist
.natürlich eine gebieterische Forderung an den
Opfersinn der Wohlhabenden, an Staat und
nungselends, soweit es auf Mangel an Woh-
nungen beruht, aber im Wege, weshalb sie
baldmöglichst verschwinden mutz. Dazu gehört
Verwaltung. Die Zwangswirtschaft rm Woh-
nungswesen steht der Beseitigung des Woh-
jedoch in erster Linie die Beseitigung der Ar-
mut, als Hauptursache des Wohnungselends.
Soweit tatsächlich Wohnraum fehlt. Mrd
diesem llebelstand am schnellsten abgeholfsn
werden durch Aufhebung der Zwangswirt-
schaft und Wiederherstellung der Privatwirt-
schaft als Regel, mit gemeinnütziger und öf-
fentlicher Vauwirtschaft als Ausnahme und
gewissermatzen als Kontrolle für die wirt-
schaftlichen Kosten der Wohnungsherstellung
und- der wirtschaftlich notwendigen Mieten.
Von Sachverständigen ist so eindeutig nachge-
wiesen, datz die private Bauwirtschaft billiger
und besser baut und sehr bald den Bauindex
wesentlich ermäßigen würde, Latz man sich
endlich nach diesen Fachurteilen richten sollte.
Eine antisoziale Auswirkung der Zwangs-
wirtschaft ist des weiteren die, datz in den
Bergbaugebieten Massen von
Werkswohnungen in Händen von Werks-
fremden
sind. Zum Beispiel im Ruhrgebiet werden
von etwa 157 000 Werkswohnungen 30 000
oder rund 19,2 Prozent von Werksfremden be-
wohnt. Aehnlich liegt es in den übrigen
deutschen Bergbaubezirkens. Beim Rnhrberg-
bau ist festgestellt, datz infolge der Rationali-
sierung der Geschäftsbetriebe durch Tausch
der nahe der Arbeitsstätte in Werkswohnun-
gen untergebrachten, aber werksfremd gewor-
denen Mieter mit den Wohnungen der ent-
fernt von der Werkstätte wohnenden tatsäch-
lichen Werksangehörigen es zu sozial erheb-

Oie Folgerungen aus -er Annahme
-es Ltoung-Planes.

Durch die Annahme des Poung-Planes ist
im Grundsatz die deutsche Außenpolitik für
die nächsten Jahre festgelegt: die Zeit ist des-
halb für eine gründliche Lösung der deutschen
inneren Probleme freigeworden, über deren
Notwendigkeit sich gerade auch die Stellen klar
sein sollten, die mit allem Nachdruck auf die
Annahme des Poung-Planes bestanden haben
und die nunmehr auch für sich selbst die Fol-
gerungen in Bezug auf die Aufbringung der
Lasten zu ziehen gezwungen sind.
Kompliziert wird die Situation dadurch,
datz das Jahr 1930 eines der schwersten Jahre
der Nachkriegszeit zu werden droht. Gerade
im jetzigen Zeitpunkt ist der offizielle Zweck-
oprimismus so falsch wie nur möglch. Bisher
sind die wirklichen Zustände in ihrem Wesen
verschleiert und in ibren Auswirkungen ge-
mildert worden teils vom Ausland (durch die
Ausländsanleihen! und teils vom Inland (z.
B. durch die staatliche Lohn- und Sozialpoli-
trkf. Diese Zeiten sind schon deshalb vorbei,
weil künftig die Verantwortung für die
Transferierung der Poung-Zahlungen auf
Deutschland selbst liegt. Deutschland mutz in-
folgedessen von sich aus alle zur Sicherung sei-
ner Währung notwendigen Matznahmen tref-
fen, die in ihren Auswirkungen zu einer wei-
teren Znsammenpressung der Wirtschaft füh-
ren müssen. Die daraus sich ergebenden Fol-
gerungen werden u. a. bestehen in einer er-
zwungenen Zunahme der Warenausfuhr durch
rücksichtslose Senkung aller Selbstkosten in
Verbindung mit Beschneidung der Kapital-
zufuhr aus dem Ausland und steigendem Ka-
pitalmangel im Inland. Die daraus sich er-
gebende Notwendigkeit, mit den eigenen Mit-
teln hauszuhalten,' ist umso dringlicher, weil
nur auf diese Weise eine Revision des Poüng-
Planes vorbereitet werden kann. Wenn die
Dawes-Revision nicht einen besseren Erfolg
gehabt hat. dann ist diese bedauerliche Tat-
sache nur darauf zurückzuführen gewesen, datz
Deutschland alles unterlassen hatte (man denke
nur an die Aufblähung des Etaatsapparatesf,
um einen moralischen. Anspruch auf eine solche
Revision mir Recht erheben zu können. Da
die Revision in Zukunft viel, viel schwieriger
ist, besteht in umso stärkerem Matze für
Deutschland die Verpflichtung auf die Durch-,
führung ebenso rechtzeitiger wie durchgreifen-
der Matznahmen zur Vorbereitung einer sol-


lich besseren Verhältnissen kommen könnte,
wenn eben nicht zwangswirtschaftliche Vor-
schriften einen solchen natürlichen Ausgleich
erschwerten. Die Tatsache, datz wir an und
für sich bis auf einzelne Orte — Großstädte,
Jndustrieorte — keine Raumnot haben, ist
wohl mit der beste Beweis für die Notwen-
digkeit der Beseitigung der Zwangswirtschaft.
Der fragliche Fehlbetrag liegt durchweg in
Klein- und Kleinstwohnungen.
Es wird sogar nötig, im allgemeinen Um-
fang und Tempo der Neubauwohnungsher-
stellung zu bremsen, angesichts der Tatsache,
Latz wir bereits mit 1930 in die Zeitspanne
eingetreten sind, in der wir mit einer wesent-
lichen Verminderung der Familienbildung und
Abnahme der Bevölkerung zu rechnen haben.
In dem Jahrfünft 1930/35 wird bei eini-
germatzen gleichbleibendem Beschäftigungsgrad
in Industrie und Gewerbe ein bedeutender
Mangel an Nachwuchs von Arbeitskräften
für, Landwirtschaft, Werkstatt, Industrie und
Bergbau in Erscheinung treten, und daran
wird sich die Periode anschließen, in der die
im Krieg Geborenen in das Clternalter ma-

chen Revision. Diese Matznahmen sind auch
schon deshalb notwendig, weil kein anderes
Land der Welt eine so hohe öffentliche Schuld
von 57,5 Milliarden RM. (10 Milliarden
RM. Reichsschulden, 2,5 Milliarden RM.
Länderschuld, 10,5 Milliarden RM. Kommu-
nalschuld, 34,5 Milliarden RM. Gegenwarts-
werg der Poung-Echuldenf zu tragen hat wie
Deutschland.
Leider sind stärkste.Zweifel an der Durch-
führung! der notwendigen Reformen ange-
bracht. Man betrachte nur den verhältnis-
mäßig kleinen Teilausschnitt des Eteuerunt-
baues. Noch ini Dezember 1929 versprach die
Regierung Abbau der Jndustriebelastung,
Senkung der Vermögens-, Einkommens-, Zuk-
ker-, Wertpapier-, Vörsenumfatz-, Realsteuern
usw.: praktisch herausgekommen ist nichts an-
deres als die Behauptung des Reichskanzlers,
Latz der Haushaltsplan für 1930, bei dem
trotz seines Riesenumfanges nicht einmal die
Abstreichung von 80 Millionen gelungen ist,
„mit der grössten Sparsamkeit aufgestellt wor-
den fei." Selbst die Versprechungen auf
Eteuerabbau in den kommenden Jahren ste-
hen solange nur auf dem Papier, wie nicht
durch strengste Sparsamkeit die lleberschüsse
angösammelt- worden sind, die erst die Ver-
wirklichung dieses, Versprechens ermöglichen
können. Die dieser Spars amkeitspolittk ent-
gegenstehendeu Hindernisse parlamentarischer
Art liegen in der Hauptsache darin, Latz die
Parteien der bisherigen Koalition, die sich in
Bezug auf die Autzenpolitik im grotzen und
ganzen einig waren, wirtschafts- und finanz-
politisch völlig auseinanderstrsben. Vor allem
wird der Sozialismus aus klassenkampf- und
aus massenpolitischen Gründen-niemals^einen,
Abbau der Ausgaben, der' die "Votousfetzüüg
für eine Finanz- und Steuerreform ist, zugs-
ben. Mit dem Sozialismus ist demnach eine
Sanierung der öffentlichen Wirtschaft nicht
durchzuführen: ob und wann aus dieser Er-
kenntnis die parlamentarischen und koaliti-
onspolitischen Folgerungen gezogen werden,
bsleibe dahingestellt, Zweifellos werden die
kommenden Auseinandersetzungen an die
Erundauffassungen von Staat und feinem
Wesen rühren: eben weil sie so grundsätzlich
fein werden, ist zu bezweifeln, ob sie mit den
.bisherigen Mitteln des massendsmokratischen
Parlamentarismus entschieden werden können.

gerückt sind. Es wird also in diesen Zeitab-
schnitten zwangsläufig die Zahl der Haus-
haltungsgründungen und die Zahl der Gebur-
ten zurückgshen, weil eben nur noch halb so
viel Menschen für die FamiliengrünÄung vor-
handen sind, wie in den früheren Jahrgän-
gen. Auch das ist ein sehr beachtenswerter
Faktor, um alles aufzubieten, durch Aufhe-
bung der Zwangswirtschaft und Lurch entspre-
chende Fürsorge für arme kinderreiche Fami-
lien und diejenigen Wohnungsuchenden, die
aus Armut sich nicht genügenden Wohnraum
beschaffen können, ihre richtige Unterbringung
in vorhandene Wahnräume, besonders in die
gemeinnützigen Neubauwohnungen zu ermög-
lichen, anstatt unnützerweise Cteuergelder und
Nationalvermögen unrationell in den Woh-
nungsbau zu stecken. Die Privatwirtschaft
wird besser als die Gemeinwirtschaft den regu-
lären Abgang an Wohnräumen und den nö-
tigen Zugang zu bewältigen in der Lage sein.
*
Kurz noch im Hinblick auf Las edle Stre-
ben zur Erhaltung und Stärkung eines wirk-
lichen und christlichen Familienslebens! In
 
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