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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0291
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Reichsmark. Bei P^"
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!ein Ersatz geleistet. Der JnsertlonSprW ist 10 ReichS-
g für die achtgespaltene MiÜtmeterMe oder deren
Raum. Reklamen 0,4ü RM- pro mm-Aetle.

Mittelstands-Zeitung
rinMWin KnivftllM ftr die Zeieressn der de«isl»c, Niiieißnder
MMWMWMWftW MU SSdMsMW
Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen Geschsftssteüe: Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark." Bei Hostbezug
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund- _ . vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
besitze«, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum Heidelberg, Hauptstraße 10V wird kein Ersatz geleistet. Der Fnsertionsvi "
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter. vfenmg^fur


Im überfüllten Saale der Dresdner Pro-
duktenbörse hielt Prof. Dr. Hör neffe r
einen sehr interessanten Vortrag.
Der Eichener Universitätsprofessor Dr.
Ernst Horneffer, der im letzten Reichstags-
wahlkampf in Hessen für die Wirtschaftspartei
an zweiter Stelle der Wahlkreisliste kandi-
dierte, hatte sich das Thema
Sozialismus u. Privatwirtschaft
gestellt, das er in fast zweistündigem Vortrag
rednerisch und inhaltlich glänzend behandelte.
Als der geschätzte Redner dos' Rednerpult
betrat, wurde er mit lebhaftem Beifall be-
grüßt. Prof Horneffer, der als Privatgelehr-
ter wie als Universitätsprofessor in der Philo-
sophie zu Hause und nicht als Vertreter der
Volkswirtschaftslehre und der Staatsrechts-
lehre seinen Weg gegangen ist, ging vollkom-
men unbeschwert von wirtschaftspolitischen
Tendenzen mit Sachlichkeit und Gründlichkeit
aber auch mit Unerschrockenheit und Kühnheit
an das Problem heran. Es sprach ein Mann,
der mit heißem Herzen darauf brennt, das
Volk zur Erkenntnis der Notwendigkeit, zum
Begehen eines anderen Weges zu erziehen, ein
Mann, der etwas zu sagen hat. Oft fanden
seine Ausführungen stürmische Zustimmung.
Der Redner ging von Marx aus, der, kein
Mann des praktischen Lebens, den Sozialis-
mus zu einer Art Religion aufzublähen ver-
sucht hat. Man ist immer viel zu wenig auf
den Inhalt dieses Sozialismus eingegangen.
Nun aber stehen wir
vor einer großen Entscheidungsschlacht
zwischen Individualismus und Kollekti-
vismus
Das Zeitalter des Liberalismus neigt sich sei-
nem Ende zu. Es ist nicht zu leugnen, daß der
Liberalismus in den letzten beiden Jahrhun-
derten der Staatsidee Bedeutendes geleistet
hat. Er verfiel aber in das Extrem, in dem
die Bildung der Einzelpersönlichkeit einge-
schränkt wurde. So entstand der Sozialismus.
Ein Rätsel bleibt es, daß der bürgerliche Libe-
ralismus seinen Todfeind selbst in den Sattel
gehoben hat.
1919 entstand die Demokratische Partei. Sie
wollte offenbar ein Gegenstück bilden zum So-
zialismus. Wie hat aber diese bürgerliche
Demokratie den ihn vom Volk erteilten Auf-
trag ausgefllhrt? Gar nicht, lautet die Ant-
wort. Sic hat sich vollständig in den Dienst des
Sozialismus gestellt. Sie hat sich unbegreif-
licherweise auch nicht irre machen lassen, ob-
wohl sie von Wahl zu Wahl sank. In der
Neuesten Zeit wollte sie sich neue Lebenskraft
zuführen durch eine „Staatspartei". Etwas
Gedankenärmeres als eine Staatspartei ist
Nicht zu denken.
Aber auch die anderen bürgerlichen Par-
teien haben gegenüber dem Sozialismus falsch
gehandelt. Das Zentrum hat die Sozial-
demokratie fortwährend unterstützt. Es war
ein wahrer Wettlauf bürgerlicher Parteien mit
der Sozialdemokratie in der llmschmeich-
lung der Masse,
tind dabei ging die Wirtschaft zugrunde. Die
gesetzliche Form der Arbeitslosenfürsorge ist
^inen falschen Weg gegangen. Man muß den
Vorwurf größter Fahrlässigkeit erheben, wenn
?ir die unsittlichen Auswirkungen dieser Fvr-
^rge bedenken.
Früher hatte sich die Persönlichkeit zu wetz-
en gegenüber dem Absolutismus der Führer.
Heute muß sich der Absolutismus wehren ge-
genüber der souveränen Masse. Sozialismus
in Wahrheit nicht zunächst Kampf gegen
den Kapitalismus, sondern

Kampf gegen den Individualismus, ge-
gen die Fllhrerpersönlichkeit.
Staat und Massenwille wird ohne weiteres
gleichgesetzt. Dieser verantwortungslose dumpfe
Massenwille ist der Feind der Erhaltung per-
sönlichen Eigentums. Dieser Massenwille darf
im Staats- und Wirtschaftsleben nicht vorherr-
schend sein. Die große Persönlichkeit mit schöp-
ferischer Veranlagung ist nicht zu entbehren.
Aus der Masse heraus müssen diese Führer-
kräfte sich entwickeln, sie müssen walten dür-
fen und die Masse muß sich - ihnen willig un-
terordnen.
Der Marxismus hat den großen Irr-
tum begangen, daß er die Menschen
statt in geistige Klassen in wirtschaft-
liche Klassen eingeteilt hat.

Die allgemeine Wirtschaftskrise wird übet,
kurz oder lang in noch stärkerem Maße als
bisher bei den öffentlichen Stellen zum Aus-
druck kommen. Diese haben in den letzten
Jahren
einen viel zu großen Wert auf Verwal-
tung, Organisation, Wirtschaftskontrol-
lierung usw., aber einen viel zu gerin-
gen auf praktische Arbeit gelegt.
Die Folge war ein immer stärker gewordener
Anteil der öffentlich beeinflußten Ausgaben
(einschl. Bahntarife, Post, Sozialversicherung
uswZ am Volkseinkommen- man kann jetzt
mit rund 35 Milliarden dieser Ausgaben rech-
nen. Der Rückgang des Wirtschaftsumfangs
müßte eigentlich auch eine entsprechende Ver-
minderung der öffentlichen Ausgaben zur Folge
haben, zumal dieEinnahmen aller behördlichen
Stellen sowohl aus Steuern als auch aus den
Einkünften aus Betrieben, Gebühren usw. be-
trächtlich zurückgehen. Diese Ausgabenbeschrän-
kung ist jedoch bisher nur durchaus unzuläng-
lich vorgenommen worden; es wird vielmehr
versucht, den Einnahmenrückgang durch Preis-,
Tarif- oder Steuererhöhungen auszugleichen,
d. h. den öffentlichen Kollektivbedarf durch Be-
schneidung des persönlichen Individualbedarss
aufrechtzuerhalten. Diese Versuche müssen aus
die Dauer jedoch fehlschlagen, da alle Erhöhun-
gen nur neue Fehlbeträge zur Folge haben.
Deshalb hat man die fehlenden Einnahmen
durch anderweitige Beschaffung von Mitteln
zu ersetzen versucht. Das Reich z. V. hat sich u.
a. geholfen durch die Begebung von Schatzan-
weisungen, die allerdings seit kurzem auf ver-
ringerte Aufnahmcwilligkeit des Marktes zu
stoßen scheinen. Die Städte nehmen (unter
Berufung auf die Notwendigkeit der Arbeits-
beschasfungj von Banken, Sparkassen , u,w.
Kredite auf. die in den Finanznachweijungen
der Kommunen nur zum Teil in Erscheinung
treten. Dabei scheinen die Banken, die gegen-
über den privaten Unternehmen mit der Her-
gabe von Krediten sehr zurückhaltend sind, den
Kommunen mehr Entgegenkommen als Pri-
maten zu beweisen, obwohl sie sich eigentlich
sagen müssen, daß die Behörden nicht als zah-
lungsfähig angesehen werden können, wenn
sich die Grundlage, auf der sich ihre Zahlungs-
kraft aufbaut, als zahlungs- und .aufbrin-
gungsunfähig erwiesen hat. Im übrigen
schließt die Eingehung neuer Verpflichtungen
für die öffentlichen Stellen große Risiken in
sich, wenn sie rückzahlbar werden, ohne daß
die wirtschaftliche Lage eine Rückzahlung mög-
lich macht, könnte sehr leicht eine Krisis etn-

Man muß drei Gruppen unterscheiden: Die
erste Gruppe ist die der „Erfinder", der geni-
alen Menschen im Wirtschaftsleben. Die zweite
Gruppe ist die der „Unternehmer", das sind
die Talente des Wirtschaftslebens, die sich aus-
zeichnen durch größere Beweglichkeit, Wage-
mut, Unternehmungsgeist. Die dritte Gruppe
umfaßt die „Arbeiter", die ausführenden
Kräfte.
Der Redner beschäftigte sich auch mit dem
Sinn des Parlamentarismus. Der englische
Parlamentarismus ist ständige Angst der
Führer vor der Partei. Was könnte aus dem
deutschen Volke werden, wenn immer die rech-
ten Männer am rechten Platze stünden. Wir
sind aber in einen öden Dillettantismus
hineingeraten. Der Sozialismus ist an die

treten, die über die jetzige noch weit hinaus-
geht.
Das bisherige Zehren vom Vermögen
geht zu Ende.
Je höher der Anteil der öffentlichen Ausgaben
sd. h. der Kollektivbedarfj am Volksvermögen
wurde, desto stärker mußte die Wirtschaftskr'se
auf die Behörden und ihre Ausgaben zurück-
wirken und desto deutlicher mußte sich die un-
trennbare Verbundenheit zwischen den öffent-
lichen Finanzen und der Konjunktur zeigen.
Eine vorsichtige Finanzpolitik muß sich in Zei-
ten guter Konjunktur und damit guter öffent-
licher Einkünfte durch Bildung von Reserven
auf schlechte Konjunkturen und damit vermin-
üerten Eingängen rüsten. Reich, Länder und
Gemeinden haben aber diesen Grundsatz wirt-
schaftlicher Vernunft nicht befolgt; selbst in
Jahren guter Wirtschaftslage und guter
öffentlicher Einnahmen haben sie ihre 'Etats
nicht nur nicht in Ordnung gehalten, sondern
sogar nach hohe Schulden ausgenommen.
Wenn die öffentlichen Etats verhältnismäßig
gering wären, würden Rückschläge auch nur
verhältnismäßig geringe Beträge ergeben, die
durch vorübergehende Steuererhöhungen aus-
geglichen werden könnten.
In Deutschland sind aber sämtliche öf-
fentliche Etats so hoch, daß auch die
Einnaymeausfälle entsprechend hoch sind.
Ihre Deckung begegnet deshalb gesteigerten
Schwierigkeiten, zumal in so unsicheren Zeiten
wie den jetzigen der Kapital- und Anleihe-
markt sehr leicht aufnahmefähig werden kann;
überdies
hat die öffentliche Finanzwirtschaft ein
derartiges Mißtrauen erweckt,
daß die an sich schon geringfügige Zahl Her-
Stellen, die in Zeiten wirtschaftlicher Krisis
und damit gesteigerter Skepsis Geld verleihen,
einem so schlechten Finanzverwalter gegenüber
noch weiter sich verkleinern wird.
Die deutschen Finanzen der Nachkriegszeit
sind so geführt worden, als ob es niemals
Konjunkturverschlechterungen geben könnte
und
als ob die Steuerkraft Deutschlands
unerschöpflich sei.
Dieser Irrglaube hat nicht nur den jetzigen
trostlosen Zustand der öffentlichen Finanzen
verursacht, sondern vor allem auch dis wirt-
schaftliche Lage einer über den Weltmarkt-
durchschnitt weit yinausgehenden Verschärfung
zugeführt.

Aufgabe herangegangcn, das Führertum ab-
zudrosseln. Er will
an der Beherrschung der Wirtschaft teil-
haben. Die Eewerkschaftssekretäre wol-
len jetzt nicht nur Minister, sondern
auch Generaldirektoren werden.
In der Sozinldemokrafte herrsche heute die
zweite Garnitur. Kapital und Eigentum hat
man vernichtet, enteignet. Die Unternehmer-
Funktionen aber will man erhalten, weil man
weiß, daß man ohne sie nicht auskommen kann.
Das Kapital soll verschwinden, die lln-
ternehmerkraft soll erhalten bleiben.
So ist Sozialismus Rückfall ins Primitive.
Aus einer gesunden Sozialpolitik ist der sozia-
listische Fürsorgestaat geworden. So hat die
Wirtschaft Blutleere bekommen.
Der Grund- und Hausbesitz wurde im neuen
Staat beraubt und enteignet. 90 Prozent dieses
Grundbesitzes war in den Händen des Mittel-
standes. Die Hauseigentümer sind Verwalter
im Dienste des Staates geworden, aber ohne
Gehalt. Die Betätigung der öffentlichen Hand
in der Wirtschaft ist zu bekämpfen. Den Kampf
muß besonders der Mittelstand führen, der
von jehs.- die stärkste Stütze des Staates war"
„Ihr seid gewarnt - nun lernt daraus!"
Mit diesen Worten schloß am Dienstag
abend in der Versammlung der Wirtschafts-
partei der Gießener Universitätsprofessor Dr.
Horneffer seinen mit großer Begeisterung aus-
genommenen Vortrag zum Thema Sozialisinüs
oder Privatwirtschaft.
Am Tage nachher kommt die Ernennung
Severings zum preußischen Innenminister her-
aus und es ist gerade, als ob eine geheime
Kraft am Vorabend der Ernennung Severings
die Mahnung „Ihr seid gewarnt — nun lernt
daraus!" einem Manne in den Mund gelegt
hätte, der mit Energie und Aufrichtigkeil es
als eine seiner vornehmsten Aufgaben ansieht,
unser Volk aus die Gefährlichkeit der soziali-
stischen Politik hinzuweisen. Was Horneffer
um Dienstag in Dresden vor der Wirtschafts-
partei und vielen Männern und Frauen, die
sich innerlich mit dieser Partei nicht verbunden
fühlen, sagte, das war das, was man hören
wollte, was man bestätigt wissen wollte von
höherer Warte geistiger Betätigung aus:
der Kampf gegen den Sozialismus ist
eine Notwendigkeit für unser Volk im
Interesse der Nation und ihrer Wirt-
schaft, im Interesse des deutschen
Menschen, dem dec Drang zum Indi-
viduellen in die Brust gelegt ist und
der sich diesen Drang nicht nahmen
lassen möchte, weil er nicht will, in der
Masse Mensch als eine Nummer sein
Dasein zu fristen, der nichts Persönliches
innewohnt.
Horneffer traf ins Schwarze mit seinen
Ausführungen, wenn er von der Ilmschmeich-
lung der Sozialdemokratie auch durch bürger-
liche Parteien sprach.und es fand Bestätigung
die Tatsache, daß der Kampf gegen den Sozia-
lismus nichts zu tun hat mit einem Kampf
gegen die Arbeiterschaft. Es ist nicht wahr,
daß das Bürgertum gegen die Arbeiterschaft
den Kampf führt. Es führt den Kampf gegen
Sozialismus und Marxismus und will mit
diesem Kampfe die Arbeiterschaft wegziehen
von ihren falschen Propheten, will sie warnen,
damit sie endlich daraus lernt.
 
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