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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0179
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Zahrgang 1930

Sonntag, 27. Juli

Nr. 30

öeidelberger
Burger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
lliMWStt st, sie z,ittesse» r,s d»tsßx« MiU-Ißsides
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Zeitung für gesunde Wirtschaftsinteressen des gewerblichen INefkyastssteüe: Bezugspreis monatlich 0,60 Reichsmark. Bei Postbezug
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund- .. » vierteljährlich 2,10 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern
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Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter. Raum. Reklamen 0,40 RM. pro mm-Zeile°

politische Situation im Vlickfang.

Napoleon, der Zwingherr Deutsch-
lands, die Zuchtrute Gottes, hat der deutschen
Nation den unschätzbaren Dienst erwiesen,
daß er die Dhrönchen dec zahllosen Potentaten
erbarmungslos zusammenschlug. Unbeabsich-
tigt har er damit — als ein Teil von jener
Traft, die das Gute schafft, indem sie das
Böse will — die Deutschen dem Ziel ihrer
staatlichen Einigung nähergeführt. Ueber
Zwirnsfäden ist er dabei wahrlich nicht ge-
stolpert. Es bleibt beschämend, das; erst die-
ser ausländische Säbelheiland kommen mutzte,
dm zu vollbringen, wozu das deutsche Volk
selbst die Kraft nicht aufbrachte: die notwen-
dige Vereinigung der deutschen Landkarte, die
Vereinfachung des Staatswesens. Die napo-
leonischen Kriege bedeuten in ihrer Auswir-
kung für Deutschland soviel wie eine Revolu-
tion.
Die Zeilen sind heute wieder mit revolu-
tionärer Stimmung erfüllt. Dumps fühlt
das Volk, datz die Arbeit von Weimar nur
Stückwerk war, datz sich im deutschen Staat,
so wie er heute ist, auf die Dauer nicht leben
lätzt. Alles schreit nach einer großen entschei-
denden Tat, die ins Freie führt aus dem
Netz der Paragraphen, der Rechte aller Art,
die in Widerspruch geraten sind zu den Geset-
zen des Lebens. Wenn sich Gesetz und Rechte
wie eine ewige Krankheit fortgeerbt haben
bis zu den Enkeln, so datz Vernunft Unsinn,
Wohltat Plage geworden ist, dann stellt ein
Akt der Gewalt wieder die Harmonie her
zwischen geschriebenem und natürlichem Recht,
zwischen dem, was die staatliche Autorität
verlangt, und den Gesetzen, die in den Dingen
selbst liegen. Das ist die innere Rechtferti-
gung für Revolutionen, mögen sie von unten
oder von oben kommen. Eie reinigen die
Atmosphäre wie. ein Gewitter.
Die Frage ist, ob eine solche revolutio-
näre Klärung zu vermeiden ist, wie man es
doch wünschen mutz. Denn der Weg der Ge-
walt geht über die Leiber der Opfer. Der
grotze Dichter der Freiheit, Friedrich Schiller,
hat davor gewarnt, es soweit kommen zu las-
ten, datz „in Flammenbächen das glühende
Erz sich selbst befreit". Der Meister aber
kann „die Form zerbrechen mit weiser Hand
zur rechten Zeit". Wo ist die Meisterhand,
die durch entschlossene, tief einschneidende Re-
sorm den Strom in geordnetem Bett dahin
keitet, wohin er nun einmal kraft innerer
Notwendigkeit unaufhaltsam fließt. jedoch die
Dämme durchstoßend und alles überflutend,
wenn man den Versuch macht, ihn von seinem
Natürlichen Laus abzudrängen.
Die naturgegebene Entwicklung richtig
sehen und ihr dann folgen, ihr die Bahn frei-
wachen: das ist die Aufgabe des Staats-
wanns: nur so können Katastrophen vermie-
den werden.
Die Revolution von 1918 verdient diesen
Namen nicht. Sie begnügte sich mit einer
klebersetzung der Bismarck-Verfassung ins Re-
publikanische, löste dabei die geniale Verbin-
dung der höchsten Staatsgewalt im grötzten
deutschen Elicdstaate Preutzen mit der Reichs-
gewalt und schwächte so Autorität und Füh-
rung, während sic im übrigen sich an Fragen
Zweiten und dritten Grades abmühte, die
Kernfrage der Vereinheitlichung des Reiches
^ber überhaupt nicht anfatzte. Die Weimarer
Verfassung ist bester als keine: sie ist ein Un-
glück für Deutschland, weil sie einen innerlich
^möglichen Staatsaufbau festlegt. Es hat

schon seinen Grund, datz die krampfhaften
Versuche von Regierumgsseite, sie mit allen
möglichen Mitteln populär zu machen, bisher
gescheitert sind. Das Volk empfindet, datz wir
nicht weiterkommen mit dieser Verfassung,
welche die deutsche Kleinstaaterei, die Viel-
regiererei, das Gegen- und Nebeneinanderre-
gieren verewigt. Wir leisten uns den reuer-
ften Staats- und Verwaltungsapparat, den
man sich denken kann, in einer Zeit, die schon
mit Rücksicht auf den Milliardentribut den
sparsamsten Staatsaufbau erforderte. Das
Unglück wird noch vermehrt dadurch, datz die
Parteien die undurchsichtige und komplizierte
Organijationsform des deutschen Staatswesens
für ihre dunklen Zwecke ausnutzen, um eine
Posienjägerei zu treiben, die längst dem eine
fachen Mann aus dem Volke anwidert.
Schließlich noch die bei dem heutigen Sn st cm
unvermeidlichen Konzessionen an die soziali-
stische Ideologie aus den verschiedensten Ge-
bieten der Wirtschaft auf Kosten der Sache!
Wer kann sich da noch darüber wundern, datz
die Schar derer immer größer wird, die nach
einem Diktator rufen, die nicht mehr daran
glauben, datz der Knoten noch mit einiger
Geduld und Vorsicht zu lösen ist, und die des-
halb verlangen, datz er mit dem Schwert durch-
hauen wird?
Die Hoffnungen, die auch wir ursprüng-
lich auf das Kabinett Brüning setzten, sind
zuschanden geworden. Es war einige Wochen
im Amte, und nichts Entscheidendes hat sich
ereignet. Aus den Reden der Minister, ins-
besondere auch Stegerwalds, hatte man den
Eindruck, datz sie wohl wissen oder wenigstens
fühlen, was eigentlich geschehen, und datz es
geschehen müsse! Aber die Widerstände sind
bei dieser Art von Parlamentarismus zu
grotz. Es wurden Kompromisse geschlossen,
bei denen nichts Befreiendes herauskommen
konnte. Man kurierte weiter an den Symp-
tomen und begnügte sich allenfalls mit auch
nur mühsam erreichten kleinen Verbesserungen
da, wo grundlegende Arbeit geleistet werden
mutzte. Das Staatsschiff ist ein ganz klein
wenig in der Richtung gedreht worden, in der
es Volldampf voraus fahren mutzte. Das ist
alles!
Was nützen ^zum Beispiel neue, an sich
zweckmässige Steuern, wie die Bürgcrabgabe,
wenn sie doch nur dazu dienen, die Gesamt-
steuerlast des Volkes zu erhöhen? Die Vür-
gersteuer ist von der Wirtschaft seit Jahren
befürwortet worden, aber lediglich deshalb
weil man mit ihrer Hilfe auf allzu bewilli-
gungsfreudigc Volksvertreter einwirken und
die Realsteuern senken wollte. Nun wurde
dieser Gedanke ins Gegenteil verkehrt, und
auch die Bürgersteuer sollte wieder nur eine
weitere Einnahmequelle zur Fortsetzung der
Mitzwirtschast bilden. Und ebenso ist es mit
anderen Steuern.
Die Regierung schweigt über die Kardi-
nalprobleme: Wiedereinführung der Bedürf-
tigkeitsprüsung in der Arbeitslosenfürsorge,
Abschaffung des nicht bewährten und längst
durchlöcherten Versicherungsprinzips, Arbeits-
dienstpflicht, Beseitigung des politischen Loh-
nes und Anpassung der Löhne an die Kon-
junktur, schleuniger planmässiger Abbau der
kostspieligen und korrumpierenden Wohnungs-
zwangswirtschaft, der nur dem Schein nach
gemeinnützigen Bautätigkeit, Einschränkung
der Bodenvorratswirtschaft, der öffentlichen
Betriebe, der Staatsaufgaben, ganz allge-
mein Vereinfachung der Verwaltung, Zusam¬

menfassung der deutschen Länder wenigstens
zu einem haben Dutzend Staaten, die auch
noch zuviel sind, Einführung eines vernünf-
tigen Wahlrechts, so datz fürderhin nicht mehr
Unmündige über die Geschicke des Gemein-
wesens bestimmen!
Die Entwicklung wird diesen Weg gehen,
ob mit ob ohne Regierung: denn das alles
liegt in den Dingen selbst begründet. Reichs-
minister Dietrich und Stegerwald haben die
Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit neuer dra-
konischer Steuern im Herbst angedeutet. Nie-
mand begreift, warum man, wenn dem so ist,
nicht lieber schon sofort handelt, bevor noch
viel größere Opfer gebracht werden müssen,
um durchzuführen, was doch nicht zu umgehen
ist. Wäre die Mark schon stabilisiert worden,
als sie auf eine Million Papiermark gestiegen
war, so hätte diese Operation nicht halb so
viel Schmerz verursacht wie später, als sie die
Billion erreichte. Sollen wir ewig dazu ver-
urteilt sein, begangene Fehler zu wiederholen,
statt endlich einmal aus der Geschichte zu
lernen,
Entsetzt haben die bürgerlichen Parteien
auf den Wahlsieg der Nationalsozialisten in
Sachsen gestarrt. Mit äutzeren Maßnahmen
nach Art des Sozialistengesetzes suchen die
Regierungen der Bewegung Herr zu werden
und sind blind dafür, datz sie durch nichts
mehr gefördert wird. Zahllose Wähler gesellen
sich den Nationalsozialisten lediglich aus dem
unklaren Ressentiment: Es mutz endlich an-
ders werden an Haupt und Gliedern! Wir
müssen endlich heraus aus dem Sumpf! Und
als Protest gegen die herrschenden unhalt-
baren Zustände geben sie ihre Stimme eben
der radikalsten Partei, die das System als
solches bekämpft, die offen eine Diktatur an-
strebt. Dabei bedenken sie allerdings nicht,
daß nur eine antisozialistische Diktatur Hilfe
schaffen könnte, während ein Rechtssozialis-
mus, auch wenn er kein Marxismus ist, eine
Herrschaft von W rtjchaftsdilettanteN und

Der Reichstag, der am 18. Juli nach Hause
geschickt wurde, hat während seines zweijähri-
gen „glorreichen" Bestandes eine Tätigkeit ge-
zeigt, die ern wunderbares Bild von der Zer-
rissenheit unseres Volkes darstellt. Das getreue
Spiegelbild des heutigen Parlamentarismus
lies erkennen, daß eine positive Arbeit mit
ihm und durch ihn ein schwer lösbares Pro-
blem bedeutet. Ein lamentables Schauspiel
von Würdelosigkeit zeigten die öfsentlichenVer-
handlungen und solche hinter den Kulissen.
Dabei unterstützten Tribiinenbesucher sehr häu-
fig und eifrig die jeweiligen Verhandlungen
durch wüstes Schreien und Toben. So war
manchmal zu lesen in den Tageszeitungen.
Wenn die Verhandlungen des Reichstages
durch Radioübertragung von Zeit zu Zeit
dem Volke „vorgefllhrt" wurden, so ist das
ganz gut so. Erfährt auf diese Weise doch
das breite Publikum, wie schön und würde-
voll sich seine Vertreter benehmen.
Damit wollen wir nun nicht behaupten,
daß unser ganzer Parlamentarismus faul
und morsch wäre. Biele wirklichen Parloj-

Wirtschaftsphantasten lediglich auch noch das
letzte Porzellan zerschlagen würde. Die Ver-
kennung der Gesetze der Wirtschaft, ihre Ver-
gewaltigung durch einen wirklichkeitsfremden,
doktrinären Sozialismus — der sich heute im
Bürgertum schon ebenso eingenistet hat wie
bei den Marxisten —. hat das deutsche Volk
vor allem in seine furchtbare Notlage ge-
bracht. Nur die Abkehr vom Sozialismus in
jeder Form kann hier Wandel schaffen. Ei"
schwarz-weiß-roter Sozialismus ist wirtschaft-
lich betrachtet um kein Haar besser als der
rote und rosarote. Er ist sogar insofern ge-
fährlicher, als er die letzten Widerstände im
Bürgertum hinwegräumt.
Kommt die Diktatur, so wird sie nur Er-
folg haben und eine wirtschaftliche Wiederge-
burt herbeiführen können in der Hand von
Männern, die von der Wirtschaft etwas ver-
stehen, die Sachkenner sind, und die derWirt-
schaftsfreiheit, der individualistischen Wirt-
schaft das Feld wieder öffnen, die Eigentum
und persönliche Tüchtigkeit verteidigen gegen
alle, die ernten wollen da. wo andere gesät
haben.

Nach der Auflösung des Reichstages wird
nach und nach allüberall der Aufmarsch der
Parteien erfolgen. Ob sie das Gebot der
Stunde erfassen? Wir zweifeln daran. —
Für uns Mittelständler ist der Weg klar vor-
gczcichnet: fest und treu zusammen zu stehen
zu emsiger Wahlarbeit. Keiner darf müßig
sein. Ueberall und bei jedem Parteifreund
mutz die Werbearbeit einsetzen. Es gilt, alle
Säumigen munter zu machen. Tut jeder seine
Pflicht,, dann braucht uns nicht zu bangen. —
Bei dieser Wahl mutz sich die Anzahl unserer
Vertreter verdoppeln. Darum Mittelständler:
Auf die Schanzen!

mentarier schauen diesem Niedergang mit be-
sorgter Miene zu.
Wir würden es für richtig halten, dieses
Experiment der Uebertragung der Parla-
mentsverhandlungen recht oft zu machen und
dem Volke Tag für Tag Gelegenheit zu geben,
festzustellen, wie tief wir heute gesunken sind.
Es ist gut, wenn auch das Volk einmal er-
fährt, wofür all die Raufbolde und Radau-
helden, die durch die Unvernunft eines gro-
ßen Teiles der Wähler nach Berlin geschickt
worden sind, ihre Freifahrtkarte erster Klasse
und ihre 9000 RM. Diäten erhalten. Die
positive Arbeit all dieser Lärmmacher ist
gleich Null, denn die Politik wird nicht mit
Schlägereien und Radauszenen gemacht! Das
ganze Gebahren geht darauf aus, Sand in
das Getriebe des parlamentarischen Räder-
werkes zu schütten, um die Maschine vollstän-
dig zum Stillstand zu bringen. Es liegt Sy-
stem darin, und zwar ein raffiniertes Sy-
stem!
Wie gesagt, man soll den weitesten Schich-
ten des Volkes durch Anschluß an die Reichs-

Oer deutsche Parlamentarismus
und sein Wirken.
 
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