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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0331
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Jahrgang 19Z0

Gormiag, iL4. Dezember

Ar. SV

Seidelberger
Bürger-Zeitung
Mittelstands-Zeitung
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Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund- CUkt Klkshauer wird kein Ersatz geleistet. Der Jnsertlonspreis ist 10 Reichs-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum vfennig für die achtgespaltene Millimcterzeile oder deren
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter. Raum. Reklamen 0,40 RM pro mm-Zeile.

Nie KetrLukestener.

Die Gemeindegetränkesteuer -- kürzer und
sprachlich etwas schöner Schankverzehrsteuer ge-
nannt — steht augenblicklich in vielen Kommunen
im Brennpunkt der Kämpfe im Stadtparlamem.
Vom Verwaltnngstisch ans verlangt man sie, die
Stadtväter weigern sich, ein hoher Staatskommik-
sar diktiert sie. Es lohnt sich, ihr einige Worte zu
widmen, zumal man mitunter irrige Auffassungen
hört.
t. Allgemeines.
8 3 des zweiten Abschnittes der Notverordnung
vom 26. Juli 1930 lautet:
„Sofern der Haushalt einer Gemeinde durch
Wohlfahrtslasten in außerordentlichem Umfang
belastet ist, ist die Gemeinde berechtigt, mit Zu-
stimmung der Landesregierung neben der Ge-
meindebiersteuer eine Gemeindegetränkesteuer
auf Wein, weinähnlichc und weinhaltige Ge-
tränke, Schaumwein, schaumweinähnliche Ge-
tränke, Trinkbranntwein, Mineralwasser und
künstlich bereitete Getränke sowie Kakao, Kaffee,
Tee und andere Auszüge ans pflanzlichen Stof-
fen zu erheben, soweit diese Getränke zum Ver-
zehr an Ort und Stelle entgeltlich abgegebn
werden. Die Steuer beträgt mindestens 5 vom
Hundert des Kleinhandelspreises."
Die Gctränkesteuer darf also nur unter einer
dreifachen Voraussetzung erhoben werden:
1. der Haushalt der Gemeinde muß durch
Wohlfahrtslasten in außerordentlichem Umfang be-
lastet sein;
2. die Landesregierung muß znstimmen;
3. die betreffende Gemeinde mnß die Gemeinde-
biersteuer erheben, muß diese also spätestens gleich-
zeitig mit der Getränkesteuer einführen. Es ist
fraglich, ob cs sich dabei nm eine schon bisher
erhobene Gemeindebiersteucr oder nm eine neue
Gemeindebiersteucr mit den Steuersätzen des § 2
der Notverordnung handeln muß. '
Die Schankverzehrsteuer darf - wie auch eine
etwa neu eingesührte Gemeindebiersteuer ._ „nur
am Beginne eines Kalendermonats in Kraft geletzt
werden" (so wörtlich die Verordnung).
Wird die Getränkesteuer eingeführt, so müssen
ihr alle Getränke nnterworfen werden, die der
oben wörtlich mitgeteilte 8 3 anfzählt. Ein Heraus-
nehmen einzelner Getränke oder eine Ausdehnung
ans Getränke, die im § 3 nicht enthalten sind sz.
B. auf Bier oder Milch), dürfte nicht zulässig
sein. Auch kann der Steuersatz für die im 8 3 auf-
geführten Getränke nicht verschieden bemessen
werden, er muß vielmehr für alte Getränke gleich-
mäßig festgesetzt werden.
2. Einzelheiten.
!. Wie bereits bemerkt, erfaßt die Gemeinde-
gctränkeslener nur die im § 3 aufgezählten Ge-
tränke. Nicht also: Bier — das wird mit der
Gemeindebiersteuer belastet —; oder Milch —
als Getränk der frommen Denkart —; oder schließ-
lich — Zuckerwasscr, weil wir uns auch fortan un-
besteuert das Leben versüßen können und sollen
foder gehört Zuckerwasscr zu den „künstlich bereite-
ten Getränken" des 8 3). Das sind iwmerhin
ei nige Ersparnismöglichkcitcn.
2. Die Getränkcsteuer wird auch nur erhoben
vom sog. Schankverzehr, d. h. wenn die Getränke
zum Verkehr an Ort und Stelle entgelt-
lich abgegeben werden. Darin stecken mehrere
Ersparnismöglichkcitcn:
a) Der Wirt bleibt steuerfrei, wenn er sich selbst
einen oder einige genehmigt —- wer Sorgen
hat, Hal auch Likör oder wenn er „zur He-

Von freckissn^sli vp. l.
bung des Umsatzes" einige Stammgäste zu
einem fröhlichen Umtrunk einlädt;
b) wer im Lokal eine Flasche „Sorgenbrecher"
ersteht, diese aber daheim im trauten Kämmer-
lein leert, bleibt steuerfrei;
e) steuerfrei ist schließlich auch der Verkauf über
die Straße, der sog. Gafsenschank oder Verkauf
am Schalter. In der großen Bierstadt Tort-
ur u n d weiß nian das ansznnntzen. Saßen dort
kürzlich — wie ich von sachkundiger und ver-
trauenswürdiger Seite horte — in einem alt-
ehrwürdigen Bierlokal einige durstige Kehlen
am Stammtisch. Es herrschte tiefe Betrübnis,
weil man dort gewohnt war, nach einigen Hum-
pen Gerstensaft einen Klaren oder Wacholder
der Würze halber einznschieben. Aber d'.r Gc-
lränkesteuer auf den Schnabns! Alan gUibeltc
hin, man grübelte her. Da kam die Erleuchtung
— der Schalter. Dröhnend bestellt man eine
Runde Schnaps an den Schalter, verließ ge-
schlossen das Lokal, trank den steuerfreien

üLeb pink, ksgen i.
Schnaps am Schalter und kehrte daun geschlos-
sen und triumphierend an den Stammtisch zu-
rück, wo das Bier dann noch einmal so gilt
schmeckte. Ist das eine Stenerumgehung? Will
der Gesetzgeber nicht „das Errichten weiterer
Schalter über die seit Erlaß der Notverord-
nung bestehenden Schalter hinaus" untersagen!
3. Nach meiner Ansicht kann die Geirünkestener
nur dann erhoben werden, wenn der Wirt das
fertige Getränk liefert. Wenn z. B. in einem
großen Svmmcrlolal der Wirt seinen Gästen das
Kaffeemehl und heißes Wasser liefert, diese aber
den Kaffee selbst bereiten, so wird keilte Getränke-
steuer erhoben werden können. Sollten unter den
„künstlich bereiteten Gtränken" des 8 3 Himbeer-
odei Zitroncnlimonade zu verstehen sein, so wird
Steuerfreiheit verlangt werden können, trenn der
Gast aas Glas Wasser und den Himbeer- oder
Zitronensaft verlangt und die Mischung selbst vor-
nimmt. Also weitere Ersparnismöglichkeit.
4. Die Steuer wird vom Kleiuhnndclspreis be-
rechnet. Ta wir in Deutschland — von wenigen
Ausnahmen abgesehen - durchweg den Trinkgeld»

zigeytag Vvti 10 Prozent haben, so ist m. E. die
Steuer zu berechnen von den nm das Trinkgeld
erhöhten Preis, denn nur zu diesem Preise
erhält mau im Kleinhandel, d. h. im Gasthaus,
die so sehr begehrten Getränke. Was soll so ein
vielgeplagtcr Oberkellner machen, wenn ein Gast
etwa folgendes verzehrt: Ein Eisbein, einen Evers-
busch, drei Glas Bier, eine Tasse Kaffee, eine Zi-
ironeitlttnonade sWasser und Zitronensaft getrennt)!
Er mnß 2 Kolonnen anfftellcn. Die erste Eisbein,
drei Glas Bier, Zitronenlimonade, dazu 10 Pro-
zent Trinkgeld. Die zweite: Eversbusch, Kaffee, da-
zu 10 Prozent Trinkgeld, dazu 10 Prozent Ge-
tränkesteuer slO Prozent ist so der übliche Satz
für die Geirünkesteuer). Daun muß er die End-
summen aus den beiden Kolonnen zusammenzählen;
also eigentlich eilte dritte Kolonne bilden. Und
dann — kann er dem freudig wartenden Gast die
Rechnung präsentieren, worauf der Gast — wie
man annehmen kann — des öfteren seinerseits auch
noch mal nachrechnet. Neckische Fragen tauchen auf,
wenn ein Gesamtpreis zerlegt werden muß, z. B.
wieviel des Preises entfällt beim „Kaffee mit Es-
sen" oder beim Hotelfrühstück auf den Kaffee, den
Tee oder die Schokolade.
Difficite cst, satyram non seribere! Will man
uns das Rechnen beibringen — das anscheinend
die Gesetzgeber so gut verstehen — oder sollen vie-
len unter uns die wenigen frohen Stunden dieser
schweren Zeit auch noch verägert werden, oder will
man Deutschland ans diesem kalten Wege trocken
legen? Nein, die Rcichsregierung meint es an-
scheinend anders. Sie erklärte in der amtlichen
Pressemitteilung über das Kapitel „Erschließung
von Einnahmen für die Gemeinden" sanszugs-
weise):
„Die Kosten der Wohlfahrtserwerbslvfen ha-
ben sich schätzungsweise in den letzten 6 Monaten
nur 150 Millionen Reichsmark erhöht. Daher sind
nicht nur in erheblichem Umfange die Wcrktarife
gesteigert worden, es haben vor allem auch die
Realsteuern vielfach ein Ausmaß erreicht, das an
die Grenze des Möglichen gehr und nicht mehr
überschritten werden darf, wenn nicht die Gefahr
weiterer Betriebsstillegungen und damit vermehrte
Arbeitslosigkeit eintrcten soll... Wachsende Lasten
stehen auch hier geminderten Stenererträgen gegen-
über.
Die Realsteuern weiter anznjpannen, be-
denket die Gefahr weiterer Bctriebsein-
schränkungen, größere Arbeitslosigkeit und
wieder nene Lasten."
Man kann das alles nur unterschreiben. Wir näs-
sen alle — und die Herren Oberbürgermeister wis-
sen es am besten daß die Steuern, welche nach
den jetzigen Sätzen erhoben werden, ständig und
steigend Rückgänge aufweisen.
Die Steuerschraube ist eben überdreht.
Es ist mit einer Erhöhung der bestehenden Stenern
nichts mehr herauszuholen. Im Gegenteil: Es
werden noch mehr Betriebseinschränkungen erfol-
gen, dadurch versiegen noch weitere Steuergnellen,
während die Wohlfahrtslasten steigen.
Die Reichsregierung meint dann aber in der
erwähnten Presjemitteilung, die durch die Notver-
ordnung den Gemeinden gewährten Steuerbcsug-
nisfe „werden geeignet sein, die schwierige Lage vie-
ler Gemeinde-Etats erheblich zu entlasten."
Diesen Optimismus kann ich nicht teilen. Die
neuen Gemeindesteuern werden finanziell nicht sehr
ertragreich sein, während sie allerdings einen rei-
chen Ertrag bringen werden an Streitigkeiten,
Aerger und sonstigen unliebsamen Dingen. Steuern
müssen in erster Linie bequem sein. Diesen Grund-

Zunehmende Bedenken gegen die
Notverordnung.

In den letzten Tagen haben sich die Bedenken
gegen die Notverordnung auch in den Kreisen, die
ursprünglich weitgehend zustimmten, sehr verstärkt.
Zunehmend wird darauf verwiesen, daß mit
dieser Notverordnung dem Sozialismus die Ver-
antwortung für die Neparations- und die inner-
deutsche Wirtschaftspolitik, die die jetzige Krise er-
zeugt haben, von „bürgerlicher" Seite abgenommen
wird und daß dadurch die Voraussetzungen für eine
Wiedergesundung der innerdenischen Zustände -
nämlich die Beseitigung jeder Art Sozialismus —
erschwert werden. Man verweist weiter ans die
große Gefahr, daß die neuen Stenern uno sonsti-
gen Lasten nicht zn einer wirklichen Wiederaufbau-
politik benutzt würden, sondern in der Hauptsache
dazu' dienten, die Reparauonspvlitik nnd die
falsche öffentliche Wirtschaftspolitik weiter zn finan-
zieren auf Kosten des Mittelstandes und derjenigen
Kreise, die schon bisher die meisten Lasten haben
tragen müssen. In den Augen der Kritiker be-
deutet daher die Notverordnung kein Programm
der Sanierung, sondern nur ein solches der Er-
möglichung einer Politik, deren Bedenklichkeit im-
mer osfentundiger geworden ist.
Neben diesen grundsätzlichen Fragen wird in
verstärkten! Maße auch auf die Bedenken hinge-
wiesen, die den einzelnen Bestimmungen der Not-
verordnung gegenüber erhoben werden müssen. Es
hat sich heransgestellt, daß die Regierung nicht nach
rein sachlichen Erwägungen gehandelt, daß sie viel-
mehr in sehr starkem Maße auf die besonderen
Wünsche der Länder, der Parteien nsw. Rücksicht
genommen hat. Es sind im Laufe der Verhandlun-
gen sehr wesentliche Punkte des ursprünglichen
Regierungsprogramms geändert worden, ohne daß
der Oesfentlichkeit die Bedeutung dieser Aenderun-
gen klar geworden wäre. So ist z. B. Bahern von
der Verpflichtung znr Realstcnersenknng befreit
worden. Aehnlich wurde für Preußen eine gewisse
Rückgriffsmöglichkeit auf die -Hauszinssteuer vor-
gesehen, die ursprünglich zur Senkung der Real-
steuern benutzt werden sollte. Dadurch ist die Sen-
kung der Rcalsteuern in den beiden größten Län-
dern des Reiches in dem zunächst vorgesehenen

Umfang gefährdet. Diese Aendernngeu sind umso
bedenklicher, als gleichzeitig auch in der Frage der
Bürgerftener ein Kompromiß eingegangen werdet
ist, das dem Sinne dieser Steuer völlig wider spricht
und ihren Zweit sdie finanzielle Jnleressiernng der
üreiten Masse an den Kommnnalansgaben) hin-
fällig zu machen droht. Ein ähnliches Bedenken
gilt auch hinsichtlich der Aendernngeu der Kranken-
lasfennvwerordnnug. Auch in anderen Punkten
sz. B. in der Beamteugehaltsfrage) ist die Regie-
rung nicht bei ihrem ursprünglichen Plan verblie-
ben; sie Hai vielmehr den Ländern Befugnisse über-
tragen, ohne sie an bestimmte Vorschriften zu bin-
den. Als größter Fehler der Notverordnung wird
bezeichnet, daß sie die Prcisscnkniigsaktion Ser
Wirtschaft nicht durch eine Preissenkung der öffent-
lichen Hand, d. h. durch eine Steuersenkung, unter-
stützte, sondern sich mit der Verminderung von
Fehlbeträgen und mit der Aufrechterhaltnng der
bisherigen öffentlichen Unkostenbelastung begnüge;
die so notwendige öffentliche Ansgabenbeschränkung
sei nur versprochen, nicht aber ernsthaft in Angriff
genommen worden.
Dieser Sachverhalt wird besonders dann große
Enttäuschungen anslösen, wenn sich Herausstellen
sollte, daß die für das laufende nnd das kommende
Haushaltsjahr erwarteten Einnahmen in dem ver-
anschlagen Umfange nicht eingehen, d. h. wenn ein
neuer mehr oder weniger großer Fehlbetrag ein-
tritl; dieser kann sehr leicht kommen; es genügt
z. B. vollkommen eine Nichterreichung der veran-
schlagten Einnahmen ans der Tabaksteuererhöhung,
um den Etat in die schwersten Ungelegenheiten zu
bringen. Selbst wenn die Konjunktur wieder an-
zieht, wird die — durch die jetzige Depression so
stark geschwächte — Wirtschaft niemals in der
Lage sein, die bisher aufgebrachte Belastung noch
länger tragen zn können. Die große Unterlassung
der Notverordnung liegt in dem Versäumnis der
Erzwingung einer Ansgabenbegreuzuug auf eine
tragbare Summe. Au dieser Unterlassung werden
die. an die Auswirkungen der Notverordnung ge-
knüpften Hoffnungen scheitern.
 
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