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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0220
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Eine Warnung
an sämtliche Wähler!
Der „Vorwärts" veröffentlich nach amt-
lichen Berichten eine Zusammenstellung über
bie Sozialversicherung, die mit aller Deutlich-
keit zeigt, wie die ganze deutsche Wirtschaft
auf dem Wege ist, völlig zusammenzubrechen,
wenn nicht bald eine Wendung zum Besseren

Summe V: 58,5 299,3 1576,1

eintritt. Es sind ausgegeben worden:
. r In Millionen Mark
Versicherungszweige:
1913
1924
1929
Krankenversicherung
583,8
1070,1
2150,0
Unfallversicherung
226,8
144,9
400,5
Invalidenversicherung
290,0
362,5
1092,0
Angestelltenversicherung
138,1
129,4
3372,0
Knappschaftliche
Pensionsversicherung
75,0
147,3
239,3
Arbeitslosenversicherung

222,4
1538,6
Summe A:
1312,7
2076,6
5792,4
Zuschußleistungen des Reiches, der
Länder
und Gemeinden:
In Millionen Mark
Versicherungszweige:
1913
1924
1929
Krankenversicherung

9.4
27,0
Invalid enoersich erung
58,5
109,0
451,0
Knappschaftsversicherung


56,0
Arbeitslosenversicherung

180,9
1042,1

A und B zusammen: 1371,2 2375,9 7368,5
Aus dieser Aufstellung ergibt sich, daß der
Gesamtaufwand für- sozialpolitische Aufgaben
im Jahre 1913 nur 1371,2 Millionen, der des
Jahres 1929 aber 7368,5 Millionen betragen
hat.
Weiter geht aus diesen Zahlen in erster
Linie hervor, daß' die ganze Sozialversicherung
selbst in Gefahr ist, rvenn die deutsche Wirt-
schaft nicht durch eine umfassende Entlastung
wieder lebenskräftig gemacht wird. Seht sich
die Steigerung der Soziallasten mit ihren
wachsenden Ansprüchen an die Wirtschaft in
dem bisherigen Maße noch länger fort,' dann
sind wir in einigen Jahren so weit, daß alle
Sozialinstitute nicht mehr zu halten sind, weil
die Wirtschaft fehlt, die die nötigen Beiträge
dafür zu tragen in der Lage ist.
Wozu unsere SieuergrosHen
gebraucht werden?
Die „Kölner Nachrichten der Mittelstand"
bringen nachstehendes Eingesandt, das wir
unseren Lesern nicht vorenthalten möchten,
die Verantwortung dafür aber den „K. N."
überlassen müssen:
Als alter Jäger rind auch von Jugend auf
hatte ich immer schon Interesse für schöne
Waffen.
Durch Zufall kam ich kürzlich bei einem
Hundenbesuch mit einem Schupobeamten in
Berührung und längere Unterhaltung. Bei
dieser Gelegenheit fiel mir der elegante Hirsch-
fänger auf, den dieser Schupobeamter als
Waffe bei sich trug. Ich glaubte, es sei Privat-
eigentum und ließ mir die Waffe zeigen. Hier-
bei stellte ich fest, da es sich um eine Waffe
handelt, deren Klinge aus nicht rostendem
Stahl, Scheide und Griff in hoch eleganter
Ausführung, der Griff mit Hirschhornbelag
und in der Hauptsache in Silber hergestellt ist.
Die Waffe steht dem Ehrenhirschfänger, den
der allgemeine Deutsche Jagdschußverein als
Ehrengabe für pflichttreue Jagdschützbeamte
spendet, um gar nichts nach, sie ist eher noch
viel wertvoller und schöner. Mein Gedanke,
daß es sich um Privateigentum handelte,
wurde aber schnell zerstreut, denn der Beamte
erklärte mir: Die ganze deutsche Schutzpolizei
sei mit diesem Hirschfänger ausgerüstet wor-
den. Etwa 100 000 Stück hat die glückliche
Lieferantenfirma in Auftrag bekommen zu
einem angeblichen Preis von RM 35.— pro
Stück und das leistet sich der Staat, dessen Po-
lizeit mit Gummiknüppel und Revolver aus-
gerüstet ist und der derart in Schulden steckt,
daß er schon mit Ueberfallkommando bei sei-
nen Staatsbürgern die Steuern eintreiben
muß. Wenn der alte.Fritz von dieser Sache er-
fahren würde, er würde sich bestimmt im
Grabe herumdrehen. Solle dieser Hirschfänger
vielleicht auch eine Ehrengabe sein für pflicht-
treuen Republikschutz bei der Steuereintreibung
oder zu welchen Zwecken soll eigentlich diese
elegante Waffe dienen?
Doch nun kommt das schönste. Angeblich
sollen diese (Ehrenhirschfänger) den Schupobe-
amten beim Tragen im Dienst behinderlich
sein, da sie zu lang sind und beim Laufen in
die Kniekehle schlagen und den Beamten zu
Fall bringen können. Aus diesem Grunde sol-
len Erwägungen vorhanden sein, diese 100 000
Hirschfänger wieder einzuziehen und Klinge
und Scheide etwa 5—10 Zentimeter kürzer zu
machen.
Nun, lieber Leser, weißt Du, zu welchen
Zwecken die vielen Steuern gebraucht werden,
die Du zahlen mußt. . H. M.


Oie Neuwahlen für den Reichstag.
Was mutz jeder vom Wahltage wissen?
Die Neuwahlen für den Reichstag finden
nach der Verordnung des Herrn Reichspräsi-
denten, wie bekannt, am Sonntag, dem 14.
September 1930, statt. Die Abstimmungszeit
dauert von 8 bis 17 (5 nachm.) Uhr.

Stimmberechtigt ist, wer am Abstimmungs-
lage Reichsangehöriger und zwanzig Jahre alt
ist. Jeder Stimmberechtigte hat eine Stimme.
Abstimmen kann nur, wer in eine Stimmliste
eingetragen ist oder einen Stimmschein hat.
Eingetragene Stimmberechtigte können nur in
dem Stimmbezirk abstimmen, in dessen Stimm-
liste sie eingetragen sind. Inhaber von Stimm-
scheinen können in einem beliebigen Stimm-
bezirk des Deutschen Reiches abstimmen. Aus-
geschlossen vom Stimmrecht ist: 1. wer ent-
mündigt ist oder unter vorläufiger Vormund-
schaft oder wegen geistigen Gebrechens unter
Pflegschaft steht: wer am Abstimmungstage
sich nicht im Besitz der bürgerlichen Ehren-
rechte befindet. Die Ausübung des Stimm-
rechts ruht nur für die Soldaten der Wehr-
macht, solange sie ihr angehören. Die Militär-
beamten gehören nicht zu den Soldaten der
Wehrmacht. Behindert in der Ausübung des
Stimmrechts find Personen, die wegen Gei-
steskrankheit oder Geistesschwäche in einer Heil-
oder Pflegeanstalt untergebracht sind, ferner
Straf- und llntersuchungsgefangene, sowiePer-
sonen, die infolge gerichtlicher oder polizei-
licher Anordnung in Verwahrung gehalten
werden. Ausgenommen sind Personen, die sich
aus politischen Gründen in Schutzhaft befin-
den.
Einen Stimmschein erhält auf Antrag 1.
ein Stimmberechtigter, der in eine Stimmliste
eingetragen ist, 1. wenn er sich am Abstim-
mungstage während der Abstimmungszeit aus
zwingenden Gründen außerhalb seines Stimm-
bezirkes aufhält: 2. wenn er nach Ablauf dec
Einspruchsfrist seine Wohnung in einen ande-
ren Stimmbezirk verlegt: 3. wenn er infolge
eines körperlichen Leidens oder Gebrechens in
seiber Bewegungsfreiheit behindert ist und
durch den Stimmschein die Möglichkeit erhält,
einen für ihn günstiger gelegenen Abstim-
mungsraum auszusuchen: II. ein Stimmberech-
tigter, der nicht in eine Stimmliste eingetra-
gen oder darin gestrichen ist, 1. wenn er nach-
weist, daß er ohne sein Verschulden die Ein-
spruchsfrist versäumt hat: 2. wenn er wegen
Ruhens des Stimmrechts nicht eingetragen
oder gestrichen war, der Grund aber nach Äb-

Es gab eine Zeit, da war man in Laien-
kreisen der Ansicht, daß die Maschine die
Handarbeit völlig ersetzen könne, daß der Fa-
brikbetrijeb den Handwerksbetrieb ablösen)
und Handwerksarbeit sich in Maschinenbedie-
nung umwandeln müsse. Bald wurden denn
auch von der maschinell-mechanischen Herstel-
lung die Seifensiederei, die Nagelschmiederei,
die verschiedenen Zweige des Bekleidungsge-
werbes und andere mehr aufgesogen. Die
nachstehende Tabelle zeigt, daß dieser Vorgang
bereits stattgefunden hat und abgeschlossen ist.
Die jetzt noch bestehenden Handwerksbetriebe
können durch Fabrikarbeit nicht ersetzt werden.
Handwerke der Steine u. Erden:
Steinhauer, Steinmetzen, Edelsteinschleifer,
Steinbildhauer, Hafner und Töpfer, Glasschlei-
fer, Glasbläser, Glasmaler, Pdrzellanmaler,
Keramiker.
Bauhand werke: Maurer. Zimmerer,
Glaser, Maler, Tüncher, Lackierer. Stukkateure,
Tapezierer, Dekorateure, Polsterer, Dachdecker,
Plattenleger, Brunnenbauer, Steinsetzer, Pfla-
sterer, Ofensetzer, Schornsteinbauer, Schorn-
steinfeger, Ziegler, Backofenbauer, Mühlen-
bauer, Kunststeinmacher. Zementeure.
Eisen- und- M e t a l l h a n dw e r k e:
Büchsenmacher, Messerschmiede, Werkzeug-
macher, Feilenhauer, Metallschleifer, Gold- und
Silberschmiede, Rot- und Gelbgießcr, Kupfer-
schmiede. Zinn- und Vleigießer, Schmiede,
Schlosser, Klempner, Installateure, Elektroin-
stallateure, Mechaniker, Uhrmacher, Optiker,
Instrumentenmacher, Graveure, Ziseleure,
Zinn- und MetallpfÄfenmacher, Ketteni-
schmiede, Eoldschlüger, Metalldrllcker, Nadler.
Textilhandwerke: Weber, Tuch¬
macher, Teppichknüpfer, Posamentiere, Riemen-
dreher, Wirker, Stricker, Färber, Bleicher. De-
korateure, Seiler, Netzmacher, Segelmacher,
Lohnsticker.
Chemische Handwerke: Seifensie-
der, Wachszieher, Kerzenmacher.
Papier^- un'd B sr v i e l f ä l ti-
gungshandwerke: Buchbinder, Karton-
nagemacher, Buchdrucker, Lithographen,Schrift-
setzer, Chemigraphen, Xylogräphen, Photo-
graphen.
Leider- und K a u t s ch u k h a n d w e r k e:
Gerber, Sattler.
Holz- u. Schn i tz sto f f h a n d w e vk e:
Tischler, Drechsler, Holzbildhäuer, Böttcher,
Stellmacher, Bootsbauer. Schirm- und Stick-
macher, Kammacher, Korbmacher, Strohflechter,
Bürstenmacher, Besenbinder, Vergolder, Bei-
zer. Polierer, Musikinstrumentenmacher Spiel-
warenmacher, Rechenmacher, Holzschuhmacher,
Jntarsienischneider, Elfenbeinschnitzer.

lauf der Einspruchsfrist weggefallen ist: 3.
wenn er Auslandsdeutscher war und seinen
Wohnort nach Ablauf der Einspruchsfrist in
das Inland verlegt hat. In Berlin werden
die Stimmscheine von den für die Wohnung
der Srimmbsrechtigten zuständigen Bezirks-
ämtern ausgestellt. In den schriftlichen An-
trägen ist auch die Berliner Wohnung anzu-
geben. Mündliche Anträge- sind während der
allgemeinen Dienststunden bei den Bezirks-
wählämtern zu stellen. In der letzten Woche
vor der Wahl werden mündliche Anträge auch
nach den allgemeinen Dienststunden, und zwar
so lange entgegengmommen, wie die Bezirks-
wählämter geöffnet sind. Den Grund zur
Ausstellung eines Stimmscheines hat der An-
tragsteller auf Erfordern glaubhaft zu machen,
lieber seine Berechtigung zur Antragstellung
oder zur Empfangnahme des Stimmscheines
muß er sich gehörig ausweisen. Anträge auf
Ausstellung von Stimmscheinen werden nur
bis zum 12. September 1930, 19 (7 nachm.)
Uhr, entgegengenommen. Nach dieser Zeit ge-
stellte Anträge können in keinem Falle berück-
sichtigt werden.
Die Stimmlisten liegen nach der Verord-
nung des Reichsministers des Innern in der
Zeit von Sonntag, dem 24. August, bis ein-
schließlich Sonntag, dem 31. August, öffent-
lich zur. Einsicht aus. Die Auslegungszeiten
sind einheitlich für das Gesamtgebiet der Stadt
Berlin festgesetzt auf wochentags von 14 bis
21 (2 nachm. bis 9 abends) Uhr, für die bei-
den Sonntage, 24. und 31. August, von 10 bis
17 (5 nachm.) Uhr. Wer die Stimmliste für
unrichtig oder unvollständig hält, kann dieses
bis zum Ablauf der Auslegungsfrist bei dem
für seine Wohnung zuständigen Bezirksamt
schriftlich anzeigen oder in der Auslegeliste
zur Niederschrift geben. Soweit die Richtig-
keit seiner Behauptungen nicht offenkundig ist,
hat er für sie Beweismittel beizubringen. Nach
Ablauf der Auslegungsfrist können Stimmbe-
rechtigte nur in Erledigung rechtzeitig ange-
brachter Einsprüche in die Stimmliste ausge-
nommen oder darin gestrichen werden. Als
Wohnort im Sinne des Reichswahlgesetzes
gilt der Ort, an dem der Stimmberechtigte
seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein nur
für Tage oder wenige Wochen bemessener oder
nur gelegentlicher Aufenthalt ist kein gewöhn-
licher Aufenthalt im Sinne der Gesetzesbe-
stimmungen.
*

Bekleid un gs- und Reinigungs-
Ha n d w e v k e : Schneider, Schneiderinnen,
Kürschner, Mützenmacher, Hutmacher, Putz-
macherinnen!, Handschuhmacher, Schuhmacher,
Wäscher, Bügler, Friseure, Wäscheschneiderin-
nen, Stickerinnen.
Schon hat eine verhältnismäßig kurze
Erfahrung von wenigen Jahrzehnten einen
Umschwung zugunsten der Handarbeit gezei-
tigt. Die Produkte, welche die Maschine im
Uebermaß auf den Markt wirft, haben bereits
in Verbraucherkreisen den Wünsch nach guter,
solider Handwerksarbeit aufsteigen lassen. Oft
steht der Käufer vor einer riesigen Auswahl
und findet doch nicht das, was er sucht: Eine
Qualitätsware aus zuverlässig bestem Mate-
rial hergestellt. So ist der Bedarf und die
Nachfrage nach Handwerkerarbeit in fortwäh-
rendem Steigen begriffen. Heute zählen wir
1,3 Millionen Handwerksmeister, 1,5 Millionen
Gesellen, 766 000 Lehrlinge und 100 000 An-
gestellte, zusammen also 3,6 Millionen Per-
sonen. Auf 1000 Einwohner kommen 20 selb-
ständige Handwerksmeister, was einem Rück-
gang von nur mehr 4 Prozent gegenüber dem
Jahre 1900 entspricht, während von 1870 bis
1900 ein solcher von 30 Prozent zu verzeich-
nen war! Die Schneider stehen an der Spitze
mit 438 000 Handwerkern. Es folgen die
Maurer mit 422 000, die Tischler mit 297 000,
die Bäcker mit 244 000, die Schuhmacher mit
222000, die Fleischer mit 190 000 und die
Maler mit 188 000 Personen.
Dem veränderten Bedarf entsprechend sind
verschiedene Handwerks,zweige eingegangen,
andere sind entstanden. Das ist ein natürlich
bedingter Wechsel. Schon im Mittelalter ging
durch veränderte Kriegführung die Lederver-
arbeitung und das Waffenhandwerk zurück.
Auch kann das Handwerk heute nicht mehr
ohne motorische Betriebsmittel auskommen.
Zum Anfang des Jahrhunderts gab es im
Bäckereigewerbe ca. 1000 motorische Betriebe,
heute sind es 61115. Ein Beweis, daß das
Handwerk wohl elastisch und leistungsfähig ge-
nug ist, sich veränderten Ansprüchen anzupas-
sen -wenn ihm nicht das Betriebskapi¬
tal weggesteuert wird. Zweifellos befindet
sich auch das Handwerk in einer schlechten Lage,
doch ist der »Rückgang heute nicht mehr darauf
zurückzuführen, daß man das Handwerk in die-
sem Umfange wie früher nicht mehr braucht,
sondern auf das Konto der llbersteigertenWirt-
schaftsbelastung. Die moderne Technik hat

auch das Gute gehabt, daß sie eine ganze Reihe
von neuen Handwerkszweigen gebar. Beson-
ders die Auto- und Elektro-Erzeugung, fern«!
der Rundfunk, sämtliche SprechmaschineN
Schreibmaschinen und die Umstellung iw
Schmiede- und Schlosserhandwerk auf neuzei-
tige Reparaturen haben es den Handwerkern
ermöglicht, sich neuen Aufgaben und Gebieten
zuzuwenden.
Einen Zustrom aus den modernen Erfin-
dungen bedeuten auch die neuzeitlichen Be-
darfsartikel, deren Spezialisierungen und Ver-
feinerungen fz. B. in der Autobranche) immer
mehr aus der Sphäre des maschinellen und
unpersönlichen in die individuelle und hand-
werkliche hinllbergleiten. So vollzieht sm
ganz allmählich ein Umschwung zugunsten ge-
lernter, materialsicherer Handwerkstechnik.
Neue Ananzkrise in der
Arbeitslosenversicherung.
Uns wird geschrieben:
Zuverlässigen Berechnungen zufolge ist be-
reits Ende Oktober eine erneute FinanzkrisiS
der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung zu befürchten. Die iw
diesjährigen Reichshaushalt vorgesehenen Mit-
tel des Reiches von 185 Millionen -4t Zu-
schüssen und 140 Millionen -4t Darlehen sind
bereits jetzt zum größten Teil verbraucht'
Durch die ungünstige Arbeitsmarktlage des
Sommers war die Neichsanstalt genötigt, den
Gesamtbetrag der im Haushalt vorgesehenen
Zuschüsse schon jetzt in voller Höhe in Anspruw
zu nehmen. Von den vorgesehenen Darlehen
(140 Millionen -4t) waren Anfang August
rund 30 Millionen -4t gleichfalls verausgabt,
so daß an Reichsmitteln im Rahmen des dies-
jährigen Reichshaushaltes nur noch ein Dar-
lehensbetrag in Höhe von rund 110 Millionen
-4t für die Reichsanstalt verfügbar ist. Selbst
unter Anrechnung der durch die Novelle vorge-
nommenen Beitragserhöhung auf 4,5 Prozent
werden aller Voraussicht nach diese Darlehen
Ende Oktober gleichfalls verbraucht sein. Für
die kommenden fünf Wintermonate (Noveiw
ber/März muß demnach mit einem weiteren
sehr erheblichen Fehlbetrag der Reichsanstalt
gerechnet werden; schätzungsweise wird nraN
den ungedeckten Mehrbedarf der Reichsanstalt
auf etwa 400 Millionen -4t veranschlagen müs-
sen. Nach Art. 4 der Arbeitslosenversicherungs-
novelle trägt das Reich nur die Hälfte dieses
Mehrbedarfs in Form von Zuschüssen; der rest-
liche Betrag ist durch erhöhte Beiträge oder
durch Abstufung der Beiträge oder durch Ver-
bindung beider Maßnahmen zu decken. Damit
wird erneut die Diskussion über eine weitere
Beitragserhöhung der Arbeitslosenversicherung
nähergerückt. Wollte man den oben angege-
benen Fehlbetrag lediglich durch Beitragser-
höhungen decken, so würde dies einer weiteren
Erhöhung der Beiträge um rund 2—2,5 Pro-
zent und damit einem Beitragssatz von rund
7 Prozent gleichkommen. Ein solcher Prozent-
satz ist aber nicht nur für die Unternehmen
untragbar, sondern auch für die Arbeitneh-
mer; schon heute werden den sozialversiche-
rungspflichtigen Arbeitnehmern rund 15 Pro-
zent ihres Lohnes an Versicherungsbeiträgen
einbehalten; eine Ueberschreitung dieses Be-
trages erscheint undurchführbar.
Im übrigen ist auch die Finanzlage andere!
Sozialversicherungsanstalten stark gefährde!
Die Invalidenversicherung sieht vom Jahr^
1933 ab sicheren, von Jahr zu Jahr zuneh-
menden Fehlbeträgen entgegen, die den Ein-
tritt der Unmöglichkeit der weiteren Erfüllung
ihrer Verpflichtungen in absehbarer Zeit na-
her rückt. Die Krankenversicherung hat in
den letzten Jahren, ohne daß hierfür eine be-
sondere Krankheitshäufung ursächlich gewesen
wäre, Ausgabensteigerung um Hunderte vo§
Millionen -4t für das Jahr erbracht, die die
Reichsregierung nach dem Wortlaut der Be-
gründung der Novelle zu der Prüfung zwan-
gen, „ob in der Krankenversicherung, ohn§
Gefahr für ihren Zweck, Sparmaßnahmen
möglich sind." Aus diesem Zusammenhang her-
aus ist auch der Art. 2 der Krankenversiche-
rungsnovelle zu verstehen, nach dem die Kran-
kenkassen verpflichtet sind, binnen einer be-
stimmten Frist die Beitrüge unter „Berücksich-
tigung der Aenderungen der Verordnung" m'N
sestzusetzen, d. h. bei allen Krankenkassen ohm
Rücksicht auf den derzeitigen Beitragssatz dsi
Beiträge zu senken. Ein Rundschreiben
Reichsarbeitsministers hat diese Bestimmung
wie folgt erläutert: „Es entspricht nicht deN'
Zweck der Verordnung und der Sachlage, wen»'
Kassen jetzt neue freiwillige Leistungen be-
schließen und deshalb bei dem bisherigen B«V
tragssatze bleiben müssen. Die Verordnung
will die Ausgaben in der Krankenversicherung
auf das natürliche Maß zurückführen." DU
Oberversicherungsämter sind deshalb vow
Reichsarbeitsministerium ausdrücklich ang^
wiesen, bei der Genehmigung der neuen B^
träge hierauf ihr besonderes Augenmerk
richten.
Die immer dringender werdende Forderns
nach einer durchgreifenden Reform der SoM?
Versicherung entspricht nicht dem Ziel ilst^.
Beseitigung, sondern im Gegenteil dem ihw
Erhaltung. Diese Erhaltung ist aber nur da^
gewährleistet, wenn im Rahmen der ustg
schaftlichen Möglichkeiten dem Versicherst,
zwar die berechtigten VersicherungsansprstA
gesichert werden, wenn glbichzeitig jedoch el-
unberechtigte Ausnutzung verhindert wird.


Nahrungs,- und Genußmittel-
Han dwerks: Müller. Bäcker, Konditoren,
Fleischer, Molkers Käser, Brauer, Mälzer,
Brenner.
 
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