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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes: Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.42441#0341
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Sie AiaauzkalastMe her
Kommunen.
Nach der vorläufigen Sanierung der Reichs--
finauzen existiert auf finanzpolitischemGebiet keine
dringendere Ausgabe, als die einer Sanierung der
Kommunen, deren kurzfristige Verschuldung von
rund 2 Milliarden RM eine unmittelbar drohende
Gefahr für das Staatsganze darstellt. Der drin-
gende Kreditbedarf der Kommunen wird bei einer
Gesamtverschuldung von 9 Milliarden RM aus
mindestens 5—600 Mill. RM geschätzt, nachdem
in der ersten Hälfte dieses Jahres die Kommunen
noch rund 260 Mill. RM langfristige Kredite auf-
nehmen konnten. Zwar wird die kommunale Fi-
nanzlage etwas gebessert durch die Mehreinnahmen
aus den Notverordnungen, die für die Zeit vom
November 1930 bis März 1931 auf rund 120—
130 Mill. RM veranschlagt werden' dafür dürf-
ten aber Mehrausgaben auf dem Gebiet der Wohl-
fahrtspflege sman rechnet für den Februar mit fast
einer Million Wohlfahrtserwerbsloscr) in Höhe
von rund 250 Mill. RM entstehen, von denen
mindestens 100 Mill. RM ungedeckt sind; auch die
Minderung der Ucberweisung des Reiches ist hier
ebensowenig zu vergessen wie die vorgesehene Real-
steuersenkung, der allerdings in manchen Fällen
Pläne auf Steuerheraufsetzungen gegenüberstchen,
die swie im Falle der Stadt K S l n) sogar an eine
30 Prozentige Erhöhung der Realstencr denken.
Die Verschiebung des Stichtages für die kommu-
nalen Nealsteuersätzc aus den 1. Januar 1931 för-
dert derartige Steucrplänc sehr; im übrigen leiden
gerade finanziell gut verwalteten Städte mit nie-
drigen Realsteuern unter den verordneten Senkun-
gen am meisten, weit aus dem Ausgleichsfonds von
45 Mill. RM die Städte mit den höchsten Sät-
zen, d.h. in der Regel die Städte mit schlechter
Verwaltung, bedacht werden;Sparsamkeit wird also
auch hier wieder einmal bestraft. Angesichts der
ganzen Situation ist damit zu rechnen, daß auch
im kommenden Etatsjahr die kommunalen Finan-
zen noch in starken Schwierigkeiten sich befinden
werden. Er rächt sich, daß chie Kommunen die
Sleuerkraft ihrcrBingcr völlig ausgeschöpft haben,
aber nicht zu Gunsten einer Reservebildung für
schlechte Zeiten, sondern vielfach für mehr oder-
weniger überflüssige Ausgaben.
Die letzte Ursache der komunalen Finnnzkrisc
besteht darin, daß sich die Kommunen genau wie
der Staat mit Aufgaben übernommen haben, die
dem eigentlichen Zweck einer Verwaltung völlig
fern liegen. Ein besonders anschauliches Bild die-
ser Art Ivar das Versagen der bis vor kurzem
unter bestimmendem kommunalen Einfluß stehen-
den Bcr. Elektrizitätswerke Westfalen, die ein
Musterbeispiel dafür bildeten, daß die Kommunen
in wirtschaftlichen Dingen zur Unterlassung einer
kaufmännischen Kontrolle neigen, sich in dünkelhaft
ter Expcknsions- und Prestigepolitik gegenüber der
Privatwirtschaft ergehen, in völliger Neberschät-
zung der Absatzmöglichkeiten wirtschaftlich unge-
sunde Anlagen vornehmen, ans falsch verstandenen,
Sozialgefühl unrentable Anlagen mit durchschlep-
pen, ohne Rücksicht auf die Kosten nicht erfüllbare
finanzielle Aufwendungen eingehen, gestützt auf die
Steuerhoheit Rückhalt am Steuerzahler suchen in
den Fällen, in denen die Privatwirtschaft mit eige-
nem Vermögen haften muß usw. Alle diese Dinge
erklären sich daraus, daß die öffentliche Hand zu
einem erheblichen Teil der Verantwortung sich
nicht bewußt ist, die das Arbeiten mit dem Eigen-
tum anderer anferlegt. Da Fälle dieser Art lei-
inder zahlreich sind, wird cs nicht ausbleiben kön-
nen, daß in der nächsten Zeit noch sehr viele Kom-
munen — angesichts der völligen Ausschöpfung
aller Steuermöglichkeitcn — nicht umhin können
werden, zu ihrer finanziellen Sanierung ihren
Besitz m demselben Umfange abzustoßen,' in dem
auch ein Privatunternehmen, das in Schwierigkei-
ten geraten ist, zu dieser Maßnahme schreiten muß.
Fälle dieser Art liegen vor allem auch dann vor,
wenn unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit
eine Gebühren- und Tarifpolitik verfolgt wird, die
man sich von einem Privatunternchmen niemals
gefallen lassen tvürdc.
Die kommunale Finanzkrisc ist allmählich zu
einer kommunalen Sclbstverivaltungskrise gewor-
den. Selbst in den größten Städten haben Staats-
kommissare eingesetzt werden müssen; die finanzielle
Selbstverwaltung, das Rückgrat jeden kommunalen
Eigenlebens, mußte tveitgehend ausgcschaltct wer-
den, weil die Verantwortlichen Instanzen es nicht
wagten, die Durchführung parteipolitisch unpopu-
lärer Maßnahmen aus sich zu nehmen und sie lie-
ber der Aufsichtsbehörde überließen, und weil so-
gar einzelne sog. Selbstverwaltungskörper die frü-
her selbstverständliche Durchführung von Spar-
maßnahmen offiziell abgelchnt haben. Die früher
mit so schönem Erfolg tätig gewesene bürgerliche
Selbstverwaltung ist immer mehr zu einer Be-
mäntelung selbherrlicher Bürokratie und verant-
wortungsloser Parteipolitik herabgesunken.
*
Defraudant und Kegelsport.
Nach Unterschlagung von 30 000 RM erhobener
Steuern flüchtete vor einigen Monaten der Kas-
sierer eines Finanzamtes. Alle Polizeikchen Nach-
forschungen blieben ohne Erfolg. Allerseits erklärte
man daS spurlose Verschwinden mit Selbstmord an
verborgener Stelle. Zum größten Erstaunen erhielt
der Kegelklub, dem der Defraudant als begeisterter
Liebhaber des edlen Sports jahrelang angehört
hatte, von ihm aus Anlaß des 25jährigen Bestehens
einen Jnbkkäums-Glückwuünsch aus Zürich. Die so-
fort verständigte Polizei konnte den anhänglichen
Äegelbruder schon am nächsten Tage festnehmen.
G

Das Änglück: Staats- und KommunaWalismus.
Politik -er kleinen Mittel.
Von Freiherr von Lüninck, Präsident der Landrvirtschastskammer für die Rheinprovmz.

Als im Jahre 1925 der Reichsverband der
deutschen Industrie das Problem der öffentlichen
Lasten und Ausgaben in eingehender Denkschrift
erörterte, betrugen die öffentlichen Lasten jährlich
etwa 13 Milliarden Mark. Der Reichsverband
forderte damals eine Senkung von 20 Prozent als
Voraussetzung wirtschaftlicher Sanierung. Seither
find die Ausgaben der öffentlichen Verbände auf
etwa 27 Milliarden sdavon etwa 24 Milliarden
Steuern und Soziallasten) gestiegen und haben da-
mit etwa 35 Prozent des gesäurten Volkseinkom-
mens erreicht. Entgegen den bei Beratung des
Dornig-Planes gemachten Zusicherungen sind dessen
vorläufige Ersparnisse nicht der Wirtschaft zugute
gekommen, sondern zugunsten der öffentlichen Hand
verwandt: ja die deutsche Wirtschaft ist weiter be-
lastet wordeir.
Dieser ungeheuer aufgeblähte Staats- -und Kvm-
munalsozialismus erdrosselt die gesamte Privat-
wirtschaft und ist einer der Hauptschuldigen am
wirtschaftlichen Niedergang. Mit kleinen Mitteln
ist bei diesen enormen Milliardenziffern eine Bes-
serung nicht zu erzielen, nnd das harte Urteil von
der Tagung des Langnamvcreins, daß eine Regie-
rung, die bei solcher Sachlage mit 114 Milliarden
Lastenscnkung glaube sanieren zu können, dem
Mann im Mond gleiche, ist leider gerechtfertigt.
Es war von Anfang an ein Fehler der Reichs-
regierung, daß sie die Beseitigung des Etats- und
Kassendcfizits durch neue Steuern erstrebte und
nicht durch rigorosen Abbau der öffentliche» Ver-
waltung durchgesetzt hat, ein Abbau, der sowohl die
einzelnen Beamtcngehältcr wie auch namentlich die
Beamtenzahl und den Bchördenumfang wesentlich
ergreifen müßte.
Man darf im Zusammenhang mit dem 6pro-
zentigcn Gchaltsabbau darauf aufmerksam machen,
daß dieser Abbau nur gerade der allgemeinen
Geldwertstcigerung entspricht, die sich in der Sen-
kung des Lebenshaltungsindex von 1929 mit 153,8

auf 145,4 im -Oktober zahlenmäßig ausprägt, also
noch keinerlei Realgehaltssenkung gegenüber 1929
bedeutet. Um die deutsche Privatwirtschaft von
öffentlichen Lasten wieder soweit zu befreien, daß
sie mit dem Ausland erfolgreich konkurrieren kann,
ist eine Senkung der öffentlichen Lasten heute um
etwa 50 Prozent notwendig, wovon ctiva 15 Pro-
zent durch Senkung der Einzelgehälter und 35
Prozent durch Vereinfachung des Verwaltungs-
apparates sowie starke Einschränkung der Staats-
aufgaben erzielt werden müssen und können.
Ausschlaggebend bei alledem ist auch hier mehr
als die Einzelmaßnahme die Grundcinstellung:
Der deutsche Staat und das deutsche Volk sind
tödlich erkrankt an der Seuche des Staatssozialis-
mus, jener Irrlehre, daß der Staat berufen und
befähigt ist, durch direkte Wirtschaftsförderung und
Subventionen die Wirtschaftslage der einzelnen
Bürger günstig zu beeinflussen, während er sich in
Wirklichkeit darauf beschränken sollte, gesunde und
gerechte Produktionsbedingungen für alle zu schaf-
fen. Diese Seuche hat auch weite Wirtschaftskreise
erfaßt.
Und dennoch ist eigentlich daS völlige Fiasko
dieses Sozialismus das Kennzeichen unserer Tage:
Auch im Programm der Rcichsrcgierung vermißt
man diese Erkenntnis durchweg. Auf fast allen
Gebieten, im Arbcitsbcschaffungsprogramm, in der
Jndustrieförderung und in der Subventionspolitik
zu angeblichen Gunsten der Landwirtschaft sz. B.
Westhilfc, -Osthilfe u. a.) glaubt man immer wieder,
die alten ausgefahrcnen Geleise eines falschen
Staatssozialismus betreten zu sollen mit der Wir-
kung, daß der Verwaltungsapparat immer größer,
immer komplizierter, immer unübersichtlicher wird,
oa die Steucrbelastung automatisch von Jahr zu
Jahr steigt und daß jede geordnete und verant-
wortliche Wirtschaftsführung durch das völlig un-
sichere Moment der staatssozialistisch und politisch
beeinflußten Subventionen gestört wird, während

gleichzeitig die Herstellung gleichmäßiger Produk-
tionsmöglichkeiten für die verschiedenen Wirtschafts-
zweige vernachlässigt wird. Auch die öffentlichen
Fiskalbctriebe, soweit sie nicht im Interesse des
Gemeinwohls unentbehrlich sind, sollten in Reich
und Staat und Gemeinden baldmöglichst abgcbaut
Werden.
In der Reichsregierung find starke und ehrliche
Kräfte tätig, um das Chaos zu überwinden. Aber
diese Regierung verkennt, daß man nicht die
Wirtschaftsfolgen des Marxismus überwinden
kann, indem man feinen Vorkämpfern ver-
hängnisvollen Einfluß einräumt.
Die Kraft der Regierung Brüning verblutet an
der offenen Wunde, die in Preußen und im Reich
durch -den maßgebenden Einfluß sozialistischer
Kräfte aufgerissen ist.
Seit Jahr und Tag, und zuletzt vor den jüng-
sten Reichstagswahlen hat die gesamte rheinische
Landwirtschaft einmütig aus kulturpolitischen und
aus wirtschaftlichen Gründen die Abkehr vomMar-
xismus nnd die Zusammenfassung aller positiv
christlichen Bolkskräfte zur geistigen und wirt-
schaftlichen Ueberwindung des Sozialismus gefor-
dert. Wir anerkennen, daß in der Reichsregie-
rung manche gesunde Tendenzen in Erscheinung
treten; wir sehen aber auch, daß ein gesundes
Kultur- und Wirtschaftsprogramm sich nicht durch-
zusetzcn vermag, weil es tausendfach durch die zer-
störenden Mächte des Marxismus, die man nicht
entbehren will, gehemmt und ins Gegenteil ver-
kehrt wird. Darum müssen auch wir uns jener
Feststellung anschließen, welche die Vorsitzenden der
Landwirtschafts- und Bauernkammern kürzlich in
Berlin formuliert haben: .,Wir halten uns für
verpflichtet, der einmütigen Auffassung Ausdruck
zu geben, daß auf dem im Regierungsprogramm
vorgesehenen Wege allein das erstrebte Ziel nicht
zu erreichen ist."

Die Erkenntnis von der Nndurchführbarkeit
der Reparationsleistungen nimmt im In- und
Ausland zu. Aus diesem Grunde wird immer
mehr von der Notwendigkeit des Joung-PlaneS
gesprochen. So begrüßenswert an sich die Ver-
vccitung der Erkenntnis von der Unhaltbarkeit der
Doung-Bestinimungen ist, so bedenklich ist es, die
Revisionsanstrengungcn aus den Doung-Plan zu
konzentrieren, anstatt sie auf den Versailler Ver-
trag, die Hanptursachc des Nebels, zu lenken.
Die im- Joung-Plan vorgesehene Mtzisions-
Methodik ist überaus kompliziert und schwierig,
so daß ein wirklich grundlegender Erfolg aus einer
solchen Aktion schwer glaubbar erscheint. Günstig-
stenfalls könnte eine Joung-Revision zu einer
Anpassung der deutschen Zahlungen an den gestiege-
nen Goldwert führen; mit dieser Entlastung von
vielleicht 15 bis 20 Prozent würde der Doung-
Plan aber nicht revidiert, sondern nur dem frü-
heren Zustand des Dawes-Planes angepaßt; mit
einer solchen Konzession, die uns nur von einem
unwesentlichen Teil der Belastung befreit, ohne an
dem Versailler System als solchem etwas zu
ändern, ist uns aber auf die Dauer in keiner
Weise gedient. Auch ein Moratorium würde uns
nichts nützen, weil cs keine Schuldenverringerung
schafft,- sondern unS nur einen Aufschub gewährt,
der in günstigen Jahren mit Zinsen nachgeholt
werden muß. Sowohl ein Antrag aus Revision
als auch ein solcher auf ein Moratorium würde
Deutschland — darüber muß man sich klar sein —
vor weitgehendste Politische und wirtschaftliche
Schwierigkeiten stellen. Diese müssen aber — wenn
Deutschland überhaupt wieder hoch kommen will —
in jedem Fall mit in Kauf genommen werden.
Wenn nun aber einmal diese Schwierigkeiten nicht
vermeidbar sind, dann sollte man auch sofort auf
den Kernpunkt der Angelegenheit vorstoßen, näm-
lich auf den Versailler Vertrag selber. Einen mo-
ralischen Anspruch aus eine derartige Revision hat
Deutschland zweifellos. Es hat viel mehr geleistet,
als der Versailler Vertrag vorgesehen hat; die
-„Reparationen" sd. h. die „Wiedergutmachung")
als solche sind längst erledigt; die jetzigen Zahlun-
gen dienen nur zu -Rüstungsfinanzierungen; die

Teurer Spaß.
Konsumvereins-Wäsche in der Oeffentlichkeit.
Interessante Einblicke in die Geschäftsführung
eines Konsumvereins lieferte eine vor kurzem in
Gotha abgehaltenc öffentliche Versammlung, die
von etwa 2000 Konsmnvereinsmitgliedcrn besucht
war uiw in der es zu recht lebhaften Auseinander-
setzungen wegen der Mißwirtschaft bei dem Kon-
sumverein in Gotha kam. Bemerkenswert ist, daß
sich die beiden Redner des Abends, nämlich der der
kommunistischen Richtung angehörendc Ge-
schäftsführer des Allgemeinen Konsumvereins
Halle und der sozialdemokratische Ver-
bandsvorsitzende der Thüringer Konsumvereins-
genossenschaften, infolge ihrer politischen Gegner-
schaft zu Indiskretionen hinreißen ließen,
die den Anhängern der Konsumvereinsbcwegung
sicherlich außerordentlich peinlich sein werden. So
ging aus dem Rededuell der beiden Referenten her-
vorz daß die Lage der Finanzen des Gothaer Kon-
sumvereins wegen der mangelhaften Geschäfts-
führung außerordentlich schlecht ist. Der Verein
habe heute eine Schuldenlast von ziemlich einer
Million Mark.

reparationsberechtigen Länder wehren sich gegen
die Ausnahme deutscher Waren, obwohl wir sic ztir
Aufnahme der Reparationsleistungen verkaufen
müssen. Die Fortführung des Reparationssystems
ist nichts anderes als eine „legale Ausplünderung",
die den Eigentumsbegriff gefährdet, die Weltwirt-
schaft in ständiger Beunruhigung hält und dadurch
dem politischen und wirtschaftlichen Bolschewismus
Vorschub leistet. Frankreich hat vor kurzem noch
erklärt, daß cs sich an die uns günstigen Bestim-
mungen des Versailler Vertrages nicht halten
werde, so daß cs sich über eine entsprechende Er-
klärung von unserer Seite nicht wundern darf.
Alle bisherigen Versuche der Erfüllung sind
sehlgeschlagen. Ucberhohe Besteuerung, Verkauf
deutschen Vermögens an das Ausland, unvernünf-
tig hohe Kapitalausnahmc im Ausland usw. haben
sämtlich eine wirkliche Aufbringung der Repara-
tionsleistungen nicht ermöglichen können; auch das
jetzt angenommene Sanierungsprogramm, das einen
letzten Versuch dieser Art darstelli, wird zu einem
Erfolg nicht führen können. Alle die Krisen, die
man mit dem Mittel der Fortsetzung der Erfüllung
vermeiden wollte, sind jetzt über uns gekommen,
ohne das; sie uns rcparationspolitisch etwa-s nützen.
Aus diesem ganzen Tatbestand sollte man die Nutz-
anwendung ziehen und — wenn man einmal einen
Anspruch anmelvipi will — den grundsätzlich not-
wendigen fordern. Aus dem Ausland hilft uns
niemand, wenn wir nicht selber die Führung er-
greifen. Als taktische Vorbereitung wäre vielleicht
zweckmäßig das Verlangen, durch Oeffnung der
Auslandsmärkte der deutschen Ausfuhr die Mög-
lichkeit zur Aufbringung der deutschen Reparations-
leistungen zu geben; es handelt sich hier um die
Wiederherstellung einer unausgesprochenen Voraus-
setzung des Joung-Planes, nämlich um die Tat-
sache, daß Reparationen nur durch Warenausfuhr
geleistet werden können. Findet diese Forderung
auf sinngemäße Wiederherstellung der Voraus-
setzungen des Doungplanes kein Gehör swie vor-
auszusehen ist), dann bleibt über kurz oder lang
nichts anderes übrig als eine Anmeldung auf
grundlegende Revision des Systems als solchen.

„Bis zum Jahre 1923/24 waren die
Grundstücke des Konsumvereins schuldenfrei.
Um diese Zeit herum war man zum erstenmal
gezwungen, Hypotheken in Höhe von 600 000
Mark zu übernehmen, die gegenwärtig mit 8
Prozent verzinst werden müssen. Weiter schul-
dete die Genossenschaft der Hamburger gemein-
schaftlichen Einkaufsgenossenschaft für Waren
235 000 Mark. Der Geschäftsbetrieb ist zurück-
gegangen.
Die Fleischerei, die von Anbeginn ein
Schmerzenskind der Genossenschaft war, hat im
verflossenen Geschäftsjahr einen Fehlbetrag von
51 000 Mark gehabt.
Auch bei der Bäckerei wird in diesem Jahre
mit einem Fehlbetrag gerechnet. Der Rückgang
im Umsatz der Bäckerei betrug in vier Monaten
nicht weniger als 87 000 Mark. Die Waren-
schulden in den Verkaufsstellen belaufen sich auf
26 000 Mark nnd in den Kohlenverkaufsstellen
auf 20 000 Mark. Abschreibungen konnten im
letzten Jahr überhaupt nicht gemacht werden.
Bon der ausgeworfenen Dividende in Hohe von
68 000 Mark für das Vorjahr sind noch 4000
Mark zu zahlen, obwohl hierfür gar keine Dek-

kung vorhanden ist. Man zehrt heute von der
Substanz; denn auch von den Spargeldern
wurden in letzter Zeit nicht weniger als KV vvv
Mark abgehoben. Für die nächste Zeit sind Per-
sonalabbau, Lohnkürzungen usw. vorgesehen.
Der derzeitige Geschäftsführer soll gegen
10 000 Mark Gehalt bekommen. Außerdem soll
ein weiterer Geschäftsführer angestellt werden.
Dem Geschäftsführer des „Allgemeinen Kon-
sumvereins Halle" wurde vorgeworfen, daß er
außerordentlich hohe Spesen, in einem Monat
z. B. 2000 Mark, gemacht habe.
Dieser Einblick in die internen Vorgänge eines
Konsumvereins läßt eine geringe Ahnung zu, was
hinter den Kulissen der Konsumvereine
überhaupt gespielt wird und wie Politik Und Ge-
schäft aufs innigste miteinander verknüpft sind, um
einigen Parteifunktionären eine ruhige und aus-
kömmliche Existenz zu schaffen. Sobald einmal die
parteipolitische Bindung, die heute noch die
meisten Mitglieder an die Konsumvereine fesselt,
durch die Konkurrenz der Kommunisten und
Svzialdmokraten, die beide um die Macht in den
Konsumvereinen kämpfen, erschüttert wird, dürfte
auch eine Abtvanderung der Arbeiterschaft von den
Konsumvereinen erfolgen. Man versteht jetzt auch,
weshalb die Konsumvereine ihren Mitgliedern
ständig die Pflicht zur genossenschaftlichen Treue
predigen.
*
Mirekie Steuererhöhlmg
durch Preissenkung.
Deshalb Slenerabbau'.
In ver „Bank", Heft 47, führt Alfred Lans-
burgh aus, eine durchschnittliche Senkung des
Preisniveaus um 20 Prozent bedeute, daß die Ge-
samtheit aller Güter und Leistungen 20 Prozent
weniger erbringe und 20 Prozent weniger koste.
Verschoben habe sich also Zunächst nur die Prei s °
basis, auf der sich die Umsätze vollziehen. Da-
gegen habe sich nichts an der Summe des im
Lande bar vorhandenen Geldes und nichts an der
Pyramide der sogenannten „unbaren Zahlungs-
wittel", also der Bank- und Sparkassenguthaben,
der Girogelder bei Zentral- und Clearing-Institu-
ten usw. geändert. Mit der Preissenkung ergibt sich
eine relative Aufwertung des Gelbes und der Geld-
forderungen, eine 25prozentigc Steigerung des
Kaufkraftvolumens, ein Effekt, der auch mit einer
Steigerung der Umlaufsvermehrung des Geldes
verbunden wäre. Lansburgh tvcist auf die ethische
Seite der Preissenkung hin, aus einen starken Un-
gerechtigkeits- und Unbilligkcitsfaktor, daß eine
Wirtschaft, die alle maßgebenden Faktoren: Preis,
Kosten, Nutzen bzw. Einkommen von der Platt-
form hundert auf die neue Plattform 80 Prozent
herabgesetzt hat, ihre Lasten und Abgaben nach «ach
dem alten Schlüssel, also mit 100 bezahlen muß.
Die Steuern und Abgaben würden also hier durch
die Preissenkung in ihrem inneren Wert um 25
Prozent gesteigert. In gleicher Weife entzieht sich
der gesamte Schuldendienst den positiven Wirkun-
gen der Preissenkung. Lansburgh schließt mit der
Neberlegung, daß sich aus einer solchen politische»
Entwicklung ähnliche sozialrechtliche Probleme er-
geben, wie sie vor ztveieinhalbtausend Jahren in
Athen geherrscht und dort schließlich zum Gewalt-
akt der Seisachtheia, der zwangsmäßigen Schuld-
abbürdung geführt hätten.
 
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