Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

DOI Artikel:
Fecht, Hans: Friedrich Hebbel in Heidelberg
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0057

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
HansFecht / Friedrich Hebbel in Heidelberg 27

Hans Fecht/Friedrich Hebbel in Heidelberg
Friedrich Hebbels geistige Würdigung ist — eine Erfahrung, die man
voran in dem durch die doppelten Jubiläen seines Geburts- und Todes-
tages ausgezeichneten Jahre 1913 machen kann — auch heute nicht die,
die sein Biograph bei seinem Tode erträumte und die der Dichter ver-
diente, Auch darin war ihm beschieden, Heinrich von Kleists Los zu
teilen, mit dem er in so vielen Punkten schmerzlich verwandt ist. Was
Kleist an seelischen Widerständen und geistigen Hemmungen in den Weg
trat, lag seit den ersten Tagen der Kindheit auf Hebbels Leben als düsterer
Schatten äußerer materieller Not, und als er, der fast Vierzigjährige, endlich
der äußeren Verhältnisse Herr geworden war, war er so einsam wie der
junge unglückliche Kleist in den Wochen vor seinem Tode, Eins aber hob
ihn und den Verlauf seines Lebens über den Fragment gebliebenen
Leidensweg des Dichters der Penthesilea hinaus in den Bereich warmer
und blutvoller Menschlichkeit; es war die wundervolle Selbstbeichte in
seinen Tagebüchern und Briefen, in denen heute noch das Ringen eines
qualvollen Menschenherzens und das Kämpfen eines einsamen Dichter-
geistes zuckt.
Dieses Ringen in seinen stärksten und tiefsten Wurzeln in der Nähe
Mannheims — in Heidelberg — sich abspielen zu sehen und daraus gewahr
zu werden, wie die ausgeprägtesten Charakterzüge Hebbels sich ent-
wickeln, hat soviel Erschütterndes, daß dabei zu verweilen sich lohnt. Die
weite schilfbekränzte Ebene Wesselburens und der Blick auf die öden
Watten und den unendlichen Himmel des Meeres und dann die trostlose
Enge der Hamburger Straßen: das waren die ersten Eindrücke, die in der
zerrissenen Knabenseele sich festsetzten; sie gaben den Rahmen zu dem
wilden Verlangen nach Ungebundenheit, das in der jungen Brust aufschrie.
Die von der Schriftstellerin Amalie Schoppe gebotene Gelegenheit, in ihrer
Hamburger Modezeitung Gedichte und literarische Versuche zu veröffent-
lichen, mußte bald zu beschränkt und die unbesonnene Liebe, mit der der
haltlose Mensch an die mittellose Näherin Elise Lensing sich anklammerte,
zu verantwortungsreich werden, als daß sie den aufstrebenden Geist hätten
befriedigen können. So wurde die plötzliche Fahrt, die der kaum Dreiund-
zwanzigjährige mit fremdem Gelde in den letzten Tagen des März 1836
nach dem entfernten Heidelberg machte, so recht der erste verzweifelte
Flug eines gefesselten Vogels,
Aber mehr als dieses gewaltsame Sichlosreißen wuchs als Frucht des
kurzen Heidelberger Sommers heran; cs zeigte sich, daß der erste Konnex
mit der Freiheit auf Hebbels dichterische Begabung die Wirkung jenes
Prüfsteins ausüben sollte, von dem Platon im Gorgias spricht; daß er zwar
nach München übersiedeln mußte mit der Gewißheit, nicht entfernt die
 
Annotationen