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Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

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Klinkel, Josef: Ein Vortragsabend Bierbaums
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https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0212

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Josef Kinkel

Josef Kinkel/Ein Vortragsabend Bierbaums
Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, die Dichter der Deutschen
Moderne dem Mannheimer Publikum durch Vorträge im Kaufmännischen
Verein persönlich näher zu bringen, Michael Georg Conrad, der ewig
Junge, war schon zum dritten Male bei uns gewesen, Richard Dehmel
war ihm gefolgt, und als dritter sollte Otto Julius Bierbaum vor das Pub-
likum treten. Die Verhandlungen waren rasch und glatt von statten ge-
gangen; der einzige erschwerende Umstand hierbei war die fast unge-
heuerlich phantastische Handschrift Bierbaums, die zu entziffern oft
Stunden kostete. Als Vortragsthema hatten wir ,,Aus der modernen
Literaturgeschichte“ gewählt, Es sollte ein literarisches Ereignis für
unsere Stadt werden; denn Bierbaums Ruhm stand gerade im Zenit, Der
Dichter des Stilpe und des Pankratius Graunzer war populärer geworden,
als man annehmen dürfte; auch von der Bühne herab hatte er ja zu den
Mannheimern schon gesprochen. Die Presse hatte auf den Vortrag mit
besonderem Nachdruck hingewiesen, so daß ein gefüllter Saal zu er-
warten war. Ich hatte Bierbaum ins Hotel sagen lassen, daß ich ihn um
8 Uhr (um 8J Uhr sollte der Vortrag beginnen) abholen werde; pünktlich
fand ich mich ein, in der frohen Hoffnung, den Dichter ebenso erwartungs-
voll wie ich selber war, vortragsfertig meiner harrend, vorzufinden. Nach
einigem Warten teilte mir der Kellner mit, der Herr Doktor befinde sich
noch in seinem Zimmer, gebe aber auf wiederholtes Klopfen keine Ant-
wort, Hierdurch etwas beunruhigt, beeilte ich mich, den Dichter selbst
aufzusuchen. Auch mir tönte auf wiederholtes Klopfen kein einladendes
,,Herein“ entgegen, sodaß ich mich, entgegen allen Anforderungen der
Sitte, entschloß, das Gemach unaufgefordert zu betreten. Der Anblick,
der sich mir darbot, war im ersten Augenblicke niederschmetternd. In
ruhigem, tiefem Schlafe, mit dem Ausdrucke friedlichster Behaglichkeit
auf dem glatten, rundlichen Gesicht, lag Otto Julius Bierbaum im Bette.
Vom ersten Schrecken schnell mich fassend, klopfte ich ihn zuerst sanft
auf Hand und Schulter, und als hierauf nicht die leiseste Reaktion erfolgte,
rüttelte ich ihn mit beiden Händen, zugleich mit dem freundlichsten Ton,
der mir in diesem Momente zu Gebote stand, ihm in die Ohren rufend:
„Aber Herr Bierbaum, es ist ja schon 8 Uhr vorbei,“ Das half, wenn auch
nicht in dem Maße, wie ich gehofft hatte; aber wach war er wenigstens ge-
worden, „Wieviel Uhr haben Sie? 5 Minuten nach acht. Dann haben wir
ja noch eine Menge Zeit.“ Und beinahe schien es mir, als mache er Miene,
wieder in die Kissen zurückzusinken. Aber jetzt kannte ich keine Rück-
sicht mehr; halb zitternd, halb befehlend brachte ich ihn in eine vertikale
Lage und war ihm wie eine Kammerjungfer, oder besser gesagt, ein
 
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