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Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

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Tannenbaum, Herbert: Kinoprobleme
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https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0182

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Dr. Herbert Tannenbaum

Dr. Herbert Tannenbaum/Kinoprobleme
Nicht oft wurde in Kunst- und Kulturdingen ein Kampf so erbittert
geführt wie er gegenwärtig um den Wert oder Unwert des Kinos tobt.
Nachdem beiläufig fünf Jahre einer rapiden Entwicklung des Kinotheaters
ins Land gegangen waren, ohne daß während dieser Zeit irgend ein ernst-
hafter und energischer Versuch unternommen worden wäre, in Schrift
und Wort die Gesetze und Möglichkeiten des Kinos herauszustellen, kam
es in den letzten Monaten mit einem Mal über die Menschheit wie
ein Besinnen, das seine deutlichen Symptome in den gewohnten Formen
von Rundfragen, Kongressen und unzähligen Zeitungs- und Zeitschriften-
artikeln zeitigte. Durch alle diese Taten aber wurden die mannigfaltigen
ästhetischen Probleme des Kinos weder theoretisch noch praktisch gelöst;
statt dessen entstand eine große Reihe von Mißverständnissen und Be-
griffsverwirrungen, die es schwer macht den Dingen auf den Grund sehen
und die uns noch nicht zur Freude am vielgestaltigen Spiel auf der Lein-
wandbühne kommen ließ.
Das eigentliche Problem des Kinos ist das Kinodrama, das Drama
ohne Worte, das Drama der reinen Sichtbarkeit, Damit ist bereits die
Eigenschaft festgestellt, die in erster Linie dem Kino seine aparte Stellung
gibt und die das Gebiet seiner Betätigungsmöglichkeiten scharf trennt
von dem. des Theaters. Das Fehlen des Wortes nimmt dem Kino-
drama die Fähigkeit, differenzierte menschliche Charaktere zu zeigen
oder Menschheitsprobleme dialektisch zu behandeln, Dinge, die uns im
Theater interessieren. Dadurch wird die Welt des Kinos eigenartig primitiv:
seinen Menschen mangelt völlig jede intellektualistische Beschwertheit,
sie sind hemmungslos, reine Triebmenschen; die verschiedenen Modalitäten
der Liebe und des Hasses, der Hunger, die Herrschsucht sind die immer-
gleichen seelischen Fundamente, auf die irgend eine Konstellation rein
äußerlicher Geschehnisse einwirkt, die dann als Reaktion irgendwelche
Menschen zu irgendwelchen Taten zwingt, aus denen dann weiterhin mehr
oder weniger bedeutende Veränderungen an Dingen und Verhältnissen
der Außenwelt resultieren. So muß ein ununterbrochenes, rapides Abrollen
einer Kette von Geschehnissen entstehen, bei der uns keineswegs eine
aparte, menschliche Individualität interessiert (und eben nicht interessieren
kann), bei der uns aber drei andere Dinge wertvoll und eindrucksreich
werden können: der Fluß der Ereignisse, in einem Wort: die Handlung,
die Mimik der agierenden Personen und die rein optische Erscheinung
des Bildes auf der Leinwand, die szenische Anordnung also, in der sich
Handlung und Mimik abspielt.
Durch das Fehlen jeder seelischen Tiefe entwachsen die Personen
des Lichtbildes gänzlich ihrer irdischen Bodenständigkeit: sie werden zu
 
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