Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

DOI Artikel:
Scheidweiler, Paula: Der Lyriker Hölderlin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0188

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
144

Paula Scheidweiler

Paula Scheidweiler/Der Lyriker Hölderlin
Es war das Württemberg der Konvikte, des Hohenasperg und der
Pfarridyllen,
Es waren fünfzig Jahre einer unerhörten Fruchtbarkeit, die nach
allen Seiten sich verschenkte,
Schubart lebte und ließ die Erregung eines Volkes wider die Mauern
seines Kerkers schlagen. Schiller war da als der große Erzieher, Und
Uhland kommt, in dem die Pläne und Voraussichten des guten Europäers
in die Grenzen des Deutschtums einrücken und hier Ziel und letzte Arbeit
finden. Und noch bleibt das Buch seiner jüngeren Jahre aufzublättern,
wo er Lyriker ist und sich Kerner und Gustav Schwab ihm anreihen und
eine zarte und umhegte Kunst in Mörike,
Abseits von ihnen wachsen die anderen, umschließt das Tübinger
Stift zu gleicher Zeit Hegel und Schelling und den dritten: Hölderlin,
Als sie im Stift zusammenkommen, trägt jeder schon ein bestimm-
teres Gesicht, in dem die Linien nur schärfer auszuzeichnen, nicht mehr
umzuzeichnen sind. Den Jahren nach halten sie die Mitte zwischen
Schiller und den ersten schwäbischen Romantikern, Und Hölderlin steht
zwischen beiden, zwischen Hegel, dem schwerfälligeren, umsichtig gründ-
lichen und Schelling, dem behenden und tropisch reifenden. Die Brücken
sind zu leicht, als daß sie ihn dauernd tragen. Seine Jugend gleitet aus
den seraphischen Verzückungen Klopstocks in ein Hellas, dem Rousseau
erweckend Pate stand, und brandet schließlich in zähem Wellenschlag an
die kantische Welt, Hegel scheint den Freund zu zwingen, Schritt zu
halten, auszuhalten, wo er vom Boden abstoßen und im Imaginären seiner
Phantasie sich schaukeln will. Aber Philosophie wird für Hölderlin keine
Notwendigkeit, nur ein Nothelfer, ein Refugium, das ihm offen steht,
wenn er „sich nicht leiden“ kann, ein Antrieb mehr zu einem Dasein, das
ihn außer sich setzt, außer der Welt, Was sie dafür von ihm einfordert,
macht vor dem Menschen in ihm halt: Sie läßt sein Individuelles achtlos,
um Allgemeines, Fremdheit von Nur-Besonderem zu betonen. Sie ist
daher stark in ihm, solang sein Ich noch unsichtbar in die Schale alles
Fremden eingeht, solang er von außen übernimmt, ohne den Einsatz seines
Ich bewußt zu wagen. Und ein Zweites kommt hinzu: Philosophie als nur
Gedankliches, als ein gewissermaßen Außermenschliches, bleibt ihm fern,
weil Gefühl und Reflexion von Anfang untrennbar in ihm sind. Es ist
mehr bei ihm denn bloße Angleichung an die Zeit, wenn er reifend mit
Schiller den Weg von den Laurafantasien zu den Künstlern nimmt. Er
scheint der Erbe von Schillers Zwiespältigkeit, Er ist es bis dahin, wo der
Künstler in ihm die Abstraktion überwindet. Sowie er in seiner Kunst
Ich sagen lernt, entfernt er sich von Schiller langsam ins Ungemessene,
 
Annotationen