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Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

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Schlüchterer, Heinrich: Schopenhauer und Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0239

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Schopenhauer und Richard Wagner

189

Dr, Heinrich Schlüchterer/ Schopenhauer und
Richard Wagner
Der Einfluß Schopenhauers auf Richard Wagners Werke ist bekannt
und im einzelnen schon oft nachgewiesen. Vielleicht ist es nun nicht ohne
Interesse, einmal im Zusammenhang die Frage zu erörtern, wie sich diese
Kunstwerke als solche zu den Anschauungen des Philosophen verhalten,
welche Rolle sie in seinem Weltbilde spielen können. Man mag gegen
die Berechtigung dieser Frage einwenden, es gehe nicht an, Wagner
vom Standpunkte eines Philosophen aufzufassen, der ihn nicht oder kaum
gekannt hat. Dieser Einwand kann jedoch nur unter der Annahme gelten,
daß Schopenhauers philosophisch-ästhetisches Bekenntnis ein anderes
gewesen wäre, wenn er „Ring", „Tristan“ und „Parsifal“ erlebt hätte.
Aber ist diese Annahme nicht mindestens zweifelhaft? Davon abgesehen
dürfen wir gerade von Schopenhauers Standpunkt aus auf Wagners zeit-
liche Posteriorität kein großes Gewicht legen. Denn jener leugnet ja
unbedingt den historischen Fortschritt, In Jahrhunderten, Jahrtausenden
hat sich an der Tragikomödie des menschlichen Lebens nichts geändert,
als das Gewand der Akteure, Was wollen da 30, 40 Jahre bedeuten,
selbst wenn in ihnen ein Wagner gelebt und geschaffen hat? Die Welt,
Schopenhauers Welt ist doch die gleiche geblieben, Wir dürfen also wohl
darnach fragen, welche Rolle Richard Wagners Werk in dieser Welt spielt.
Freilich, ganz leicht ist diese Frage nicht zu beantworten. Zwar soll
hier nur von Wagners Werken im engsten Sinn gesprochen werden, von
seinen Opern, Musikdramen, oder wie man sagen mag. Es mögen sogar
alle Jugendarbeiten bis zum „Rienzi“ ausschließlich, ja einschließlich, aus-
scheiden; vom „Holländer“ zum „Parsifal“, das ist eine Reihe von Werken,
zweifellos kenntlich als Schöpfungen desselben Meisters in verschiedenen
Stadien seiner Entwicklung, aber dennoch untereinander so ungeheuer
verschieden, daß man sie nicht ohne eine gewisse Schwierigkeit von
einem ästhetischen Standpunkt aus zu fassen vermag. Es soll auch, wie
schon eingangs betont wurde, Wagners Kunstwerk rein nur als solches
hier betrachtet werden.
Auch so gibt es uns genug Rätsel auf, Was fangen wir z, B, hier
mit dem geheimnisvollen Begriff des „Gesamtkunstwerks“, des „Kunst-
werks der Zukunft“ an? Für Schopenhauer hat er nicht existiert; er kennt
Architektur, Plastik, Dichtkunst, Musik und als Unterabteilung der letzteren
die Oper, Aber ein Gesamtkunstwerk, in welchem sich, nach Wagner,
Plastik, Dichtkunst und Musik vereinigen? Er hat, soweit meine Kenntnis
reicht, niemals in dem ganzen ungeheuren Kreis seiner phantasievollen
Kombinationen an etwas Derartiges gerührt. In seiner ganzen Kunstlehre
 
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