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Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

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Rath, Willy: Tragische Begabung (Emil Gött)
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https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0200

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Willy Rath

Willy Rath/Tragische Begabung (Emil Gött)
Die Tragik, die im Leben des Künstlers so unheimlich oft die ent-
scheidende Macht gewinnt, kann von zweierlei Art sein. Nicht soviel
beachtet wie die äußere, die soziale und sozusagen heilbare, ist die innere,
die unheilbare Künstlertragik, Sie allein bedeutet ein ästhetisches Problem,
Durch Verflechtung mit der gemeinen äußeren Wirklichkeit aber wird der
seelischen Erscheinung verwirrend häufig die soziale angehängt,
Emil Gött, der badische Dichter und Denker, der am Palm-
sonntag 1908 die Augen für immer schloß, war eine denkwürdige
Verkörperung solcher unglücklichen Verquickung, Sein Fall hat das
einzige Tröstliche an sich, daß diesmal der Nation keine Schuld am
lebenslänglichen Ungemach eines Künstlers zufällt, Gött war wohl im
bürgerlichen Sinn arm von Haus aus, hätte aber nicht zu darben, nicht in
Schuldensorgen sich aufzureiben brauchen, wenn nicht die tragische Anlage
ihn immer wieder vom Innersten her gehemmt und in Wirrnisse gebracht
hätte. Sein Lebensleid — gleichwie die minder reichlich gediehene
Lebensfreude — wurzelt durchaus in seiner Begabung,
Man kennt aus der Geschichte der deutschen und aller Dichtung
soviel tragische Persönlichkeiten, daß bei der kunstfremden Mehrheit sogar
schiefste Verallgemeinerung entstand. Außergewöhnlich bleibt doch
immer, was Emil Gött kennzeichnet: daß die verderbliche Vielseitigkeit
einer Poetennatur sich verbindet mit einem maßlosen nichtkünstlerischen
Idealismus, der vornehmlich auf menschenfreundliche Förderung des All-
tagslebens gerichtet ist.
Die tragische Begabung Götts lief im Grunde darauf hinaus, daß sein
ganzes Wesen von Dichtertum durchtränkt war, während — wie von einer
bösen Fee — die feindselige Bedingung daran geknüpft war, er müsse des
Dichters Künstleraufgabe, wenigstens soweit es ihn selbst betraf, unge-
bührlich unterschätzen. Mit anderen Worten: das dichterische Schauen, das
immer auf erneuendes Erfassen organischer Zusammenhänge, auf den An-
blick einer geläuterten Welt hin will, war in ihm sehr stark, ja so überstark,
daß es sein privates Leben größtenteils zerstörte; dafür aber lag ihm viel zu
wenig am künstlerischen Formen, am Gestalten. Er wußte es nicht, ahnte
es nur in seltenen bitter-schmerzlichen Augenblicken, in welchem Maße
er auch auf dem Boden des praktischen Lebens — Dichter war.
In solchen späten Anfällen jäher und natürlich leicht wieder über-
triebener Selbstdurchschauung beschimpfte er wohl sich selbst: er sei „ein
maulfertiger rasender Träumer, und darunter ein unfertiger, charakter-
kranker Schwächling, Zärtling und Faulenzer“, Ändern konnte er sich
doch in nichts. Im vollkommenen Gegensatz zu einem reinen Poesie-
künstler, wie etwa Mörike, sammelte Emil Gött mit nimmermüder Inbrunst
unbegrenztes Erfahren und Erleben in sich hinein, suchte einen Teil davon
 
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