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Jahrbuch Mannheimer Kultur — 1.1913(1914)

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Gräner, Georg: Arnold Schönberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.68760#0122

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Georg Graener/Arnold Schönberg

produktiven musikalischen Kunst vollbracht hat. So glaubt man — bei
näherem Hinschauen, Kommt man jedoch seinem Werk ganz nahe, sieht
man endlich, daß auch dies das Wesentliche nicht ist. Man sieht vielmehr:
unsere Welt, unser Leben (die uns so verwickelt, widerspruchsvoll, ziel-
und nutzlos vorkommen) gestaltet, zukunftsreich, und wie verklärt im
Schein dieser starken, aufrichtigen Musik, Man sieht, daß hier etwas
intensiv Subjektives durch die Gewalt der Form zu einer allgemein gül-
tigen Menschheitsoffenbarung der Gegenwart erhöht worden ist. Mit
dieser Musik lernen wir das moderne Leben begreifen und lieben , , , ,
Das ist das Gute, was uns Schönberg gebracht hat.
Kraftvolle Konzentration aller neugewonnenen Ausdrucksmittel;
eine von ergreifenden Visionen umströmte Phantasie; ein schwergoldner
Gehalt; die im Wert völlige Gleichheit des Gehalts mit dem reichen kompli-
zierten Äußern; kompakte, rißlose, von innen heraus erarbeitete Formen
— das in der Hauptsache wäre an musikalischen Eindrücken und Ein-
sichten aus Schönbergs Jugendwerk (etwa op, 1—10) zu schöpfen. Aus
diesem Jugendwerk, das ihm (zumindest) einen Platz in der vordersten
Reihe des zeitgenössischen Komponistenheeres sichert. Ein Mann indessen,
der schon in jungen Jahren mit der Musik der Gegenwart fertig geworden
ist, sie überwunden hat, wird von dieser seiner Kraft weitergedrängt. Und
Schönberg ist weitergegangen — bis über alle bekannte Musik weit. Von
Anfang an trieb ihn die wühlende Tiefe seiner Gefühle und Gedanken
zu großen, sehr eigenartig anmutenden musikalischen Äußerungen, Aber
von Anfang ist er auch beständig und in gerader Linie gewachsen. Immer
tiefer gruben sich seine Wurzeln ins Seelenleben, immer höher hob sich
sein Gipfel in die blauen Weiten der Kunst, Was für gesunde, feine und
reiche Säfte wirken in diesem Baum,
Wir greifen begierig nach seiner letzten Frucht; wir beschauen
staunend ihre Form, wir schmecken entzückt und zweiflerisch ihr Fleisch,
So etwas haben wir noch nicht genossen. In planer Prosa: über die drei
Klavierstücke (op. 11) kommt man nicht so leicht ins Reine, Wohl erfaßt
das Ohr die faszinierende kühne Ausnutzung der Klangmöglichkeiten des
Klaviers, Wohl ahnt das Gefühl wundersame Stimmungen und hinaus-
geschriene Herzensnöte in diesen seltsamsten aller seltsamen Tonverbin-
dungen, Wohl erkennt man die klingende Harmonie, die aus lauter har-
moniefremden Tönen entstanden ist. Dazwischen aber steht einiges Rätsel-
hafte; einiges, das aus dem Papier nicht herausspringt in uns hinein;
einiges (so scheint es) von der Reflexion experimentell Hingesetzte, das
den inneren Zusammenhang verschleiert, den warmen, vollen Gesang kühl
unterbricht. Ich glaube, diese Stücke sind erst Übergang, Brücke zu etwas
unerhört Neuem, etwas Nochnieverwirklichtem, Dieser psychologische
Fanatiker scheint darauf aus, mit seinen Tönen seelische Gebiete zu er-
schließen, die uns noch fremd sind. In jenen Klavierstücken zittert es vom
Schauer der Geburtswehen; von der Angst, der Schwermut und der Ver-
zückung, die das Neue verursacht, das ins Dasein will. Was wird uns
Arnold Schönberg noch alles bringen?
 
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