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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Heilbut, Emil: Über die Kunst in England, [2]: Royal Academa of Arts
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Ein echter Vautier als Wirtshausbild
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0045

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Über die Kunst in England, von kserman löelserich — Lin echter „vautier" als Wirtsbausschild

sich auf dem Marktplatz nieder und schliefen ein. Als
hiervon die Weiber von Amphissa horten, befürchteten sie
mit Recht, es möchte den Bacchantinnen Unheil und Be-
leidigung widerfahren, und sie standen auf, sich zu
ihnen zu begeben, und bildeten eine Schntzwnche für die
schlafenden Feindinnen. Als diese in der Frühe erwachten,
wurden sie von ihnen gepflegt und gestärkt und traten danach
von ihnen sicher geleitet, den Heimweg an. Tadema stellt
nun dies Erwachen in der Frühe dar. Einzelne liegen noch
ausgestreckt, andere erheben sich schon. Aber es ist nicht
zu sagen, wie gleichgiltig das ist. Der Kern des Vor-
ganges ist nicht beachtet, das eigentlich Menschliche
schien den Maler nicht zu berühren. Wo sind die
Matronen, die die Bacchantinnen schützen und sorgsam
umstehen? Welches sind die Matronen, welches sind die
Bacchantinnen? Alte, alle sind wohlgewachsene Er-
scheinungen, aber sie stehen in keinem menschlichen Zu-
sammenhang miteinander, es geht nichts menschliches in
ihrer Brust vor. Weder sind die Bacchantinnen ihres
Gottes voll, noch die Weiber von Amphissa mütterlich.
Es ist dem Maler ganz gleichgiltig gewesen. Er stellte
eine fein gemalte Szene hin, einzelne Figuren in merk-
würdigen Haltungen. Gemalt ist es vortrefflich, Schwierig-
keiten gibt es für Tadema nicht. Helle, fast schattenlose
Körper vermag er von Hellen Steinen abzuheben, als ob
es nichts wäre. Aber das Publikum, nicht für den Vor-
gang dieses Bildes warm werdend, sagt mit Recht, es
wäre nicht gut, und zieht frühere Arbeiten des Künstlers vor.

Auch Orchardson, ein anderer Liebling des Publikums,
der aber bei uns nicht in dem Grade bekannt ist, hat
diesesmal für das Publikum keinen Treffer abgeschossen, wie sehr
er auch diesmal wieder mit seinen glänzenden Mitteln
Vorzügliches bietet. Er zeigt „die erste Wolke." Sie
steigt bei einem vornehmen Ehepaar am jungen Himmel
ihrer Ehe empor. Er, der Mann, ist nicht so ganz jung
mehr, möglich, daß dieser Umstand etwas zu dem ersten
kühlen Lüftchen seiner Frau beitrug. Möglich — wissen
kann man es nicht, man sieht nicht in den Spiegel
ihrer Seele, sie kehrt uns, den Unschuldigen, wie ihrem
Manne, dem Schuldigen, gleichmäßig den Rücken zu. Man
sicht nicht den Spiegel ihrer Seele, sagte ich, aber man
sieht ihre Seele sich spiegeln, denn sie ist in den Hinter-
grund gegangen, allwo ein Spiegel hängt, und während sie
ganz ihrem Schmerz und Schnupftuch hingegeben scheint,
sieht sie in den Spiegel hinein, um die folgenden Schritte
ihres Gemahls im Abbild kennen zu lernen und das Spiel
ihres Schmerzes darnach einzurichten. Gar nicht so dumm,
die junge Gattin; schon Fieskv sah in den Spiegel, als
er scheinbar den Brief las, und er erhielt sich dadurch das
Leben vor dem Mohren. Aber hier handelt es sich nicht
um Rettung des Lebens, vielleicht um nichts als eine
zweite Equipage, die sie will, — und er nicht will.
Und er ist auch kein Mohr von Genna, er ist blond und
blaß, und wie sehr er auch ans der Höhe der Situation
steht, mit fast höhnischer Kaltblütigkeit mit der Uhrkette
spielend ihr nachblickt, kerzengerade die Figur, die Beine
quer gestellt und den Kopf etwas vorausgeschoben, so
glaube ich doch, er wird nachgeben. Und ob die Wolke
sie verhülle, die Sonne steht am Himmelszelt — er wird
seiner jungen hübschen Frau, nachdem er aufgehört haben
wird mit seiner Uhrkette zu spielen, den Arm anbieten,
ihr sagen, du sollst die zweite Equipage ja haben, und wird
sie an den Tisch führen, auf dem die Leckerbissen stehen,

und auf dem eine prachtvolle Petroleumlampe steht, die
mit ihrem roten Schirme so heimlich, so friedlich, so häus-
lich angenehm herüber lockt. Dieser rote Papierschirm
ist die holde Glut der Abendröte, die sich über den
Himmel ausgießen wird, nachdem das Wetterleuchten vor-

übergcgangen!.Ich finde Orchardsons Bild, sehr

fein, zu fein, unglückselig fein; eben weil es so diskret ist und
alles ahnen läßt, in Spiegeln, im Zucken von kleinen
Fingern, in verlornen Profilen und Rückenansichten — und
Petrolcumlampenschirmen, darum ist es nichts für das
Publikum, welches eine deutliche Sprache will, mag auch
die deutliche Sprache unter Umständen falsch wie ein
Sprachfehler sein. Es ist ein großes Malheur, um nicht
zu sagen Unglück, daß das Publikum aller Orte und
Länder so beschaffen ist, und daß es stets seine Maler wie
seine Schriftsteller zwingen wird, deutlich bis zur Unmög-
lichkeit zu sein. Man soll sein wie die Schauspieler, die
eine Sache bei Seite zu sagen haben, hinein ins Parterre,
und die es um der schönen Deutlichkeit willen hinaus-
posauuen müssen, daß der fernste Mann in den Sosfiten
den heimlich geraunten Gedanken rollen hört. Das ist
der Fluch der Konvention, der Fluch dessen, daß man
nicht unter sich ist, und daß man schließlich doch von denjenigen
Leuten nbhäugt, welche die Bilder nicht sowohl verstehen
als — kaufen. In meinem zweiten Brief werde ich über
die zweite große Ausstellung und über manche kleinere
berichten.

Lin echter „vautier" als Wirtshausschild

ll^enn man im freundlichen oberfränkischen Flecken
Müggendorf, gegen Norden sich wendend, eine sich in
die Höhe ziehende Seitengasse mit hüpfendem Bach und plät-
schernden Brunnen betritt, so erreicht man nach wenigen
Schritten zur Linken das Gasthaus zur „Türkei". Er-
schrick nicht, liebe Leserin, denn keinerlei Interessengemein-
schaft mit dem Staate des Islam, nicht Parteinahme für
Vielweiberei oder Schwärmerei für den immer mehr er-
bleichenden Halbmond ist es, was den Besitzer veranlaßte,
unter diesem Zeichen dir gastliches Obdach und treffliche
Verpflegung zn bieten. Sticht türkische Wirtschaft hast du
zu gewärtigen, wenn du es wagst, die gastliche Schwelle
zu überschreiten. Du wirst jedoch in diesem Falle bald
inue werden, daß dieses Haus mit Vorliebe von den Er-
langer Musensöhnen ausgesucht zu werden pflegt, und in
den Fremdenbüchern findest du, .bald mit mehr bald mit
weniger Witz, immer aber mit vielem Behagen, gereimt
und in Prosa und im reichen Schmuck der Illustrationen
die Ergüsse heiterer Studentenlaune, wie solche bei un-
zähligen Exkursionen seit Beginn unseres Jahrhunderts
bis auf diesen Tag in genanntem Hause ihr Wesen trieb.
Kein Wunder also, daß sich der Name des biederen
bospes, welcher „Türk" lautete und außerhalb der
Muggendorfer Gemarkung nicht allzuhäufig vorzukommen
pflegt, auf das Haus übertrug, denn ward es einmal dem
Bruder Studio so recht kannibalisch wohl, so bezog er
sicher den bekannten Vers: „Der dicke Türk' der meint
er wärsch" re. auf sich und alle Insassen dieses Hauses
und fühlte sich in Mohammeds Paradies. Von da zu
„Wahnfried junior" ist es in Wirklichkeit nur ein Schritt,
wenn auch sonst zwischen dem Reich der hohen Pforte
und Richard Wagners Tusculuin zu Bayreuth nicht die
 
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