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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Perfall, Anton von: Dachstuben-Nachbarn, [2]: Novelette
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Unsre Bilder
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266

Dachstuben-Nachbarn. Novelette. von A. Frhr. v. Zerfall — Unsre Bilder. Vom Herausgeber

häßlich ist, und sie alles Häßliche haßt. — Jetzt wissen Sie,
wie ich über die Lösung der sozialen Frage denke — ein
armer Teufel, der selbst nichts zu nagen und zu beißen
hat — aber ein Künstler!"
Stephan fand sich nicht zurecht. Diti, das Modell,
das verachtete Mädchen aus dem dunklen Gäßchen erzählte
eine Lebens- und Liebesgeschichte, die von einer Herzens-
reinheit zeugte, an deren Existenz er nie geglaubt und
der Stuckhans, der arme verkannte, vergessene Maler in
der Dachstube, vergaß alle Bitterkeit über die Un-
gerechtigkeit der Welt, über seine Kunst, die ihn kaum
leben ließ, er war glücklich nur einen Keim legen zu
können für die unendlich ferne, unabsehbare Wiedergeburt
der Menschheit, die ihn darben ließ in der Dachstube.
Er fühlte sich unheimlich hier, er hatte kein Recht, bei
diesen zwei Menschen zu sitzen; mit einer allgemeinen
Redensart empfahl er sich.
„Herr Wendel", sagte der Maler, ihm die Hand
reichend, „ich kenne Ihr "Schicksal, Frau Berchtold hat
dafür gesorgt. — Nehmen Sie einen guten Rat an von
mir, — hüten Sie sich vor dem Herrn Schelling, Sie
sind ein gutes Material für diese Leute, und es thut mir
leid um Sie." Stephan athmete erleichtert auf. Der
Öldunst, der Tabaksqualm glaubte er, hätte sein Gehirn
umnebelt. Eben wollte er in sein Zimmer gehen, da blieb
sein Auge an einem Lichtstrahl haften, der aus der ge-
schlossenen Thür des Litteraten fiel. — Er zögerte —
in seiner Stube war es kalt und er fürchtete die Ein-
samkeit mit ihren verzehrenden Gedanken. Er folgte dem
Lichtstrahl bis vor die Thür — die Mahnung des Malers
klang ihm im Ohre — dann wieder die wohlwollende
Stimme des Litteraten: „die Bewohner dieses Hauses
müssen Zusammenhalten". — Er horchte — das Knistern
einer . Feder war hörbar. — Plötzlich drückte er auf die
Schnalle, ohne anzuklopfen, und trat ein. — Herr Schelling
fuhr jäh auf vor seinem Schreibtisch, auf dem eine Lampe
mit grünem Schirm mattes Licht verbreitete; er stellte sich
wie schützend vor seine Schreiberei und warf dem Ein-
dringling einen gehässigen unstäten Blick zu. Das schöne
Auge war jetzt gar nicht mehr zu erkennen und Stephan
wäre am liebsten umgekehrt.
„Entschuldigen Sie mein ungerechtfertigtes Eintreten,
Herr Schelling", begann er.
„Ah, Sie sind es, Herr Wendel," schnitt ihm der
Litterat die Rede ab, „ich kannte Sie ja nicht in der
Dunkelheit da hinten — man wird nicht gern von Frem-
(Der Schluß ini

den in der Arbeit gestört — aber Sie sind mir stets will-
kommen! Nur näher, Herr Wendel, nehmen Sie Platz."
Er warf mit einer raschen Bewegung einige Papiere
bei Seite und bot ihm neben sich einen Stuhl.
„Ich war eben bei Herrn Stockhans drüben", fuhr
Stephan fort, „wir unterhielten uns sehr lebhaft — da
finde ich keine Ruhe in meiner einsamen Stube —"
„Bei Stuckhans? So? — Ein närrischer Kauz,
was? Er und seine Diti. — War natürlich auch dabei,
ich hörte ihr Gelächter. Und worüber unterhielten Sie
sich denn so lebhaft -— über die Kunst natürlich -—"
„Und ihre soziale Mission", ergänzte Stephan.
„Ja, ja, das ist sein Lieblingsthema! Sehr originell,
wie er sich das denkt — übrigens, interessieren Sie sich
denn auch für diese Fragen, in Ihren Jahren?
„Ich denke, mein Schicksal zwingt mich darüber nach-
zudenken", entgegnete Wendel. „Ich war vor wenigen
Wochen noch Student, der Sohn eines reichen VaterS, und
wohne jetzt No. 7 als Schreiber des Advokaten Lilienstein."
„Hm", der Litterat schob den Schirm etwas höher,
der Stephans Gesicht überschattete, und sah ihn forschend
an. —
„— Und Ihr Vater?" fragte er nach einer Pause —
„wie findet sich der in diese Lage?"
„Er ist Werkmeister in einer Fabrik, an die Arbeit
gewöhnt —"
„An Arbeit, das glaube ich, an freie Arbeit", ent-
gegnete Schelling, „aber Fabrikarbeit — Sklavenarbeit!
— Übrigens", fügte er mit spöttischem Lächeln hinzu,
„was halten Sie von dem System Stuckhans?"
„Ein Phantom -— sehr hübsch gedacht."
„Hübsch gedacht! fragen Sie einmal Ihren Vater
in der Fabrik — Sie wissen wohl nicht was das heißt,
eine Aktienfabrik! 20—30 Prozente heruntergeschunden
von den Sklaven — und die soll die „Kunst" befreien?
Natürlich in fernen — fernen Jahrhunderten, wenn der
Magen das Bellen, die Faust das sich ballen verlernt hat,
das letzte Gefühl für Menschenrecht erstorben in den ver-
brauchten Brüsten", Schellings Antlitz glühte jetzt vor
wilder Erregung, „wenn der Sklave seine Kette nicht
mehr klirren hört aus endloser Gewohnheit und in seiner
Ohnmacht sich einlullen läßt von der Phrase der Harmonie
des Weltalls, deren Hohn er in seinen rußigen Winkeln
nicht mehr heraushört." Der Litterat war aufgesprungen
in seiner wachsenden Erregung, sein Auge leuchtete jetzt
wie von heiligem Zorn. —
nächsten Hefte)

Unsre Bilder
Vom Herausgeber

enn Wir heute das Heft mit einem der frühesten
Bilder Ludwig Passinis eröffnen, so geschieht das,
weil es eben zu jenen seltenen Kunstwerken gehört, die nie
veralten. Nicht minder aber auch, weil mit ihm der
Künstler seinen ersten großen Erfolg als Schilderer des
italienischen Volkslebens errang. — Dieser „Religions-
unterricht in Rom" zeigt denn auch die jungen Quiriten
so fern von aller Idealisierung und doch mit der ganzen
natürlichen Anmut ihrer Volksart, daß man sich nicht satt
an den so fein charakterisierten kleinen Schlingeln sehen

kann. Sie teilen sich in zwei Hälften, von denen die offenbar-
mutwilligere nur ein äußerst mäßiges Interesse für die zehn
Gebote und die acht Seligkeiten entwickelt und sich daher
bis die Reihe an sic kommt die Zeit mit allen möglichen
Zerstreuungen zu vertreiben versucht, worunter denn das
Fallenlassen des Katechismus ein besonders beliebtes Mittel
ist, um sich beim Aufheben desselben doch einige gym-
nastische Übungen gestatten Zu können. Diese Gruppe
hat indeß ein Mitglied bereits verloren, das auf der
andern Seite als Strafe seiner totalen Unwissenheit zum
 
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