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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Ostini, Fritz von: Franz Stuck, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12082#0016

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-b-S£> FRANZ STUCK <ö=^~

FRANZ STUCK OEDIPUS LÖST DAS RÄTSEL

Aus dem „Stuck-Album" im Verlage von Dr. E. Albert & Co., München

einem Baume schläft, ein Faun, dereine Nym-
phe in derbem Liebesspiel ins Gras niederge-
worfen hat („Neckerei", Abb. a. S. 49), ein paar
schillernde Muscheln als Stilleben und noch
vieles andere. Nichts wies auf eine „Spezialität"
hin. Der dies Verschiedenartige geschaffen,
konnte noch durch vieles andere Verschieden-
artige überraschen. So scharf begrenzt die
Eigenart dieses Malers ist, so wenig ist sie be-
schränkt. Die Entfaltung seines Genius hing
wesentlich von den Aufgaben ab, welche ihm
seine Zeit stellte; in einer großen Zeit und mit
großen Aufgaben hätte er nicht nötig gehabt,
jahrelang seine Kraft in kleinen Leistungen
auszugeben. So aber war der einzige, der ihm
eine wahrhaft große Aufgabe bot, eben jener
Mann, der sich von ihm einen Palazzo in den
Bogenhauser Anlagen bauen ließ — eben der
Herr Franz Stuck selber!

Von jener Kunstvereinsausstellung aus ging
es aufwärts von Stufe zu Stufe, aber nicht in
Schritten — in Sprüngen! Der Sommer brachte
jenen „Lucifer" (Abb. a. S. 4), der noch mehr
umstritten wurde, als der Cherub am Paradieses-
tor, einen Höllenfürsten in nächtigem Dunkel
auf seinem Thron, unheimlich lauernd. Er
war den Leuten nicht konventionell genug
und wie die bulgarischen Hofleute sich vor
ihm bekreuzten, als der Koburger das Bild
später nach Sofia brachte, so bekreuzten
sich wohl auch im Geheimen die Münchener
Spießbürgerund Kunstbonzen. Ein Jahr später

kam die „Pieta", vielleicht keine der origi-
nellsten, aber eine der stärksten malerischen
Taten Stucks, der nebenbei in der Gestalt
Christi bewies, daß er verstand, einen Akt
zu malen, der ohne Konkurrenz war. Und
wieder ein Jahr später kam die „Kreuzigung"
(Abb. XIV. Jahrg., S. 166), die gewaltigste
Aeußerung seiner Kraft, ohne Zweifel. Leider
existiert das Bild in seiner vollen Bedeutung
nicht mehr. Stuck ließ sich bestimmen, es zu
übermalen, die an manchen Stellen fast brutale
Wucht dieser Malerei zu mildern. Feiner und
harmonischer mag manches dadurch geworden
sein, aber seine ursprüngliche Verve, seine
volle Rasse hat das Bild doch verloren. Und was
Wucht und Rasse angeht, stand es noch über
dem „Krieg", es bedeutete in diesem Sinne
wohl überhaupt den Höhepunkt im malerischen
Schaffen Franz Stucks. Der hunderttausendmal
gemalte Vorgang war so neuartig, so groß an-
gepackt, daß dies Werk einen erschütterte mit
der Macht eines Elementarereignisses. Die
offizielle Welt und das kaufkräftige Publikum
freilich empfand diese Art, gepackt zu werden,
wie eine Vergewaltigung und als ein Kunst-
freund in Berlin das Bild einer dortigen
Kirche schenken wollte, lehnte die betreffende
Kirchenbehörde dankend ab. Die Herren
waren nicht fähig, sich vorzustellen, daß die
Stucksche Kreuzigung im feierlichen Hell-
dunkel, in der ungestörten Ruhe eines Gottes-
hauses ganz anders und viel ergreifender

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