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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Personal- u. Atelier-Nachrichten - Aus den Berliner Kunstsalons
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AUS DEN BERLINER

KUNSTSALONS

VW'enige kunstgeschichtlich bedeutsame Namen
werden neuerdings so häufig genannt, wie der
Francisco Goyas. Die Schöpfungen Manets
haben mehr als einmal an den spanischen Maler
erinnert, für die National-Galerie sind vor kurzem
Bilder von ihm erworben worden und endlich hat
jetzt ein Berliner Kunstgelehrter, Valerian v. Loga,
ein sehr fleißiges Buch über Goya geschrieben.
Der Salon Cassirer benützt das in dieser Weise
erregte Interesse, um den Berliner Kunstfreunden
eine recht stattliche, vierzehn Werke enthaltende
Goya-Ausstellung vorzuführen. Sie ergänzt in ge-
wissem Sinne das in Berlin vorhandene Material,
indem ihr Schwerpunkt durch einige ganz vorzüg-
liche Porträts gebildet wird, die den revolutionären
Maler von einer unerwartet sanften Seite zeigen.
Das schönste dieser Bildnisse ist das des Don Llorente,
eines Geistlichen, mit einem gütigen, etwas wein-
roten Gesicht, derein breites purpurnes Ordensband
über dem schwarzen Priestergewande, ein Taschen-
tuch zwischen den Händen haltend, vor einem
grauen Hintergrund steht. Es ist breit und frisch
hingestrichen. Zum Beweise aber, daß Goya auch
bis zur äußersten Grenze der Durchbildung gehen
konnte, ist ein Porträt da, das den Architekten und
Akademiedirektor Guerro, einen glattrasierten älteren
blonden Herrn mit pfiffigen Aeuglein und einem
faltigen Gesicht, im goldgestickten Frack, aus dem
eine Wenigkeit von der roten Weste hervorsieht,
vor einem Tisch mit Plänen darstellt. Im ähn-
lichen Sinne durchgeführt ist das unterlebensgroße
Bildnis einer dunkeläugigen Dame entre deux äges,
der ein schwarzer Schleier über Haar und Büste
fällt. Auch diese beiden Porträts haben einen
grauen Hintergrund. Die anderen vorgeführten Ar-
beiten sind weniger bedeutend. In den übrigen Bild-
nissen viel Geschmackskultur, aber doch wenig auf-
regende Malerei und sehr oberflächliche Charakteri-
sierung. Von den genrehaften Arbeiten kommt eigent-
lich nur eine > Teufelsaustreibung« in Betracht, auf
derein goldgelbes Priestergewand, ein halbentblößter
Weiberkörper, der von zwei mönchischen Henkers-
knechten mit begehrlichen Augen betrachtet wird,
aus schwärzlichem Dunkel leuchten. In diesem Bilde
ist jedenfalls das Rassige, Aufrührerische, das man
aus Goyas Radierungen kennt und schätzt. Auch ein
schöner Theotocopuli ist da,das Bildnis eines brille-
tragenden Kirchenfürsten mit viel Schwarz und einem
roten Ornat, das durch die Farbe an das Kostüm er-
innert, in dem Velazquez seinen Innocenz X. gemalt
hat. Wenn man aus dem Saal voll Goyas in den Neben-
saal tritt, in dem eine große Kollektion von neuen
Arbeiten Edvard Munch's ausgestellt ist, bekommt
man wegen des heftigen Kontrastes zunächst einen
gewaltigen Schreck. Man hat eine ganze Zeit nötig,
um sich vor dem modernen Künstler zurechtzu-
finden. Ist das Auge aber erst einmal auf die Rei-
zungen seiner reinen und starken Farben eingestellt,
so imponiert diese eigenartige Kunst zweifellos. Ge-
wiß ist das keine Malerei für das Publikum, das aus-
geführte Bilder verlangt und kein Verständnis dafür
besitzt, daß für den Maler ein Werk in dem Augen-
blicke fertig ist, wo es das ausdrückt, was er äußern
wollte. Münch rechnet stark darauf, daß der Be-
schauer seinen suggestiven Anregungen folgt, daß
er seine künstlerischen Absichten ergründet. Was
genießt man etwa an seinem Bildnis eines Bauern,
wenn man nicht begreift, daß es den Künstler ge-
lockt hat, das verwitterte, sonnenverbrannte Gesicht

des Alten gegen einen orangefarbenen Grund zu
setzen und in dem Spiel der beiden Gelb Schön-
heit zu suchen? Er hat da vier Jungen des Dr. Linde
gemalt, vor einer breiten weißen Empiretür stehend,
in grauen und blauen Kleidern, und hat mit sehr
wenigen Mitteln all das Kindliche, Zarte und Liebe
von Kindern herausgebracht und eine malerisch
ungewöhnlich anziehende Leistung geliefert. Er hat
einen furchtbar dicken Herrn gemalt, in gelbgrauem
Sommeranzuge. Breitbeinig steht die Gestalt vor
dem Hintergrund der weißen Leinwand, die als Ver-
zierung nur noch einen langen viereckigen gelben
Fleck aufweist, der als ein Stück Stoff oder ein
Kakemono zu deuten ist. Aber wie lebt der Mann,
wie originell wirkt das Ganze ! Manchmal muß man
an Thoma denken. Da steht mitten im Bilde und
in einem Garten ein >Baum<. Links unter ihm in
orangefarbenem Rock und blauer Jacke eine junge
Frau, die Mutterfreuden entgegensieht, mit beiden
Händen eine Bütte voll roter Kirschen vor sich
haltend. Auf der anderen Seite des Baumes sitzt
auf einem Gerät nachdenklich der Mann. Das Bild
verbreitet entschieden eine feierliche Stimmung. Und
wenn Münch ein junges Mädchen in Hellblau malt,
die wartend die Arme auf ein graugestrichenes
Gartentor gelegt hat, so gibt das überzeugend den
Eindruck von Frühling, von Jugend und Verliebt-
heit. Ein paar sehr starke Landschaften sind da.
Eine norwegische unter halbbedecktem Himmel mit
weiter Fernsicht ist eine der feinsten Schöpfungen,
die man von Münch kennt. Daneben interessieren
noch ein paar sehr lebhaft gefärbte mit Motiven aus
Travemünde. Ein paar weibliche Akte zeigen, was für
ein eminenter Zeichner dieser Maler ist. Im ganzen
wirken seine diesjährigen Arbeiten viel frischer
als die im vergangenen Jahre hier vorgeführten.
Sie beweisen nicht nur, wie die früheren, Talent,
sondern auch ein Vorankommen. Eine größere
Anzahl von neuen Bildern Ulrich Hübner's
stellen dem Fleiße des jungen Berliner Malers das
günstigste Zeugnis aus. Große Fortschritte sind
nicht zu bemerken, nur daß die Motive, die aus
Hamburg und Warnemünde stammen, vielfältiger
sind als bisher. In Ed. Schuttes Salon stellen
unter Führung von Albert Edelfelt einige fin-
nische Maler aus. Ihre Arbeiten lassen das Vor-
handensein von zwei verschiedenen Richtungen in
der Kunst Finnlands erkennen: einer französischen
und einer nationalen. Edelfelt gehört der ersteren
an. Aus dem Bastien-Lepage Nachfolger, als der er
in seinen ersten Bildern erschien, ist ein sehr
mondainer Künstler geworden, der mit Glück
schöne und elegante Damen porträtiert, der vor-
treffliche Herrenbildnisse malt und der, wenn er
einmal in seine Heimat geht, um Land und Leute
darzustellen, es in der appetitlichen und liebens-
würdigen Art tut, durch die Dagnan-Bouveret seine
besten Erfolge errungen hat. Man kann ihn weder
einen bedeutenden noch einen geringen Maler
nennen; ihm fehlt, um hinzureißen, allerdings das
Temperament. Er hat Sinn für interessante male-
rische Probleme, aber er löst sie zu häufig mit kon-
ventionellen Mitteln. Er hat nicht das Jugendliche
von Kroyer, aber er gleicht ihm darin, daß er nur
die Oberfläche der Menschen sieht, nicht ihr Herz,
nicht ihren Charakter. Summa summarum: Edel-
felt ist ein Maler, wie ihn die Welt braucht und
gut findet, nicht die Künstler, denen er mit seiner
Art nicht viel sagt. Immerhin darf man seine Be-
gabung nicht gering einschätzen. Unter seinen
Bildnissen erweckt das eines Fräulein El 1 i Grahn,
einer schönen dunkelblonden jungen Dame in
Trauerkleidung, die, das Kinn in die Hand gestützt,

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