Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Muthesius, Hermann: Die Architektur auf den Ausstellungen in Darmstadt, München und Wien
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0514

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ein höchst schmeichelhaftes Bild vom Zustande
unserer äusseren Kultur erhalten. Wie sehr aber
unser wirkliches Leben noch von den in München
gezeigten Idealzuständen entfernt ist, braucht hier
nicht weiter erörtert zu werden. Immerhin muss
anerkannt werden, dass ein kleiner Schritt vor-
wärts insofern gethan ist, als eine vollkommene
Säuberung von allem Geschmacklosen wenigstens in
einer grossen Ausstellung möglich war.

Die ausgedehnten Ausstellungsgebäude zeigen
vor allem Einfachheit und Sachlichkeit. Auch hier
ist durchgreifend reformatorisch gewirkt, wenn
man sich den üblichen Kram aus Stuck und Pappe
vorstellt, der sich namentlich auf den Weltausstel-
lungen der letzten zwanzig Jahre breitmachte, und
der sich beispielsweise auch dieses Jahr wieder in
der französischen Ausstellung in London zeigt. Hier
und da scheint es jedoch, dass man dem Prinzip
zuliebe etwas zu puritanisch vorgegangen ist. Man
möchte sagen: die Münchener Ausstellungsbauten
sind auf ein solches Mass von nüchterner Sachform
zurückgeführt, dass man sich nach einigen erfrischen-
den Anregungen förmlich sehnt. Etwas saftiger als
die Ausstellungsbauten präsentiert sich das Restau-
rationsgebäude von Emanuel v. Seidl, wenn auch
eine etwas willkürliche sogenannte Modernität im
Innern nicht sehr sympathisch berührt. Wie in den
Ausstellungshallen, so ist auch auf dem ganzen Aus-
stellungsgelände und namentlich auch in dem Ver-
gnügungspark alles anständig und geschmackvoll
gestaltet. Kein einziger Pavillon, keine einzige Schau-
bude ist vorhanden, die das Schönheitsempfinden
beleidigt. Das will gewiss bei Stätten für so mannig-
faltige Vergnügung und Schaugelegenheiten, wie
sie sich heute auf Ausstellungen einfinden, viel
heissen.

Der Bavariapark ist bei dieser Gelegenheit in
wohl durchdachter gärtnerischer und architek-
tonischer Auslegung zu einem einladenden wunder-
vollen Aufenthaltsort umgestaltet worden. Nicht
unwesentlich trägt dazu die reiche Aufstellung von
Plastik bei, die übrigens durchweg den Eindruck
Hildebrandscher Nachfolgeschaft macht. Der
Muschelkalk und grobnarbige Sandstein scheint von
der Schule unzertrennlich; es ist bei vielen Werken
schwer, sich vorzustellen, wie sie sich in einem fein-
körnigeren Material, das weniger Vorteil aus der
skizzenhaften Form zieht, ausnehmen würden. Ziem-
lich einheitlich wie die bildhauerischen Leistungen
des heutigen Münchens sind seine malerischen. Die
starke Begabung der Gruppe Scholle für das deko-

rative Wandbild kommt auf der Ausstellung gut zur
Geltung. Alle überragt Fritz Erler mit seiner wunder-
vollen Ausmalung des Nordpavillons des Restaura-
tionsgebäudes, einem wahren Meisterstück fein-
sinniger Dekorationsmalerei, das an die Höhe
Tiepoloschen Könnens erinnert. Auch die Theater-
kunst ist in das Programm der Ausstellung einbe-
zogen worden. In einem sehr erfreulichen Bau von
Littmann wird Sturm gelaufen gegen die Uberaus-
stattung unserer heutigen Bühnenaufführungen und
es wird der sehr glückliche Versuch unternommen,
unter starker Betonung der Silhouetten- und Relief-
wirkung zur Einfachheit zurückzukehren. Auch hier
die Wiederaufnahme des architektonischen Gestal-
tungsprinzips, das in früheren Kulturen demMenschen
natürlich war, heute bei unserer vielseitigen,stark zer-
splitterten Geistesrichtung aber in Verfall geraten ist.
Es wird noch eines kräftigen Ruckes bedürfen, um
den Sinn der modernen Menschheit wieder auf
das ursprünglich Menschliche auch in dieser Rich-
tung zurückzuführen.

Viel stärker noch als in München tritt das
architektonische Bestreben in der „Kunstschau" in
Wien hervor, einer Ausstellung jener Gruppe von
Künstlern, die sich um die Namen Klimt, Hoff-
mann und Moser schart. Hier ist das architekto-
nische Gefühl bis zur Reife entwickelt, der sublime
Geschmack zur höchsten Verfeinerung gesteigert.
Es ist merkwürdig, wie vereinzelt das Streben dieser
Gruppe noch dasteht. Die Sonderstellung, die die
Wiener dadurch einnehmen, dass sie der sonstigen
Entwicklung in der konsequenten Durchführung
rhythmischer Gedanken vorausgeeilt sind, bekundet
sich in dem auffallenden Mangel an Verständnis,
das ihren Bestrebungen namentlich in Deutschland
entgegengebracht wird. In Wien haben eine Reihe
günstiger Umstände zusammengewirkt, um jene
Intensität des architektonischen Ausdrucks herbei-
zuführen, die wir in den Räumen Hoffmanns, in
den Ornamenten Mosers und in den dekorativen
Bildern Klimts beobachten. Ein traditioneller guter
Geschmack und eine durchaus verfeinerte, wenn
auch etwas weiche Lebensführung lieferten den
Boden für die neue Entwicklung, die um 1895;
in Wien einsetzte. Und vielleicht sprach noch
ein weiterer Umstand für Wien: die Träger der
neuen Bewegung waren dort vorzugsweise Archi-
tekten, während sie in Deutschland vorzugsweise
Maler waren. Olbrich und Hoffmann als Schüler
Otto Wagners, dessen enthusiastischer Geist schon
weit früher dem alten Schematismus entsagt hatte,

494
 
Annotationen